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Veröffentlicht am 27.08.2024

Ein kleines Buch mit großer erzählerischer Kraft

Die Gräfin
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Ein kleines Buch von großer erzählerischer Kraft
Das dünne Büchlein hat ein wunderschönes, ruhiges, den Blick in die Weite lenkendes Cover – allein dieses Äußere sagt sehr viel über den Inhalt aus. Ich ...

Ein kleines Buch von großer erzählerischer Kraft
Das dünne Büchlein hat ein wunderschönes, ruhiges, den Blick in die Weite lenkendes Cover – allein dieses Äußere sagt sehr viel über den Inhalt aus. Ich habe ein wenig gebraucht, bis ich mich eingefunden habe in die Art des Erzählens. Die Autorin, die erst im höheren Alter diesen Roman schrieb, hat eine besondere Fähigkeit, sehr viel zwischen den Zeilen zu vermitteln. Aber es braucht innere Ruhe, um ihr zu folgen und den Reichtum im Ungesagten zu entdecken.
Es werden 6 Tage geschildert, kein Vorher, kein Nachher, nur 6 Tage im Leben der historisch verbrieften und von Geheimnissen und Mythen umgebenen Hallig-Gräfin Diana von Reventlow-Criminil. Wir haben das Jahr 1944. Die Angst vor den Nazis und gleichzeitig der beharrliche Stolz der Insulaner weht durch die Seiten. Es sind heiße Tage, die Hitze liegt auf dem Meer wie eine schwere Last. Ein englischer Pilot, ein Feind, stürzt mit seinem kleinen Flugzeug ins Watt. Der Hund der Gräfin wittert lange vor den Menschen dieses ungewöhnliche Ereignis. Die Gräfin und Maschmann, ihr getreuer Helfer, ziehen den bewusstlosen Piloten aus seiner Kanzel und bringen ihn auf die Warft. Meta, die seit vielen Jahren das zurückgezogene Leben der Gräfin teilt, pflegt mit Hingabe den Fremden. Diese kleine Gemeinschaft an Menschen erfährt durch die Anwesenheit des Fremden auf sehr individuelle Weise innere Unruhe…
Es passiert nicht allzu viel auf diesen 170 Seiten. Nicht viel, wenn man auf dramatische Ereignisse wartet. Und doch packte mich beim Lesen eine innere Spannung, denn im Grunde geschieht enorm viel, wenn man sich Zeit dafür nimmt zu erspüren, was die Autorin so geschickt zwischen den Zeilen versteckt. Das Kammerspiel am Meer in einer dunklen historischen Zeit zeichnet Menschen mit unaufgeregtem Mut. Es wird nichts totgeplappert, sondern nur das Nötigste geredet. Die Kostbarkeit der Wörter zeigt sich in der leidenschaftlich klassische Texte zitierenden Gräfin. Und es wird fein beobachtet. Und so findet man im Buch wunderbare Landschaftsschilderungen, Stimmungen am Meer und feinfühlig skizzierte Szenen. Der manchmal etwas spröde Sprachstil in seinem besonderen Charme passt genau zu den Menschen, ebenso die eingestreuten plattdeutschen Einwürfe, die spätestens beim laut Vorlesen gut verständlich werden.
Dieses kleine große Buch hat eine immense Kraft, weil es nach der Lektüre, gerade weil der Text irgendwie unvollständig wirkt, noch lange nachtönt und man geneigt ist, über die 6 Tage hinaus die Geschichte in der Fantasie weiter zu träumen.

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Veröffentlicht am 18.08.2024

Eine wunderbare Ode ans Lesen für Klein und Groß

Die magische Bibliothek der Buks 1: Das Verrückte Orakel
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Selten hat mir das Lesen eines Kinder- bzw. Jugendbuchs so viel Freude bereit wie dieses hier. Denn es hat alles, tatsächlich alles, was ein wirklich gutes Buch ausmacht: Es liest sich spannend, es ist ...

Selten hat mir das Lesen eines Kinder- bzw. Jugendbuchs so viel Freude bereit wie dieses hier. Denn es hat alles, tatsächlich alles, was ein wirklich gutes Buch ausmacht: Es liest sich spannend, es ist voll von Überraschungen, gewürzt mit ein wenig Magie, mit mutigen und ideenreichen Kindern als Hauptpersonen, und es ist lehrreich und immens klug, auf geschickt verpackte Weise. Ich bin hingerissen von diesem wunderbaren Buch!
Wir befinden uns in einer nicht zu fernen Zukunft. Bücher gibt es nicht mehr. Kaum einer erinnert sich noch an diese längst vergangene Welt. Finn, Nola, Mira und Thommy, in Freundschaft verbundene Kinder, klettern nach einem Sturm über einen entwurzelten Baum und über eine dadurch neu sichtbare Mauer, hinter der eine alte Villa auftaucht, dunkel und geheimnisvoll. Die mutigen und neugierigen Kinder erfahren, dass diese Villa eine riesige Bibliothek aufbewahrt. Die Buks, sie sind Buchschutzgeister, für unterschiedliche Buchgattungen verantwortlich, haben die Aufgabe, diese letzte Bibliothek der Welt zu bewahren. Doch die Bücher sind von einer seltsamen Krankheit befallen, die zunehmend Buchstaben verschwinden lässt. Das verrückte Orakel prophezeit Hilfe durch 5 Menschenkinder. Doch wer ist das fünfte Kind?
Dies und noch viel mehr enthält dieser spannend-aufregende und fantastische Roman. Man kann den Reichtum dieses Buches hier gar nicht im Detail auflisten. Man muss die gesamte Geschichte unbedingt selber lesend entdecken. So gibt es zum Beispiel unzählige Verweise auf andere Kinderbücher. Wie schön wäre es, wenn dies die Neugier der Kinder (und der Erwachsenen) anstacheln würde, auch in die erwähnten Titel reinzuschauen bzw. sich überhaupt auf den eigenen Weg zu machen, neue Bücher zu entdecken. Was für eine entsetzliche Vorstellung ist doch eine Welt ganz ohne Bücher. Die Menschen wissen dann nichts mehr von der Kraft der Freundschaft, von dem Wunder der Magie, von den Möglichkeiten, zu denen Bücher ermutigen können. Lesen erweckt in Kindern die Kraft der Vorstellung, aber auch die Fähigkeit, über die Realität hinaus Utopien zu erträumen und damit die wunderbaren Möglichkeiten des Lebens weiter und größer zu erfahren, als es der buchlose Alltag je könnte. Unbedingt erwähnen muss man die vielen grandiosen Illustrationen von Hauke Kock, die den Text kongenial bereichern und auch Weniglesern die Lektüre schmackhaft machen.
Fazit: Dieses Buch ist eine großartig gelungene, spannend aufbereitete, gut lesbare wunderbare Ode ans Lesen für Klein und Groß. In diesem klugen Buch steht übrigens neben vielen anderen ein kluger Satz, den ich allen Kindern und Eltern so sehr ans Herz legen möchte: „Kinder, die lesen, wachsen über sich selbst hinaus“ (gilt für Erwachsene übrigens auch).

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Veröffentlicht am 13.08.2024

Gute Schreibe, nerviger Romanheld

Sobald wir angekommen sind
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Wenn ich einen neuen Titel meines Lieblingsverlages in Händen halte, bin ich grundsätzlich positiv-neugierig gestimmt. So erging es mir auch bei dem vorliegenden Titel, dessen Coverbild mich ganz besonders ...



Wenn ich einen neuen Titel meines Lieblingsverlages in Händen halte, bin ich grundsätzlich positiv-neugierig gestimmt. So erging es mir auch bei dem vorliegenden Titel, dessen Coverbild mich ganz besonders intensiv ansprach. Und doch weiß ich nach Lektüre nicht wirklich, wie ich dieses Buch beurteilen soll. Denn es hat mich mehr genervt als beglückt. Doch dazu später mehr.

Der Protagonist, der Schriftsteller Ben Oppenheimer, hat ein ungewöhnliches Arrangement getroffen mit seiner Ex-Frau, seinen zwei Kindern und seiner aktuellen Liebe Julia. Er lebt halb mit der früheren Familie, halb mit der neuen, um allen oder vielleicht auch sich selbst gerecht zu werden. Eine Schreibblockade lässt ihm viel Zeit für seine Rückenschmerzen und für seine Angst vor einem Krieg in Osteuropa. Aus jüdischem Fluchtinstinkt heraus entscheidet er sich plötzlich, nach Brasilien auszuwandern, zusammen mit seiner Ex-Frau und den Kindern, aber ohne Julia. Als der Atomkrieg auf sich warten lässt, beginnt Ben endlich zu begreifen, dass er nicht die Umstände ändern kann, sondern dass er sich selbst ändern muss.

Dass der Autor Drehbuchschreiber ist, hilft dem Roman und seiner Lesbarkeit sehr. Denn die kurzen Szenen sind kurzweilig geschrieben, oftmals mit einer Prise Humor gewürzt. Es wird nie langweilig, man mag immer weiter lesen und hat das Gefühl, in eine Art „Entwicklungsroman“ verlockt zu werden. Und doch habe ich noch nie mit einem Protagonisten so sehr gehadert, noch nie war mir eine Hauptperson, die Dreh- und Angelpunkt allen Geschehens und Denkens ist, dermaßen unsympathisch wie dieser Ben Oppenheimer. Sein rückgratloser Egoismus, seine ewige Zauderei und Unentschlossenheit, die aber auch plötzlich umschlagen kann in seltsam unüberlegten Aktionismus, seine Hypochondrie, sein Nichtwissen, was er eigentlich wirklich will – all das hat mich genervt, hat mich aufgeregt, hat mich immer wieder den Kopf schütteln lassen. Vielleicht wollte er Autor mit seiner mitunter eingestreuten Ironie dem Leser Distanz zu Ben Oppenheimer gewähren. Bei mir jedoch rief diese Romanfigur nur Ärger hervor. Denn Davonlaufen vor den eigenen und den gesellschaftlichen oder gar weltpolitischen Problemen findet nicht mein Verständnis, sondern Zorn und Enttäuschung. Warum soll ich darüber lesen, auch wenn es gekonnt geschrieben ist? Die Quintessenz des Romans, über die ich mich hier nicht äußern will, um nicht zu spoilern, mag für Menschen mit psychischer Struktur ähnlich wie Ben erkenntnisreich sein. Mir persönlich war das Selbstverständliche zu wenig Inhalt.

Fazit: Gute Schreibe, unterhaltsam, ironisch, aber ein Romanheld, der mir nur auf die Nerven ging.

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Veröffentlicht am 06.08.2024

Perfekte Krimi-Unterhaltung

Das Dickicht
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Angesprungen hat mich dieser Titel, weil ich auf der Innenseite des Covers las, dass einer der Ermittler gebürtiger Finne ist. Das machte ich neugierig, weil ich eine gute Bekannte habe, die aus Finnland ...


Angesprungen hat mich dieser Titel, weil ich auf der Innenseite des Covers las, dass einer der Ermittler gebürtiger Finne ist. Das machte ich neugierig, weil ich eine gute Bekannte habe, die aus Finnland stammt. Und neugierig machte mich auch das Autorenpaar, das „auf keinen Fall“ einen Krimi schreiben wollte. PR vom Feinsten und genau mein Humor. Und in der Tat hat mich dieser Kriminalroman bestens unterhalten. Meine Erwartungen wurden allesamt mehr als erfüllt.
Worum geht es: Im Buch lernt man ein sehr besonderes Ermittler-Duo kennen, denen das Autoren-Duo genau im richtigen Maß Farbe und Persönlichkeit verliehen hat, nicht zu viel und nicht zu wenig. Es passiert mir selten, dass ich echte Sympathie für die jeweiligen Ermittler hege. Doch in diesem Roman habe ich mein Herz sofort verloren an Juha Korhonen, einen jungen, engagierten ehemaligen Fernspäher aus Finnland. An seinen gelegentlichen finnischsprachlichen Einwürfe hatte ich besonderen Spaß. Interessant fand ich auch seinen dunkelhäutigen Kollegen Lukas alias Lux Adisa, dem es erstaunlich gut gelingt, mit seiner bipolaren Störung zurecht zu kommen. Die beiden, nun zusammen tätig im LKA Hamburg, sollen sich um einen aktuellen Entführungsfall kümmern. Juha fallen seltsame Parallelen auf zu einem viele Jahre zurückliegenden Cold Case, einem Verbrechen, das Juha bis heute nicht loslässt. Der Junge Daniel wurde in einer Kiste im Wald vergraben und konnte schließlich nur noch tot geborgen werden. Der Täter hatte Suizid begangen. Und tatsächlich, je mehr die beiden Ermittler in der Vergangenheit graben und Unstimmigkeiten entdecken in der damaligen Tragödie, umso mehr wandeln sich auch in der Gegenwart die Vorzeichen von Gut und Böse…
Der Kriminalroman ist gekonnt geschrieben. Zwar war für mich anfangs ein wenig gewöhnungsbedürftig der sprachliche Wechsel zwischen Präsens und Imperfekt. Doch gerade die Perspektivwechsel machen die Spannung aus. Das Tempo des Romans wird nicht nur durch die geschilderte Handlung zunehmend höher. Die Szenen wechseln auch mehr und mehr zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Und je näher sich die beiden Ermittler persönlich kommen, desto rasanter entwickeln sich auch die Entdeckungen – die von früher und die gegenwärtigen. Nicht zu vergessen der rasante Twist am Ende.
Kurzum: Gekonnt konstruiert, mit durchgehendem Spannungsbogen, menschlich sympathisch, psychologisch nachvollziehbar, sprachlich lebendig, mit leisem Humor – für mich die perfekte Krimi-Unterhaltung!

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Veröffentlicht am 29.07.2024

Die Fülle der ungesagten Worte

Ich komme nicht zurück
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Es braucht nicht unbedingt Hunderte von Seiten, dass ein Buch uns aus dem Alltag kippt. Der vorliegende Roman schafft das mit 170 Seiten. Und selbst die wurden mir in ihrer Kraft mitunter fast zu viel. ...

Es braucht nicht unbedingt Hunderte von Seiten, dass ein Buch uns aus dem Alltag kippt. Der vorliegende Roman schafft das mit 170 Seiten. Und selbst die wurden mir in ihrer Kraft mitunter fast zu viel. Denn, wie es im Text heißt, ließen sich „ganze Bücher füllen mit ungesagten Worten“. Und all diese ungesagten Worte stehen hinter den aufgeschriebenen Sätzen und beschäftigen uns gefühlsmäßig weiter.
In den Achtzigerjahren in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet sind Hanna, Zeyna und Cem in enger Freundschaft verbunden. Sie verstehen sich blind. Die unterschiedliche Herkunft spielt keine Rolle. Doch die Kinder werden älter, nehmen die familiären Unterschiede deutlicher wahr. Der 11. September 2001 löst erste Risse in ihrer Freundschaft aus. Zwischen Zeyna und Hanna kommt es zum endgültigen Bruch. Als viele Jahre später Hanna in die Wohnung der verstorbenen Großeltern zurückkehrt, ist Cem noch da, Zeyna aber ist verschwunden. Die Suche Hannas nach Zeyna, nach den Bruchstellen in der Vergangenheit, nach den kulturellen Unterschieden und nach Liebe und Freundschaft füllt die Seiten, mit gesagten und unzählig vielen ungesagten Worten. Die sich dem erschließen, der das Buch mit Empathie zu lesen versteht.
Meisterhaft spielt Rasha Khayat mit Worten. Ihr Büchlein ist prall voll von Wortbildern. Es ist gefühlvoll, poetisch und traurigschön. Es ist ein Plädoyer für die Freundschaft. Es lehrt mehr über Rassismus und kulturelle Unterschiede, als es Sachverständige in langen Vorträgen je könnten.

Der Roman spricht sehr leise, sehr feinfühlig und unendlich traurig über eine besondere Form der Heimatlosigkeit, über den Schleier der Einsamkeit und der Resignation in gesagten und ungesagten Worten. Mich hat das Buch ergriffen.

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