Cover-Bild Ich bleibe hier
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22,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Diogenes
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 288
  • Ersterscheinung: 24.06.2020
  • ISBN: 9783257071214
Marco Balzano

Ich bleibe hier

Maja Pflug (Übersetzer)

Ein idyllisches Bergdorf in Südtirol – doch die Zeiten sind hart. Die Leute werden vor die Wahl gestellt: entweder nach Deutschland auszuwandern oder als Bürger zweiter Klasse in Italien zu bleiben. Trina entscheidet sich für ihr Dorf, ihr Zuhause. Als die Faschisten ihr verbieten, als Lehrerin tätig zu sein, unterrichtet sie heimlich. Und als ein Energiekonzern für einen Stausee Felder und Häuser überfluten will, leistet sie Widerstand – mit Leib und Seele.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.08.2020

Verlierer der Geschichte

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Für Tausende Touristen ist der zur Hälfte aus dem Reschensee ragende Kirchturm der alten Grauner Pfarrkirche St. Katharina in jedem Jahr Grund für einen Stopp und Motiv für ein spektakuläres Urlaubsfoto. ...

Für Tausende Touristen ist der zur Hälfte aus dem Reschensee ragende Kirchturm der alten Grauner Pfarrkirche St. Katharina in jedem Jahr Grund für einen Stopp und Motiv für ein spektakuläres Urlaubsfoto. Ein zufälliges Vorbeikommen im Sommer 2014 war für den italienischen Autor Marco Balzano Anlass, die Geschichte des Bergdorfs Graun, der Region Südtirol und des Staudamms am Dreiländereck Italien-Österreich-Schweiz zu studieren und alte Bewohner, Ingenieure und Historiker zu befragen. Beeindruckendes Ergebnis dieser Recherchen ist der Roman "Ich bleibe hier", 2018 zweitplaziert beim angesehensten italienischen Literaturpreis Premio Strega, mit einer fiktiven Familiengeschichte vor historischem Hintergrund.

Eine Ich-Erzählerin
Die Grauner Lehrerin und Bäuerin Trina Hauser erzählt ihre Lebensgeschichte, allerdings nicht uns Leserinnen und Lesern, sondern ihrer Tochter Marica, von deren Verschwinden man bereits auf den ersten Seiten des Romans erfährt. Für Trina und ihren Mann Erich bleibt die abwesende Tochter zeitlebens eine Wunde, die zwar irgendwann nicht mehr blutet, aber immer schmerzt. Wie der Kirchturm im See haben sie einen wichtigen Teil ihrer selbst verloren.

Dabei schien ihr Lebensweg, trotz der schwierigen Lage durch die italienische Annexion Südtirols nach dem Ersten Weltkrieg, zunächst vielversprechend. Trina, die immer an die Macht der Wörter glaubte, war nach der Reifeprüfung 1923 Lehrerin geworden, doch Mussolinis Politik, die die Südtiroler mit immer brutaleren Methoden zwangsitalienisieren sollte, setzte ihren Ambitionen ein jähes Ende. Nun wurden Lehrkräfte aus Süditalien geholt, die deutsche Sprache verboten, geografische Bezeichnungen und sogar Grabsteininschriften von den Faschisten italienisiert. Trina gehörte zu den Mutigen, die trotz größter Gefahren Deutschunterricht an geheimen Orten erteilte.

Faschisten und Nationalsozialisten
Der anfänglich große Zusammenhalt gegen die italienischen Zuwanderer endete im Oktober 1939 mit Hitlers Angebot einer Auswanderung ins nationalsozialistische Deutsche Reich. Die „Optanten“ verloren ihre Heimat, die „Dableiber“, unter ihnen Trina und Erich, ihre Sprache:

"Weil ich hier geboren bin, Trina. Mein Vater und meine Mutter sind hier geboren, du bist hier geboren, unsere Kinder sind hier geboren. Wenn wir weggehen, haben die anderen gewonnen.“ (S. 62)


1939 war das Jahr, als die Tochter verlorenging. Wenig später griff die Regierung in Rom das alte Staudammprojekt wieder auf, das die Existenz Grauns und seiner Umgebung bedrohte, und das erst mit dem deutschen Einmarsch unterbrochen wurde. Wieder galt es, zu wählen: kämpfen in der Wehrmacht oder sich als Deserteur in den Bergen verstecken?

Die Erleichterung über das Kriegsende wich mit der zügigen Wiederaufnahme der Bauarbeiten schnell der Ernüchterung, Widerstand blieb erfolglos. Im Sommer 1950 wurden die Häuser gesprengt und Graun überflutet. Wieder die Wahl zwischen Gehen und Bleiben und wieder die Entscheidung für die Heimat:

"Wärst du zurückgekehrt, hätte uns nicht einmal mehr der Gedanke an das Wasser, das uns überflutet, erschreckt. Mit dir hätten wir die Kraft gefunden, woandershin zu gehen. Neu anzufangen." (S. 266)

Was nicht in italienischen Geschichtsbüchern steht
Dass die Dörfler schließlich kaum Entschädigung erhielten, die versprochenen Neubauten sich jahrelang hinzogen und der Stausee sehr wenig Energie lieferte, weil Atomstrom aus Frankreich billiger war, sind beschämende historische Tatsachen. Marco Balzano hat mit seinem Roman dieses Geschehen dem Vergessen entrissen. Seine Protagonistin Trina lässt er auf so einfache, schmucklose, melancholische und ehrliche Weise erzählen, dass garantiert niemand unberührt bleibt.

Veröffentlicht am 22.07.2020

starkes Frauenportrait

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Trina wächst Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Tiroler Bergdorf auf. Die Tiroler sind unter sich, isoliert von Deutschland und Italien. Als der 2. Weltkrieg ausbricht, geraten ausgerechnet diese Menschen ...

Trina wächst Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Tiroler Bergdorf auf. Die Tiroler sind unter sich, isoliert von Deutschland und Italien. Als der 2. Weltkrieg ausbricht, geraten ausgerechnet diese Menschen in den Konflikt Europas und werden vor die Ebntscheidung gestellt: Für die Italiener bütteln oder sich den Nationalsozialisten anschließen. Dazu kommt, dass in dem Dorf ein Staudamm gebaut werden soll, der ihre Heimat überfluten würde. Trina und ihr Mann, beide sozialistisch eingestellt, entscheiden sich zu bleiben. Nachdem eine Freundin durch Trinas Zutun abgeführt wird und die gemeinsame Tochter mit Verwandten den Ort verlässt, flieht das Paar in die Berge und kämpft dort um ihr Überleben.
Das Buch ist in der Retroperspektive als Brief an die Tochter formuliert, die Trina nie wieder treffen wird. In der Wortwahl und der gesamten Lebensbeschreibung erfährt man viel über die innere Zerrissenheit Trinas und ihrem dennoch standhaften Willen und Selbstbewusstsein.
Alles in allem habe ich dieses Buch als starkes Frauenportrait und spannende Familiengeschichte gelesen, bei der man auch viel über die Historie von Südtirol erfährt.

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Veröffentlicht am 15.07.2020

Ein Blick in die Vergangenheit

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Die Geschichte spielt in Grau, einem kleinen Bergbauerndorf in Südtirol. Der Roman umspannt die 1920er Jahre bis in die 1950er Jahre hinein und handelt von Trina. Trina ist eine fiktive Figur des Autors ...

Die Geschichte spielt in Grau, einem kleinen Bergbauerndorf in Südtirol. Der Roman umspannt die 1920er Jahre bis in die 1950er Jahre hinein und handelt von Trina. Trina ist eine fiktive Figur des Autors Marco Balzano, aber das was sie erlebt, was im Dorf, um das Dorf herum und vor allem mit dem Dorf passiert, das ist aus dem Leben gegriffen.

Graun gehört nach dem Ende des 1. Weltkrieges zu Italien, die Bewohner erleben den Faschismus und den Nationalismus, in der Schule darf nicht mehr Deutsch gesprochen werden, sie erleben Repressalien, den 2. Weltkrieg und am Ende soll auch noch ein Stausee geboren werden. Der Autor hat sich an wahre Begebenheiten, die er durch bibliogrophische Werke und Zeitzeugenberichte zusammengetragen hat, orientiert und hat diesen durch die fikitve Figur Trina Leben und vor allem auch Emotionen eingehaucht.

Der Roman ist wie ein Lebensbericht, eine lange Rede oder ein langer Brief, den die Protagonistin an ihre Tochter richtet, in dem sie berichtet, was in ihrem Leben sich alles ereignet hat, was sie erlebt, erdulden und wo sie sich widersetzen konnte.

Trina ist eine ruhige Hauptperson, sie erinnert mich an bisschen an meine Großmütter, die aus dem selben Jahrzehnt stammen. Trina zeigt dennoch viele Gefühle, sie erlebt in ihrem Leben sehr viel dramatisches, aber sie hat auch Mut und vor allem einen Überlebenswillen, der sie durchhalten und vor allem auch aushalten lässt. Balzano ist es gelungen, dies hier in einem ruhigen Stil zu erzählen, ohne dass es zu melodramatisch oder überzogen wird. Es lässt diese Zeiten in diesem Buch wieder aufleben, so dass man sich hinein versetzt fühlt und man mitfühlen und mitleiden kann. Es ist eine harte Zeit, die dem Leser einiges zum Nachdenken gibt, gerad wenn man weiß, dass diese Zeit noch gar nicht allzu lange her ist.

Heute ragt der Kirchturm von Graun aus dem Reschensee und ist ein beliebtes Fotomotiv. Dieser Roman erzählt die Geschichte, die sich dahinter verbirgt und die nicht in Vergessenheit geraten sollte.

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Veröffentlicht am 12.07.2020

Was ist Heimat?

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Ein eigentümliches Bild, das der Blick auf den Reschensee bietet. Eine spiegelglatte Oberfläche, aus deren Mitte ein Kirchturm ragt. Was ist hier geschehen? Und was hat es mit den Menschen gemacht, denen ...

Ein eigentümliches Bild, das der Blick auf den Reschensee bietet. Eine spiegelglatte Oberfläche, aus deren Mitte ein Kirchturm ragt. Was ist hier geschehen? Und was hat es mit den Menschen gemacht, denen keine andere Wahl blieb, als ihre Heimat zu verlassen?

Diesen Fragen geht der mehrfach ausgezeichnete Autor Marco Balzano in seinem neuen Roman „Ich bleibe hier“ nach, in dem er aus Sicht von Trina, Lehrerin und Bäuerin, die damaligen Ereignisse rekapituliert und den Leser am Beispiel des Städtchens Graun mit der schmerzhaften Geschichte Südtirols vertraut macht. Italienisch oder Deutsch, Mussolini oder Hitler. Eine Region, die vor dem Zweiten Weltkrieg zum Spielball der Mächte wird.

Die Muttersprache ist ein zentrales Thema, das sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch zieht. Sie stiftet Identität, dient aber gleichzeitig auch als Kontrollmechanismus der Herrschenden und ist auch dafür verantwortlich, dass nach der Zwangsitalienisierung Südtirols unter Mussolini viele Grauner ein strammes Deutschtum entwickeln und empfänglich für Hitlers „Heim ins Reich-Ruf“ werden. Es sind nicht viel, die bleiben, die weder dem einen noch dem anderen trauen, sondern misstrauisch sowohl gegenüber dem Duce als auch dem Führer sind. Die an ihrer Heimat hängen, sich ihre Skepsis bewahren, diese aber dennoch verlassen müssen. Trotz aller Widerstände lassen die Italiener von dem Staudamm-Projekt nicht ab, siedeln die Übriggebliebenen um, die sie mit lächerlichen Ausgleichszahlungen für den Verlust ihrer Heimat entschädigt haben. Wie es endet, ist bekannt. Das Tal wird 1950 geflutet.

„Ich bleibe hier“ ist eine Geschichte des Untergangs. Sie klagt nicht an, aber rüttelt auf, denn Balzano gibt in diesem dicht erzählten Roman den Vertriebenen eine Stimme. Er taucht in seine Figuren ein, schildert deren Gefühlswelt ohne überflüssige Sentimentalität und beeindruckt mit seiner klaren Sprache gerade deshalb den Leser. Jedenfalls werde ich beim nächsten Urlaub in Südtirol die zweisprachigen Hinweisschilder mit anderen Augen sehen.

Veröffentlicht am 05.07.2020

Sehr intensiv

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Das Zitat von Aemando Besio hinten unter dem Klappentext beschreibt das Buch eigentlich schon komplett: "Marco Balzano verbindet historische Genauigkeit mit Emotionen".

Das Buch beginnt schon sehr intensiv, ...

Das Zitat von Aemando Besio hinten unter dem Klappentext beschreibt das Buch eigentlich schon komplett: "Marco Balzano verbindet historische Genauigkeit mit Emotionen".

Das Buch beginnt schon sehr intensiv, indem Trina in der zweiten Person über ihre Tochter schreibt. Einerseits distanziert und emotionslos und gleichzeitig hochemotional. Und in dieser Art, eigentlich einer absurden Mischung, geht das Buch weiter.
Die Zeit in der das Buch spielt reicht vom Ersten Weltkrieg bis zur Machtergreifung Mussolinis. (Eine Zeit die mich als Geschichtsstudentin natürlich sehr interessiert ;) )
Auch wenn unsere Geschichte natürlich fiktiv ist, fand ich sie sehr autentisch geschildert und könnte historisch so stadt finden (soweit ich das beurteilen kann).
Der Schreibstil von Balzano ist sehr angenehm zu lesen und wie bereits gennant schwingt er zwischen Nüchternheit und Hochemotionalität.

Insgesamt wirklich ein sehr gutes Buch, was mir sicher lange Zeit im Gedächtinis bleiben wird.