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Veröffentlicht am 08.08.2024

Schattenseiten im Pflegebereich...

Unter Dojczen
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...die kennt Jola leider nur zu gut. Schön viele Jahre pendelt sie immer wieder von Polen nach Deutschland und betreut/pflegt hilfsbedürftige ältere Menschen. In der Vergangenheit hat sie oftmals mit ebendiesen ...

...die kennt Jola leider nur zu gut. Schön viele Jahre pendelt sie immer wieder von Polen nach Deutschland und betreut/pflegt hilfsbedürftige ältere Menschen. In der Vergangenheit hat sie oftmals mit ebendiesen unter einem Dach gelebt, war 24 Stunden verfügbar und hat sich aufgeopfert bis zur dauerhaften Erschöpfung. Das soll nun anders werden, sie wird sich in Hamburg um Uschi von Kleeven kümmern, die Familie ist wohlsituiert. Jola hat eine eigene Wohnung und somit Privatsphäre im selben Haus, geregelte Arbeitszeiten.
Die überaus empathische Jola ist mir schnell ans Herz gewachsen, mit Uschi hatte ich so meine Schwierigkeiten, trotzdem ist sie auf ihre Weise auch eine wertvolle Person in dieser Geschichte. Obwohl es bei den von Kleevens viel besser ist, machen auch diese ihre Fehler, welche jedoch absolut menschlich sind. Jola und Uschi Freunden sich zaghaft an. Doch ist unklar wie vertrauenswürdig Uschi wirklich ist. In "Unter Dojczen" von Mia Raben @kjonaverlag treffen Schattenseiten und Menschlichkeiten aufeinander. Doch die Konstruktion, wie die ganze Sache mit der Pflege besser laufen könnte, nicht nur für Jola, sondern auch andere Menschen aus Polen und anderen Ländern, anstatt sie auszubeuten, wirkte auf mich in dem Roman schlussendlich zu utopisch. Der Ausgang der Geschichte - so toll das Buch ansich ist - war für mich eine Portion"Friede-Freude-Eierkuchen" zu viel. Abgesehen von dieser Schwäche des Romanes ein sehr angenehm zu lesendes Büchlein.

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Veröffentlicht am 08.08.2024

Das Verleugnen ihrer wahren Identität...

Fünf Leben
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...wird zu ihrem Schutzpanzer. Daiyus Eltern verschwinden als sie noch ein Kind ist, die Geliebte Oma schickt ihre Enkelin weg in eine Küstenstadt. Im China der 1880er Jahre nimmt das Mädchen die Identität ...

...wird zu ihrem Schutzpanzer. Daiyus Eltern verschwinden als sie noch ein Kind ist, die Geliebte Oma schickt ihre Enkelin weg in eine Küstenstadt. Im China der 1880er Jahre nimmt das Mädchen die Identität eines Jungen an, denn sie weiß als Mädchen ist sie schutzlos. In der Kalligraphie-Schule von Meister Wang findet Feng/Daiyu Arbeit und lernt die Kunst und Philosophie der Kalligraphie, es ist praktisch ihr neues Zuhause geworden. Doch dann wird sie in ein Bordell nach San Francisco verschleppt. Ein Junge in ihrem Alter hilft ihr zu fliehen, doch der grausamen Gewalt von Männern, welche ihr im Bordell erspart blieben, lernt sie nun schutzlos kennen. Sie spaltet sich noch mehr von Daiyu ab, wird zu Jacob Li und arbeitet in einem Lebensmittelladen in Idaho. Die beiden Ladeninhaber und ein Geigenlehrer werden sowas wie ihre Wahlfamilie, ja sie verliebt sich sogar. Doch der Alltag der Vier wird zunehmend von antichinesischer Gewalt überschattet, bis ihr aller Leben auf dem Spiel steht.
"Fünf Leben" von Jenny Tinghui Zhang aus dem amerikanischen Englisch übertragen v. Brigitte Jakobeit @eccoverlag ist eine Zeitreise welche von wirklichen Tatsachen inspiriert wurde. Bisher habe ich mich nie bewusst mit antichinesischem Rassismus beschäftigt, obwohl mir seit Beginn der Corona-Pandemie im Alltag auch häufiger abfällige Sprüche in diesem Zusammenhang begegnet sind, welche ich natürlich nicht in Ordnung finde. Der Roman hat überwiegend eine beinahe kindliche Sichtweise, wird er aus der Sicht eines Jungen Mädchens geschildert. Ihre Erlebnisse sind vor meinen Augen lebendig geworden, die Emotionen greifbar gewesen. Auch wenn die Zeit, in welcher der Roman abhandelt, schon lange zurück liegt, ist die Geschichte noch immer und leider hochaktuell. Denn Rassismus gibt es leider immernoch überall auf der Welt, spaltet uns alle, obwohl wir uns doch alle rund um den Globus die Hände reichen sollten. Denn trotz der Unterschiede sind wir doch alle Menschen, Menschen, die zusammenstehen sollten. Daher große Leseempfehlung meinerseits 🤗

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Veröffentlicht am 08.08.2024

Überwindungsversuche

Corregidora
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Sie findet sich in einer Klinik wieder, den Unterleib haben sie ihr ausgeräumt nachdem ihr Ehemann sie hinter dem Café, in welchem sie regelmäßig ihren Blues singt, die Treppe hinunter gestoßen hat. Ursa ...

Sie findet sich in einer Klinik wieder, den Unterleib haben sie ihr ausgeräumt nachdem ihr Ehemann sie hinter dem Café, in welchem sie regelmäßig ihren Blues singt, die Treppe hinunter gestoßen hat. Ursa ist etwa 25 Jahre alt und es ist das Kentucky Ende der 1940er Jahre. Gayl Jones nimmt mich in ihrem hierzulande relativ unbekannten Roman "Corregidora" aus dem Amerikanischen übersetzt v. Pieke Biermann @kanonverlag mit in die Gedankenwelt der jungen Bluessängerin. Es sind Gedanken um ihre weiblichen Vorfahren: die Urgroßmutter befand sich in Brasilien im Besitz des sadistischen Sklavenhalters Corregidora, der ebendiese immerwieder sexuell ausgebeutet hat. Als daraus eine Tochter hervor geht, zieht der Mann das Mädchen großum auch dieses sexuell zu missbrauchen und mit ihr eine weitere Tochter zu zeugen, diese wird später die Mutter von Ursa sein. Ein Erbe oder auch Trauma, welches über Generationen weiter gegeben wird, thematisiert das Buch. Die Atmosphäre fand ich sehr düster, dass Ursa immer wieder an Männer gerät, welche sie uns ihren Körper besitzen wollen, anstatt die junge Frau wahrhaft zu lieben, war nervenaufreibend für mich. Trotzdem war das Buch jetzt nicht erschütternd für mich. Dass die Versklavung von Menschen unter anderem grausam war/ist, ist mir nicht neu. Lesenswert ist der Roman allemal, wenn auch das hintere Viertel etwas langatmig war.

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Veröffentlicht am 29.06.2024

Und plötzlich gab es die DDR nicht mehr

Muldental
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Knapp 40 Jahre hat der sozialistische Staat seine Bürger*innen geprägt. Und dann war Schluss. In ihrer Anthologie "Muldental" @diogenesverlag erzählt Daniela Krien die Geschichten verschiedener Menschen ...

Knapp 40 Jahre hat der sozialistische Staat seine Bürger*innen geprägt. Und dann war Schluss. In ihrer Anthologie "Muldental" @diogenesverlag erzählt Daniela Krien die Geschichten verschiedener Menschen und Familien aus ebendiesem Muldental. Da gibt es den Sohn eines Töpfers, der unter dem Jähzorn seines kranken Vaters leidet. Zwei Frauen, alte Freundinnen, treffen sich am Jobcenter nach vielen Jahren wieder und beschließen aus der Not heraus sich zu prostituieren. Und ein einsamer Mann, der in der Zeit nach der DDR nicht angekommen zu sein scheint, Zigaretten sammelt, das ganze Jahr in seine Steppjacke gekleidet. Die 11 Kurzgeschichten in diesem Band sind alle sehr unterschiedlich. Und doch verbindet sie so vieles, die Herkunft und auch eine gemeinsame Jugend. Das Ende der DDR markiert für alle Personen in den Geschichten einen wichtigen Wendepunkt in ihrem Leben. Die sogenannte "Wende" hat vielen keinen oder nur kurzen finanziellen Wohlstand gebracht. Familien sind zerbrochen, Lieben gescheitert. Und obwohl jede Geschichte mit ein tristes Gefühl hinterlassen hat, gab es doch eine, welche Hoffnung schenkt, Hoffnung auf Annäherung und Versöhnung. Jede Geschichte lässt sich sehr gut als Häppchen lesen, das ganze Buch mit knapp 200 Seiten lässt sich aber auch als Hauptgang in einem Rutsch lesen, was ich euch gerne empfehle.

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Veröffentlicht am 29.06.2024

Wofür kein Platz ist in unserer Leistungsgesellschaft

Potenziell furchtbare Tage
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Wir alle leben in ihr: einer (post)-kapitalistischen Welt, voller Leistungsdruck. Eine Welt, welche für uns Menschen nicht gut ist. Bianca Jankovska hat sich diesem Themenkomplex in ihrem Buch "Potentiell ...

Wir alle leben in ihr: einer (post)-kapitalistischen Welt, voller Leistungsdruck. Eine Welt, welche für uns Menschen nicht gut ist. Bianca Jankovska hat sich diesem Themenkomplex in ihrem Buch "Potentiell furchtbare Tage" @haymonverlag angenommen. Ihre Sprache ist emotional sehr aufgeladen, was für mich anfangs etwas ungewohnt war, ich habe mich aber Seite für Seite daran gewöhnt. In so gut wie jedem Kapitel finden sich Triggerwarnungen, was nicht unbedingt selbstverständlich ist, jedoch in diesem Fall sehr löblich.
Denn es sind vor allem die eigenen Erfahrungen, welche Bianca Jankovska hier schildert. Das Aufwachsen in einer Familie mit Migrationshintergrund, ein Vater der viel arbeitet um die Familie zu ernähren, somit durch Abwesenheit glänz, keine enge Beziehung zur Tochter hat. Eine Mutter, welche der Tochter Bildung wo sie nur kann ermöglicht, ihre Tochter liebt für die sehr guten Noten in der Schule, ihre Leistungen im Studium. Doch schon während der ersten Berufserfahrungen wird Bianca bewusst, dass ihr das bestehende System in dem sie arbeitet, nicht gut tut. In dieser Arbeitswelt ist kein Platz für menstrierende Menschen, Dienstleistende, welche die Erwartungen der Kunden nicht erfüllen. Der Großteil der Lebenszeit geht für Lohnarbeit drauf, an der sich praktisch nur der reiche Teil der Welt bereichert. Yogakurse und Selbstoptimierung versprechen Abhilfe, doch dort werden lediglich die Symptome eines kranken Systems gelindert. Wie ändern wir die Ursache??
Dafür hat die Autorin viele kleine Ideen parat. Dennoch muss ich sagen, dass sie aus meiner Sicht "das Rad" nicht neu erfunden hat. Dass die Schere Arm/Reich immer mehr auseinander klafft, viele arme Menschen von wenigen Armen ausgebeutet werden ist bekannt. Auch dass die 4-Tage-Woche mit 10-Stunden-Tagen keine richtige Work-Life-Balance schafft ist mir bekannt.
Dennoch ist dieser Erfahrungsbericht für mich angenehmer zu lesen gewesen als ein dröges Sachbuch.

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