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Veröffentlicht am 04.12.2019

Philosophie, Gedankenansätze, Afrika - ein entschleunigtes Leben für Dich, deine Gedanken und die Welt.

The Wonderful Wild
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Wer regelmäßig Nachrichten guckt, Zeitungen liest oder einfach den Blick durch die Socialmedia-Netzwerke streifen lässt, kommt eigentlich nicht mehr an den großen Problemen der heutigen Zeit vorbei. Klimakatastrophen, ...

Wer regelmäßig Nachrichten guckt, Zeitungen liest oder einfach den Blick durch die Socialmedia-Netzwerke streifen lässt, kommt eigentlich nicht mehr an den großen Problemen der heutigen Zeit vorbei. Klimakatastrophen, Umweltschutz, Unzufriedenheit, Demonstrationen... die Liste an gesellschaftlichen Konflikten, Meinungsverschiedenheiten, Reaktionen der Natur ist wahnsinnig lang geworden und gerade da ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und Menschen für gewisse Themen zu sensibilisieren. Und natürlich gibt es da gerade extrem viele tolle Ideen, Verbote, Vorschriften. Man kann tausende Dinge tun, sollte alles mögliche beachten, klimaneutral leben, dies, das, jenes und doch kann man es am Ende eigentlich eh nie jemandem Recht machen. Irgendwer würde sich immer darüber aufregen, dass du einen Plastikstrohhalm verwendest, den du vielleicht bereits vor Jahren gekauft und noch im Schrank gefunden hast, auch wenn du sonst alles mögliche für die Umwelt und Gerechtigkeit tust. Menschen werden sich auch immer angegriffen fühlen, wenn du ein falsches Wort 'benutzt' oder vielleicht einfach eine andere Meinung hast... Und was hilft? Richtig, wenn es nach der heutigen Gesellschaft geht: Vorschriften, Regeln, Verbote. Einerseits wollen wir alle die Freiheit, andererseits fürchten wir gerade jene und beschränken die Freiheit anderer. Und dabei ist dies einfach der falsche Weg, denn einen in der Wildnis lebenden Tiger, kann man zwar auch zurückdrängen und einschränken, doch er wird damit nie ein glückliches Leben leben. Ein Käfig aus Vorschriften, Regeln und Verboten gleicht die fehlende Empathie nicht aus, doch genau das ist es, woran gerade in der Welt, der Politik, dem Verlangen einzelner getüftelt wird.
Daher bin ich sehr dankbar, dass ich über Gesa Neitzels Buch "The Wonderful Wild - Was ich von Arikas Wildnis fürs Leben lerne" gestolpert bin. Und nein, es ist jetzt kein Ratgeber, der die Taten der Menschheit generell gut heißt oder sagt "weiter so", aber es ist ein Buch, das vieles erklärt, auf das Wesen der Menschheit und Tierwelt eingeht und einem vor Augen führt, wie fragil, kostbar und schön die unberührte Natur und die Erde im Allgemeinen ist. Gesa Neitzel erklärt ihre Sicht auf die Dinge, beschreibt ihre Beobachtungen in der Natur und ihre Anwendung auf die komplexe Welt. Man merkt mit jeder einzelnen Seite, dass sie trotz des großen Tohuwabohus und der Veränderungen der Welt angekommen scheint und ihre Mitte in sich und der Umwelt gefunden hat. In diesem Buch lässt sie uns nun an ihren Gedanken und Beobachtungen teilhaben.
Es reicht aus, wenn jeder etwas Gutes tut, doch dies gelingt eben nur, wenn es jedem Helfenden auch selbst gut geht und es ist einfach nicht möglich eine generelle, weltübergreifende Lösung für alle Dinge zu finden. Und nur weil der eine es sich leisten kann z.B. vegan zu leben, heißt es noch lange nicht, dass eben auch andere aus der Umgebung, der Stadt oder gar anderen Kontinenten dies umsetzen können, müssen oder sollten. Einem jeden sollte eher bewusst werden, warum es sich lohnt die Natur und das Zwischenmenschliche zu bewahren und dafür sein Bestes zu tun und nicht rein nach Vorschriften und Co zu leben und zu handeln. Und wenn du eben am Existenzminimum lebst, versuche erst, dir selbst zu helfen, bevor du anderen hilfst. Denn nur wem es selbst gut geht, kann auch Gutes verteilen und dabei ist es dann beinahe egal, ob du für dein persönliches Glück einen Ferrari brauchst oder eine Villa. Sofern es dir selbst hilft und dich glücklich macht, ist es etwas Gutes und du kannst dein Glück mit anderen teilen und der Welt helfen, sie ein Stück besser machen... Und gerade diesen Gedanken, finde ich sehr toll und ich habe mich über ihre, im Vergleich, sehr weltoffene, über den Tellerrand blickende und verständnisvolle Art sehr gefreut. Gesa Neitzel hat es sogar geschafft, mich etwas aus der alltäglichen Überforderung zu holen, mich zu beruhigen und irgendwie mir die Hand zu reichen und zu sagen 'das was du bereits für die Umwelt machst ist ok'. Und dafür liebe ich diesen Ratgeber, abseits der Du-musst-und-sollst-Bewegung, wirklich sehr. Ich könnte nun auf jeder Seite ein tolles Zitat finden, doch möchte ich gerne dieses allem voran stellen:

"Es gibt viele Filme, Bücher und Geschichten über die Zukunft unseres Planeten. Die meisten erzählen vom Ende der Welt, vom Krieg und Zerstörung und, wenn es gut läuft, von neuen Zivilisationen auf anderen Planeten. Und so spannend und visionär all diese Szenarien auch sein mögen, so erzählen sie selten vom guten Ausgang unserer Geschichte. Vielleicht können wir da ansetzen und anfangen..."

Vielleicht, sollten wir uns auch erst einmal mit uns selbst befassen und auseinandersetzen, bevor wir anderen und der Welt vorschreiben, wie sie zu leben haben. Und leider sind es auch nicht nur Filme und Bücher, die uns mit reichlich Negativem und Katastrophen zuschütten. Wir sind es selbst. Wir und die Medien. Wir und unsere Gedanken. Doch das ist nicht gerade vorteilhaft, denn so gehen wir stets vom Schlimmsten aus, bauen Druck auf, hören auf zu verstehen oder Dinge zu beobachten und rennen los, wollen handeln oder eben auch verbieten, nur um unserem Drang zu handeln gerecht zu werden. Doch ist gerade diese 'Hummel im Arsch' sinnvoll? Sollten wir nicht erst zuhören? Die Welt besser verstehen, schrittweise auf sie eingehen und empathisch handeln?
An diesem Punkt sollte man nun vielleicht erwähnen, dass ich Gesa Neitzels Vorgängerroman, also ihre Geschichte bzw. ihren Weg zur Rangerin in Afrika schon vor einigen Jahren sehr gerne gelesen habe und sie bereits da als Person sehr inspirierend fand. Dieses Buch kann man nun irgendwie als Weiterführung betrachten, aber eben auch als reine Beobachtung, der aktuellen Lage. Gesa ist in Afrikas Wildnis angekommen, lebt mit der Natur und den Tieren, weiß ihren persönlichen 'Luxus' zu schätzen und kann damit sich, ihren Mitmenschen und der Natur auch sehr viel zurückgeben. In "The Wonderful Wild" beschreibt sie dies nun auf ihre lockere Art und Weise und wer vielleicht den ein oder anderen ihrer Talkshowauftritte bereits gesehen hat, hört sie hier von ihrem Alltag und ihren Gedanken erzählen. Vielleicht ist dieses Buch für den einen etwas spirituell, doch gerade die Empathie macht es aus und in ihr liegt wahrscheinlich auch die Zukunft der Welt. Die Logik und das wirtschaftliche Denken, hat uns an diesen Punkt gebracht, doch die technologischen Fortschritte stagnieren allmählich und es wird Zeit andere Wege zu gehen und das Fühlen, die Empathie, die Nähe, das Familiäre wieder wachsen zu lassen. Die Welt, auf der wir leben, ist das schwächste Glied. Wir trampeln tagtäglich auf ihr herum und gerade deshalb sollten wir sie schützen und wie unser eigenes Kind behandeln - alleine, aber auch gemeinsam mit den Menschen um uns herum Gutes bewirken. Es wird noch ein langer Weg, doch ich bin mir sicher, wenn jeder aus diesem Buch auch nur ansatzweise einen Gedanken mitnimmt, wäre uns allen bereits ein großes Stück geholfen.
Tatsächlich sind auf den gerade einmal 252 Seiten sehr viele Gedankenanstöße, wundervolle Beobachtungen, aber auch entsprechende Erklärungen vorhanden. Gesa beschreibt Zusammenhänge, geht auf das 'Ticken' der Menschen und Tiere ein, setzt sie ins Verhältnis, gibt Anregungen, wie wir der Klimakatastrophe, der Müllflut, dem Rassismus und Co begegnen könnten und bietet dabei sehr viel Wärme und Offenheit. Also mir persönlich hat dieses Buch sehr viel gegeben, mich gestärkt und ich hoffe einfach, dass es noch sehr viele Menschen erreichen wird... denn es lohnt sich die Welt zu schützen, nachsichtiger miteinander umzugehen und nicht einfach alles und jeden in einen Käfig oder eine Schublade zu stecken, in der man selbst nie eingesperrt werden möchte.

"Wir werden in Zukunft Gewaltiges stemmen, wenn wir zusammenhalten. Selbst wenn du dich anderer Dinge annimmst als ich, selbst wenn wir scheinbar nichts gemeinsam haben - eines werden wir immer teilen.
Unser Zuhause."

Veröffentlicht am 13.10.2019

Hoffnung oder Gerechtigkeit? - ein neuer Fall für Jenny Aaron

Geblendet
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Mit "Geblendet" geht Andreas Pflügers Trilogie mit und um seine blinde Elitepolizistin Jenny Aaron endlich weiter und bringt dieses Mal allerhand Blicke in die Vergangenheit, Herausforderungen und persönliche ...

Mit "Geblendet" geht Andreas Pflügers Trilogie mit und um seine blinde Elitepolizistin Jenny Aaron endlich weiter und bringt dieses Mal allerhand Blicke in die Vergangenheit, Herausforderungen und persönliche Gedankenspiele der Ermittlerin mit sich.

"Oft denkt sie darüber nach, wie es wohl ist, die Seele eines Menschen in den Händen zu halten. Immer wieder war sie versucht ihren Vater zu fragen.
Tat es nicht.
Sie will es wissen und will es nicht wissen."

Fünf Jahre ist es nun her, als Jenny Aaron ihr Augenlicht verlor. Fünf Jahre, in denen einiges passiert ist, sie sich damit arrangiert hat und doch träumt sie nach wie vor davon endlich wieder sehen zu können. Eine medizinische Behandlung auf Rügen könnte genau dies nun möglich machen, doch die Therapie stellt sie vor eine große Zerreißprobe. Ruhe und Geduld wären für ihre Heilung von Nöten, doch ihr Kollege hat gerade jetzt eine neue Spur gefunden, die auf eine große Tragödie zusteuert. Weitere Gefahren bahnen sich ihren Weg und ihre Abteilung, die durch einen Bombenanschlag im letzten Winter großteils ausgelöscht wurde, bedarf ihre Hilfe. Doch auch Jenny ist ins Visier einer mysteriösen Killerin geraten und muss um sich und die Möglichkeit wieder-sehen zu können, bangen. Und so gibt es dann auch nur noch die Fragen: Therapie oder Gerechtigkeit? Für was wird sich Jenny entscheiden? Wer ist der Verräter? Und vor allem kann sie ihre Gegenspielerin noch rechtzeitig stoppen?

Zahlreiche Rückblenden erinnern an die ersten beiden Teile, beantworten Fragen, rufen Altes in Erinnerung und doch wird vieles erst mit diesem Band so wirklich klar. Pflüger erschuf einen Thriller auf hohem, literarischen Niveau und doch konnte er mich nicht so wirklich begeistern. Der Autor versteht es großartige, spannungsvolle, gewaltige Bilder/Szenen zu erschaffen, die zum einen den Atem stocken lassen, aber manchmal auch das genaue Gegenteil bewegen. "Geblendet" gleicht einer Achterbahnfahrt, die den Leser immer mal wieder packt und in Aufruhr bringt und dann durch einen Szenenwechsel oder neues Kapitel aufatmen, zur Ruhe kommen und lange warten lässt. Und genau diese etwas ruhigeren Abschnitte, haben mir dann in diesem Teil auch die Freude genommen und sich stark in die Länge gezogen.
Die Geschichte um Jenny Aaron ist insgesamt recht vielschichtig und mitreißend. Wer die ersten Teile gelesen hat, wird auch diesen Teil lieben - Dennoch funktioniert dieses Buch auch als losgelöster Teil. Aufgrund eines misslungenen Einsatzes hat sie ihre Sehkraft verloren, ist durch ihre Blindheit enorm eingeschränkt, hat sich dennoch ihren Weg gesucht und lässt sich nicht entmutigen. Sie bleibt ihrer Laufbahn treu und ist nach einer Auszeit in ihre "Abteilung" zurückgekehrt. Sie wirkt teilweise sehr menschlich und verletzlich und doch scheint gerade ihre Beeinträchtigung ihre Stärke zu sein. Teilweise könnte man meinen sie hätte Superkräfte entwickelt und das macht sie dann als Protagonistin auch so faszinierend.
Und doch ist die ganze Geschichte, neben diesem ganzen Gemetzel, manchmal recht unreal. Man fragt sich häufig, ob Erzähltes überhaupt plausibel wäre. Und auch sonst wird der Leser bei diesem Thriller gedanklich sehr gefordert, teilweise kommen recht philosophische Fragen auf, zahlreiche Rückblenden sollen beim Verständnis helfen und lassen am Ende kaum Fragen übrig. "Geblendet" ist damit ein gelungener Abschluss einer eher anspruchsvollen Thriller-Trilogie, der jegliche Fragen beantwortet und doch gibt es hier und da so einzelne Abstriche, mit denen ich mich mit etwas Abstand vielleicht doch noch anfreunden kann.

Veröffentlicht am 13.10.2019

Erkundungen zwischen Wahn und Wirklichkeit

Die Einsamkeit der Seevögel
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In "Die Einsamkeit der Seevögel" von Gøhril Gabrielsen geht es um die Geschichte einer jungen Wissenschaftlerin, die sich für ein Forschungsprojekt in die nördlichste Region Norwegens begibt. Hier quartiert ...

In "Die Einsamkeit der Seevögel" von Gøhril Gabrielsen geht es um die Geschichte einer jungen Wissenschaftlerin, die sich für ein Forschungsprojekt in die nördlichste Region Norwegens begibt. Hier quartiert sie sich in einer abgelegenen Fischerhütte ein, um die Veränderungen einer nahegelegenen Seevögelpopulation bzgl. des klimatischen Wandels zu analysieren.



"Ich will untersuchen, zeigen und enthüllen, und ich wünsche mir, dass das, was ich herausfinde, von so großer Bedeutung ist, dass ich selbst dadurch sichtbarer werde; dass meine Arbeit nicht nur als Wendepunkt dafür betrachtet werden kann, was man über die physische Welt vorhersagen kann, sondern dass sie auch meinem Leben eine neue [...] unerwartete Richtung gibt"



Und gerade dafür lässt sie ihr altes Leben zurück und mit ihm ihre 3-jährige Tochter Lina und ihre neue Liebe Jo. Dieser sollte eigentlich binnen kürzester Zeit zu ihr stoßen, sie unterstützen, doch seine Ankunft scheint sich immer mehr zu verzögern. Und so verliert sie sich immer weiter in der Einsamkeit und die einstige Zuflucht wird immer mehr zur Bedrohung. Realität und Wahn verschwimmen und das einzige Ziel wird die Suche nach sich selbst...



"Ich mag nicht daran denken, mag nicht darüber reden, will es nicht wahrhaben. Eine Halluzination ist schließlich nicht besser als irgendein vages Gefühl, und ich will auf keinen Fall in die Statistik einsamer Forscher eingehen, die sich in ihrer eigenen Psyche verirrt haben."



"Die Einsamkeit der Seevögel" war für mich dann tatsächlich etwas vereinsamend. Gabrielsen hat einen eher ruhigen, leicht poetischen dafür aber oftmals sehr fraglichen Roman geschrieben. Eine Frau, die aufgrund der Wissenschaft alles hinter sich lässt, ihr Kind, ihr Leben, ihren gesellschaftlichen Bezug. Sie zieht sich zurück, scheint vor etwas zu fliehen. Die Hoffnung einer neuen Liebe und der Wunsch eines neuen, von ihrem Ex-Mann abgeschirmten Schutzraums treibt sie an. Doch die Frage bleibt, ob sie dies jemals schaffen wird. Die Wissenschaftlerin verstrickt sich immer mehr und man fragt sich: Ist es noch Wirklichkeit? Oder schon Wahn? Macht ihr die Einsamkeit zu schaffen? Braucht sie Hilfe? Was will sie eigentlich wirklich? Und das sind gerade jene Fragen, die mich dann beim Lesen sehr eingenommen haben. ich wollte unbedingt wissen was hinter dieser eher emotionslosen Frau steckt und bin eigentlich nur minimal fündig geworden. Sie blieb mir bis zum Ende hin sehr fern, sehr distanziert und so bin ich dann mit diesem Roman leider auch nicht warm geworden. Es ist und bleibt eine eher ruhigere Geschichte mit einigen kurzen Spannungsmomenten und selbst diese bleiben dann irgendwie unbeantwortet. Die Geschichte bietet sehr viel Potenzial, emotionale Ansätze, naturkundliche Beobachtungen, aber sie ist nicht 100 %ig ausgereift, zumindest hat mir dieser gewisse Aha-Moment und ein prägnantes, aussagekräftiges Ende gefehlt. Bereits nach einigen Tagen verblasst das Gelesene und lässt dadurch nur sehr, sehr wenig zurück.

Veröffentlicht am 13.10.2019

Ein, Aus, Ein, Aus. “Laufen” und der Weg zurück ins Leben.

Laufen
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Wie schafft man es am Besten einen Schicksalsschlag zu verkraften? Der Tod einer nahestehenden Person ist oft sehr überrumpelnd und niederschmetternd. Schlimmer wird’s dann noch, wenn der eigene Partner ...

Wie schafft man es am Besten einen Schicksalsschlag zu verkraften? Der Tod einer nahestehenden Person ist oft sehr überrumpelnd und niederschmetternd. Schlimmer wird’s dann noch, wenn der eigene Partner Selbstmord begeht. Ein großes Loch tut sich auf, Vorwürfe machen sich breit und das ganze Leben ändert sich auf einen Schlag. So ergeht es auch Isabel Bogdans Protagonistin in ihrem Roman Laufen.



“Rike sagt, es wird jetzt besser, ein Jahr ist rum, ein Jahr lang habe ich alles zum ersten Mal ohne dich gemacht, mein erster Geburtstag ohne dich, kein Sommerurlaub, […] dein erster Geburtstag ohne dich, ich habe wieder alles falsch gemacht an deinem Geburtstag, aber wie soll man so etwas richtig machen,…”



Und wie soll man damit umgehen, dass man nun wieder allein ist? Laufen soll den Kopf frei machen, laufen soll helfen und gerade deshalb hat ihre beste Freundin sie auch hierzu animiert. Und nun läuft die Protagonistin regelmäßig um die Alster und lässt uns hier an ihren Gedankenkonstrukten teilhaben. Laufen ist ein sehr persönlicher Monolog, voller Gedanken, Probleme, Sorgen, aber eben auch Zuversicht. Zunächst ist sie noch ein sehr unruhiger Mensch, schafft kleine Strecken zu laufen und auch nach diesem einen Jahr hat sie den Verlust nach wie vor nicht verarbeitet. Alles fühlt sich so an, als wäre es erst gestern passiert, als das Leben eine brutale Wendung nahm . Ein, aus, ein, aus. Sie atmet, sie lebt, es geht weiter. Eher schleppend, doch mit jedem Mal besser. Alles wird selbstverständlicher. Und sie selbst Schritt für Schritt ruhiger, optimistischer. Laufen ist nicht ihr Hobby, Laufen schildert ihren Weg zurück ins Leben.



“… wenn ich jetzt öfter laufe, falls ich öfter laufe, falls ich das beibehalte, dann werde ich straff und schön und fit, wenigstens das, als wäre es nicht vollkommen egal, ob ich straff und schön und fit bin, als könnte ich nicht ebenso gut im Bett liegen bleiben […] und der Welt abhandenkommen, aber damit wäre niemandem geholfen, vor allem mir nicht.”



Es ist nun wirklich kein actionreicher Roman, es ist ein eher menschliches Buch. Isabel Bogdan schafft es dabei sehr einfühlsam das Leben und die Gedankenwelt ihrer Protagonistin, ohne Namen zu schildern. Der Leser erfährt alles über ihre aktuelle Gefühlslage, die Wirrungen mit den Eltern des verstorbenen Freundes, ihre Erinnerungen und doch auch sehr trüben Gedanken. Auch die Musik, das verbindende Element zwischen ihr und ihrem Freund, spielt aufgrund der Hinterlassenschaft eine recht wichtige Rolle bzw. es sind Andenken, jene Gegenstände, die ihren Freund auch noch nach dem Tod in ihrem Leben halten. Wut, Trauer, Liebe, Freude, Neugier und Angst wechseln sich ab und es entsteht eine recht bunte, manchmal eher fragmentartige Mischung an Impressionen, Erzählungen und Erinnerungen während des Laufens. Man könnte sagen, das Buch hat insgesamt eine lebensbejahende Einstellung, zumindest die trübseligeren Gedanken werden im Laufe der Geschichte weniger, der Verlust scheint überwunden und die anfänglich direkten Worte werden distanzierter. Und gerade diese Entwicklung in einem reinen Gedankenkonstrukt macht diesen Roman so besonders. Der Schreibstil ist vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, aber gerade dieser macht es dann auch aus. Es sind einzelne, intime und ungeschönte Gedanken, die dann doch etwas wild aneinandergereiht sind und vom Ein- und Ausatmen durchbrochen werden. Und gerade das macht jedes Fragment, jeden Gedanken, jedes Wort so nachfühlbar. Die Gedanken werden quasi vom gedruckten Wort zu den eigenen Gedanken und lassen ohne große Umschweife das Leben der Protagonistin nachfühlen. Empathie und Einfühlungsvermögen sind hier vielleicht die großen Stichworte.
Und so hat es mir dieses Buch trotz seiner Schwere und Trübseligkeit sehr viel Freude bereitet. Es ist ein Buch über den Prozess der Trauerbewältigung, aber es beinhaltet einfach so viel Menschlichkeit, Wärme und Hoffnung, dass man das Gefühl hat, man hätte in ihm eine beste Freundin, die man auf ihrem Weg begleitet.

Veröffentlicht am 13.10.2019

Beklemmend, düster, überrumpelnd - von der Geschichte in der Geschichte

Melmoth
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Das neuste Werk "Melmoth" von Sarah Perry ist ein sehr aufwühlender Roman. Dies hat allerdings weniger mit der Geschichte der Protagonistin selbst zutun, denn obwohl Helen Franklin in Prag auf ein seltsames ...

Das neuste Werk "Melmoth" von Sarah Perry ist ein sehr aufwühlender Roman. Dies hat allerdings weniger mit der Geschichte der Protagonistin selbst zutun, denn obwohl Helen Franklin in Prag auf ein seltsames Dokument stößt, in dem von einer mysteriösen, angsteinflößenden Frau die Rede ist, und sie sich seitdem verfolgt fühlt, sind es eher die eingeschobenen Manuskriptfragmente, Briefe und Erinnerungen, die hier mit einer großen Intensivität hervortreten. Aber eins nach dem anderen...

"Während der vergangenen zehn Tage konnte ich an nichts anderes denken als an meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld! Ich kann nicht mehr schlafen. Ich spüre ihren Blick und drehe mich um, erfüllt von Hoffnung und Furcht und bin doch immer allein."

Und gerade diese Angst bringt J.A. Hoffmann um den Verstand. Auch er fühlt sich von ihr verfolgt. Melmoth, die Frau die dazu verdammt ist, auf ewig über die Erde zu streifen und nach Bösem und Niederträchtigem Ausschau zu halten. "Sie erscheint den Menschen am Tiefpunkt ihres Lebens, und nur die Erwählten spüren ihren Blick. Sie heben den Kopf, und plötzlich steht die Zeugin vor ihnen. Angeblich streckt sie dann die Arme aus und sagt: Nimm meine Hand! Ich war so einsam!" Natürlich ist dies nur eine Legende, doch Hoffmann ist sich sicher, Melmoth schon einmal begegnet zu sein. Damals zur Zeit des zweiten Weltkrieges in einem tschechoslowakischen Dorf, am östlichen Ufer der Eger. Heute lebt er in Prag und hat seine Schuld, seine Geschichte und Begegnung mit der düsteren Frau als Manuskript verfasst und bereits mehrfach überarbeitet. Nach dem plötzlichen Tod Hoffmanns gelangt Helen Franklin über Umwege an eben dieses Dokument. Sie ist zweiundvierzig Jahre alt und lebt hier seit einigen Jahren im selbst auferlegten Exil, denn auch sie hat ihre eigene, dunkle Vergangenheit. Mit Hoffmanns Manuskript über seine Kindheit, geprägt von Neid, Missgunst und den auflehnenden Wirrungen des Krieges, öffnen sich zahlreiche, weitere Abgründe. Berichte, Briefe, Tagebucheinträge, die von Melmoths Existenz berichten und ihre eigenen Erlebnisse greifen um sich. Sie fühlt sich verfolgt und ist sich sicher, Melmoth wird auch sie holen, aber dann...

"Wer außer mir wird von deiner Bosheit erfahren? Wer außer mir hat gesehen, was in deinem Herzen ist? Was soll aus dir werden, [...] wenn dei anderen davon erfahren? Wenn sie es sehen?" "Dann bin ich also verdammt", sagte ich. "Verdammt? Oh ja, du bist verdammt! [...] Erkennst du denn nicht, welche Strafe dich erwartet?"

Sarah Perry nimmt uns dieses Mal also mit nach Prag, einem sehr geschichtsträchtigem Ort. Ihre Hauptprotagonistin kommt ursprünglich aus Essex und hat sich über einige Umwege hier eingefunden. Und da ist sie wieder: die Verbindung zu ihrem Buch "Die Schlange von Essex", einer Geschichte in der die Wissenschaft und die Kirche aufeinandertreffen und dem Unheil in Form einer Schlange, die im Moor ihr Unwesen treibt, auf Spurensuche geht. In ihrem neuen Werk ist es nun die Legende einer schwarz gekleideten Frau, die Verdammte, die Zeugin des Unheils. Und gerade nach den ersten Zeilen befindet man sich als Leser erneut in dieser sehr mystischen, poetischen Welt, mit der Perry bereits in ihrem vorherigen Roman begeistern konnte. Doch dann wird es nach und nach tatsächlich etwas viel. "Melmoth" ist eher geprägt von unterschiedlichen Geschichten und Erinnerungen und weniger durch die im Klappentext versprochene Handlung und Hinweissuche. Und dabei meine ich nicht nur 'Geschichten' sondern gefühlt sind es beinahe schon eigenständige Buchanfänge oder Kurzfassungen, die in dieser Kombination einfach zu viel abverlangen. Mir z.B. hätte bereits die Geschichte von Hoffmann, die etwa ein Drittel des Buchs ausmacht voll und ganz gereicht, aber es gibt eben auch noch Briefe und weitere Fragmente, die von der Existenz Melmoths zollen und dann ist da auch noch Helens Vergangenheit, die ein weiteres Feld in diesem eher bunten Sammelsurium öffnet. Insgesamt ist es daher ein eher wuchtig daherkommendes Werk, das auch den Leser sehr in Beschlag nimmt und fordert, ihm teilweise sogar zu viel abverlangt. Und auch wenn im Nachhinein gerade dies so faszinierend ist, so enttäuscht ist man dann von der eigentlichen, mangelnden gegenwärtigen Handlung. Für mich ist es eine Mischung aus einer Legende, einer Juden- und Kriegsgeschichte, leicht poetisch, leicht verwirrend. Teilweise hat es mich an zahlreiche andere Bücher erinnert, die Perry vielleicht als Inspiration genutzt hat und dann musste ich tatsächlich sehr häufig an "Der Vogelgott" von Susanne Röckel denken, in dem es auch um eine ominös, angsteinflößende Gestalt in Form eines Vogels ging - mehr verwirrend, beklemmend, aufwühlend, als verständlich und nachvollziehbar. Dohlen kündigen in Perrys Roman das Unheil an, es könnte genauso gut eine Anlehnung an Hitchcocks "Die Vögel" sein und doch ist es in dieser Form sehr speziell und eigenartig.
Direkt nach der Lektüre war ich ausgelaugt und konnte dem Roman gar nicht so viel abgewinnen, doch mit der Zeit finde ich ihn mehr und mehr faszinierend. Es ist die Geschichte in der Geschichte, neben der Geschichte und doch ist alles eben jene Geschichte, die den Leser in Beschlag nimmt, stellenweise vielleicht enttäuscht, fraglich zurücklässt und dennoch sehr fordert. An einigen Stellen wendet sich das Buch direkt an den Leser und an anderen ist es einfach nur eine weitere Erzählung, die eben mehr überfordert, als tatsächlich nützlich ist. Von daher ist es von mir eine vorsichtige Empfehlung und doch hätte ich hier deutlich mehr erwartet.

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