„Eines Tages wird es alles nicht mehr geben hier. Es wird langsam sein, dass wir verschwinden. Wir werden es fast nicht merken. Irgendwann sind wir alle nicht mehr hier. Wir nicht, unsere Geschwister nicht ...
„Eines Tages wird es alles nicht mehr geben hier. Es wird langsam sein, dass wir verschwinden. Wir werden es fast nicht merken. Irgendwann sind wir alle nicht mehr hier. Wir nicht, unsere Geschwister nicht und das Dorf nicht und die Tiere nicht.“
Inhalt
Es herrscht Krieg, die Bomber kreisen über den Köpfen, doch immer ziehen sie weiter, die Eltern sind fortgegangen, um irgendwo ein neues, besseres Leben aufzubauen, die Alten blieben etwas länger, doch nun ziehen auch sie in den Krieg, der ebenso verloren scheint, wie der Rest der Welt. Zurück bleiben die Kinder des Dorfes, welches langsam zerfällt. Sie sind auf sich gestellt, es gibt kein Geld, keine Versorgung und niemanden mehr, der ihnen irgendetwas beibringen kann. Sie sind allein miteinander, mit ihren eigenen Regeln, ihren Sorgen und der kleinen Flamme der Hoffnung, das bald schon irgendwer an ihnen Interesse zeigt, sie holen kommt und wieder mitnimmt, in eine sehnsüchtig erwartete Heile-Welt, in der Kinder Menschen an ihrer Seite wissen, die sich um sie kümmern. Doch es kommt niemand und die Vorräte neigen sich dem Ende entgegen …
Meinung
Der Klappentext hat mich schon sehr neugierig gemacht auf den Debütroman der österreichischen Autorin, von dem ich mir eine berührende Geschichte über Einsamkeit und Verzweiflung erhofft habe. Und obwohl die komplette Handlung eher an eine Utopie erinnert, als an ein tatsächlich denkbares Szenario, liegt ihr großer Pluspunkt an einer fast erdrückenden Emotionalität, die selbst unrealistische Ereignisse und Entwicklungen nachvollziehbar werden lässt.
In kurzen Kapiteln erzählen diverse Protagonisten von einer Zeit, die geprägt ist von Ängsten und Hoffnungslosigkeit. In einem Ausmaß der Verwüstung begegnet der Leser einer gemischten Gruppe von Kindern, die allein auf sich gestellt sind und die ihre eigenen Gesetze aufstellen. Zwischen der Sorge, ihren Hunger zu stillen und der Möglichkeit ihre Eltern einmal wiederzusehen, erfüllt die Langeweile ihren Tag und es kommt zu Gewalthandlungen und Ausgrenzungen untereinander. Gerade Mila, eine der Älteren versucht sich die Kinderschaar vom Hals zu halten und gleichzeitig so etwas wie Normalität zu etablieren, indem sie unterrichten möchte. Auch die Eltern und andere Dorfbewohner kommen zu Wort, in Briefen an die Zurückgebliebenen, beschwichtigen sie und versuchen ihr Fortgehen irgendwie zu begründen, vielleicht eine Entschuldigung zu formulieren, die ihr Verhalten erklärt, auch wenn dieses unentschuldbar bleibt. Der Schreibstil ist wirklich klasse, weil er direkt ins Herz trifft und alles so lebendig und echt wirken lässt, selbst wenn herkömmliche Logik zu kurz kommt.
Fazit
Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen ungewöhnlichen Roman, der sich zu einem wilden Erlebnis mit vielen versteckten Botschaften entwickelt. Obwohl ich kein großer Fan von fiktiven Erzählungen in einer Welt kurz vor dem Untergang bin, konnte mich dieses Buch hier weitgehend überzeugen. Man muss sich auf die Geschichte einlassen und darf keine genaue Aussage und auch keine weitreichende, umfassende Erklärung erwarten, gerade das offene Ende aber auch die angerissenen Erzählstränge lassen sehr viel Interpretationsspielraum und man kann die Tatsachen auf alle möglichen Ursachen zurückführen, ohne eine zufriedenstellende Antwort zu bekommen. Sobald man sich aber gedanklich auf das literarische Experiment einlässt, entfaltet sich ein emotionaler, bedrückender, facettenreicher Entwurf einer gottverdammten Welt, der man eigentlich nur entkommen möchte und es dennoch nicht ohne weiters kann. Selbst für mich als Liebhaber gesellschaftskritischer aber authentischer Belletristik hat sich dieses Buch gelohnt, obwohl es im Nachhinein doch ein wenig abstrakt wirkte.
„Wörter konnten nichts ausrichten gegen die Mauern, die das Schweigen errichtet hatte. Sie sprachen nur von dem, was es nicht mehr gab. Also war es besser, wenn keine Spur davon blieb.“
Inhalt
Trina ...
„Wörter konnten nichts ausrichten gegen die Mauern, die das Schweigen errichtet hatte. Sie sprachen nur von dem, was es nicht mehr gab. Also war es besser, wenn keine Spur davon blieb.“
Inhalt
Trina und Erich Hauser leben in Graun, in Südtirol gemeinsam mit ihren beiden Kindern Michael und Marica. Während Trina als Lehrerin arbeitet kümmert sich Erich um den Bauernhof. Doch die Zeiten werden immer düsterer, viele Menschen verlassen den Ort, weil der Faschismus Einzug hält und die Lage des Ortes dafür verantwortlich ist, das sich sowohl Italien als auch Deutschland in dieser Region etablieren möchten und die Politik immer mehr Einfluss auf das ganz normale Leben der Menschen gewinnt. Kurz vor dem zweiten Weltkrieg scheint es für die Bevölkerung keine Wahl mehr zu geben, entweder man entscheidet sich für die eine oder die andere Seite.
In den Vorkriegswirren bricht plötzlich über Familie Hauser das Schicksal herein - denn Marica, für eine kurze Zeit in die Obhut von Onkel und Tante gegeben, verschwindet über Nacht mit ihren Verwandten und lässt Vater, Mutter und Bruder allein zurück, nur mit einer kurzen Nachricht, dass sie weggehen wollte aus dem Ort, um wieder freier zu sein. Für Trina ist das Anlass ihrer verloren gegangenen Tochter über viele Jahre hinweg zu erzählen, was aus der verlassenen Familie geworden ist, wie der Krieg sich ihrer bemächtigte und sie wieder entließ, wie der Ort sich verändert hat, warum es die alten Bauernhöfe nicht mehr gibt, wieso ihr Elternhaus dem Staudammbau weichen musste und was sie selbst erlebte und gern mit Marica geteilt hätte, obwohl diese nie mehr zurückgekommen ist.
Meinung
Der in Mailand geborene Autor Marco Balzano, Jahrgang 1978 arbeitet als Lehrer und folgt mit dem Schreiben seiner eigenen Passion - für sein literarisches Werk wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet und gilt als eine wichtige Stimme der italienischen Gegenwartsliteratur. „Ich bleibe hier“ ist bereits mein zweites gelesenes Buch von ihm, nachdem ich „Das Leben wartet nicht“ mit viel Begeisterung konsumiert habe.
Die Thematik des vorliegenden Romans widmet sich einerseits der Geschichte und der Veränderung einer Region, die zunächst durch den Krieg, später durch den Bau eines Staudamms nachhaltig verändert wurde und heute für viele ein lohnenswertes Ausflugsziel ist, zum anderen erzählt es eine sehr persönliche Geschichte über den mehrmaligen Verlust im Leben, über erzwungenes Loslassen an Dingen und Menschen, die man doch lieber für immer festgehalten hätte. Und so wird das Schicksal der Orte Graun und Reschen im Vinschgau mit all den Repressalien der damaligen Bevölkerung zur Hintergrundszene in einer emotional kraftvollen Erzählung über Unglück, Vertreibung, Flucht und dem Versuch sich den inneren und äußeren Mächten langfristig zu widersetzen.
Der Text richtet sich an die Tochter der Erzählerin und wirkt trotz der unfassbaren Ereignisse und den schicksalhaften Entwicklungen unaufgeregt und authentisch. In drei Teilen erzählt die Mutter vom Leben ohne das geliebte Kind, vom Leben im Krieg verbunden mit Flucht und späterer Rückkehr und letztlich vom Versuch sich die Heimat zurückzuerobern mit der Einsicht, dass es nie mehr so sein wird, wie es einmal war. In jeder Zeile wird die Bedrückung und das Bedauern über die Zustände greifbar, aber ebenso das hoffnungsvolle Voranschreiten. Die Hauptprotagonistin ist zwar gefangen in den historischen Entwicklungen, sie kann dieser Zeit nur stellenweise entfliehen und richtet ihre Lebenskraft dennoch auf die Zukunft, auf ein besseres Leben, auf eine Entspannung in all den anstrengenden, lebensbedrohlichen Momenten, mit denen sie sich im Krieg konfrontiert sieht.
Besonders eindrucksvoll erscheint mir die Gesamtwirkung dieses Romans, der Fakten und Fiktion spannend verbindet, reale Ereignisse als Hintergrund spiegelt und doch vielmehr von den Menschen erzählt, die Rücksichtslosigkeit, Kriegshandlungen und politische Willkür erleiden müssen, ohne ihnen nennenswerten Widerstand bieten zu können. In Anbetracht der Erzählung wird man sehr nachdenklich, sie lässt darüber hinaus den heutigen Frieden und die politische Entwicklung als eine Errungenschaft erscheinen, die den Machtmissbrauch vergangener Tage als umso verachtenswerter wirken lässt.
Fazit
Ich vergebe begeisterte 5 Lesesterne für diesen wunderbaren Roman über eine starke Frau, eine schwere Lebenszeit, die ständige Herausforderung des Neubeginns, die Trauer, die einhergeht mit dem Verlust des liebgewonnenen Alltags und die Kraft, trotz jedweder denkbarer Rückschläge immer wieder aufzustehen und den nächsten Tag, die nächsten Jahre zu überstehen. Ganz klassisch und elementar steht hier nicht nur eine Person im Mittelpunkt, sondern übergreifend eine ganze Generation, deren Leben so oder ganz ähnlich verlief. Die Aussage des Textes ist tiefgreifend und bewegend, denn obwohl nichts so bleibt, wie es einmal war, gibt es doch immer einen inneren Frieden, den man finden muss und sich bewahren kann, um ohne Groll durchs Leben zu gehen.
„Wörter konnten nichts ausrichten gegen die Mauern, die das Schweigen errichtet hatte. Sie sprachen nur von dem, was es nicht mehr gab. Also war es besser, wenn keine Spur davon blieb.“
Inhalt
Trina und Erich Hauser leben in Graun, in Südtirol gemeinsam mit ihren beiden Kindern Michael und Marica. Während Trina als Lehrerin arbeitet kümmert sich Erich um den Bauernhof. Doch die Zeiten werden immer düsterer, viele Menschen verlassen den Ort, weil der Faschismus Einzug hält und die Lage des Ortes dafür verantwortlich ist, das sich sowohl Italien als auch Deutschland in dieser Region etablieren möchten und die Politik immer mehr Einfluss auf das ganz normale Leben der Menschen gewinnt. Kurz vor dem zweiten Weltkrieg scheint es für die Bevölkerung keine Wahl mehr zu geben, entweder man entscheidet sich für die eine oder die andere Seite.
In den Vorkriegswirren bricht plötzlich über Familie Hauser das Schicksal herein - denn Marica, für eine kurze Zeit in die Obhut von Onkel und Tante gegeben, verschwindet über Nacht mit ihren Verwandten und lässt Vater, Mutter und Bruder allein zurück, nur mit einer kurzen Nachricht, dass sie weggehen wollte aus dem Ort, um wieder freier zu sein. Für Trina ist das Anlass ihrer verloren gegangenen Tochter über viele Jahre hinweg zu erzählen, was aus der verlassenen Familie geworden ist, wie der Krieg sich ihrer bemächtigte und sie wieder entließ, wie der Ort sich verändert hat, warum es die alten Bauernhöfe nicht mehr gibt, wieso ihr Elternhaus dem Staudammbau weichen musste und was sie selbst erlebte und gern mit Marica geteilt hätte, obwohl diese nie mehr zurückgekommen ist.
Meinung
Der in Mailand geborene Autor Marco Balzano, Jahrgang 1978 arbeitet als Lehrer und folgt mit dem Schreiben seiner eigenen Passion - für sein literarisches Werk wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet und gilt als eine wichtige Stimme der italienischen Gegenwartsliteratur. „Ich bleibe hier“ ist bereits mein zweites gelesenes Buch von ihm, nachdem ich „Das Leben wartet nicht“ mit viel Begeisterung konsumiert habe.
Die Thematik des vorliegenden Romans widmet sich einerseits der Geschichte und der Veränderung einer Region, die zunächst durch den Krieg, später durch den Bau eines Staudamms nachhaltig verändert wurde und heute für viele ein lohnenswertes Ausflugsziel ist, zum anderen erzählt es eine sehr persönliche Geschichte über den mehrmaligen Verlust im Leben, über erzwungenes Loslassen an Dingen und Menschen, die man doch lieber für immer festgehalten hätte. Und so wird das Schicksal der Orte Graun und Reschen im Vinschgau mit all den Repressalien der damaligen Bevölkerung zur Hintergrundszene in einer emotional kraftvollen Erzählung über Unglück, Vertreibung, Flucht und dem Versuch sich den inneren und äußeren Mächten langfristig zu widersetzen.
Der Text richtet sich an die Tochter der Erzählerin und wirkt trotz der unfassbaren Ereignisse und den schicksalhaften Entwicklungen unaufgeregt und authentisch. In drei Teilen erzählt die Mutter vom Leben ohne das geliebte Kind, vom Leben im Krieg verbunden mit Flucht und späterer Rückkehr und letztlich vom Versuch sich die Heimat zurückzuerobern mit der Einsicht, dass es nie mehr so sein wird, wie es einmal war. In jeder Zeile wird die Bedrückung und das Bedauern über die Zustände greifbar, aber ebenso das hoffnungsvolle Voranschreiten. Die Hauptprotagonistin ist zwar gefangen in den historischen Entwicklungen, sie kann dieser Zeit nur stellenweise entfliehen und richtet ihre Lebenskraft dennoch auf die Zukunft, auf ein besseres Leben, auf eine Entspannung in all den anstrengenden, lebensbedrohlichen Momenten, mit denen sie sich im Krieg konfrontiert sieht.
Besonders eindrucksvoll erscheint mir die Gesamtwirkung dieses Romans, der Fakten und Fiktion spannend verbindet, reale Ereignisse als Hintergrund spiegelt und doch vielmehr von den Menschen erzählt, die Rücksichtslosigkeit, Kriegshandlungen und politische Willkür erleiden müssen, ohne ihnen nennenswerten Widerstand bieten zu können. In Anbetracht der Erzählung wird man sehr nachdenklich, sie lässt darüber hinaus den heutigen Frieden und die politische Entwicklung als eine Errungenschaft erscheinen, die den Machtmissbrauch vergangener Tage als umso verachtenswerter wirken lässt.
Fazit
Ich vergebe begeisterte 5 Lesesterne für diesen wunderbaren Roman über eine starke Frau, eine schwere Lebenszeit, die ständige Herausforderung des Neubeginns, die Trauer, die einhergeht mit dem Verlust des liebgewonnenen Alltags und die Kraft, trotz jedweder denkbarer Rückschläge immer wieder aufzustehen und den nächsten Tag, die nächsten Jahre zu überstehen. Ganz klassisch und elementar steht hier nicht nur eine Person im Mittelpunkt, sondern übergreifend eine ganze Generation, deren Leben so oder ganz ähnlich verlief. Die Aussage des Textes ist tiefgreifend und bewegend, denn obwohl nichts so bleibt, wie es einmal war, gibt es doch immer einen inneren Frieden, den man finden muss und sich bewahren kann, um ohne Groll durchs Leben zu gehen.
„Dann war die Saison vorbei, und das, worüber alle sprachen, war weiter nichts als das, es existierte nur in der Erinnerung derjenigen, die es gesehen hatten, mit eigenen Augen, in den wenigen Wochen des ...
„Dann war die Saison vorbei, und das, worüber alle sprachen, war weiter nichts als das, es existierte nur in der Erinnerung derjenigen, die es gesehen hatten, mit eigenen Augen, in den wenigen Wochen des Sommers. Nach und nach würden diese Erinnerungen verblassen. Vielleicht würden die Menschen sich fragen, ob sie es wirklich gesehen hatten.“
Inhalt
Ronnie Dean ist Zauberer, erlernt hat er sein magisches Handwerk bei seinem Ziehvater, der ihn all die spektakulären Tricks zeigte und in ihm den Wunsch säte, selbst ein Meister der Illusion zu werden. Gemeinsam mit Jack Robbins stellt er ein unterhaltsames Sommerprogramm für die Feriengäste in Brighton auf die Beine. Direkt am Pier entführen die zwei Künstler ihr Publikum in ein buntes Reich voller Zauberei und Entertainment. Jack unterbreitet den Vorschlag, dass eine weibliche Assistentin ihr Programm noch wesentlich anziehender gestalten könnte und Ronnie sucht per Annonce die passende Partnerin für seine Kunststücke. Diese ist bald gefunden und als Evie White in ein schillerndes Kostüm schlüpft und Ronnies Zaubereien begleitet, wird das Programm ein spektakulärer Anziehungspunkt. Und auch die beiden jungen Männer verlieben sich in die schöne Evie, die bald Ronnies Verlobungsring am Finger trägt und doch mit Jack anbandelt. Der Sommer wird zeigen, wie die Geschichte verläuft …
Meinung
Dies war mein erster Roman aus der Feder des englischen Erfolgsautors Graham Swift, der mittlerweile zu den Stars der britischen Gegenwartsliteratur zählt und 1996 mit dem Man Booker Price ausgezeichnet wurde. Und doch konnte mich die hier erlebbar gemachte Geschichte, in weiten Teilen nicht überzeugen. Vielleicht liegt es an der unglücklichen Ausgangssituation, denn erwartet habe ich eine emotionale Dreiecksgeschichte mit starken Persönlichkeiten und diese spielt leider nur eine untergeordnete Rolle, sie verkommt fast zur Nebensächlichkeit.
Ganz präsent hingegen wirkt die Stimme eines übergeordneten Erzählers, der versucht auf wenigen Seiten, die Sommersaison eines Künstlertrios lebendig werden zu lassen. Dabei vollzieht er mehr Zeitsprünge als nötig gewesen wären. Im ersten Drittel des Romans steht Ronnies Kindheit im Mittelpunkt, seine ersten Kontakte mit der Zauberei, die er im Haus seiner Ziehfamilie erworben hat, auch die ursprüngliche familiäre Situation bezüglich einer alleinerziehenden Mutter und des leiblichen Vaters, der als Seefahrer nie anwesend war, bekommt einen hohen Stellenwert eingeräumt. Später dann ein kurzer Wechsel zu dem verhängnisvollen Sommer, in dem sich zwei Männer in die gleiche Frau verlieben und im letzten Teil der Rückblick auf ein gelebtes Leben aus Sicht von Evie White, die bis zuletzt zu verstehen versucht, welche Rolle Ronnie in ihrer Dreiecksbeziehung spielte und wie es ihm gelungen ist so effizient und nachhaltig aus dieser zu verschwinden – scheinbar ein Akt der Zauberei in Perfektion.
Der Geschichte selbst mangelt es an Aussagekraft, da sie sich immer wieder zwischen ihren Figuren verflüchtigt und diese fehlende Ausrichtung macht das Lesevergnügen alsbald zu einer behäbigen Fassung einer an sich hochdramatischen Situation. Es gelingt diesem omnipotenten Erzähler einfach nicht, die Emotionen der Betroffenen spürbar zu machen und ihrer magisch-hypnotischen Wirkung gerecht zu werden. Eigentlich passiert auch nichts Schlimmes, denn die Frau hat sich gleich zu Beginn umentschieden, ist aber ohne Reue bis zum heutigen Tag ganz bewusst bei ihrer Wahl geblieben. Die kurzzeitige Liaison zwischen ihr und dem Zauberer, erscheint mir persönlich nicht der Rede wert. Sicherlich hat Evie ihren Jack nur durch Ronnie kennengelernt - aber wo bitte ist da das Problem? Keiner der Protagonisten empfindet die gemeinsame Zeit als Verschwendung, niemand beschwört das große Drama herauf und die Entwicklung verläuft in geruhsamen Bahnen. An dieser Stelle wurde leider enorm viel Potential verschenkt, so das mich letztlich auch der Flair des Buches nicht mitreißen konnte.
Fazit
Leider kann ich hier nur drei wohlwollende Lesesterne vergeben, da mich dieser kurze Roman kaum berühren konnte. Mein Urteil schwankt zwischen langweilig und desorientiert und ich hatte beständig das Gefühl, das „falsche“ Buch des Autors gewählt zu haben. Denn prinzipiell hat mich seine Art zu beschreiben und die Sachverhalte darzustellen überzeugt. Die Sprache und der Gesamtstil konnten meinen Lesegeschmack durchaus treffen, so dass ich den Text zwar gerne gelesen habe, ihm aber inhaltlich nichts abgewinnen konnte. Deshalb ist für mich klar: ich muss es mit einem anderen Roman von Graham Swift probieren, vielleicht hat er sich bei dieser Geschichte etwas verzettelt, sowohl in der Wirkung als auch in der Ausführung. Die Rolle des bloßen Zuschauers mag für eine Verfilmung nützlich sein, literarisch sind es eindeutig zu viele unschöne Leerstellen, die durch bunte Bilder gewinnbringend ersetzt werden könnten, nur findet man diese allerhöchstens auf dem Cover.
„Der zweifelnde Gesichtsausdruck scheint Pflicht zu sein. Das soll sie ruhig aushalten, es kann ihr nicht schaden, ihren verblüfften und mitleidigen Blick auf ihr kränkliches Aussehen zu ertragen – ein ...
„Der zweifelnde Gesichtsausdruck scheint Pflicht zu sein. Das soll sie ruhig aushalten, es kann ihr nicht schaden, ihren verblüfften und mitleidigen Blick auf ihr kränkliches Aussehen zu ertragen – ein bisschen vernünftiger Realitätssinn, angemessen verpackt, der die Dinge wieder zurechtrückt.“
Inhalt
Laure hat sich seelisch und emotional komplett in sich zurückgezogen, menschliche Nähe lässt sie nicht mehr zu – warum auch? Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie ihren Körper endgültig zum Schweigen, zum Verhungern gebracht hat, die Zwangseinweisung in das Krankenhaus mit künstlicher Ernährung über eine Magensonde ist eigentlich nicht das, was sie vorhatte. Doch Dr. Brunel begegnet ihr gerade noch im letzten möglichen Augenblick vor der Katastrophe und nimmt sich ihrer an. Er holt sie zurück aus dem Gedankenkarussel, bei dem jede Nahrungsaufnahme einem Verbrechen gleichkommt und jedes gewonnene Kilo ein schwerer Schicksalsschlag ist. Nun muss sie sich mit dem Gedanken arrangieren, dass sie erst wieder nach Hause kann, wenn sie die magische Gewichtsgrenze von 50 kg erreicht hat – doch bis dahin ist es ein weiter, beschwerlicher Weg …
Meinung
Bisher konnte mich jedes Buch der französischen Autorin Delphine de Vigan ansprechen, so dass ich beschlossen habe, mich den noch fehlenden Büchern in meiner Bibliothek zu widmen, um ihr Gesamtwerk kennenzulernen und die Thematik Magersucht kenne ich zudem noch aus eigener Perspektive, nachdem eine gute Freundin von mir in ihrer Jugend ebenfalls im Krankenhaus zwangsernährt wurde.
In diesem Roman begibt sich der Leser tief hinein in das Gedankengut einer gestörten Seele, für die alles Schöne aus dem Leben verschwunden ist. Der Körper selbst hat keinen Wert mehr, er ist nur Ausdruck für das andauernde Verkümmern einer Seele und auch die Krankheit selbst hat kaum etwas mit einem angestrebten Schönheitsideal zu tun, denn es geht nicht um die Kilos an sich, sondern darum, die Kontrolle zu behalten und den Zeiger der Waage mittels Willenskraft immer weiter in die Knie zu zwingen. Was zunächst harmlos mit dem profanen Wunsch beginnt etwas weniger Gewicht zu haben, steigert sich in einen Wahn bei dem die Gesundheit ebenso wie die Schönheit schon lange auf der Strecke geblieben sind.
Laure durchläuft nun in der Gegenwart nicht nur die Schmerzen, die mit einer erzwungenen Kalorienzufuhr verbunden sind, sondern auch das Dilemma, das ihr Körper voller Dankbarkeit annimmt, was ihre Seele schon längst aufgegeben hat, die Chance auf ein mehr an Kraft und Lebensqualität. Bisher wollte Laure zwar nicht wirklich sterben (als logische Konsequenz ihrer Anorexie wäre das zwar denkbar, es gibt aber deutlich effektivere Wege), nein sie möchte aus dieser Welt verschwinden, ganz langsam, ganz bewusst und deutlich sichtbar für alle anderen – weil sie nichts mehr hält, für das es sich zu leben lohnt.
Erneut gelingt es der Autorin ein für mich erschütterndes Beispiel für vergeudete Lebenszeit greifbar werden zu lassen, die Ängste und Beklemmungszustände sind schonungslos, ehrlich und voller Traurigkeit. Dabei führt sie ganz allmählich die Ursachen aus dem familiären Umfeld ein, beurteilt nicht, warum es gerade dieser Leidensweg geworden ist und zeigt dennoch Möglichkeiten auf, aus dieser Endlosschleife an Hungern, Abnehmen und Verfallen herauszukommen, wenn man den Strohhalm ergreift, der sich bietet. Ein kleiner Kritikpunkt für mich: der Krankenhausalltag steht hier zentral im Mittelpunkt, die innere Arbeit, die Laure noch leisten muss, um wirklich geheilt zu werden, wird ausgeklammert. Sicherlich findet der Umstand Erwähnung, dass eine Rückkehr zu alten Verhaltensmustern nicht ausgeschlossen ist, und für Laure der Vorsatz zählt, ihr Versprechen nicht zu brechen, was sie Dr.Brunel gegeben hat: am Leben zu bleiben. Aber es hätte mir noch besser gefallen, wenn auch die Zeit danach mehr Aufmerksamkeit bekommen hätte. Selbst wenn das Ende des Buches einen erfreulichen Punkt benennt, so schenkt der Roman keine Einblicke in diese Zeit danach.
Fazit
Ich vergebe gute 4 Lesesterne, für einen interessanten, innigen Blickwinkel hinein in die Untiefen der menschlichen Seele, die doch so verschiedenartige Krankheitsbilder hervorrufen können. Ich weiß nicht, ob sich diese Lektüre wirklich für Betroffene eignet, für Außenstehende aber durchaus, denn die Ängste und Bedenken sind bestens greifbar und vielseitig gestrickt, so dass man nicht im Mitleid versinkt aber durchaus nachvollziehen kann, welche Mechanismen hier wirken. Was bleibt ist diese Bedrückung und innere Verzagtheit, aber auch die Hoffnung gemeinsam mit Hilfe von außen die Dämonen zu besiegen. Vielleicht hätte ich mir auch gewünscht, dass irgendwo sichtbar wird, wie viel Last dem Körper zugemutet wird, wie schwerwiegend und irreparabel manche Spätfolgen der Magersucht sind und das es nur wenig bringt, die Wochen im Krankenhaus zu überstehen, wenn man den Ursachen nicht mittels einer Therapie begegnet. Meine Freundin hat sich nie mehr von der Krankheit richtig erholen können, trotz zweier Kinder ist sie selbst mit 34 Jahren an multiplem Organversagen gestorben und rein äußerlich hat sie es nie mehr auf ein gesundes Normalgewicht gebracht.
„Den leeren Platz in seinem Inneren nahm etwas Neues ein, etwas Ungeheuerliches, das ihn schreckte und von dem er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte, dass es seine Vorstellungen von sich selbst, von der Zivilisation ...
„Den leeren Platz in seinem Inneren nahm etwas Neues ein, etwas Ungeheuerliches, das ihn schreckte und von dem er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte, dass es seine Vorstellungen von sich selbst, von der Zivilisation und Menschenwürde unumkehrbar verändern würde.“
Inhalt
Vergangenheit: Der erfolgreiche Geiger Ilja Wassiljewitsch Grenko kehrt nach einem Auftritt im russischen Staatstheater nicht mehr nach Hause zurück. Seiner Grau Galina, die voller Sorge mit den beiden kleinen Söhnen auf ihn wartet, teilt man mit, dass sich ihr Mann ins Ausland abgesetzt hat und sein Versuch auch die Familie mitzunehmen, sei rechtzeitig vereitelt wurden, so dass für Galina nur noch ein Leben in der Verbannung bleibt, ob sie nun von den Plänen ihres Mannes wusste oder nicht, spielt dabei keine Rolle.
Gegenwart: Sascha Grenko, Enkel von Ilja folgt dem Hilferuf seiner Schwester Vika, die er nach dem Unfalltod der Eltern schon viele Jahre nicht mehr gesehen hat. Angeblich befindet sich ein Dokument von Wert in ihrem Besitz, welches die vergangene Familiengeschichte in ein ganz anderes Licht rücken könnte. Doch als Sascha zum Treffen mit Vika kommt, wird diese vor seinen Augen erschossen und kurz darauf befindet er sich selbst in Gefahr, denn auf dem Schreiben, welches er in einem Bankschließfach findet, verbirgt sich die Wahrheit über den Verbleib von Ilja Grenko und dieses Wissen ist nach wie vor tödlich …
Meinung
Die Deutsche-Krimi-Preis-Trägerin Mechtild Borrmann hat mich mit ihren Romanen und Kriminalfällen bisher nie enttäuscht, weil sie historische Fakten geschickt mit persönlichen Geschichten und spannenden Handlungen verwebt und dadurch nicht nur einen guten Unterhaltungswert schafft, sondern auch tief in die Abgründe der Vergangenheit blicken lässt und die dunklen Kapitel von damals wieder beleuchtet. Und auch dieses Buch hier reiht sich nahtlos in die Reihe meiner Lieblingsbücher ein, die man auch nach etlichen Jahren ein zweites Mal lesen kann.
Diesmal legt die Autorin den Schwerpunkt auf die Nachkriegszeit in der russischen Metropole Moskau, hinein ins Milieu der Künstler und Gebildeten. Jener Menschengruppe, die zwar offensichtlich für die Unterhaltung und Bespaßung weiter Bevölkerungsteile zuständig ist, die jedoch den Machtinhabern ein Dorn im Auge ist, weil sie für deren politische Ziele als tickende Zeitbombe agiert und bestenfalls ausgeschaltet gehört. In wechselnden Kapiteln nähert sich das Buch dem tatsächlichen Verlauf der Geschichte und den familiären Zusammenhängen an. Dabei wird der Leser in die angenehme Lage versetzt, auch die Erlebnisse des Ilja Grenkos aus erster Hand zu erfahren und damit sein persönliches Leid und das seiner Familie besser nachzuvollziehen. Ebenso präsent wirkt aber auch die Gegenwartshandlung, denn erst Sascha gelingt es, nicht nur den Verbleib der vermissten Geige seines Großvaters ausfindig zu machen, sondern auch das wahre Komplott aufzudecken, dessen Opfer all seine Familienmitglieder wurden. Denn obwohl Ilja selbstbestimmt den Tod in einem Arbeitslager wählte, auf Grund der Hoffnungslosigkeit, die ihn umgab, so haben seine Nachfahren versucht, der Wahrheit nahezukommen und mussten dass mit ihrem Leben bezahlen, da die Verantwortlichen sehr wohl ihre Schuld von damals konsequent vertuschen wollten.
Damit hat dieses Buch alles, was es braucht: eine spannende, klar umrissene Geschichte, eine interessante historische Hintergründigkeit und eine abenteuerliche, gefährliche Spurensuche, die das Genre Kriminalroman abdeckt. Der Text wird durch wechselnde Zeitebenen und diverse Protagonisten lebendig, besticht durch eine komprimierte Handlung, die sich nicht verzettelt und den Fokus ganz speziell auf die Familie Grenko lenkt.
Fazit
Ich vergebe begeisterte 5 Lesesterne und freue mich jetzt schon auf ein weiteres Buch der Autorin, denn ein paar bleiben mir noch, die ich bisher nicht gelesen habe. Dieser Kriminalroman eignet sich für alle, denen es mehr auf eine erzählbare Geschichte ankommt und weniger auf blutige Aspekte. Der Tod ist hier nur die unvermeidbare Folge einer großen Vertuschungsaktion, die ihre Wurzeln in der grausamen Willkür des Regimes hat. Aspekte wie Flucht, Verbannung, unmenschliche Lebensbedingungen und der Verlust aller Hoffnung sind mindestens genauso wichtig, wie die Spurensuche eines Einzelnen und den nie versiegenden Wunsch nach Gerechtigkeit und Aufklärung. Ein tolles, empfehlenswertes Buch, welches lange nachhallt und ein Ehrenplätzchen in meinem Regal bekommt.