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Veröffentlicht am 17.03.2017

Trauerarbeit in Buchform

Titos Brille
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Nachdem ich "Doitscha" gelesen habe, hatte ich an "Titos Brille" von Adriana Altaras grosse Erwartungen. Leider hat mir das Buch nicht so gut wie "Doitscha" unterhalten - es ist dies Trauerarbeit in Buchform. ...

Nachdem ich "Doitscha" gelesen habe, hatte ich an "Titos Brille" von Adriana Altaras grosse Erwartungen. Leider hat mir das Buch nicht so gut wie "Doitscha" unterhalten - es ist dies Trauerarbeit in Buchform. Da gehören melancholische Töne und auch Wut dazu, und obwohl es auch witzige Abschnitte gab, war mir der Ton in "T.B." insgesamt zu nörgelig.
Altaras erzaehlt die interessante Geschichte ihrer Ahnen. Nach dem Tod beider Eltern macht sich das Einzelkind an die Wohnungsauflösung in Giessen. Der Vater Arzt, die Mutter Architektin, Widerstandskämper aus dem titoistischen Jugoslawien, verlassen aus Angst vor "Säuberungen" (obwohl es auch Juden in hohen Ämtern gab) das Land, um sich in der eigentlichen Heimat, Deutschland , niederzulassen. Die Mutter kämpft jahrelang für die Einbürgerung. Die Altaras bauen die jüdische Gemeinde in Giessen wieder auf und fallen in Ungnade, nachdem sie Korruption anprangern. Beim Ausmisten der Wohnung stösst Adriana auf Geliebte des Vaters, vielleicht hat sie einen Halbbruder ? Diese Spur verfolgt sie aber nicht weiter. Schade, es hätte mich interessiert...

Fazit: Kein schlechtes Buch, es ist witzig, aber auch gallig und bitter. "Doitscha" gefiel mir besser.

"Titos Brille" erhaelt von mir 3,5 von 5 möglichen Sternen.

Veröffentlicht am 17.03.2017

Lesenswert!

Doitscha
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Adriana Altaras erzaehlt aus dem Alltag ihrer deutsch-jüdischen Familie, von ihrem pubertierenden Sohn und von ihren Freunden. Das Ganze ist gekennzeichnet durch wechselnde Erzählperspektiven, wobei ich ...

Adriana Altaras erzaehlt aus dem Alltag ihrer deutsch-jüdischen Familie, von ihrem pubertierenden Sohn und von ihren Freunden. Das Ganze ist gekennzeichnet durch wechselnde Erzählperspektiven, wobei ich die Erzaehlperspektive ihres ältesten Freundes Aron (auch die jenseitige) sehr anrührend fand. Ihr Mann Georg, "Westfale, Katholik, Doitscha" ist zugleich Fels in der Brandung, Ruhepol und Angriffsziel des Sohnes.
Der Erzählton ist witzig, geistreich und bissig, und ich habe so Manches gelernt - etwa, das J. Gaucks Eltern Mitglieder der NSDAP gewesen waren (wtf). Herrlich amüsiert habe ich mich auch über die Israelreise der Familie Altaras, die einen zackigen israelischen Soldaten heimlich "mein Führer" nennt
Altaras, eine Schauspielerin und Regisseurin, erzählt anschaulich und mitreissend. Das erste Kapitel fand ich noch dröge. Aber der Roman fesselte mich mit jeder Seite mehr, sodass ich traurig war, als er schliesslich ausgelesen war.

Fazit: Diese Lektüre ist ganz klar 5 Sterne wert!

Veröffentlicht am 17.03.2017

Intensives Leseerlebnis

Blauschmuck
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Ein so exzellentes Buch wie "Blauschmuck" (was für ein schlimmer Euphemismus! ) habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Sprachlich und stilistisch ist es einfach wunderschön.


Dabei steht die poetische ...

Ein so exzellentes Buch wie "Blauschmuck" (was für ein schlimmer Euphemismus! ) habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Sprachlich und stilistisch ist es einfach wunderschön.


Dabei steht die poetische Sprache jedoch im krassen Gegensatz zum grausamen Inhalt oder verstärkt diesen (..."Schlag. Um Schlag. Um Schlag." ). Nachdem ich mit der Lektüre begonnen hatte, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen, ich hatte es in weniger als einer Woche ausgelesen, da die Worte eine unheimliche Sogwirkung entfalten.

Erzählt wird hier die Lebensgeschichte von Filiz, einem Mädchen, das in einem türkischen Kurdendorf in einer archaischen Gesellschaft aufwächst. Schon sehr früh bestimmen patriarchale Strukturen ihr junges Leben, und der Begriff der "Ehre" hängt wie ein Damoklesschwert über allen Lebensbereichen. "Die Ehre wächst mir über den Kopf," sagt Filiz an einer Stelle. Außerdem soll sie immer auf ihre "Jungfrau", auf das Hymen, achten. Geprügelte Frauen und Kinder tragen "Blauschmuck".

Das Mädchen ist klug und begabt & so schlau, dass der Dorfschullehrer ihr eine Ausbildung in der Stadt finanzieren möchte und dafür eigens beim Vater vorspricht. Doch dies geht gegen des Vaters Ehre; er möchte nicht als mittellos gelten. Damit des Vaters Ansehen gewahrt wird, bleibt Filiz die weiterführende Schule verwehrt. Doch ihre Probleme beginnen erst richtig, als Yunus in ihr Leben tritt. Er erhebt Anspruch auf Filiz, die sich in ihrer kindlichen Naivität sofort in den grünäugigen Jungen verliebt. Als Filiz' Vater einer Verbindung nicht zustimmt, reißt das Paar aus. Yunus verspricht dem noch sehr jungen Mädchen ein Leben im Westen, blue Jeans. Doch zunächst erwartet sie ein Leben bei der tyrannischen Schwiegermutter. Emotionale und physische Mißhandlung durch den Nichtsnutz Yunus, der sich als Arschloch und Pascha entpuppt. Das Paar lässt sich in Österreich und Deutschland nieder und hat drei Kinder, und da kein Geld da ist, ist die Frau nicht über jedes glücklich. Der eifersüchtige und sadistische Yunus zwingt Filiz unter die Burka und verbietet ihr das Lachen, da ihr Mund "sein" sei und an "Schamlippen" erinnere. Er erniedrigt, prügelt und vergewaltigt die Frau brutal. Schafft sich eine Geliebte an, will Filiz als Putzfrau und Sklavin behalten. Während sie und die Kinder ärmlich gekleidet sind, schwelgt Yunus im Luxus. Filiz arbeitet als Putzfrau, spart für das Landschulheim der Kinder, heimlich. Immer ist es das deutsche und österreichische Umfeld, das der Frau hilft und sie integriert, am Ende rettet es sogar ihr Leben...

"Blauschmuck" ist ein unheimlich wichtiges Buch, gerade in der heutigen Zeit mit den demographischen Veränderungen. Winkler kommentiert nicht, sondern lässt den Text sprechen, nur an einer Stelle gibt es einen Terminus, der die Gesamtkomposition stört. Man darf natürlich nicht vom Fall der Protagonistin Filiz auf eine ganze Ethnie schließen. Aber es darf auch nicht verschwiegen werden, welches Unheil archaische und patriarchale Strukturen anrichten können. Eine verschleierte Frau sollte man nicht per se verachten, denn womöglich trägt sie ihn, so wie Filiz, absolut unfreiwillig.


Wer noch keine Feministin ist, wird es spätestens nach der Lektüre. Winkler ist völlig zu Recht bei Suhrkamp! Ein unglaublich gutes Debut.

Veröffentlicht am 17.03.2017

Klasse Krimi

Blaue Nacht
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Chastity Riley, Staatsanwältin in Hamburg, darf in einem Kellerbüro ihr Dasein fristen, nachdem sie einen Vorgesetzten der Korruption überführt hatte. Wie sie so schön sagt, sind interne Ermittlungen und ...

Chastity Riley, Staatsanwältin in Hamburg, darf in einem Kellerbüro ihr Dasein fristen, nachdem sie einen Vorgesetzten der Korruption überführt hatte. Wie sie so schön sagt, sind interne Ermittlungen und das Beissen der fütternden Hand nicht gerade förderlich für die Karriere. :) Offiziell ist sie nun also "Opferschutzbeauftragte". In Ausübung dieser Funktion trifft sie den geheimnisvollen Joe, der halbtot und ohne rechten Zeigefinger im Krankenhaus liegt. Und langsam kommt Riley einer ganz großen Sache auf die Spur - Drogenhandel. organisierte Kriminalität, Korruption. Mit von der Partie sind Rileys Freunde und Kollegen. Etwa "der Faller", ein Bulle, der mitten in der Midlifecrisis steckt und von seiner Frau zur Fremdgehverhütung einen amerikanischen Straßenkreuzer verordnet bekommen hat. Krise hin oder her, Faller führt etwas im Schilde und gibt sich Riley gegenüber äußerst maulfaul, und bald spitzen sich die Ereignisse zu.
"Blaue Nacht" ist eigentlich der Name einer Kneipe und gleichzeitig eine Metapher. Die Sprache im Roman ist prosaisch und poetisch, zuweilen schnodderig und fast nie vulgär. Die schönen Sprachbilder und Metaphern gefielen mir besonders gut. Und obwohl mir die Reihe vor der Lektüre unbekannt war, konnte ich durch kurze Rückblenden aus verschiedenen Perspektiven ein lückenloses Puzzle der Personen und Ereignisse zusammensetzen. "Blaue Nacht" kann man also prima als stand-alone lesen, ich habe aber Blut geleckt und Lust auf die komplette Reihe bekommen. Die Gangart ist anfangs gemächlich, der Roman ist aber durchweg spannend. Am Ende gibt es einen temporeichen Showdown. Die Komposition ist klasse und lässt keine Wünsche offen. Ich mochte die Figuren; es werden keine Migrantenklischees bedient und ausserdem ist der Roman eine einzige große Liebeserklärung an Hamburg. Bemängeln könnte man höchstens, dass fast alle Figuren (nicht nur die Protagonistin) saucool sind. Um es im Duktus der Autorin zu sagen: Kein Normalo, nirgends! :)

Darüber hinaus kann der Roman aber mit Originalität und Spannung punkten. Auch sprachlich ist das Ganze ein Genuß. Daher kann ich "Blaue Nacht" von Simone Buchholz guten Gewissens zur Lektüre empfehlen, und wenn ich könnte, würde ich 6 Sterne vergeben. So bleibt es bei 5 von 5 Sternen. Ein klasse Krimi!

Veröffentlicht am 17.03.2017

Gute Grundidee, schlechte Umsetzung

Feine Leute
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Inhalt:

Berlin im Sommer 1925: Dass Bernice ihren schwerreichen Gatten von ihrem Liebhaber hat umbringen lassen, ist eine Tatsache – zumindest für die feine Gesellschaft. Kriminalkommissar Paul Genzer ...

Inhalt:

Berlin im Sommer 1925: Dass Bernice ihren schwerreichen Gatten von ihrem Liebhaber hat umbringen lassen, ist eine Tatsache – zumindest für die feine Gesellschaft. Kriminalkommissar Paul Genzer ist davon jedoch nicht überzeugt, insbesondere nachdem die Witwe plötzlich an einer Überdosis Morphium gestorben ist. Während der

Tod der Witwe neue Fragen aufwirft, folgen weitere Bluttaten, und so ist der proletarische Kommissar bald froh, bei seinen Ermittlungen durch den hochadligen Filmstar Carl von Bäumer ungewöhnliche Unterstützung zu bekommen. Der Leinwanddetektiv mit der Leidenschaft für Kokain kennt sich zwar bestens aus in der Welt der Reichen und Schönen, er verfolgt jedoch ganz eigene Motive...

Meine Meinung:

Die Beschreibung hört sich toll an, oder? Der Stoff, aus dem gute Geschichten sind! Ich bin ein großer Fan von stories, die im Berlin der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts spielen. Volker Kutschers Reihe rund um den Ermittler Gereon Rath liebe ich. Daher habe ich mich sehr auf diese Lektüre gefreut. Auch das schöne Cover lädt zum Lesen ein!

Jedoch konnte mich die Umsetzung und Ausarbeitung überhaupt nicht überzeugen! Stil und Sprache sind immens simpel, die Figuren bleiben blass und fast klischeehaft schematisch - der kräftige Proletarier, der feingliedrige Aristokrat.

Leider steht nicht der Kriminalfall im Fokus der Erzählung, sondern die Beziehungsprobleme der Protagonisten, die sich wie Pubertierende benehmen. Sehr gewundert hat mich auch, dass Genzer seinen Fall freimütig mit jedem teilt.

Die Autorin flicht viele Schlagworte ein, um die Geschichte in die avisierte Zeit zu versetzen: Haus Vaterland, Elektrische, Horch (später bekanntlich Audi). Ein paar Zutaten in die Erzähl-Suppe gemischt und kräftig mit dem literarischen Kochlöffel umgerührt. Leider funktioniert das nicht; dem Krimi mangelt es schlicht an Raffinesse und das Ganze liest sich stellenweise leider wie Geschwätz, der Stil ist viel zu mündlich. Schade!

Aus dem Stoff hätte man viel mehr machen können. Ich habe während der Lektüre auf eine Steigerung gehofft und wollte nicht abbrechen, denn es gibt Erzählelemente, die mir durchaus gefallen haben, etwa die Berührungspunkte zwischen dem "schönsten Mann der UFA" und der Polizei. Mehr kann ich nicht verraten, um nicht zu spoilern. Diesen Aspekt hätte man noch liebevoller und weniger stereotyp herausarbeiten können.

Fazit: Gute Grundidee, schlechte Umsetzung.