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Veröffentlicht am 29.04.2024

Chance verpasst

Die Telefonistinnen - Stunden des Glücks
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„Die Telefonistinnen – Stunden des Glücks“ von Nadine Schojer, erschienen 2024 im Bastei Lübbe Verlag, der Auftakt zu einer neuen Frauenromanreihe, die in der Nachkriegszeit spielt, startet entspannt mit ...

„Die Telefonistinnen – Stunden des Glücks“ von Nadine Schojer, erschienen 2024 im Bastei Lübbe Verlag, der Auftakt zu einer neuen Frauenromanreihe, die in der Nachkriegszeit spielt, startet entspannt mit einer Warteszene auf die D-Mark und viel Kölner Lokalkolorit – weitestgehend gut eingebettet, insgesamt war es mir dann doch ein bisschen viel Geschichtsreferat „Die prägenden Ereignisse der Kölner Nachkriegszeit“ – zumal die Autorin eigentlich nur Wissen bemüht, dass Wikipedia und andere auch schnell hergeben.
Die Figuren werden nach und nach in die Handlung eingeführt, was ich gut und hilfreich fand, so konnte ich sie alle gut kennenlernen und zuordnen und mir die Beziehungen klarmachen. Auch gefällt mir gut, dass sich, ohne dass sich das aufdrängt, die Kapitel gerade am Anfang ein bisschen Themen zuordnen, also z.B. Kapitel 1 „Köln in der Nachkriegszeit“, Kapitel 2 „Versicherung Pering und Arbeitsklima“, in Kapitel 3 lernen wir Hanni kennen usw. Die Atmosphäre der Nachkriegszeit ist gut gegriffen, das Leben zwischen Trümmern, der langsame Wiederaufbau, der vom Mangel an Baumaterial geprägt ist, die große Ungewissheit, die über allem schwebt, kommen die Männer noch zurück, sind sie verstorben, die vielen kleinen Neuerungen, mit denen die Menschen konfrontiert sind, das politische Misstrauen der Entnazifizierung, das hier und da leise anklingt, das Gefühl von Aufbruch aber auch die immer wieder sich hineindrängenden Erinnerungen an das Kriegsgeschehen, das gefällt mir alles sehr gut. Und über all dem die schwebende Ungewissheit, ob die noch fehlenden Männer wiederkommen werden oder doch verstorben sind.
Schön herausgearbeitet auch die Beziehungen zwischen den sehr unterschiedlichen Frauen und ihrer Annäherung, sehr lebendig, ich hatte direkt Bilder vor Augen. Alle Frauen tragen ein Geheimnis, nicht jedes entpuppt sich schon in diesem Band.
Der Schreibstil ist flüssig und die, meist sehr guten, Sprachbilder sind gut dosiert und drängen sich nicht in den Vordergrund. Teilweise rutscht da etwas unnötiger Kitsch rein „fühlte sie die Verlassenheit, die mit eisigen Armen nach ihr griff. Genau an der Stelle, wo sie früher die warmen, schützenden Hände Heinrichs gespürt hatte.“ (S. 19) Da wäre dann weniger mehr, andere Formulierungen gefallen mir nämlich dagegen sehr gut! „Sachte klopfte Gisela ihrem Sohn die Zweifel von der Schulter.“ (S. 16) Atmosphärische Wechsel sind immer sehr gut gegriffen und sinnlich beschrieben. Da gefällt mir auch die Dynamik. Die Kapitel haben auch für mich eine gute Länge, das lässt sich alles grundsätzlich sehr gut lesen.
In der zweiten Buchhälfte, die deutlich besser geglückt ist als die erste, zieht die Handlung deutlich an, die im ersten Teil oft noch hinter Beschreibungen zurücktritt. Es scheint so, als ob die Autorin selbst mit den Figuren warm geworden ist, das Kriegs- und Nachkriegskolorit wird sinnvoller und dosierter eingebunden, insgesamt ist der Bogen besser gespannt. Es gibt ein paar Dinge, die mich überrascht haben im Handlungskonstrukt und teilsweise gelungene Plottwists. Insgesamt aber bleibt leider alles ein bisschen sehr auf der Oberfläche, die Handlung ist im Überblick dennoch relativ vorhersehbar und wirkt reißbrettartig konstruiert und was mich wirklich stört, ist das Prinzip der Erlösung durch Männer für die Frauenfiguren. Hier bestünde die Chance, wirklich starke Frauengeschichten zu schreiben, aber zumindest in diesem ersten Band der Reihe braucht es am Ende immer einen Mann, um die Frauen zu erlösen und ihre Probleme zu beheben. Dabei ist auch das Konstruktionsprinzip „fast Erlösung – nochmaliges Hindernis – dann doch Erlösung“ einfach sehr simpel. Frauen scheinen auch grundsätzlich läufige Hündinnen zu sein, das hat mich streckenweise wirklich angeekelt, dieses Bild, noch dazu von einer weiblichen Autorin. Für meinen Geschmack ist der Fokus auf Lovestorys einfach zu groß – aber das mag anderen Leser:innen natürlich anders gehen. Der Titel des Buches lässt einen anderes erwarten, viel mehr Fokus auf die Arbeitswelt, auf den Aufbau der BRD, auf Frauen, die es schaffen, unter widrigen Bedingungen allein durchs Leben zu gehen. Das wird alles nicht erfüllt.
Sehr erhellend war für mich die Danksagung, in der klar wird, dass die Idee zur Reihe an die Autorin vom Verlag herangetragen wurde und nicht andersherum. Ich finde, das merkt man dem Buch auch deutlich an, es wirkt so, als hätte sich die Autorin mit diesem Band selbst erst einmal an die Geschichte heranschreiben müssen, wäre ihr noch eher fern und müsste ein paar klare Ziele erfüllen (Zeitkolorit, Romance, Spice, verschiedene Handlungsstränge anlegen, die man dann mit Nachfolgebänden fertig schreiben kann, man ahnt ja schon, der nächste Band wird Hanni in den Fokus stellen). Immer wieder verschwinden ihr auch angelegte Figuren aus dem Fokus, Julia z.B. ist im zweiten Teil eigentlich kaum mehr vorhanden, über die Emotionen von Giselas Sohn Peter, den ein Schicksalsschlag ereilt, erfahren wir sehr wenig, obwohl er in der ersten Buchhälfte durchaus eine Hauptfigur ist.
Insgesamt hätte ich mir von diesem Auftakt deutlich mehr erhofft und konnte, trotz des deutlich besser gelungenen zweiten Abschnitts, noch nicht wirklich viel Hunger auf die Folgebände entwickeln. Da die zweite Hälfte aber deutlich besser als die erste geschrieben ist, lohnt es sich vielleicht doch, der Reihe eine Lesechance zu geben. In diesem ersten Band wurde die Chance auf eine spannende Nachkriegsfrauengeschichte für mich verpasst.

Ein großes Dankeschön an lesejury.de und den Bastei Lübbe Verlag für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 16.04.2024

Ein Buch als Lecture-Performance

Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen
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„Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“ von Dana Grigorcea ist ein Werk, das sich nicht in Schubladen stecken lässt und sich einer Rezension nahezu entzieht, zumindest einer eindeutig wertenden. Und vielleicht ...

„Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“ von Dana Grigorcea ist ein Werk, das sich nicht in Schubladen stecken lässt und sich einer Rezension nahezu entzieht, zumindest einer eindeutig wertenden. Und vielleicht führt das direkt zum Kern der Sache: Der Kunst.
Doch fangen wir außen an: Beim Einband. Wirklich wunderschön kommt der Schutzumschlag daher, haptisch sehr beglückendes, festes Papier und ein fragmentarisch wolkenhaftes Design, das gleichermaßen an Puzzle wie auch Memory erinnert. Das darunterliegende Hardcover verkehrt die Farben ins Gegenteil – und auch das passt so gut zum Inhalt des Romans, der eigentlich fast eher eine Lecture Performance ist.
Zwischen den Buchdeckeln verknüpft Dana Grigorcea auf der Oberfläche zwei Jahrhunderte und zwei Geschichten, bei genauerer Betrachtung sind es doch drei, die sowohl im weiten als auch im engen Sinne die Frage stellen: Was ist Kunst? Und wer darf von sich behaupten, sie zu schaffen? Welche Eigenschaften muss ein Werk haben, dass es sich Kunst, eine Person, dass sie sich Künstler:in nennen darf? Um dieser Frage auf die Spur zu gehen, wechselt das Erzählte zunächst rasant zwischen den bildenden Künstler Constantin Avis, der in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts mit einer Bronzeskulptur nach New York reicht, um dort seinen künstlerischen Durchbruch zu erreichen einerseits sowie andererseits der Autorin Dora, die mit ihrem Sohn Loris und einem Kindermädchen ein Schreibstipendium an der ligurischen Küste antritt, um dort einen Roman über eben diesen Constantin Avis endlich zu Papier zu bringen. Die Perspektiven wechseln in sehr kurzen Kapiteln rasant und es braucht seine Zeit, die Handlungsbögen zu durchdringen. Grigorcea fängt sehr gut die Atmoshpäre der 20er Jahre und die Dekadenz im Künstlertum ein und auch in der zweiten Geschichte an der ligurischen Küste ist das Flair sehr gegenwärtig. Beide Hauptfiguren tragen die Gemeinsamkeit, dass das Leben sie von ihrer Kunst ablenkt oder dieser im Weg steht und verhalten sich sehr hermetisch und um sich selbst kreisend, was sie nicht unbedingt zugänglich macht. Auch nicht für die Liebe.
Dem Roman liegt ein wirklich brillantes Konstruktionsprinzip zugrunde, indem die Lesenden immer einen Teil dessen schon lesen, was parallel Dora erst noch erfindet. Dieses Spiegel-Prinzip, das auch in vielen kleine Motiven auftaucht, gipfelt darin, dass an einer Stelle die Schauspielerin Alba Fantoni im Film Alba Fantoni selbst vor einem Publikum spielt, betrachtet von einem Publikum im Kinosaal, wiederum betrachtet von der diese Geschichte ja schreibenden Dora, wiederum betrachtet von uns Lesenden. Und am Ende des Buches stellen wir fest, dass Fantoni gar nicht ist, was sie scheint. Das ist schon genial ausgedacht. Was ist echt, was ist Imitation, was erzeugt in der Spanne zwischen echt und imitiert etwas Drittes, Neues?
Während die Handlungen der Kunstschaffenden voranschreiten, wird in diese Geschichten hinein noch eine dritte Geschichte erzählt, die Geschichte der Laura Cavallaro – die nicht nur als Kontrast, sondern vor allem dazu dient zu zeigen, wie sehr Dora in der Möglichkeit lebt statt im Tun, wie eigentlich alle Menschen ein Leben lang auf der Suche sind und nicht zur Ruhe kommen, nie wirklich, wie das Suchen belebender ist als das Finden, zum anderen wird dadurch deutlich, wie sehr viele Künstler:innen immer in der Theorie leben, in der Idee. Es sind viele Fragen, denen Grigorcea nachgeht, auch der nach der Unterscheidung von Kunst und Handwerk. Ihr eigenes Handwerk versteht sie dabei sehr gut, ihre schriftstellerische Qualität kann es an vielen Stellen mit der eines Thomas Mann aufnehmen, ich musste tatsächlich oft an seinen Zauberberg denken.
Viel Lob also für Idee, Konstruktion und Sprache, da könnten noch viele Details genannt werden. Und dennoch lässt das Buch und auch sein Ende mich ratlos zurück. Es werden viele Fäden angesponnen und nicht fertig gewirkt, der Blick auf die Figuren bleibt immer distanziert und nüchtern, die Beziehungen wirken fast durchweg ungesund, die Künstler:innen werden als wahnhaft klischiert, alles bleibt offen, nichts verbindet sich wirklich, auch nicht mit mir. Das alles ist sicher kein Zufall, sondern genauso gewollt, zu klug wird hier gearbeitet. Aber genau diese Klugheit lässt das Buch für mich im Abstrakten bleiben, trotz konkreter Geschichten und hat in mir nichts ausgelöst, die zugrundeliegenden Stories bleiben an der Oberfläche, der Blick auf die Kunst einseitig. Und so müsste ich für die schriftstellerische Qualität fünf Sterne geben, für das Gefallen einen. Weshalb ich mich bei drei einpendeln werde und nur vorschlagen kann, sich selbst ein Bild zu machen, in welche Richtung das eigene Pendel ausschlägt.

Ein großes Dankeschön an lovelybooks.de und den Penguin Verlag für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 04.02.2024

Klein aber oho – eine reale Bedrohung: Rasanter Wissenschaftsthriller mit Konditionsproblemen

Der Stich
8

Der Stich“ von Thilo Winter ist ein hervorragend recherchierter Wissenschaftsthriller, dem leider im letzten Drittel die Luft ausgeht.
Direkt auf dem Höhepunkt der Handlung einsteigend, lernen wir schnell ...

Der Stich“ von Thilo Winter ist ein hervorragend recherchierter Wissenschaftsthriller, dem leider im letzten Drittel die Luft ausgeht.
Direkt auf dem Höhepunkt der Handlung einsteigend, lernen wir schnell alle Prota- und Antagonist:innen kennen. Auf der Flucht von Kuba in die USA landet Inéz nach einer wilden Überfahrt in Key West, wo sie prompt auf Quito Mantezza, einen Studenten der Meeresbiologie, trifft, der sich gegen Freilandversuche mit genmanipulierten Mücken einsetzt. Zurecht, wie schnell festzustellen ist, denn diese Mücken entwickeln sich in Freiheit gesetzt weiter zu wahren Mordinstrumenten, die alle Lebewesen um sie herum vernichten werden, wenn sie nicht wieder unter Kontrolle kommen. Die illegale Flucht aus Kuba gibt uns einen spannenden, immer aktuellen Zeitbezug, der später durch gut recherchierte Einsprengsel wie die real gewesene „wet feet, dry feet policy“ untermauert wird. Dass der politische Hintergrund nicht nur ein fiktiver ist, sondern in der Realität verwurzelt ist, macht das Buch super aktuell, ebenso wie viele, wirklich hervorragend recherchierte wissenschaftliche Fakten in Hinblick auf die Mücke, dieses unscheinbare Insekt, über dass wir alle uns viel zu wenig Gedanken machen – hier kommt mensch nicht daran vorbei, dem nächsten Sommer mit ganz neuer Sorge entgegenzusehen. Winter führt die Handlung im Verlauf des Buches souverän und ist ein Meister im Herstellen von sehr lebendigen Settings und Beziehungen. Sehr klar schafft er Sympathien und Antipathien, führt komplexe Handlungsstränge parallel und hält die Spannung durchweg hoch. Leider kommt es aber auch immer wieder zu vollkommen unplausiblen, sehr konstruierten Situationen, wirklichen Fehlern in der Continuity des Storytellings und sehr plakativen Typisierungen. Ebenso stehen extrem gelungene Sprachbilder Sätzen gegenüber, bei denen mensch sich kurz fragt, ob das Buch schlecht übersetzt ist – bis wieder einfällt, dass Thilo Winter ein deutschsprachiger Autor ist. Und nach einem fulminanten Ritt durch eine wirklich brisante Geschichte, verliert Winter am Ende leider ganz die Zielung und löst den Thriller hektisch mit einer Nacherzählung auf, die alle Erwartungen enttäuscht und sich endgültig in Klischees verliert – eine relative unbefriedigende Auflösung. Immerhin werden noch viele Kreise noch geschlossen. Dieses Finale ist sehr schade, weil das Thema an sich und die Gestaltung insbesondere des ersten Drittels des Thrillers sich absolut im 4-5-Sternebereich bewegt. Hier wünsche ich dem Autor für das nächste Schreibprojekt mehr Zeit und mehr Seiten, die Grundkonstruktion des Thrillers bietet hier viel Hoffnung auf noch viel mehr (und zum Glück gibt es ja einen kleinen Cliffhanger am Ende – Fortsetzung garantiert?). Dennoch gibt es aufgrund der Themenwahl und den wirklich elegant eingebetteten, ausgezeichnet recherchierten Fakten bei allen Abstrichen eine klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 20.10.2024

Romantisierend und leider langatmig

Die Mitford Schwestern
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„Die Mitford-Schwestern“, der neue Roman in der „Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Reihe“ von Marie Benedict, erschienen 2024 bei Kiepenheuer und Witsch, kann leider mit dem ein oder anderen ...

„Die Mitford-Schwestern“, der neue Roman in der „Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Reihe“ von Marie Benedict, erschienen 2024 bei Kiepenheuer und Witsch, kann leider mit dem ein oder anderen Vorgängerband nicht mithalten.

Die Handlung beschäftigt sich mit den Mitford-Schwestern, die eigentlich gar nicht SO unbekannt sind und für mich auch ein bisschen aus der Reihe der starken Frauen tanzen, denn auch wenn sie Einfluss hatten, haben sie in dem Sinne die Weltgeschichte vielleicht auch doch nicht ganz so sehr beeinflusst, wie die anderen Frauen der Reihe. Genauer fokussiert der Band auf Diana, Nancy und Unity Mitford, andere Mitglieder des Mitford-Clans tauchen eher nur am Rande auf. Laut Umschlagstext stehen im Mittelpunkt des Romans „die tapferen Bemühungen der Schriftstellerin Nancy Mitford, die Nazis daran zu hindern, Großbritannien einzunehmen“ – aber weit gefehlt, diesen Vibe bringt das Buch leider wirklich nicht mit.

Der Roman startet mit sehr vielen Namen, Menschen und Beziehungen, die ich nicht so schnell sortiert bekam – dass die Schwestern die Angewohnheit haben, jedem Menschen auch noch einen Spitznamen zu verpassen, war dabei auch nicht gerade hilfreich. Hier wäre ein Stammbaum oder schlicht eine Personenliste sehr hilfreich gewesen. Das Zeitflair des Großbritanniens der 30er/40er Jahre ist gut atmosphärisch gegriffen, nicht zu viel, aber das Notwendige wird geschildert. Bei der Figurengestaltung ist interessant, wie die Männer alle nicht gerade Sympathieträger sind – ist das der weibliche Blick? Die Charaktere werden halbwegs sauber gezeichnet, es fehlt aber durchweg eine Tiefendimension, auch wenn wir teilweise langen inneren Monologen folgen dürfen, so sind diese oft nicht erhellend. Die Grundkonstruktion des Romans, wir folgen in immer sehr kurzen Kapiteln, bei denen der Blickwinkel zwischen Nancy, Unity und Diana wechselt, dabei sind Nancys Kapitel aus der Ich-Perspektive geschrieben, während die anderen Figuren aus einer personalen Erzählperspektive berichtet werden, erschwert eine Identifikation und ein tiefes Eintauchen zusätzlich, auch wenn die Idee nachvollziehbar ist. Leider verpasst Benedict die Chance, sich intensiv mit einer vierten Mitford-Schwester, Jessica Mitford, zu beschäftigen, die einen guten Kontrapunkt zu den ersten drei hätte bilden können und auch der politischen Thematik mehr Dimension verliehen hätte.

Nach einem schwungvollen Beginn plätschert der Roman eher vor sich hin und kreist endlos um die immergleichen Ereignisse und Gedankengänge. Es mag an meiner deutschen Leseperspektive liegen: Für eine Amerikanerin ist die Faszination für den Faschismus vielleicht faszinierend – für eine deutsche lesende Person wäre hier der Blick auf die Gegenbewegung und Spionage wahrscheinlich deutlich interessanter gewesen.

Was wirklich problematisch ist, ist, dass Benedict Fakten verändert und leider sowohl Adolf Hitler als auch den Faschismus romantisiert und im letzten Kapitel sogar das Denken und Handeln der Faschistinnen Unity und Diana relativiert. Das kommt regelmäßig vor – und beides erfährt im Nachwort keinerlei Einordnung oder Erläuterung. Dieser Vorgang ist für mich unverständlich und auch unverantwortlich, gerade auch, wenn ich mir vorstelle, dass dieses Buch auch im amerikanischen Raum gelesen wird, wo das Wissen über den Faschismus in Europa eh ein sehr begrenztes ist. Hitler als freundlichen höflichen Mann zu zeichnen, mit dem mensch angenehm Tee trinken und über Wagneropern parlieren kann – das mag ein Aspekt sein, der aber nicht ohne die vielen anderen Aspekte seiner Persönlichkeit in den Raum gestellt werden darf. Diese kommen deutlich zu wenig vor, wie die ganze Geschichte des Faschismus im Konkreten viel zu wenig geschildert wird. Wenn man schon (wie auch immer das geographisch möglich sein soll) von der Oper in München aus auf das KZ Dachau schauen kann – dann sollte vielleicht auch dargestellt werden, was dort geschah. Es wäre leicht gewesen, auch diese Perspektive zu integrieren.

Die angekündigte Heldin des Romans, Nancy, bleibt über weite Strecken sehr handlungsarm und verlagert ihre politische Energie wenn überhaupt ins Schreiben - auch hier verstehe ich nicht, dass Benedict nicht zumindest Zitate von Nancy Mitfords Schaffen in den Roman integriert hat. Stattdessen überlässt sie den Faschismusschwärmerinnen weitestgehend den Raum. Dabei wird auch die Sprache immer schwülstiger: "Eine einzelne Träne entschlüpft ihrem eisernen Willen" – zwischendurch fühlte ich mich fast in einem Arztroman vom Kiosk angekommen.

Hier hatte ich mir ein ganz anderes Buch erhofft. „Wie privat das politische doch letzten Endes ist…“ wird am Ende des Buches gesagt. Das stimmt! Wurde aber leider in der Dimension in diesem Roman verpasst.

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Veröffentlicht am 27.04.2024

Zwischen Idee und Umsetzung steckengeblieben

Die Tage des Wals
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„Die Tage des Wals“, der Debutroman von Elizabeth O,Connor, spielt auf einer fiktiven sehr kleinen Insel vor der walisischen Küste im Jahr 1938. Erzählt wird die Geschichte von der gerade 18-jährigen Manod ...

„Die Tage des Wals“, der Debutroman von Elizabeth O,Connor, spielt auf einer fiktiven sehr kleinen Insel vor der walisischen Küste im Jahr 1938. Erzählt wird die Geschichte von der gerade 18-jährigen Manod und ihrem zurückgezogenen, kargen Leben auf der Insel – das im Verlauf der Handlung von zwei Ereignissen unterbrochen wird: Dem Stranden und Verenden eines Wals und der Ankunft von zwei Ethnologen oder Anthropologen, Joan und Edward, die für ein paar Monate auf der Insel verweilen und sie und ihre Bewohner:innen erforschen.
Der Einstieg ins Buch ist sehr gelungen. Ein Gedicht in walisischer Sprache versetzt die lesende Person sofort atmosphärisch auf die Insel und ein kurzes Vorabkapitel mit Informationen ist sehr hilfreich, um die Dramatik der Ereignisse für die Bewohner:innen einordnen zu können. Sehr schön auch die Gestaltung des Schutzumschlages, der sowohl die Natur der Insel als auch den Walkörper in einer leicht abstrakten Form aufnimmt, und dann das darunter liegende Hard Top in den Farben grün und weiß, bestimmt nicht zufällig die Farben der Schuluniform (und der Flagge von Wales). Btw. „Wales – des Wales“, oder „Wales – Whales“ I mean... Die gewählte Sprache passt hervorragend zu der Insel, die kurzen, etwas sperrigen Sätze lassen sofort die Kargheit der Insel, die wenigen Ereignisse, das Leben, das so wenig Raum für Entfaltung bietet, spüren. In diesen kurzen Sätzen findet O’Connor dennoch Platz für großartige Sprachbilder.
Die Isolation auf der Insel wird sehr deutlich, die wenigen Möglichkeiten für Manod, wenn sie in die Zukunft schaut, ihre für den Zeitraum, in dem der Roman spielt, Ende der 30er, typische Funktionalisierung als Frau (heiraten, gebären), die Herzlosigkeit oder Überforderung des Vaters, der sie immer mit dem Namen des Hundes anspricht, zu dem er eine innigere Beziehung zu haben scheint, die aus all dem resultierende Sehnsucht nach dem Festland, die sich unter anderem im Versuch abbildet, zumindest in der Mode mitzuhalten und nicht ganz so insularisch zu sein.
Der Bevölkerungsschwund ist eine logische Folge der Rückwärtsgewandtheit der Insel und er ist bedrohlich: „Auf der Insel gab es mehr leere Häuser als bewohnte, hinterlassen von Familien, die aufs Festland gezogen waren.“ Das hat mich an den großen Leerstand in vielen Städten in Ostdeutschland erinnert kurz nach der Wende. Wie sehr diese Abschottung der Insel real ist, merkt man vor allem daran, dass sogar die Anbahnung des zweiten Weltkriegs nur eine Nachricht in der Zeitung ist, wie zwar bemerkt wird, dass auf dem Festland große Veränderungen vonstatten gehen, sich auf der Insel aber eigentlich nichts bewegt.
Bis auf den Wal. Der eines Tages am Strand festliegt und für einen kurzen Moment eine kleine Sensation bietet. Und kurz darauf gefolgt wird – ohne dass es einen kausalen Zusammenhang gäbe – von Joan und Edward, deren Ziel es ist, die Insel und ihre Bewohner:innen zu erforschen. Und mit deren Eintreffen für Manod alles anders wird und sie zunehmend Hoffnung bekommt, dass doch ein besseres Leben fern der Insel möglich sein könnte. Die Atmosphäre, die O'Connor erzeugt, ist dabei durchweg sehr eindrücklich. Und lässt die Lesenden immer tiefer in die Insel eintauchen.
Dennoch fehlt es im weiteren Verlauf an vielem. Die Handlung geht einen erwartbaren Gang, der titelgebende Wal verkommt fast zum Dekor, die sehr kurzen Kapitel werden zunehmend redundant, nicht nur das Meer wird immer grauer, die Erzählung scheint zunehmend in einer Idee festzustecken. Figuren wie der Vater von Manod erhalten kaum Tiefe, vieles wird nur angerissen, z.B. die Frage, wie wichtig Religion der Gemeinschaft ist.
Am Ende bleibt viel offen und ich weiß nicht, so richtig mitgenommen hat das Buch mir nicht, ich hätte mir im zweiten Teil eine bessere Geschichte erhofft. Für mich ist das Buch solide, ich sehe eine schöne Schreibe und teils ganz spannende Figuren, gute Beschreibungen von Situationen und Landschaften, aber insgesamt geht es mir um zu wenig und bleibt es für mich noch eher im Ansatz stecken. Richtig gepackt hat mich nichts. Der Wal ist letztlich auch nur ein Symbol für die Vergänglichkeit und das Festsitzen, vom Titel her dachte ich da eher an irgendwas irgendwie Magisches – aber er ist eigentlich eher eine Randfigur. Schriftstellerisches Talent ist hier in hohem Maß vorhanden, Ideen auch – jetzt braucht es noch mehr Plot für die Langstrecke Roman. Zwischen Idee und Umsetzung steckengeblieben – das gilt hier sowohl für die Hauptfigur als auch für den Roman.

Ein großes Dankeschön an lovelybooks.de sowie den Karl Blessing Verlag für das Rezensionsexemplar!

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