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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.11.2021

Landadel am Niederrhein

Wir sind schließlich wer
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Anne Gesthuysens neuer Roman spielt am Niederrhein, wo sich die Autorin sehr gut auskennt. Im Mittelpunkt steht die Familie von Betteray. Die Witwe Mechthild bildet sich sehr viel auf ihre Zugehörigkeit ...


Anne Gesthuysens neuer Roman spielt am Niederrhein, wo sich die Autorin sehr gut auskennt. Im Mittelpunkt steht die Familie von Betteray. Die Witwe Mechthild bildet sich sehr viel auf ihre Zugehörigkeit zum Landadel ein und verfolgt die Vorfahren bis ins englische Königshaus zurück. Sie hat sieben Kinder geboren, von denen sechs noch leben. Hier geht es weniger um die älteren Söhne als um die Töchter Anna und die vier Jahre ältere Schwester Maria. Maria hat alle Regeln der Mutter befolgt und den Adligen Gottfried von Moitzfeld geheiratet – man heiratet schließlich nicht nach unten. Die unkonventionelle Anna hat nicht nur den falschen Mann gewählt, sondern ist auch noch evangelische Pastorin geworden. Sie vertritt gerade einen erkrankten Pastor. Anna wird in ihrer Gemeinde nicht ernst genommen und Opfer von bösartigem Klatsch und Tratsch. Ihr Plädoyer für Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe in einer Sonntagspredigt macht die Sache nicht besser. Dann bricht alles zusammen. Marias perfekte Familie war nur Fassade. Ihr Mann sitzt wegen krimineller Finanzgeschäfte im Gefängnis und ist ruiniert, der 11jährige Sohn Sascha verschwindet, Erpresserbriefe treffen ein, und etliche Familiengeheimnisse kommen ans Licht.
Gesthuysen ist eine gut lesbare Familiengeschichte gelungen, die durch sorgfältig gezeichnete Charaktere, sprachliche Qualität und vor allem die beeindruckende Beschreibung einer Landschaft beeindruckt, die viele von uns nicht kennen werden. Die durch die Geschichte vermittelte Botschaft überzeugt genauso. Familien müssen gerade in schwierigen Situationen zusammenhalten und dürfen nicht einfach immer weiter dieselben Konflikte austragen. Sie sollten einander stattdessen mit Liebe und Mitgefühl helfen. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich spreche eine klare Empfehlung aus.

Veröffentlicht am 14.11.2021

Das Geschäft mit dem Honig

Goldenes Gift
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Das Geschäft mit dem Honig
In Tom Hilllenbrands 7. Roman um den Luxemburger Koch Xavier Kieffer und seine Freundin Valérie Gabin geht es erneut um einen Lebensmittelskandal. Die globale Nachfrage nach ...

Das Geschäft mit dem Honig
In Tom Hilllenbrands 7. Roman um den Luxemburger Koch Xavier Kieffer und seine Freundin Valérie Gabin geht es erneut um einen Lebensmittelskandal. Die globale Nachfrage nach Honig macht ihn zu einer attraktiven Handelsware und führt zu allen möglichen kriminellen Machenschaften. Kieffer bezieht Luxemburger Stadthonig von dem Imker Pol Schneider, der einige Bienenstöcke für ihn betreut. Dann kommt Schneider unter ungeklärten Umständen ums Leben. Als Kieffers Bienenstöcke plötzlich verschwunden sind, schöpft er Verdacht und beginnt zu ermitteln. Auch an anderen Stellen sind die Beuten verschwunden. Schneider schuldete allen möglichen Leuten Geld und hat sich wohl zu unsauberen Geschäften überreden lassen. Etwa gleichzeitig beobachtet Kieffers Freundin Valérie Gabin, die beruflich in Kalifornien unterwegs ist, nachts irgendwo auf dem Land den Diebstahl von Beuten, die am nächsten Tag wieder an gewohnter Stelle stehen. Valérie und Xavier nutzen ihre Kontakte und ermitteln immer weiter. Sie finden gepantschten Honig, und verfolgen Spuren in Paris und in Deutschland, die bis zu einem riesigen chinesischen Konzern reichen. Sogar ein Wissenschaftler ist beteiligt. Er erforscht die genetische Veränderung von Bienen, um sie gegen Insektizide und Pestizide resistent zu machen. Alles steuert auf den großen Showdown zu, es gibt Tote und Verletzte, und Gabin und Kieffer geraten in Lebensgefahr.
Hillenbrands neuer Roman ist vielleicht nicht der beste der Serie, aber er liest sich interessant und behandelt wieder ein wichtiges Thema, das der Autor mit umfangreichen Kenntnissen der Materie und der neuesten technologischen Entwicklungen umgesetzt hat. Seine beiden Protagonisten sind wie immer sehr sympathisch und tragen die Geschichte, die ohne reißerische Spannungseffekte und unappetitliche Grausamkeiten auskommt. Hillenbrand schafft wieder durch Einbeziehung von Dialektausdrücken, traditionellen Speisen und die Beschreibung der Örtlichkeiten ein typisch luxemburgisches Ambiente. Ein sehr empfehlenswerter Roman.

Veröffentlicht am 08.11.2021

Eine etwas andere Familiensaga

Der Kolibri
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Sandro Veronesis Roman “Der Kolibri“ erzählt das Leben des Augenarztes Marco Carrera über einen Zeitraum von etwa 70 Jahren, von der Kindheit bis zum Krebs im Endstadium. Die Darstellung ist jedoch nicht ...


Sandro Veronesis Roman “Der Kolibri“ erzählt das Leben des Augenarztes Marco Carrera über einen Zeitraum von etwa 70 Jahren, von der Kindheit bis zum Krebs im Endstadium. Die Darstellung ist jedoch nicht chronologisch, sondern enthält unzählige Zeitsprünge und Ortswechsel. Wir erfahren, dass der Junge fast kleinwüchsig war und wegen seiner großen Beweglichkeit Kolibri genannt wurde. Als 15jähriger erreicht er durch eine spezielle Therapie innerhalb von wenigen Monaten eine normale Größe. Marcos Leben ist von Anfang an von Tragödien überschattet. Seine labile ältere Schwester begeht Selbstmord, und er gibt dem jüngeren Bruder Giacomo die Schuld an ihrem Tod, weil er auf sie aufpassen sollte. Giacomo hat sich genauso wie Marco in die hübsche junge Luisa verliebt, und Eifersucht entzweit die Brüder zusätzlich, so dass sie für den größten Teil ihres Lebens keinen Kontakt haben. Beide Eltern sterben kurz nacheinander, und Marcos Ehe scheitert, weil seine Frau ihn betrügt und verlässt. Die gemeinsame Tochter Adele wird überwiegend von Marco aufgezogen. Die Liebe zu Adele wird ihm in schwierigen Zeiten helfen, vor allem Jahre später, als er ihre bildschöne und vielseitig begabte Tochter Miraijin nach Adeles Unfalltod zu einem Menschen der Zukunft erziehen wird. Die wohl traurigste Tatsache seines unglücklichen Lebens ist aber wohl seine unerfüllte Liebe zu Luisa, aus der nie eine Beziehung wird. Sie ist die Liebe seines Lebens, aber er unternimmt nichts, um sie für sich zu gewinnen. Sein lebenslanges Credo ist Unveränderlichkeit. Alles muss so bleiben, wie es ist. Jede Veränderung macht ihm Angst, aber mehrere Veränderungen in seinem Leben kommen von außen, sind unabwendbare Schicksalsschläge.
Veronesis Roman ist keine leichte Kost, nicht nur wegen der wirren Erzählstruktur, sondern auch wegen des vor allem im letzten Teil beträchtlichen Anteils an esoterischem Gedankengut. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung hat der Autor angekündigt, in künftigen Auflagen die Jahreszahlen zu Beginn der fast fünfzig Kapitel wegzulassen. Diese kleine Anstrengung könne man ja wohl vom Leser erwarten. Ich vermute, dass die meisten Leser angesichts der Schwierigkeit der zeitlichen Zuordnung der Puzzleteile ohne die Jahreszahlen früh das Handtuch werfen würden. Ich bin ein bisschen enttäuscht von diesem angeblichen Meisterwerk, das immerhin mit dem renommierten Premio Strega ausgezeichnet wurde.

Veröffentlicht am 08.11.2021

Eine solche Schwester braucht niemand

SCHWEIG!
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Esther und Sue sind Schwestern, die schon seit der Kindheit Probleme miteinander haben. Esther ist mit Martin verheiratet, hat zwei Kinder und einen Job und lebt in einer Wohnung in der Stadt. Sue bewohnt ...


Esther und Sue sind Schwestern, die schon seit der Kindheit Probleme miteinander haben. Esther ist mit Martin verheiratet, hat zwei Kinder und einen Job und lebt in einer Wohnung in der Stadt. Sue bewohnt seit ihrer Scheidung von Robert allein ein großes Haus im Wald. Am Tag vor Heiligabend besucht Esther die jüngere Schwester, um nach dem Rechten zu sehen, obwohl sie eigentlich genug mit ihren Weihnachtsvorbereitungen zu tun hat. Sie will die Schwester auch zu sich einladen, obwohl das ein Jahr zuvor völlig danebengegangen ist. Sue ist von Esthers Besuch alles andere als begeistert und reagiert sehr abweisend. Abwechselnd wird aus der Sicht beider Schwestern erzählt, später auch aus der Perspektive Martins und des Mädchens, das für Esther in der Kindheit spricht. Auf diese Weise wird deutlich, dass Esther nicht aus liebevoller Fürsorge handelt, sondern dass alles, was sie tut, der Demonstration ihrer Macht über andere dient. Schon immer war sie aggressiv, manipulativ und geradezu bösartig. Dennoch kommt es an diesem Tag erstmalig zu einem Gespräch, in dem Sue es wagt, ihren Standpunkt zu verdeutlichen und Esther sogar so etwas wie Einsicht zeigt. Diese Phase hält nicht lang an. Dann kommt wieder die alte Esther zum Vorschein, und beim Leser dominiert das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren wird. Die Ankündigung, dass nicht alle diesen Abend überleben werden, bewahrheitet sich.
Der Roman liest sich trotz einiger Längen spannend, ist aber von der Grundstimmung her so düster und bedrohlich, dass man als Leser erst einmal etwas Abstand gewinnen muss. Dennoch ist es eine durchaus empfehlenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 29.10.2021

Warum starb der Papst?

Der Geheimbund
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“Der Geheimbund“ ist Daniel Silvas 20. Roman in der Serie um den Spion Gabriel Allon. Allon will sich ein paar Tage im Urlaub entspannen, als er erfährt, dass sein Freund gestorben ist. Es handelt sich ...


“Der Geheimbund“ ist Daniel Silvas 20. Roman in der Serie um den Spion Gabriel Allon. Allon will sich ein paar Tage im Urlaub entspannen, als er erfährt, dass sein Freund gestorben ist. Es handelt sich um den fiktiven Papst Paul VII., der zuvor schon in drei Romanen der Serie auftauchte. Erzbischof Luigi Donati bittet Allon, in den Vatikan zu kommen, weil er nicht glaubt, dass Paul VII. eines natürlichen Todes gestorben ist. Allon beginnt mit den Nachforschungen, ermittelt in Florenz und später in einem Haus in der Nähe von Freiburg, wo ein aus einem Bilderrahmen gefallener angefangener Brief auf ein Buch verweist, das der Papst im Vatikanischen Geheimarchiv entdeckt hatte.
In diesem Roman geht es also nicht um islamischen Terror oder russische Oligarchen, sondern um die Wurzeln von Xenophobie, wie wir sie gegenwärtig sehen, wenn Flüchtlinge aus Afrika, Arabien oder Asien nach Europa drängen, um frühe Zeugnisse von Antisemitismus, wie sie auch im Neuen Testament zu finden sind, um einen fiktiven Bibeltext, den die katholische Kirche angeblich unterdrückt hat. In diesem Zusammenhang ist es ganz nützlich zu wissen, dass der Autor zum jüdischen Glauben konvertiert ist und einmal geäußert hat, dass die Beziehung zwischen der Römisch-katholischen Kirche und den Juden eine andere gewesen wäre, wenn 1939 ein Mann wie Franziskus Papst gewesen wäre. Ein weiteres Thema ist die schwindende Bedeutung der USA als Weltmacht – auch nicht zum ersten Mal in dieser Serie.
Obwohl Intrigen im Vatikan nicht typisch sind für den Autor und seine Reihe um Gabriel Allon, ist der Roman so unterhaltsam und spannend, wie ich es von Silva kenne. Mir hat das Buch gut gefallen.