Variationen eines fragilen modernen Lebens
Nussschale„Meine getreue Schnur, die Lebensader, die mich nicht erwürgte, stirbt plötzlich den ihr bestimmten Tod. Ich atme. Köstlich. Mein Rat an Neugeborene: Schreit nicht, schaut euch um, schmeckt die Luft.“
Inhalt
Trudy ...
„Meine getreue Schnur, die Lebensader, die mich nicht erwürgte, stirbt plötzlich den ihr bestimmten Tod. Ich atme. Köstlich. Mein Rat an Neugeborene: Schreit nicht, schaut euch um, schmeckt die Luft.“
Inhalt
Trudy und Claude führen eine halboffizielle Liebesbeziehung, mit familiärem Hintergrund. Denn während Trudy hochschwanger mit ihrem Schwager verkehrt und ihr neues Liebesglück feiert. Wächst der ungeborene Sohn in ihrem Bauch als ein Überbleibsel der vergangenen Beziehung. Aber der gehörnte Ex namens John gibt nicht so schnell auf, schließlich ist er Dichter und konnte Trudy bereits vor einiger Zeit mit Poesie begeistern. Doch diesmal hat er die Rechnung ohne seine Frau und seinen Bruder gemacht, ganz zu schweigen von dem kleinen Menschlein mit seinem Erbgut, eines ist mehr als klar – John Cairncross muss endgültig von der Bildfläche verschwinden, diesmal jedoch für immer …
Meinung
Ich mag den besonderen Schreibstil des britischen Autors Ian McEwan sehr gern, in seinen Romanen gelingt es ihm menschliche Gefühle regelrecht zu sezieren und die Bedeutsamkeit der Emotionen an die Oberfläche zu holen. Auch hier in der abgeschirmten Welt eines noch ungeborenen Kindes tobt ein wahrer Sturm an diversen Befindlichkeiten, doch leider konnte mich seine „Nussschale“ nicht so gefangen nehmen, wie ich es mir erhofft habe. Schon seit seinem Erscheinen 2016 schlummerte der Roman in meinem Bücherregal und ich freue mich, ihn nun gleich zu Beginn des Lesejahres ans Licht geholt zu haben, selbst wenn es meinerseits so einige Kritikpunkte gibt.
Erzählt wird die Geschichte aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive, nämlich aus Sicht eines ungeborenen Kindes, welches auf Gedeih und Verderb den Befindlichkeiten und der hormonellen Achterbahnfahrt seiner hochschwangeren Mutter ausgesetzt ist. Gerade dieser Blick auf einen Hauptprotagonisten ohne Namen, macht den eigentlichen Reiz dieser Erzählung aus. Denn irgendwie finde ich diese Idee sehr alternativ und überaus spannend. Rückblickend war sie tatsächlich das ausschlaggebende Erzählelement, welches mich dazu bewogen hat, das Buch zu beenden.
Die Handlung selbst ist wahrlich nichts Neues und birgt keine Überraschungen. Der Leser trifft eine Frau, die sich einen Liebhaber genommen hat, der sie sexuell beglückt. Das dieser nun gerade der Bruder ihres Noch-Ehemannes ist, scheint eher ein Zufall zu sein als Beabsichtigung. Auch der betrogene Ehemann wirkt nicht gerade ambitioniert, mal abgesehen von seiner dichterischen Ader, die er in selbstgeschriebenen Reimen zum Besten gibt. Und der ungehobelte Klotz von Mann, der nun der Auserwählte ist, verfügt nach Meinung des Erzählers nicht einmal über Benehmen, geschweige denn über Stil oder Grips.
Leider konnte mich die aufgegriffene Geschichte ganz und gar nicht begeistern. Denn obwohl es um einen Mord geht, noch dazu einen absolut sinnlosen, bleibt die Story so schwammig wie nur denkbar, möglicherweise ist das durch die Verbindung aus dem Mutterleib nicht anders denkbar, vielleicht sogar gewollt, doch dann hätte der Umfang einer Kurzgeschichte ausgereicht. Sehr bitter aufgestoßen haben mich die vielen Nebensächlichkeiten, die tatsächlich keine sind: die werdende Mutter hängt an der Flasche, aber der Embryo schätzt die Vorzüge eines guten Weines und ist Kenner auf diesem Gebiet. Die Mutter selbst empfindet zwar Wollust beim Liebesspiel, doch kümmert sie sich nicht einmal emotional um das kleine Wesen in ihrem Bauch. Und so wird das Baby zum ungeliebten Mittelpunkt dieser Erzählung, ungewollt, immer im Weg und dann auch noch in der Lage dazu, seine Mutter und ihren neuen Gefährten aufzuhalten, indem es die Fruchtblase zerstört. Einmal abgesehen von einigen humoristischen Passagen, die mich zum Lachen gebracht haben, finde ich wenig lobenswerte Punkte. Es hätte keinen Unterschied gemacht, ob ich das Buch nun gelesen hätte oder nicht, in Erinnerung bleibt es nicht und wenn dann eher mit negativen Attributen versetzt.
Fazit
Ich vergebe müde 2 Lesesterne für diesen ungewöhnlichen Roman, bei dem die Idee zur Umsetzung noch das Beste war. Wenig Aussagekraft, eine Handlung, die man bereits zu Beginn voraussehen kann und sehr idiotische Charaktere – alles wird bewusst überspitzt dargestellt. Ein bitterböser Humor kommt noch dazu, der mir doch das ein oder andere Lächeln entlocken konnte. Insgesamt leider eine schwache Leistung, die ich nur widerwillig beendet habe. Sehr schade, denn aus dem Ansatz hätte eine wunderbare Geschichte werden können, zumindest in meiner Vorstellung. Möglicherweise kann man dieses Buch in der Interaktion mit anderen Lesern besser verstehen. Ich könnte es mir sehr gut als Oberstufenlektüre vorstellen, vielleicht habe ich den Knackpunkt der Story nur ganz falsch verstanden …