Chance verpasst
Die Telefonistinnen - Stunden des Glücks„Die Telefonistinnen – Stunden des Glücks“ von Nadine Schojer, erschienen 2024 im Bastei Lübbe Verlag, der Auftakt zu einer neuen Frauenromanreihe, die in der Nachkriegszeit spielt, startet entspannt mit ...
„Die Telefonistinnen – Stunden des Glücks“ von Nadine Schojer, erschienen 2024 im Bastei Lübbe Verlag, der Auftakt zu einer neuen Frauenromanreihe, die in der Nachkriegszeit spielt, startet entspannt mit einer Warteszene auf die D-Mark und viel Kölner Lokalkolorit – weitestgehend gut eingebettet, insgesamt war es mir dann doch ein bisschen viel Geschichtsreferat „Die prägenden Ereignisse der Kölner Nachkriegszeit“ – zumal die Autorin eigentlich nur Wissen bemüht, dass Wikipedia und andere auch schnell hergeben.
Die Figuren werden nach und nach in die Handlung eingeführt, was ich gut und hilfreich fand, so konnte ich sie alle gut kennenlernen und zuordnen und mir die Beziehungen klarmachen. Auch gefällt mir gut, dass sich, ohne dass sich das aufdrängt, die Kapitel gerade am Anfang ein bisschen Themen zuordnen, also z.B. Kapitel 1 „Köln in der Nachkriegszeit“, Kapitel 2 „Versicherung Pering und Arbeitsklima“, in Kapitel 3 lernen wir Hanni kennen usw. Die Atmosphäre der Nachkriegszeit ist gut gegriffen, das Leben zwischen Trümmern, der langsame Wiederaufbau, der vom Mangel an Baumaterial geprägt ist, die große Ungewissheit, die über allem schwebt, kommen die Männer noch zurück, sind sie verstorben, die vielen kleinen Neuerungen, mit denen die Menschen konfrontiert sind, das politische Misstrauen der Entnazifizierung, das hier und da leise anklingt, das Gefühl von Aufbruch aber auch die immer wieder sich hineindrängenden Erinnerungen an das Kriegsgeschehen, das gefällt mir alles sehr gut. Und über all dem die schwebende Ungewissheit, ob die noch fehlenden Männer wiederkommen werden oder doch verstorben sind.
Schön herausgearbeitet auch die Beziehungen zwischen den sehr unterschiedlichen Frauen und ihrer Annäherung, sehr lebendig, ich hatte direkt Bilder vor Augen. Alle Frauen tragen ein Geheimnis, nicht jedes entpuppt sich schon in diesem Band.
Der Schreibstil ist flüssig und die, meist sehr guten, Sprachbilder sind gut dosiert und drängen sich nicht in den Vordergrund. Teilweise rutscht da etwas unnötiger Kitsch rein „fühlte sie die Verlassenheit, die mit eisigen Armen nach ihr griff. Genau an der Stelle, wo sie früher die warmen, schützenden Hände Heinrichs gespürt hatte.“ (S. 19) Da wäre dann weniger mehr, andere Formulierungen gefallen mir nämlich dagegen sehr gut! „Sachte klopfte Gisela ihrem Sohn die Zweifel von der Schulter.“ (S. 16) Atmosphärische Wechsel sind immer sehr gut gegriffen und sinnlich beschrieben. Da gefällt mir auch die Dynamik. Die Kapitel haben auch für mich eine gute Länge, das lässt sich alles grundsätzlich sehr gut lesen.
In der zweiten Buchhälfte, die deutlich besser geglückt ist als die erste, zieht die Handlung deutlich an, die im ersten Teil oft noch hinter Beschreibungen zurücktritt. Es scheint so, als ob die Autorin selbst mit den Figuren warm geworden ist, das Kriegs- und Nachkriegskolorit wird sinnvoller und dosierter eingebunden, insgesamt ist der Bogen besser gespannt. Es gibt ein paar Dinge, die mich überrascht haben im Handlungskonstrukt und teilsweise gelungene Plottwists. Insgesamt aber bleibt leider alles ein bisschen sehr auf der Oberfläche, die Handlung ist im Überblick dennoch relativ vorhersehbar und wirkt reißbrettartig konstruiert und was mich wirklich stört, ist das Prinzip der Erlösung durch Männer für die Frauenfiguren. Hier bestünde die Chance, wirklich starke Frauengeschichten zu schreiben, aber zumindest in diesem ersten Band der Reihe braucht es am Ende immer einen Mann, um die Frauen zu erlösen und ihre Probleme zu beheben. Dabei ist auch das Konstruktionsprinzip „fast Erlösung – nochmaliges Hindernis – dann doch Erlösung“ einfach sehr simpel. Frauen scheinen auch grundsätzlich läufige Hündinnen zu sein, das hat mich streckenweise wirklich angeekelt, dieses Bild, noch dazu von einer weiblichen Autorin. Für meinen Geschmack ist der Fokus auf Lovestorys einfach zu groß – aber das mag anderen Leser:innen natürlich anders gehen. Der Titel des Buches lässt einen anderes erwarten, viel mehr Fokus auf die Arbeitswelt, auf den Aufbau der BRD, auf Frauen, die es schaffen, unter widrigen Bedingungen allein durchs Leben zu gehen. Das wird alles nicht erfüllt.
Sehr erhellend war für mich die Danksagung, in der klar wird, dass die Idee zur Reihe an die Autorin vom Verlag herangetragen wurde und nicht andersherum. Ich finde, das merkt man dem Buch auch deutlich an, es wirkt so, als hätte sich die Autorin mit diesem Band selbst erst einmal an die Geschichte heranschreiben müssen, wäre ihr noch eher fern und müsste ein paar klare Ziele erfüllen (Zeitkolorit, Romance, Spice, verschiedene Handlungsstränge anlegen, die man dann mit Nachfolgebänden fertig schreiben kann, man ahnt ja schon, der nächste Band wird Hanni in den Fokus stellen). Immer wieder verschwinden ihr auch angelegte Figuren aus dem Fokus, Julia z.B. ist im zweiten Teil eigentlich kaum mehr vorhanden, über die Emotionen von Giselas Sohn Peter, den ein Schicksalsschlag ereilt, erfahren wir sehr wenig, obwohl er in der ersten Buchhälfte durchaus eine Hauptfigur ist.
Insgesamt hätte ich mir von diesem Auftakt deutlich mehr erhofft und konnte, trotz des deutlich besser gelungenen zweiten Abschnitts, noch nicht wirklich viel Hunger auf die Folgebände entwickeln. Da die zweite Hälfte aber deutlich besser als die erste geschrieben ist, lohnt es sich vielleicht doch, der Reihe eine Lesechance zu geben. In diesem ersten Band wurde die Chance auf eine spannende Nachkriegsfrauengeschichte für mich verpasst.
Ein großes Dankeschön an lesejury.de und den Bastei Lübbe Verlag für das Rezensionsexemplar!