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Veröffentlicht am 09.06.2023

Freude am Lesen und Lernen

Wieso? Weshalb? Warum? Erstleser, Band 11: Detektive und Ermittler
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Nachdem mein Sohn als Kindergartenkind (und auch heute noch) die „Wieso? Weshalb? Warum?“ Klappenbücher für Kinder von 4 - 7 Jahren verschlungen hat, ist er nun begeisterter Leser der Erstleserreihe. Inzwischen ...

Nachdem mein Sohn als Kindergartenkind (und auch heute noch) die „Wieso? Weshalb? Warum?“ Klappenbücher für Kinder von 4 - 7 Jahren verschlungen hat, ist er nun begeisterter Leser der Erstleserreihe. Inzwischen ist er seit etwa einem Jahr in der Schule und kann sich alleine mit einem Buch aus dieser Reihe befassen. Die meisten Worte kann er selbstständig erlesen. Bei diesem sehr spezifischen Thema hatte er allerdings an den fremdsprachigen Lehnworten und Namen sehr zu raten. Er konnte sich das Buch also nicht hundertprozentig allein erarbeiten. Das ist nicht weiter schlimm und bei einem Fachthema auch nicht anders möglich, bremst aber manch motivierten Leseanfänger etwas in seiner Euphorie.
Erschwerend kommt hinzu, dass auch in den Rätseln diese Worte vorkommen. So sind die Rätsel sprachlich sehr niveauvoll, können aber für Frust beim ‚Ich-kann-das-jetzt-selbst“-Leseanfänger auslösen.

Inhaltlich sind wir auch in diesem Sachbuch wieder voll auf unsere Kosten gekommen. Es gibt viele spannende Fakten zu lernen; der Arbeitsalltag und das Anforderungsprofil eines Detektivs werden dargestellt, psychologische Tricks verraten und berühmte Detektive und Detektivgeschichten vorgestellt.

Wir sind begeistert von der „Wieso? Weshalb? Warum?“ - Erstleserreihe. Die Kinder werden auf ihrem Entwicklungsstand abgeholt, aber auch herausgefordert. Sie können sich ein Sachthema selbst erarbeiten. Dieses Buch macht einfach Freude: Freude am Lesen und Lernen.

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Veröffentlicht am 17.05.2023

Herausragende Kurzgeschichten

Böses Glück
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„Welche Bedeutung hat ein Mensch überhaupt für den anderen, abgesehen davon, dass der eine den anderen zum Handeln zwingt?“

Kleine, ganz alltägliche Begebenheiten Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts in ...

„Welche Bedeutung hat ein Mensch überhaupt für den anderen, abgesehen davon, dass der eine den anderen zum Handeln zwingt?“

Kleine, ganz alltägliche Begebenheiten Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts in Dänemark. Eigentlich könnten die Geschichten aber auch in einer anderen Zeit spielen, denn an Aktualität haben sie kein bisschen eingebüßt. Zumeist geht es vor allem um die (Familien-) Beziehungen der Protagonistinnen und um ihr Innenleben.

Die Geschichten sind in sehr klarerer, ungeschmückter Sprache geschrieben, kommen fast leicht daher. Und doch spürt man bereits beim ersten Satz, dass wir es hier nicht mit der Leichtigkeit des Seins zu tun bekommen. Im Gegenteil, die Protagonistinnen stolpern über Sätze, Blicke, Betonungen... scheinbare Kleinigkeiten, die andere (meist Männer) gar nicht wahrzunehmen scheinen. Und plötzlich muss alles in Frage gestellt werden.

Mir läuft es eiskalt den Rücken runter bei diesen Kurzgeschichten. Sie sind unversöhnlich und irgendwie auch trostlos. Voller Resignation.

Tove Ditlevsen - der Name war mir bisher noch nicht aufgefallen. Und jetzt frage ich mich, wieso ich nicht viel früher auf diese Autorin aufmerksam geworden bin!

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Veröffentlicht am 19.04.2023

Bis der Tod uns scheidet

Das Ende der Ehe
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„Mit dem »Ende der Ehe« fordere ich das Ende einer obsoleten Institution, die die Ungleichheit und Unterdrückung der Frauen in unserer Gesellschaft produziert und aufrechterhält.“ (4%)

Frau und Mann ...


„Mit dem »Ende der Ehe« fordere ich das Ende einer obsoleten Institution, die die Ungleichheit und Unterdrückung der Frauen in unserer Gesellschaft produziert und aufrechterhält.“ (4%)

Frau und Mann verlieben sich und wollen ein gemeinsames Leben aufbauen. Die nächsten Schritte: Kinder bekommen, Haus bauen und selbstverständlich heiraten. Die Kleinfamilie ist das typische Lebensmodel in unserer Gesellschaft, inklusive aller Stereotype, die es enthält. Es handelt sich um ein heterosexuelles Zweiergespann, ein Kinderwunsch ist da, der Sex folgt dem von Hollywood und anderen Geschichten geprägten Bild, die finanzielle Versorgung und die Heimarbeit werden „klassisch“ geteilt und so weiter und so fort…
Doch warum ist ausgerechnet dieses so intime Lebensthema scheinbar so normiert? Und warum wird es durch die Möglichkeit der Eheschließung staatlich gefördert? Warum greift überhaupt der Staat in eine so private Entscheidung ein?

Emilia Roig analysiert und zerlegt die Institution Ehe. Sie zeigt auf, dass darin ein wichtiges und diskriminierendes Machtmittel des Patriarchats steckt. Ein Instrument, das seit Jahren das ungleiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern Frau und Mann fördert und aufrechterhält - und alle anderen Geschlechter, Identitäten und Beziehungen erst gar nicht mitdenkt.

Dieses Buch hallt sehr nach. Roigs Argumente sind sehr zugespitzt formuliert; vieles, das uns so „normal und selbstverständlich“ scheint, analysiert sie messerscharf als diskriminierendes, unterdrückendes Mittel des Patriarchats. Und das tut weh. Denn man fühlt sich dann entlarvt und vorgeführt. Wie naiv bin ich eigentlich, dass ich da mitspiele und mir das alles noch als Romantik verkläre?

Trotzdem sind es keine persönlichen Angriffe auf die individuellen Entscheidungen der Menschen. Sie analysiert das große Ganze, die gesellschaftlichen Zusammenhänge.

Die klaren Worte, die die Autorin findet, sind also nicht nur schmerzhaft, sondern auch sehr wichtig. Denn wenn wir unsere Gesellschaft gerechter machen wollen, müssen wir uns ihre Missstände vor Augen halten. Nur dann können wir sie erkennen und ändern.

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Veröffentlicht am 05.03.2023

Über das Ungesagte

Wir hätten uns alles gesagt
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„Jede Entscheidung für eine Geschichte schlägt unzählige andere Geschichten aus. Ein Wort vernichtet ein anderes Wort. Schreiben heißt auslöschen.“ (7%)

In ihrem aktuellen Buch nähert sich Judith Hermann ...

„Jede Entscheidung für eine Geschichte schlägt unzählige andere Geschichten aus. Ein Wort vernichtet ein anderes Wort. Schreiben heißt auslöschen.“ (7%)

In ihrem aktuellen Buch nähert sich Judith Hermann scheinbar autobiografisch ihren bisherigen Geschichten. Was dabei entsteht ist eine sehr besondere neue Geschichte.
Wer Judith Hermanns Werk kennt, weiß, dass sie vieles in ihren Geschichten ungesagt lässt: Sie lösen in uns Lesern Bezüge und Emotionen aus und wir bleiben frei darin, sie zu interpretieren.

„Wir hätten und alles gesagt“ setzt eine Ebene höher an. Wir scheinen uns über allem bisher von Hermann Geschriebenem zu befinden und sie verrät uns ein wenig über den Schreibprozess und die Hintergründe zu ihren Geschichten. Aber tut sie das wirklich? Am Ende dieses Buches war ich mir da nicht mehr so sicher. Denn auf der einen Seite scheint „Wir hätten uns alles gesagt“ zu analysieren und Persönliches aus dem Leben der Autorin preiszugeben; auf der anderen Seite ist es wieder ein typischer Hermann-Roman. Alles bleibt in der Schwebe.

Und auch in diesem Buch geht es wieder um zwischenmenschliche Beziehungen, die so vielfältig und manchmal schwierig sein können. Es geht um ungewöhnliche Freundschaften, die familiäre Herkunft und um Wahlverwandschaften.

„Wie hätten uns alles gesagt“ hat mich unheimlich tief berührt und angesprochen. Für mich ist dieses Spiel mit dem Ungesagten, das Judith Hermann so meisterlich beherrscht, tiefgründig und aufregend. Und so sehr mich ihre Kurzgeschichten beeindrucken - Hermanns Romane (und dieses Buch zähle ich dazu) sind für mich noch bedeutender.

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Veröffentlicht am 14.01.2023

Vom Ende einer Zeit irgendwo in Norddeutschland

Zur See
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„Auf allen Inseln gibt es einen, der die Sagen kennt. Die alten und die neuen Mythen. All die wahren, halbwegs wahren, frei erfundenen Geschichten über diese See, die Menschen, ihre Schiffe, ihre Angst. ...

„Auf allen Inseln gibt es einen, der die Sagen kennt. Die alten und die neuen Mythen. All die wahren, halbwegs wahren, frei erfundenen Geschichten über diese See, die Menschen, ihre Schiffe, ihre Angst. Er muss sie weitersagen, ob er möchte oder nicht, denn die Geschichten suchen den Erzähler aus. Nicht umgekehrt. Auf dieser Insel ist es Rykmer Sander, der die Sagen kennt.“ (4%)

Rykmer und seine jüngeren Geschwister Eske und Henrik sind bereits auf dieser Nordseeinsel geboren, von der wir nicht genau erfahren, welche es ist oder ob es sich um eine fiktive Insel handelt. Sie sind inzwischen erwachsen und führen ihre eigenen Leben. Aber - auf dieser Insel. Sie sind nicht weggezogen. Jeder von ihnen repräsentiert eine Urtümlichkeit des Insellebens. Rykmer, der bereits zur See gefahren ist und all die Geschichten über die See kennt. Eske, die sich für „die Inselsprache“, den Dialekt, der langsam in Vergessenheit gerät, begeistert und die alten Insulaner pflegt und sie oftmals inklusive der alten Geschichten und Sprache zu Grabe tragen muss. Und Henrik, der Jüngste, der eine tiefe Verbundenheit zum Meer und zur Natur empfindet, eins mit ihr zu sein scheint.

Ihre Eltern Hanne und Jens haben sich seit einigen Jahren auseinander gelebt. Sind den Anforderungen an die typischen Insulanerrollen nicht ganz gerecht geworden. Eine feste Verbundenheit bleibt. Es wird über dieses Auseinanderdriften nie gesprochen. Genauso kommentarlos nähert man sich nach Jahren wieder an. Nix gewesen.

Derlei Beziehungsgeflechte gibt es viele in Dörte Hansens drittem Roman. Die Geschichten der Figuren sind eng verwoben mit der Geschichte der Insel, die auf ein Ende zuzugehen scheint.

So schließt Hansens dritter Roman thematisch an die beiden Vorgänger an: Auch darin wird das Ende einer Zeit beschrieben. Das Ende einer Zeit irgendwo in Norddeutschland.
„Zur See“ hat mich noch ein wenig mehr aufgewühlt als die beiden Vorgängerromane. Dabei halte ich alle ihrer Bücher für absolut herausragend. Man findet immer Figuren (oder zumindest Teile von ihnen), mit denen man sich identifizieren kann. Sieht sich in einer ähnlichen Beziehung und begreift plötzlich viel mehr darüber.
Die zwischenmenschlichen Beziehungen scheinen gleichzeitig besonders und alltäglich. Sie werden akzeptiert und fast schon liebevoll betrachtet in ihrer Einzigartigkeit und Kauzigkeit.

Als Norddeutsche fühlt man sich vermutlich noch mehr angesprochen von diesen Geschichten. Die Schroffheit der Personen und der Natur; der Wandel hin zu einer globalisierten Welt, der auch entlegenen Regionen Norddeutschlands allmählich die jahrhundertealten Eigenheiten nimmt.

„Zur See“ werde ich noch viele Male verschenken. Eine wunderbare Geschichte!

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