Profilbild von kalligraphin

kalligraphin

Lesejury Profi
offline

kalligraphin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit kalligraphin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.09.2021

Hirschpark

Die letzte Tochter von Versailles
0

„Wer sind Sie?“
„Veronique Roux.“
„Wer ist der Vater Ihres Kindes?“
„Der König von Frankreich.“

Veronique ist dreizehn Jahre jung, als sie einem königlichen Kundschafter durch ihre Schönheit auffällt ...

„Wer sind Sie?“
„Veronique Roux.“
„Wer ist der Vater Ihres Kindes?“
„Der König von Frankreich.“

Veronique ist dreizehn Jahre jung, als sie einem königlichen Kundschafter durch ihre Schönheit auffällt und mit in den „Hirschpark“ genommen wird. Sie selbst weiß nicht recht, welches Schicksal ihr blüht und welche Aufgabe sie hier erfüllen soll. Sie weiß nur, dass ihre lieblose Mutter sich von diesem Arrangement mit dem Königshaus eine finanzielle Unterstützung erhofft, die die verarmte Familie dringend nötig hat.

Wie sich herausstellt, ist der Hirschpark eine Art Privatbordell von Louis XV, in dem seine Mätresse Madame de Pompadour und der königliche Diener junge Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen unterbringen, um sie für den König hübsch, sauber und gefällig zu machen.

Veroniques Zeit in der Gunst des Königs vergeht, als sie schwanger wird. Man nimmt ihr das kleine Mädchen, das sie zur Welt bringt, weg. Für Veronique und auch für ihr Kind sind bereits Arrangements getroffen worden, in denen beide verhältnismäßig gut über die Runden kommen können.

Wer bereits Romane von Eva Stachniak kennt, weiß, dass man sie kaum noch aus der Hand legen kann. Die Autorin versteht es, Geschichte lebendig und erlebbar zu machen.
„The Deer Park“ - wie der Roman im Original viel treffender heißt - hat mir von all ihren Büchern sogar am besten gefallen. Wieder spielt die Autorin mit Perspektivwechseln und macht es so möglich, dass man als Leser die Geschichte aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln wahrnimmt. Vom armen Mädchen, über den Diener des Königs bis hin zum König selbst.

Auch der Bruch in der Geschichte wird in diesem Roman eindringlich spürbar.
Während Louis XV der letzte regierende König im Ancien Régime ist, scheint er politische und gesellschaftliche Veränderungen kaum wahrzunehmen, sondern nur zutiefst gelangweilt und von seinen höfisch-repräsentativen Pflichten „gestresst“ zu sein.

Sein Thronfolger und Enkel Louis XVI und seine Frau Marie-Antoinette regieren in einer ganz anderen Zeit; die Französische Revolution naht. Ihn lernen wir schon als Kind kennen, wenn der zweite Teil des Romans beginnt und Marie-Louises Geschichte erzählt wird. Marie-Louise ist Veroniques Tochter und ihre Geschichte wird eine ganz andere sein.

Kaum eine Autorin versteht sich so gut darauf, die unterschiedlichsten historischen Begebenheiten und Themen zu verknüpfen und dabei gleichzeitig psychologisch spannende Romanfiguren zu schaffen.

„Die letzte Tochter von Versailles“ ist ein herausragendes Buch. Spannend und intelligent werden hier Teile der Geschichte aufgedeckt, über die man sonst kaum liest.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.09.2021

Über die Kindheit mit einer alkoholkranken Mutter

Shuggie Bain
0

Durch die Spanplatte konnte er dem glockenkurvenartigen Absturz ihrer Laune lauschen. Er fragte sich, wie lange es noch dauerte, bis sie wegdämmerte und er sich ausruhen konnte. (353)

Glasgow in den 80er ...

Durch die Spanplatte konnte er dem glockenkurvenartigen Absturz ihrer Laune lauschen. Er fragte sich, wie lange es noch dauerte, bis sie wegdämmerte und er sich ausruhen konnte. (353)

Glasgow in den 80er Jahren - hier lebt der kleine Shuggie mit seiner Mutter Agnes und seinen Geschwistern. Die Familie ist arm, der Vater gewalttätig, die Mutter alkoholabhängig. Doch der kleine Shuggie liebt seine Mama über alles und beschließt, immer für sie da zu sein. Während Agnes’ Alkoholsucht immer mehr Raum einnimmt, bis sie alles und jeden erstickt, muss Shuggie auch noch mit seinen eigenen Problemen fertig werden. Denn er wird von den anderen gehänselt und hat in der Umgebung keine Möglichkeit seine Persönlichkeit zu entfalten.

So grausam und elend die Welt sich hier auch darstellt - „Shuggie Bain“ ist ein wundervolles und sehr zartes Buch über die Liebe eines Sohnes zu seiner suchtkranken Mutter. Unter diesen Umständen muss der kleine Shuggie viel zu früh erwachsen werden und Verantwortung übernehmen.

Douglas Stuart schafft es durch Perspektivwechsel, die dennoch alle dem Blick der Hauptfigur untergeordnet sind, uns Shuggies Leben und seinen Kampf gegen den Alkoholismus zu erzählen. Shuggies eigene Wünsche und Probleme verlieren sich vollkommen.

Armut, Elend, Gewalt und die Suchterkrankung werden in diesem Roman sehr intelligent analysiert. Und nicht zuletzt ist die Mutter-Kind-Beziehung, die durch diese Umstände in Schieflage gerät, herausragend dargestellt.

Am Ende muss auch Shuggie erkennen, dass er seiner Mutter nicht helfen kann. Und dass es Zeit für ihn wird sich zu lösen und sein eigenes Leben zu leben.

Sie wird nicht wieder gesund. Wenn die Zeit reif ist, musst du gehen. Das einzige, was du tun kannst, ist dich selbst zu retten. (410)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.08.2021

Die gesellschaftliche Polarisierung als Geschäftsmodell

Ohne Rücksicht auf Verluste
0

„Man muss nur genau hinschauen, dann ist deutlich zu erkennen, mit welchen Strategien sie Ängste schürt, wie sie Ausländerfeinden permanent in die Karten spielt. Wie sie gezielt demokratische Institutionen ...

„Man muss nur genau hinschauen, dann ist deutlich zu erkennen, mit welchen Strategien sie Ängste schürt, wie sie Ausländerfeinden permanent in die Karten spielt. Wie sie gezielt demokratische Institutionen torpediert. Wie sie Rechtspopulisten in den Bundestag verholfen hat. Wie sie den Ruf unschuldiger Menschen zerstört. Wie sie die Akzeptanz von Politik, Staat und Justiz gefährdet. Wie sie Feindbilder füttert, gesellschaftliche Debatten vergiftet und geistige Brände legt. Wie sie die schwersten Momente im Leben vieler Menschen noch schwerer macht.“ (2%)

Die „Bild“-Zeitung ist nach über 70 Jahren immer noch ein - gefährlicher und deshalb absolut ernstzunehmender - Meinungsmacher. Besonders heute, da sich die Gesellschaft zunehmend spaltet und unsere Demokratie dadurch gefährdet ist, sind „Bild“-Schlagzeilen oftmals wie Zündstoff in der gesellschaftlichen Diskussion.

Wie umfassend das Problem ist und wie unangenehm die Schlagzeilen und Machenschaften dieses Boulevard-Blättchens wirklich sind, das ist mir erst nach der Lektüre dieses Buches klar geworden. Denn die „Bild“-Zeitung mischt nicht nur ein bisschen mit. Sie bedient und verstärkt Klischees, stachelt zu Hass und Feindschaften an und zerstört Leben.

Dieses Buch zu lesen war anstrengend und aufrüttelnd. Es hat mir den Schlaf geraubt.
Denn die Autoren haben es so aufgebaut, dass sie die Original-Schlagzeilen und -Worte der „Bild“ zusammenfassen. Teils in all ihrer Widersprüchlichkeit.

Die ganze Panikmache, der Hass und die Häme werden so mehr als deutlich deutlich. Und auch die (mehr oder weniger) subtile Manipulation der Leser wird entlarvt, die häufig sogar in direkten Aufrufen zum Mitmachen gipfelt.

Darüber hinaus werden Hinter- und Beweggründe beleuchtet. Und wie „Bild“ unsere Geschichte beeinflusst und gelenkt hat.

„Ohne Rücksicht auf Verluste“ ist keine einfache Lektüre. Das alles ist wirklich heftig.

Ich bin den Autoren für ihre Aufklärungsarbeit aber dankbar (auch auf ihrem bildblog.de) und kann dieses wichtige Buch sehr empfehlen. Es trägt dazu bei, die Probleme unserer Gesellschaft zu verstehen.

„Die zunehmende Politisierung bei Bild folgt auch aus der zunehmenden Politisierung der Gesellschaft. Der Chefredakteur erkennt darin offenbar eine wirtschaftliche Chance für die Bild-Medien, die zusehen müssen, wie sie sich trotz einbrechender Auflage finanzieren können. Die gesellschaftliche Polarisierung als Geschäftsmodell.“ (9%)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.08.2021

Gesellschaft und Politik

Von hier an anders
0

„Die politische Aufgabe unserer Zeit besteht nach meiner Überzeugung nicht darin, eine Revolution anzuzetteln, mit dem Vorschlaghammer alles zu zerschlagen und neu aufzubauen, sondern die Fundamente des ...

„Die politische Aufgabe unserer Zeit besteht nach meiner Überzeugung nicht darin, eine Revolution anzuzetteln, mit dem Vorschlaghammer alles zu zerschlagen und neu aufzubauen, sondern die Fundamente des Vertrauens zu erneuern. Eine Politik zu entwerfen, die durch Veränderung neuen Halt und neues Vertrauen gibt, die die Widersprüche aushält und kleiner macht – im Wissen, das man nie fertig sein wird und sich immer wieder selbst hinterfragen muss.“ (94%)

Wir stehen vor dem größten Problem unserer Zeit - ja, vielleicht vor dem größten Problem aller Menschheitszeiten: Die Klimakrise holt uns ein. Wir müssen jetzt handeln.

Doch nicht nur das. Auch unsere Demokratie steht gerade auf wackeligen Beinen. Die Gesellschaft spaltet sich zunehmend. Rechtspopulisten nutzen die Unsicherheiten und Ängste der Menschen aus, um die Spaltung der Gesellschaft noch weiter voran zu treiben.

Bevor wir gemeinsam ein großes Problem wie die Klimakrise angehen, die vor allem auch seitens der Politiker endlich Handlungen fordert, gilt es also unsere gesellschaftliche Situation und die Lage unserer Demokratie zu analysieren.

Genau das tut Robert Habeck in seinem aktuellen Buch.

Ich muss zugeben, dass es mir etwas schwer fällt, das Buch eines Politikers zu rezensieren. Bin ich naiv und politisch verblendet, wenn ich schreibe, dass mir „Von hier an anders“ ausnehmend gut gefallen hat? Denn das hat es.

Habecks Analyse unserer Gesellschaft, sein Verständnis von Demokratie und seine Ideen für eine Politik, die Bürger aus ihrer Politikverdrossenheit oder -lethargie holen kann - all das fand ich überzeugend und Hoffnung machend.

Damit ist dieses Buch für mich ein sehr empfehlenswertes Sachbuch. Ein Plädoyer für eine Gesellschaft, die so tolerant ist, dass sie am Pluralismus nicht zerbrechen muss. Eine Gesellschaft, die von Verständnis und Unterstützung geprägt ist.

Wir könnten mehr Politiker wie Robert Habeck brauchen, die es schaffen, den Gesamtkontext zu erkennen und die Menschen zu sehen, die sie als Vertreter ihrer Interessen gewählt haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.08.2021

Moderne Politik - jetzt

Jetzt
1

„Regieren heißt nicht Allwissen, Opposition heißt nicht aus Prinzip dagegen. Ich will zuhören und einbeziehen, damit unsere Politik eine bessere wird.“ (92%)

Die Klimakrise, eine zunehmend gespaltene ...

„Regieren heißt nicht Allwissen, Opposition heißt nicht aus Prinzip dagegen. Ich will zuhören und einbeziehen, damit unsere Politik eine bessere wird.“ (92%)

Die Klimakrise, eine zunehmend gespaltene Gesellschaft, ein schwächelndes Europa… Es gibt viel zu tun für die Politiker unserer Zeit. Diese Themen drängen. Sie müssen JETZT angegangen werden. Die kommende Bundestagswahl ist eine entscheidende Wahl. Sie ist Klimawahl. Denn gerade dieses Thema verträgt keinen Aufschub mehr.

Auch Annalena Baerbock nimmt sich in ihrem Buch die großen politischen Themen unserer Zeit vor, richtet ihren Fokus dabei aber sehr persönlich aus.

Sie schreibt viel über Außenpolitik und Flüchtlingspolitik, aber auch über Kinderarmut, Kinderrechte und über Gleichberechtigung. Sie beschreibt dabei ihren eigenen Werdegang, bindet viele persönliche Erlebnisse ein und auch einige Beispiele aus jüngerer Vergangenheit.

Ein Erlebnis, das sie erwähnt und das mich sehr beeindruckt hat: Annalena Baerbock sprach mit Jesidinnen im Camp Karbato 2 und konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, als sie die schrecklichen Geschichten der Frauen dort hörte. Im Anschluss an das Gespräch wurde ihr die Frage gestellt: »Können Sie sich wirklich vorstellen, Außenpolitik zu machen, wenn Ihnen in so einem Moment die Tränen kommen?« (20%)

Insgesamt liest sich das Buch sehr sympathisch und wertestark. Wenn man sich der Kanzlerkandidatin der Grünen nähern will und sich für ihre recht beeindruckende Karriere interessiert, ist dieses Buch empfehlenswert. Auch die Ideen aus der Wahlprogrammatik der Grünen werden in ihrem Buch gut dargestellt.

„Die Grundlagen werden nicht 2040 oder 2050 gelegt. Kritisch ist das Jahrzehnt, in dem wir uns schon befinden: die 2020er-Jahre. Jetzt. Es braucht jetzt den Anstoß durch die Politik, um die nötigen technologischen Innovationen für den Klimaschutz anzuschieben.“ (31%)


Mehr zum Thema kann man erfahren, wenn man in die Suchmaschinen „Kipppunkte Klima“ eingibt. Wenn wir weiter machen wie bisher und die Temperatur weiter steigt, werden in den nächsten Jahren Kipppunkte überschritten, die unumkehrbar sind und dramatische Folgen für unser Leben haben werden.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere