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Veröffentlicht am 22.10.2025

Nicht für immer so unglücklich sein

Das Leuchten des Himmels an dunklen Tagen
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Der neue Roman von Elli Kolb mit dem wunderschönen Titel „Das Leuchten des Himmels an dunklen Tagen“ schließt emotional an den Vorgänger „9 Grad“ an und beweist erneut, dass Kolb die Generation der 20-30jährigen ...

Der neue Roman von Elli Kolb mit dem wunderschönen Titel „Das Leuchten des Himmels an dunklen Tagen“ schließt emotional an den Vorgänger „9 Grad“ an und beweist erneut, dass Kolb die Generation der 20-30jährigen von innen kennt und beschreibt wie keine zweite Autorin.

Vorn beginnend: Endlich mal eine ideale Triggerwarnung, sprich, vorn darauf hinweisen, dass hinten eine (naturgemäß spoilernde) Triggerwarnung zu finden ist, so dass Lesende, die sich sicher sind, mich triggert nichts, sie nicht wahrnehmen müssen, aber alle anderen sie wahrnehmen können, danke an die Autorin dafür – so geht’s!
Dann ein vorangestelltes Zitat – ich bin ja grundsätzlich nicht so Fan davon, aber hier hat es mich auch endlich mal befriedet, denn erstens: Nur eins! Nicht fünf, wie es neuerdings Trend ist. Und zweitens direkt themenbezogen und verbunden mit dem Buch, noch bevor ich starte, wie ein kleiner innerer Auftakt. Inhaltlich auch einfach wirklich schön, so viel dran, ich habe das Buch direkt noch einmal kurz weggelegt, um das Zitat einfach nur so mitzunehmen.

Dann geht es hinein in die Welt von Romy – und die ist keine einfache, klar, sonst würde sich ja auch ein Roman nicht lohnen. Romy ist aufgewachsen bei ihrem Opa Egon, nicht bei ihrer Mutter, obwohl diese lebt und auch Kontakt zu Romy hat. Als Egon stirbt, stürzt das Romy in einen emotionalen Strudel. Alles um sie herum scheint dunkel zu sein und auch ihre Freundinnen finden keinen wirklichen Kanal zu ihr - bis Jakob auftaucht, den sie bei einer Party kennengelernt hat. Jakob hat bringt die gute Fähigkeit mit, Romy genau im Moment zu nehmen, sie sein zu lassen, wer sie ist. Jakob bleibt, wo andere gehen. Dumm nur, dass Jakobs Tage an Romys Seite von Anfang an begrenzt sind. Über all dem fliegen und torkeln die Stadttauben, zum einen Zausel, die Lieblingstaube von Opa Egon, die jeden Tag an sein Fenster kam, zum anderen eine Fundtaube, die bei Romy einzieht und deren Gesundungsprozess ein Spiegel von Romys Seele ist.

Romy geht mir als Charakter direkt ins Herz. So viel Liebe in ihr, die wartet, gegeben zu werden, die enge Bindung zu Egon, der Kampf um die Aufmerksamkeit ihrer Mutter, die große Unsicherheit in ihr, die Suche nach einem Platz im Leben, die Angst vor Bindung und Emotion und zeitgleich dieser brennende Hunger genau danach, die Eifersucht in den Freundschaftsbeziehungen, immer wieder zwischendurch verblüffende Klarsicht, dann wieder heftiger Emotionsstau und fehlende Impulskontrolle, das Thema Dissoziation, das in dieser Generation leider auch ein sehr großes ist, warum eigentlich? Ist das Außen wirklich so sehr zu viel geworden? Die zögerliche, leicht angstgeprägte Beziehung zu den Tauben, ererbt von Egon, so eingängig, weil Romy selbst eine absolute Taube ist, Fluchttier, aber neugierig, freiheitsbezogen, aber Nähe suchend, schreckhaft, aber immer wieder auch dreist und mutig, nichts wird gekaut, alles wird direkt geschluckt – und dann arbeitet es innen weiter.

Viele Themen, die gut integriert sind, wie die weichen Drogen als Ausweichen, die Präsenz in sozialen Medien, das kaschierte Leben und der Druck, der daraus entsteht, das dauernde temporäre Jobben, die Notwendigkeit, global zu sein, flexibel, bereit für Ortswechsel, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und, wie auch schon in 9 Grad, wenn auch etwas anders: Der Fluss als Thema, da steckt ja auch so viel drin, Strömung, Leben gebend, die Lethe auch Leben nehmend, das Vergessen, das Treibenlassen, die Entscheidung, doch anzurudern, Leichtigkeit und Schwere zugleich, einfach so passend. Und über allem schwebt die Trauer und man weiß gar nicht: Ist es die Trauer über Egon? Oder über das eigene Leben, die verpasste Kindheitsbeziehung zu Eltern? Was bricht sich da Bahn?
Und dann die Tauben! Wie die kranke Taube immer auf die Seite kippt, rückwärts fliegt, das Leben komplett neu lernen muss – so ein schöner Spiegel für Romy, die noch gar nichts davon bemerkt. Wundervoll auch, wie viele Infos über Tauben eingebunden werden, z. B. das Fakt, dass Tauben vom Menschen gezielt als krasse Vermehrer gezüchtet wurden - um jetzt genau dafür gehasst zu werden. Manchmal geht die Autorin mit den Themen auch durch, ob nun wirklich Klimawandel, Krieg etc. auch noch in den Roman mussten, kann man hinterfragen. Ja, natürlich ist das Teil des Denkens und Empfindens der Millenials und der Gen Z – aber hier hätte mir wirklich gar nichts gefehlt, wenn es nicht beschrieben worden wäre. Es wird nicht weiterverfolgt, macht aber so einen großen Raum auf, dem ich dann gern auch mehr Bedeutung gegeben hätte.

Auch nicht sicher bin ich mir über das Ende, ohne spoilern zu wollen, war es mir alles ein bisschen viel und nicht wirklich realistisch. Kolbs Qualität ist es eigentlich, sich dem Leben unromantisch zu stellen, das hätte für mich dem Ende des Romans auch gut getan.
Was aber unbenommen bleibt ist die besondere Fähigkeit von Elli Kolb, der Generation Millenials und Gen Z und deren Innenleben eine Stimme zu geben. Besonders Menschen im Alter von 20-35 dürften sich in diesem Buch ungemein gesehen fühlen. Aber auch auf alle anderen wartet hier eine dichte Lesereise, ein Buch, das ich verschlungen habe und das mich sehr berührt hat an vielen Punkten.

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Veröffentlicht am 15.10.2025

Ein Leben im Stakkato der brutalen Aussichtslosigkeit

Herz in der Faust
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„Herz in der Faust“ von Sorj Chalandon, erschienen 2025 bei dtv, ist ein wuchtig-wütender Roman, der seinen Leser:innen einiges abverlangt und brachial ehrlich das Leben in Besserungs- und Erziehungsanstalten ...

„Herz in der Faust“ von Sorj Chalandon, erschienen 2025 bei dtv, ist ein wuchtig-wütender Roman, der seinen Leser:innen einiges abverlangt und brachial ehrlich das Leben in Besserungs- und Erziehungsanstalten in den 30er Jahren zeigt. Der in Frankreich sehr erfolgreiche Roman trifft den Nerv einer Zeit, in der Ausgrenzung und unerbittliche Verfolgung wieder zunimmt, die Armen immer ärmer werden und der Faschismus, der im Roman als Randthema auftaucht, um sich greift. Wie lange kann Konformismus Regelzustand sein, wann muss er abgelöst werden durch Rebellion?

Jules Bonneau, mit Kampfnamen „Die Kröte“ genannt, wird früh in seinem Leben von seinen Eltern sich selbst überlassen und gerät auf die schiefe Bahn – nicht zuletzt, weil Zeit seines Lebens in ihm eine überdimensional große Wut tobt, die er nicht in den Griff bekommt. Eingesperrt in die Korrektionsanstalt Haute-Boulogne auf der Insel Belle-Île, erlebt Jules Machtwillkür und gezielte Demütigung tagein tagaus. Es ist ein fragiles System, in dem es kaum zu Freundschaften kommen kann unter den jungen Menschen und in dem der verliert, der Gefühle zulässt. Dennoch kommt es, eher ungeplant, zum Aufstand, bei dem insgesamt 56 Zöglinge fliehen – auch Jules, der in seine Flucht eher hineingerät. Eine Flucht, die von vornherein ein aussichtsloses Unterfangen ist, denn die Insel liegt zu weit vom Festland entfernt und die Einwohner:innen: sind den jungen Insassen gegenüber nicht freundlich gesinnt. Eine Kopfprämie von 20 Franc für jeden der Ausbrecher macht die erfolgreiche Flucht endgültig zu einem Hiobskommando. Jules trifft auf seiner Flucht auf den Fischer Ronan Kardarn – ein Mann, der sich mit Vergangenheit und Geheimnissen auskennt. Die Beziehung, die sich zwischen beiden entspinnt, ist geprägt von Vorsichtigkeit und Hoffnung, zögerlicher Nähe und notwendiger Distanz.

Chalandon schreibt brachial und bringt das karge Leben auf der Insel in gedrängte, kurze Sätze, die auf die Phantasie einhacken. Hier wird nicht geschont; explizit und ohne Filter wirft er uns in die unglaubliche Brutalität und Kälte von Haute-Boulogne. Hier gibt es keine Helden, hier gibt es nur Verlierer, und der Autor scheut nicht davor zurück uns zuzumuten, dass auch Sympathiefiguren in dieser Geschichte nicht sicher sind. Die irrige Idee der 30er, Menschen durch Brechen zu besseren Menschen zu machen, wird eindrücklich erlebbar. Ein dauerhaftes Fiebern wabert durch die Sätze, die im Stakkatotakt auf die Lesenden einhämmern und durchweg wehtun. Dazwischen immer wieder wilde Traumsequenzen, die schwer von der Wirklichkeit zu trennen sind.

Die Insel und die Erziehungsanstalt werden plastisch beschrieben ohne zu große Ausführlichkeit, Die Charaktere sind klar gegriffen, es ist durchweg kalt in diesem Buch bis zur Flucht. Mit dieser und mit der Begegnung mit Kardarn und seiner Frau wechselt ganz langsam der Ton, der Dialoganteil steigt, im Bilde gesprochen wird das Meer etwas ruhiger – auch wenn der bellende Grundton bleibt. Die Beziehung und Annäherung zwischen Jules, Ronan Kardarn und der Fischermannschaft wird grandios beschrieben, es ist ein Tasten und Wagen, das sich immer mehr ausbreitet, bedroht durch Intrige und Verrat.

Besonders gut gelungen finde ich, dass durch die Tätigkeit von Kardarns Frau Sophie auch die Welt der Frauen in dieser Zeit gezeigt wird inmitten dieses „Männerromans“, in dem männliche Charaktere durchweg der Zeit und dem Ort geschuldet die Handlung dominieren. Hier gibt es niemanden, der ein leichtes Leben hat. Und auch die Polarität von Faschismus versus Kommunismus, die im Untergrund durch das Buch wabert, ist sehr gut herausgearbeitet.

Mich hat das Buch beeindruckt und mitgenommen, vor allem auch, weil Jules nie eine Chance hatte, ein anderer zu sein. Die Prägung durch Kindheit und Biographie ist offensichtlich – und im Umkehrschluss wird auch klar, wie dankbar wir für das Wunder der Psychotherapie sein dürfen. Man würde das all den Kindern wünschen, die in diesen Zeiten so brutal von sadistischen Machtmenschen gebrochen wurden.

Insgesamt zog sich für mich die Lektüre aber leider etwas. Das mag an der Häufung von Brutalität liegen, die sich mit der Zeit einfach abnutzte, oder an dem durchgehenden Stakkato, dass bei mir auf Dauer etwas Anstrengung und Unlust erzeugte. Vielleicht hätte ich mir auch nur etwas mehr Kompaktheit gewünscht, die knapp 400 Seiten hätte ich so nicht gebraucht für die Geschichte. Insofern reicht es nicht ganz für 5 Sterne, aber das Buch ist auf jeden Fall sehr lesenswert und beachtlich.

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Veröffentlicht am 24.09.2025

Der Tod kommt leise

Lügennebel
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„Lügennebel“ von Viveca Sten, der vierte Band der Hanna Ahlander Åre-Morde-Serie, 2025 erschienen bei dtv, hält über gut 500 Seiten souverän den Spannungsbogen und ist so eiskalt wie die Schneewelt drumherum. ...

„Lügennebel“ von Viveca Sten, der vierte Band der Hanna Ahlander Åre-Morde-Serie, 2025 erschienen bei dtv, hält über gut 500 Seiten souverän den Spannungsbogen und ist so eiskalt wie die Schneewelt drumherum. Als vierter Band in der Reihe schafft er zeitlich einen nahezu nahtlosen Anschluss an den Vorgängerband, funktioniert aber sehr gut auch als Stand-Alone-Read, da Sten wichtige Infos aus den vorangegangenen Teilen sehr gut in die aktuelle Handlung integriert.

Eine Gruppe von Adoleszenten nimmt sich in Åre eine Auszeit vom Unistress und verbringt im Ferienhaus von Wille, einem Richkid ohne Sorgen, die Zeit mit Feiern, Skifahren, Alkohol, mehr Alkohol, noch mehr Alkohol und anderen Substanzen. Dabei brodelt unter der ausgelassenen Partyhaltung von Anfang an jede Menge Unterdrücktes – bis eines Morgens eine Person der Gruppe nackt und erfroren vorm Haus im Schnee liegt. War es ein Unfall? Oder doch eiskalter Mord? Hanna Ahlander und ihr Team müssen tief im Packeis der Gefühle graben und lösen dabei so manche Lawine aus, bis der Fall endlich mit einer überraschenden Wendung aufgeklärt werden kann.

Viveca Sten schreibt gewohnt brillant, die bitterkalte Atmosphäre im Außen und Innen klirrt greifbar durch die Zeilen des durchweg mit Spannung und trickreichen Wendungen gepackten Kriminalromans. Dabei kommen auch die privaten Geschichten der Ermittler:innen wie immer nicht zu kurz: Und da ist einiges los! Während Hannah und ihr Kollege Daniel weiter wie Satelliten umeinanderkreisen und doch nicht den Mut finden, sich zu offenbaren, kommt zumindest ihr Mitarbeiter Anton in seinem Leben etwas weiter. Dominant ist aber der Fall, der dem Team diesmal alles abfordert. Sten lässt nichts aus, von gruseligem Psychothrill bis zu wilden Verfolgungsjagden – hier wird alles geboten, was man sich wünschen kann.

Ein paar Szenen hatten eigentlich keine Handlungsrelevanz und trugen auch zur Atmosphäre insgesamt nicht wirklich Neues bei, so dass ich persönlich bei gut 500 Seiten auch auf sie hätte verzichten können. Da Sten aber so gut schreibt, sind natürlich auch diese grundsätzlich isoliert betrachtet eine Freude, so dass ich die kleinen dadurch entstehenden Längen insgesamt verzeihen kann. Der Roman passt hervorragend in den nun kommenden Herbst und Winter – aber auch im Sommer dürfte die eiskalte Hochspannung eine gute Abkühlung sein. Hier kann nur zum Lesen geraten werden – und hoffentlich kommt bald der nächste Band, damit sich der kleine Cliffhanger um Hannah und Daniel schnell auflöst. Eine absolut runde Sache!

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Veröffentlicht am 19.09.2025

Ein wackelnder Thron – aber nicht für Rebecca Gablé

Rabenthron
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„Rabenthron“, erschienen 2025 bei Bastei Lübbe, der neue Roman von Erfolgsautorin Rebecca Gablé, ist wie immer ein Meisterwerk des historischen Romans, auch wenn diesmal tatsächlich kleine Schwächen auftreten. ...

„Rabenthron“, erschienen 2025 bei Bastei Lübbe, der neue Roman von Erfolgsautorin Rebecca Gablé, ist wie immer ein Meisterwerk des historischen Romans, auch wenn diesmal tatsächlich kleine Schwächen auftreten. Doch da Gablé in einem ganz eigenen Universum schreibt, ist der Roman dennoch ein weiterer Stern an ihrem Schreibhimmel.

Wir kehren zurück nach Helmsby, oder genauer gesagt, wir gehen ganz an den Anfang von Helmsby, reisen also weiter in der Zeit zurück. Bevor wir uns mit der Handlung befassen, ist ein kurzes Shoutout an das Buchdesign unbedingt nötig: Was für ein Traum, dieser Farbschnitt und die Karte im Inneren, und natürlich wie immer die großartigen Zeichnungen für jeden Teil und die kleinen Ornamente am Kapitelanfang, einfach so ein Genuss! Ich lieb’s. Allein dafür schon fünf Sterne.

Gablé wirft uns direkt ins Geschehen: Wir befinden uns im Jahr 1013 und Aelfric hat die Aufgabe, den gefangenen Dänen Hakon nach London zu bringen und seinen Sohn Penda zu retten. Soweit die simple Ausgangssituation des Romans, von der aus sich die Geschichte bis hin zu Wilhelm dem Eroberer erstreckt, mit wie immer unendliche vielen hervorragend recherchierten Details und historischen Personen, die ergänzt werden um ebenso viele fiktive Personen und deren Geschichte, ein umfassendes Panorama dieser Zeit. London geht zugrunde, der herrschende König schwächelt und hat seine Herrschaft nicht im Griff. Der Thron, die Königsposition wird uns den ganzen Roman durch begleiten in vielen Konstellationen und Varianten. Wie schwer das Herrschen doch ist und dass nicht jeder, der qua Geburt König werden soll, auch zum König geboren ist, das arbeitet die Autorin brillant heraus.

Gablé zeigt gekonnt all die Fallstricke der Zeit, die wenigen Rechte und Bewegungsmöglichkeiten der Frauen (und doch hat sie uns gleich mehrere starke Frauen hingelegt für diesen Band), die Grausamkeit, aber auch das Männerklischee, dem die Männer genügen mussten und das ihnen auch gar nicht mal so viel Beinfreiheit ließ. Die verschiedenen Schichten und die Unkenntnis der jeweils anderen Lebensrealität. Wie katastrophal es war, wenn ein Herrscher nicht wirklich zum Herrschen bestimmt war. Die vielen Intrigen und Ränkespiele, die ständige Not, Allianzen zu schmieden – und das in einer Zeit, in der Nachrichten nicht gerade schnell unterwegs waren. Mit der Königin Emma schafft sie einen großartigen Charakter, eine Frau, die den Lauf der Geschichte immer wieder stark beeinflusst und das wilde Pendeln Englands in der Zeit mit den vielen Herrschern, der Konflikt mit Dänemark, der ewige Kampf um die Hoheit, all das wird lebendig.

Gablé hält den Spannungsbogen durchweg oben, in jedem einzelnen Abschnitt passiert so viel, dass man einen eigenen Roman schreiben müsste, um den Roman zu erläutern. Szenerie, Dialoge und Figuren sind immer so lebendig und es werden so viele Informationen über die Zeit wie nebenbei eingewoben, ich finde es einfach jedes Mal aufs Neue beeindruckend und lese ihre Bücher supergern, dieses auch wieder. Dabei spart sie auch nicht mit Spice – für mich in einem Maß, auf das ich auch hätte verzichten können, weil es sich in dem Roman wie ein Fremdkörper macht in der Explizität, aber zum Glück fand die Handlung immer schnell zum Bogen zurück. Im Verhältnis zu anderen Romanen wurden dieses Mal die fiktiven Figuren leider deutlich weniger ausführlich erzählt, was ich persönlich sehr schade fand, da genau diese Mischung für mich immer das Besondere an Gablés Werk ausmacht. Letztlich fasst der Roman aber auch so knapp 900 Seiten, so dass vielleicht einfach nicht genug Raum war, hier auch noch ausführlich zu werden. Dadurch bleibt aber eine so wichtige Figur wie Hakon auf der Strecke. Durchweg präsent und wirklich wundervoll ist dagegen die Figur von Penda und die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Ælfric und Penda, die wirklich ans Herz geht und einen durch den ganzen Roman trägt.

Es sind schwierige Zeiten, die die Autorin genial darstellt, ich konnte wirklich gut durch die Handlung der ständig wechselnden Machtverhältnisse folgen. Wie chaotisch das damals gewesen sein muss, wo Nachrichten viel langsamer gereist sind. Dabei packt Gablé auch schwierige Themen wie Antisemitismus und Sklaverei an, ohne jemals den Fokus zu verlieren. Und natürlich fehlt auch wie immer das Nachwort nicht, in dem sie punktgenau Fakten und Fiktion trennt. Einfach ein Genuss.

Was soll man sagen, hier stimmt einfach fast alles, und das wenige, was nicht stimmt ist Meckern auf einem so hohen Niveau, dass ich das Meckern gern direkt auch sein lasse. Rabenthron ist ein Muss für alle Gablé-Fans – und für die, die es noch nicht sind, ein super Einstieg, um dann direkt auch der Sucht zu verfallen und die weiteren Helmsby-Romane zu lesen. Rebecca Gablé sitzt für mich unangefochten weiter auf dem Thron der historischen Romane – und bestimmt mag sie auch ein paar Raben, die drumherum fliegen.


Ein großes Dankeschön an lesejury.de und Bastei Lübbe für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 16.09.2025

Manchmal kommt man vom Mond nicht zurück

Die Sonne und die Mond
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„Die Sonne und die Mond“ der neue Roman von Chris Kraus, erschienen 2025 bei Diogenes, ist für mich ein überraschendes Juwel am Literaturhimmel, eine durchweg berührende, poetische und humorvolle Geschichte ...

„Die Sonne und die Mond“ der neue Roman von Chris Kraus, erschienen 2025 bei Diogenes, ist für mich ein überraschendes Juwel am Literaturhimmel, eine durchweg berührende, poetische und humorvolle Geschichte über das Leben und das Sterben und das große menschliche Dazwischen. Überrascht hat es mich, da ich das Buch tatsächlich nur lesen wollte, weil ich zum einen selbst im Kultur- und Medienbereich arbeite wie eine der Protagonistinnen und ich zum anderem dem morbiden Charme von Bestattungsunternehmen immer etwas abgewinnen kann. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Sonne und Mond und vor allem auch der kleine Satellit Nicky jede Menge Saiten ganz tief in mir zum Klingen bringen und ein zart drängendes, sehnsüchtiges Gefühl hervorrufen – wie ein früher Morgen, an dem der Mond noch am Himmel im Dunst zu sehen ist, während die Sonne schon aufgeht.

Erst einmal aber die Fakten: Das Buch ist gegliedert in 6 sinnvolle Teile mit den Titeln „Der erste Tag“, „Die erste Woche“, „Der erste Monat“, „Der letzte Gruß“, „Das Ende“ und „Ein Jahr später“. Der Plot klingt bekannt: Sonja Meling, genannt Sonne, und Jana von Mond, genannt Mond, verbindet eine Teeniefreundschaft, die durch dick und dünn ging und für die Ewigkeit gemacht schien. Bis ein Ereignis alle Brücken zwischen den beiden jungen Frauen abriss und aus Liebe Hass und Verachtung wurde. Inzwischen im Erwachsenenleben fest verankert, ist Mond ein erfolgreicher Fernsehstar und Sonne führt ein besonderes Bestattungsunternehmen. Und weil der Tod nie schläft, führt er die beiden Frauen wieder zusammen.

Was so banal klingt, ist alles andere als das, denn Kraus schreibt auf allen Ebenen einfach großartig. Die Figuren sind schräg, sehr eigen, sehr verwundet und beide Protagonistinnen wirken wie Wüsten, so karg und fest und einödig, verdorrt und doch eiskalt – aber das Leben, es wartet nur unter der Oberfläche darauf, dass endlich der Regen kommt und alles Lebendige wieder erweckt. Der Autor bringt mich ständig zum Lachen, weil er so klug und ehrlich beobachtet, dabei steckt so viel Traurigkeit in dem, was passiert ist, was noch passiert. Es gibt unendlich viele unfassbar skurrile Szenen, und es wird SO VIEL SCHWERES so wahnsinnig LEICHT verhandelt, es ist ein Kunstwerk, das mich zum Lachen, zum Weinen, zum Schreien, zum Wüten und zum Freuen, ganz einfach zum wie wild Fühlen gebracht hat auf jeder Seite. Die wahrhaft magische Erfindung in diesem Roman ist aber Nicky, ein Kind, geschlagen mit Hämophilie, ein Kind, das wirklich Grund zum Leiden hätte, aber bombenfest im Leben verankert ist, und die Dinge unfassbar weise und pragmatisch angeht. Eine uralte Seele in einem Kinderkörper, die eine enorme Heilkraft hat, weil Nicky zu sein bedeutet, sich dem Leben stellen zu müssen. Kraus Sprache ist wundervoll, jeder Satz eine solche Lesefreude, jedes Bild strotzt vor Lebendigkeit, jedes Detail sprüht Liebe.

Kraus wirft die Lesenden sofort ins Geschehen, ins Fühlen und ins Erleben. Spannende Paradoxien, die Hassliebe von Sonne zum Tod, der ihr alles genommen hat und jetzt doch alles gibt, jeden Tag. Samuel, auch so ein toller Charakter, der Sonne verfallen ist, aber das nicht zeigen darf, der dennoch mit ihr Tacheles redet und sie in die richtige Richtung schubst – wahrscheinlich der Einzige, der das neben Nicky kann. Mond, die so ziemlich alle Klischees einer Fernsehdiva erfüllt, zugedröhnt, mit Migräne und Kotzanfällen, sich um sich selbst drehend und selbstmitleidig, aber dennoch eine, die weiß, wann es Zeit ist, aus einer Niederlage einen Sieg zu machen, indem sie sich daran erinnert, dass sie mal wusste, was menschliche Größe ist – und am Ende irgendwie auch wieder zu ihr findet. Immer wieder starke Bilder, man könnte sich das super auch als Film vorstellen, die ausgepolsterte Wohnung von Sonne, das Blau und die Bilder, der Blick auf die LED Werbewand, der Puls von Berlin. „Kein Licht der Erkenntnis, sondern eine Art Parkplatzbeleuchtung für im Dunkeln abgestellte Kleinsthirne“ – Sätze wie Kristalle. Und auch noch geschickte Einbindung von Zeit und Historie, brandaktuell heute, später rekonstruierbar, dieser Roman ist jetzt. Ich mag es auch immer sehr, wenn Romane sinnstiftend eingebunden auf Krankheitsbilder, die nicht so bekannt sind, aufmerksam machen, wie hier auf Hämophilie, worüber ich tatsächlich auch nur sehr begrenzt Bescheid wusste.

Die Beschreibung der Szene in Syrien, da habe ich kurz für mich etwas gezuckt, aber eher mit einer Frage, die mich bewegt, inwieweit es klargeht, so geprägt über Dinge zu schreiben, die wir selbst nur sehr aus der Ferne kennen, das trifft auch auf die Angehörigen von Ying Shu und Said zu. Ohne dem Autor da auch nur irgendeine Absicht unterstellen zu wollen, fand ich es teilweise in der Schilderung problematisch, weil von Klischees ausgehend. Hätte man diese Szene im Herrschersitz auch weniger klischeereich schreiben können z.B.? Mein Gefühl sagt „ja“ und auch ohne, dass es ein Verlust gewesen wäre.

Der Tod, das Verschwinden von Eltern, das Verschwinden von Geliebten und Leben, allgegenwärtig in diesem Buch. Und dennoch ein Buch, das Frieden schließt mit dem Sterben, dem Enden. Entstanden aus einer tiefen, persönlichen Trauer des Autors ist dieses Buch irgendwie doch eine Ode an das Leben, ein Loblied auf das Überwinden, auf das Weitermachen, selbst wenn es doch eigentlich gar nicht mehr geht, nicht gehen kann, wirklich alle Zeichen auf Stop stehen. Und ein klarer Blick darauf, dass man eben doch manchmal im Falschen noch das Richtige finden kann, wenn man es denn nur zulässt, wenn man sich traut und sich dann im Trauen vertraut.

Spannend auch die vielen literarischen Formen, die Kraus im Buch verwendet, immer wieder gibt es Überraschungen, sehr besonders die Ebene des Märchens, die das Buch durchzieht. Hier wurde sehr genau konstruiert und dramaturgisch clever gearbeitet.
Für mich ein absolutes Highlight des Buchjahres 2025. Ich hab dich lieb bis zum Mond und zurück, das kennen wir alle aus einem Kinderbuch. Manchmal findet man vom Mond nicht mehr zurück. Und sowieso leuchtet der Mond nur durch die Sonne. Wir Menschen stehen immer zwischen beiden und spüren ihre Kraft. Vielleicht liegt die Kunst wirklich darin, beide einfach sein zu lassen und die Energie hinzunehmen. Hineinzunehmen. In sich selbst. Ich habe dieses Buch geliebt.

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