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Veröffentlicht am 07.07.2021

Aufstieg eines Schach-Wunderkinds

Das Damengambit
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Im Mittelpunkt von Walter Tevis´ Roman steht Elizabeth Harmon, genannt Beth, die als 8jährige ihre Mutter bei einem Autounfall verliert. Sie wird im Methuen-Heim in Kentucky untergebracht, wo ein strenges ...

Im Mittelpunkt von Walter Tevis´ Roman steht Elizabeth Harmon, genannt Beth, die als 8jährige ihre Mutter bei einem Autounfall verliert. Sie wird im Methuen-Heim in Kentucky untergebracht, wo ein strenges Regiment herrscht. Die Kinder bekommen zweimal täglich Beruhigungspillen, um sie gefügig zu machen, was nicht nur bei Beth zu früher Medikamentenabhängigkeit führt. Eines Tages sieht sie im Kellergeschoss den Hausmeister Mr Shaibel an einem Schachbrett und lässt sich von ihm die Regeln erklären. Schon bald hat er gegen das Kind keine Chance mehr. Eines Tages wird Beth beim Diebstahl der geliebten grünen Pillen erwischt und für Jahre mit Schachspielverbot bestraft. Mit 12 Jahren wird sie vom Ehepaar Wheatley adoptiert. Sie lernt jedoch kein glückliches Familienleben im trauten Heim kennen, denn Mr Wheatley verlässt die Familie kurz darauf, und Geld ist knapp. Auch in der Schule wird Beth ausgegrenzt und gemobbt. Die Dinge bessern sich erst, als sie an Schachturnieren teilnimmt und siegt und ihre unglaubliche Begabung erkannt wird.
Der Autor beschreibt den Aufstieg dieses Wunderkinds gegen alle Widernisse gekonnt und sehr interessant. Schach in den 60ern ist eine reine Männerdomäne, und Beth muss sich Anerkennung und Ruhm dadurch erkämpfen, dass sie auch im Ausland bei internationalen Turnieren siegt. Es gibt Niederlagen und Rückschläge, mit verursacht durch Beths Alkoholismus und ihre Abhängigkeit von Tranquilizern beiträgt. Bis zu Mrs Wheatleys Tod wird das Verhältnis zwischen den Beiden jedoch immer enger, wozu auch die durch die Preisgelder verbesserte finanzielle Situation und die Reisen beitragen.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen, obwohl ich vom Schachspielen keine Ahnung habe. Man verfolgt auch als schachunkundiger Leser gebannt die beschriebenen Partien und bewundert die Fähigkeit der Schachgenies, sich von Hunderten von Partien jeden einzelnen Zug zu merken und im Kopf nachzuspielen, eigene Partien nachträglich zu analysieren und nach Fehlern und alternativen Spielvarianten zu suchen. Ein beeindruckender Roman.

Veröffentlicht am 29.05.2021

Saisonale Zutaten nun auch beim Brot

Brot backen mit den Jahreszeiten
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„Brot backen mit den Jahreszeiten“ von Matthias Loidl ist im Ulmer Verlag erschienen. Das Brotbackbuch ist wie folgt aufgeteilt: Vorwort, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Fingerfood, Basics und Service. ...

„Brot backen mit den Jahreszeiten“ von Matthias Loidl ist im Ulmer Verlag erschienen. Das Brotbackbuch ist wie folgt aufgeteilt: Vorwort, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Fingerfood, Basics und Service. Es enthält 80 Rezepte. Es gibt zu jeder Jahreszeit die verschiedensten Möglichkeiten, die Brote mit saisonalen Zutaten aus dem Garten und der Natur zu backen. So kann man im Frühling u.a. ein Spargel-Erdbeer-Brot oder ein Bärlauchbrot, im Sommer Brombeerbrot mit Pistazien, im Herbst Selleriebrot mit Walnüssen und Birnen oder im Winter Sauerkrautbrot mit Purpurweizen backen. Es gibt im Abschnitt Basics noch ein Kochbuch im Backbuch. Hier erläutert der Autor u.a. die Herstellung von Ajvar oder Aromabutter, womit die selbstgebackenen Brote noch besser schmecken. Ich bin von dem Aufbau, der Gestaltung und den Rezepten begeistert. Die Rezepte sind sehr gut verständlich erklärt und aufgeteilt. Sie enthalten die Vorbereitungszeit, die Arbeitszeit am Vortag, die Arbeitszeit am Backtag, die Teiggare und die Backzeit. Mehr braucht es nach meiner Meinung nicht. Ein paar Vorkenntnisse werden für die Herstellung der Brote benötigt, so dass es für einen Anfänger etwas schwierig ist, hier gleich mit der Eigenproduktion zu beginnen. Ich backe meine Brote nur in einem gusseisernen Topf und erziele mit den Rezepten hervorragende Ergebnisse. Gebacken habe ich das Unterreiter Nussbrot mit Joghurt auf S. 105 und den Blütenlaib mit Mandeln und Pistazien auf S. 46. Auf jeden Fall werde ich noch viele weitere Brotrezepte ausprobieren. Das Buch ist eine unerlässliche Hilfe in meiner Küche geworden, und ich kann es uneingeschränkt weiterempfehlen.

Veröffentlicht am 23.05.2021

Von der Schwierigkeit, einen Roman zu schreiben

Die dritte Frau
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In Wolfram Fleischhauers neuem Roman steckt ein namenloser Autor in der Krise. Er hat eine unangenehme Scheidung hinter sich, kämpft mit finanziellen Problemen, und es mangelt ihm an Ideen für einen neuen ...

In Wolfram Fleischhauers neuem Roman steckt ein namenloser Autor in der Krise. Er hat eine unangenehme Scheidung hinter sich, kämpft mit finanziellen Problemen, und es mangelt ihm an Ideen für einen neuen Roman. Vor Jahren hat er den historischen Roman "Die Purpurlinie" veröffentlicht - wie der real existierende Autor Fleischhauer. Damals hatte ihn der Franzose Charles Balzac auf die miserable Qualität der französischen Übersetzung und zahlreiche sachliche Fehler in der Darstellung hingewiesen. Der Einladung, vor Ort Dokumente einzusehen, war der Autor damals nicht gefolgt. Jetzt möchte er dies nachholen und erhält Antwort von Camille Balzac, der Nichte des inzwischen verstorbenen Mannes.
Es geht in diesem Roman um ein berühmtes Gemälde im Louvre, das zwei Frauen beim Baden zeigt, Gabrielle d´Estrées und Henriette d´Entragues, eine Vorfahrin von Camille Balzac. Beide Frauen waren Geliebte des französischen Königs Henri IV. Um Königin zu werden, mussten sie dem König Kinder schenken. Es gab Komplikationen. Der König heiratete eine Medici.
Der Autor darf bei zwei Besuchen in Frankreich eine Reihe von Dokumenten einsehen, die auf tödliche Intrigen und Aktivitäten der Geheimdienste hinweisen. Zwischen ihm und Camille entwickelt sich eine komplizierte Beziehung aus Anziehung und Abstoßung. Es ist von Anfang an nicht zu übersehen, dass Camille ihre eigenen Ziele verfolgt, es auf eine ganz spezielle Zusammenarbeit mit dem Autor abgesehen hat.
"Die dritte Frau" zeichnet das Porträt einer Epoche - des beginnenden 17. Jahrhunderts -, handelt aber auch vom Schreiben selbst. Fleischhauer erscheint als namenloser Protagonist in seinem eigenen Roman. Wahrheit und Fiktion werden untrennbar vermischt. Ich habe das Buch sehr gern gelesen und empfehle es ohne Einschränkung weiter.

Veröffentlicht am 16.05.2021

Eine junge Frau auf der Suche nach den eigenen Wurzeln

Viktor
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Judith Fanto erzählt in ihrem Roman „Viktor“ eine Familiengeschichte, die an ihre eigene angelehnt ist. In Wien lebt 1914 die gutbürgerliche Familie Rosenbaum: Großeltern, Eltern und die Kinder Viktor, ...

Judith Fanto erzählt in ihrem Roman „Viktor“ eine Familiengeschichte, die an ihre eigene angelehnt ist. In Wien lebt 1914 die gutbürgerliche Familie Rosenbaum: Großeltern, Eltern und die Kinder Viktor, Felix und Laura. Zunächst geht es ihnen gut. Nur der unkonventionelle Viktor schlägt mit seinen vielen Frauengeschichten und nicht immer ganz legalen Geschäftsideen aus der Art. Dann ändern sich die Zeiten. Antisemitismus und Verfolgung nehmen zu, und viele Juden wandern aus, einige gerade noch rechtzeitig. Viktors Bruder mit Frau und Kind fliehen mit Hilfe der katholischen Kirche nach Holland. Auf der zweiten Zeitebene beginnt die junge Geertje in den 90er Jahren in Nimwegen ein Jurastudium. Sie macht ihren Eltern und ihrer Großmutter seit langem den Vorwurf, dass sie die jüdische Vergangenheit ihrer Familie leugnen und alle Ereignisse im Zusammenhang mit der Schoah totschweigen. Geertje nimmt den Namen Judith an, nimmt Kontakt zur jüdischen Gemeinde auf und will eventuell ein jüdisches Leben führen. Sie stellt Nachforschungen an, um das Schicksal ihrer Vorfahren aufzuklären. So erfährt der Leser kapitelweise wechselnd von der Vergangenheit und Gegenwart, wobei über die Gegenwart aus Judiths Perspektive berichtet wird.
Der Roman liest sich sehr gut. Er macht noch einmal deutlich, wie furchtbar die Naziverbrechen waren und wie schuldig sich die Überlebenden fühlten, weil sie das Grauen überlebt hatten. Keiner kommt jemals über dieses Trauma hinweg. Auch wenn man die geschichtlichen Daten und Fakten kennt, ist dies ein sehr empfehlenswertes Buch.

Veröffentlicht am 16.05.2021

Eine ungewöhnliche Kindheit

Der Junge, der das Universum verschlang
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Die Geschichte um eine Familie in Darra, einem verarmten Arbeiterviertel von Brisbane, setzt etwa 1985 ein. Die Brüder Eli, 12 und August Bell, 13 leben mit ihrer Mutter im Haus des Stiefvaters Lyle unter ...

Die Geschichte um eine Familie in Darra, einem verarmten Arbeiterviertel von Brisbane, setzt etwa 1985 ein. Die Brüder Eli, 12 und August Bell, 13 leben mit ihrer Mutter im Haus des Stiefvaters Lyle unter sehr schwierigen Bedingungen. Lyle Orlik verdient seinen Lebensunterhalt als Heroinhändler, die Mutter ist drogenabhängig und hat den Vater, einen Alkoholiker, Jahre zuvor verlassen, nachdem dieser bei einem Autounfall absichtlich oder im Suff seine kleinen Söhne fast getötet hätte. Der beste Freund der Jungen ist der verurteilte Mörder Arthur „Slim“ Halliday, der durch mehrere Ausbrüche aus dem berüchtigten Boggo Road-Gefängnis berühmt geworden ist. Eines Tages rächt sich der örtliche Drogenboss an Lyle für eigenmächtige geschäftliche Aktivitäten, und die Mutter der Jungen kommt ins Gefängnis. Die Jungen leben deshalb einige Jahre bei ihrem Vater.
In diesem ganz besonderen Coming-Of-Age-Roman gibt es außer den ungewöhnlichen Protagonisten sehr viel Gewalt, auch häusliche Gewalt gegen Frauen, und eine Menge Grausamkeiten in teilweise übertrieben drastischen Szenen. Für den Leser ist es vor allem interessant zu sehen, welche Strategien die Jungen entwickeln, um diesen Sumpf zu überleben und unbeirrt ihre Ziele zu erreichen. Eli schafft den Sprung in eine Karriere als Journalist, indem er als Praktikant bei einer lokalen Zeitung erst anderen in untergeordneter Stellung zuarbeitet, dann den großzügigen Wohltäter der Gemeinde als das enttarnt, was er ist: ein grausames Monster an der Spitze des Drogenkartells. Es gibt aber nicht nur menschliche Abgründe in diesem Roman, sondern auch die erste Liebe Elis zu einer deutlich älteren Journalistin und seine enge Bindung an seinen sehr speziellen Bruder August, der ihn beschützt. Große Teile der Geschichte sind nicht erfunden, sondern entsprechen den Erlebnissen des Autors. Lediglich die etwas gewöhnungsbedürftigen mystischen Elemente um August, seine prophetische Vorausschau und seine kryptischen mit den Fingern in die Luft geschriebenen Botschaften sind nicht einer realistischen Darstellung verpflichtet.
Mir hat das Buch gut gefallen. Wenn man sich eingelesen hat, ist das eine sehr lohnende Geschichte vom anderen Ende der Welt.