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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.10.2019

Außergewöhnliche Perspektive sehr überzeugend!

Ruf der Wildnis
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Der Hund, der Mensch, die Wildnis. Eine Evolution auf 100 Seiten. Jack London schreibt in „Ruf der Wildnis“ aus Hundesicht über die verschiedenen Beziehungen zwischen Hund und Mensch und kehrt auf seiner ...

Der Hund, der Mensch, die Wildnis. Eine Evolution auf 100 Seiten. Jack London schreibt in „Ruf der Wildnis“ aus Hundesicht über die verschiedenen Beziehungen zwischen Hund und Mensch und kehrt auf seiner Schlittenfahrt durch Alaska bis zum wölfischen Ursprung zurück.

"Kein Wunder jedoch, dass die Menschen den Hunden nicht gewachsen waren; sie wurden nicht einmal mit sich selber fertig."

Buck führt kein schlechtes Leben. Weitgehend in Ruhe gelassen lebt der Bernhardiner-Schäferhund-Mischling in guten Verhältnissen, ab und zu mit auf die Jagd, viel faulenzen, ein paar Handtaschenhunde als Zeitvertreib. Doch als der Gärtner ins eines Nachts entführt und verkauft beginnt seine Reise in das kalte Alaska. Als Schlittenhund soll der große, starke Hund sich nun beweisen, doch ist dies schwieriger als erwartet.

Zugegeben anfangs war ich äußerst skeptisch von der gewählten Perspektive – ein Buch aus Hundesicht? Das konnte ja nur furchtbar kitschig oder unsagbar stupide und lächerlich werden. Doch weit gefehlt! Es zeugt von sehr viel Empathie und Schreibtalent um so eine außergewöhnliche Idee derart gut zu verpacken. Auch der Einblick in das Leben als Schlittenhund war sehr interessant. Auffällig hier, dass das Buch doch sehr von Gewaltdarstellungen lebt, sei es zwischen Mensch und Hund, Hund und Hund oder anderen Tieren. Für Menschen mit schwachen Nerven daher vielleicht nicht bedenkenlos weiterzuempfehlen.

Für mich enorm spannend, innovativ und eine tolle Einordnung der Beziehung von Hund und Mensch, denn diese können eben nicht nur beste Freunde sein, sondern auch schlimmste Feinde.

Veröffentlicht am 11.10.2019

Von Seite zu Seite spannender

Heimat ist ein Sehnsuchtsort
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Der Auftakt einer nie zuvor dagewesenen Reihe über eine schlesische Familie im Zweiten Weltkrieg! Taucht mit Hanni Münzers „Heimat ist ein Sehnsuchtsort“ ab in längst vergangene Zeiten.

„Es war stets ...

Der Auftakt einer nie zuvor dagewesenen Reihe über eine schlesische Familie im Zweiten Weltkrieg! Taucht mit Hanni Münzers „Heimat ist ein Sehnsuchtsort“ ab in längst vergangene Zeiten.

„Es war stets die Bevölkerung, die den Preis für den Krieg zahlte. Denn mochten auch neue Grenzen gezogen und neue Länder geschaffen worden sein, der Mensch war derselbe geblieben.“

Familie Sadler lebt seit Generationen auf einem Bauernhof an der polnischen Grenze. Alle Hofbewohner sind ein eingespieltes Team, Vater Laurenz und Mutter Annemarie, die Großmutter Charlotte, die rüstige, polnische Köchin Dorota, Knecht Oleg und die Schwestern Kathi und Franzi. Von Kindesbeinen an folgt Kathi ihrem Entdeckergeist und erlebt einige Abenteuer, doch der Krieg soll für sie alles ändern. Nach einem Mathematik-Wettbewerb, den sie gewinnt, gerät sie in das Zentrum der Aufmerksamkeit, denn für die Nazis steht fest: Das junge Talent müssen sie sich zu eigen machen.

„Ein Haus war mehr als nur aus Stein und Holz, es war verwoben mit den Schicksalen der Menschen, die darin geboren und gestorben waren. Erst durch seine Bewohner wurde aus einem Haus ein Heim, in dem man sich ihrer für immer erinnerte.“

Fast der gesamte Roman spielt auf dem Sadlerhof und aufgrund der bildlichen, wortgewandten Sprache fühlt man sich als Leser sofort dorthin versetzt. Die Familie Sadler ist so lebensnah und natürlich dargestellt, nicht im Anflug kitschig oder geschönigt, dass es nicht schwer fällt sich vorzustellen, es hätte sie wirklich gegeben. Auch der liebevolle Umgang mit den tierischen Gefährten ist ein schönes Detail, die Tiere sind hier keine sinnlosen Randfiguren und Mittel zum Zweck, sondern geliebte Gefährten, was für die Zeit nicht selbstverständlich ist. Jeder einzelne Sadler ist auf seine individuelle Art brillant ausgearbeitet und auch wenn sie grundverschieden sind, halten doch alle zusammen. Besonderes Highlight für mich war die wissbegierige, freundliche, kleine Kathi und ihre Beziehung zu ihrem Vater, der ihr auf liebevolle Weise stets versucht die Welt zu erklären, was zur NS-Zeit sicher kein Leichtes war.

Einziger Abzug ist für mich der schleppende Einstieg. Der Roman ist aufgeteilt in zwei Teile. Der erste Teil (bis Seite 263) zieht sich und kann nur mit wenig Handlung und Spannung aufwarten. Alle werden vorgestellt, die Atmosphäre wird aufgebaut, Hintergründe erklärt, doch wirkt dies ab einem gewissen Punkt etwas ermüdend. Mit dem zweiten Teil jedoch beginnt es von Seite zu Seite spannender zu werden und nachdem die ersten 300 Seiten gelesen war, konnte ich schließlich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen und habe es in einem Rutsch zu Ende gelesen.

Nachdem meine Hoffnungen zu Beginn also aufgrund des schleppenden Einstiegs getrübt waren, wurden sie schlussendlich um ein Mehrfaches übertroffen. Zu viel zum Inhalt zu verraten wäre dabei eine Schande, da es einem die Chance rauben würde, mit Kathi den eigenen Entdeckergeist zu wecken.

Veröffentlicht am 06.10.2019

Wiedersehen macht Freude, Abschiednehmen manchmal auch

Postscript - Was ich dir noch sagen möchte
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15 Jahre mussten die Fans von Cecelia Aherns „P.S. Ich liebe dich“ sich gedulden und nun hat das Warten ein Ende und die Autorin entführt uns in „Postscript“ erneut in das Leben von Holly Kennedy.

Gerry ...

15 Jahre mussten die Fans von Cecelia Aherns „P.S. Ich liebe dich“ sich gedulden und nun hat das Warten ein Ende und die Autorin entführt uns in „Postscript“ erneut in das Leben von Holly Kennedy.

Gerry ist tot. Die Jahre vergehen und die Briefe, die er seiner Ehefrau zurückgelassen hat, um ihr zu helfen den Verlust zu überwinden, sind unvergessen. Holly hat es nie ganz geschafft ihren geliebten Gerry loszulassen und dennoch ermutigt ihre Schwester sie Jahre später an einem Podcast zum Thema „Wie sprechen wir über den Tod?“ teilzunehmen. Was Holly nicht ahnen konnte: hunderte Menschen erfahren ihre Geschichte und unweigerlich entspinnen sich weitere Konsequenzen. Einige sterbenskranke Menschen haben sich zusammengeschlossen, mit einem Ziel: ihren Liebsten eine letzte Botschaft hinterlassen, wie Gerry es getan hat. Sie bitten Holly die Rolle ihrer Mentorin zu übernehmen, doch will Holly das überhaupt? Waren Gerrys Briefe nicht etwas ganz Privates? Ist sie bereit Leben und Tod mit diesen Fremden zu teilen?

„Wir erinnern uns oft nicht daran, wie wir uns begegnet sind, aber meistens wissen wir noch genau, wie wir voneinander Abschied genommen haben.“

Cecelia Ahern ist ein grandios emotionaler Roman gelungen, der von der ersten bis zur letzten Seite von Lächeln bis Tränen alles zu bieten hat. Meine Befürchtung war nach so vielen vergangenen Jahren zwischen den beiden Teilen nicht gut in die Geschichte gekommen, doch alle Zweifel blieben unbegründet, denn es handelt sich um eine unabhängige Geschichte. Selbst ohne den ersten Teil gelesen zu haben kann man Holly und die Handlung gut nachvollziehen.

Das Thema Sterben und Tod so omnipräsent in einen Roman zu verweben ist immer ein Risiko, aber hier toll umgesetzt. Die Geschichte ist weder zu schwer, noch besonders kitschig. Durch den einfachen, einfühlsamen und dennoch humorvollen Schreibstil fällt es nicht schwer in die Thematik abzutauchen und die Seiten vergehen wie im Flug.

Auch die vielen, sehr verschiedenen Figuren machen das Buch zu etwas besonderem. Seien es die Altbekannten, wie Holly mit ihrer zerrissenen, empathischen Art, ihre Freundinnen Denise und Sharon oder ihre tolle, liebevolle Familie, Wiedersehen macht Freude. Doch auch die neuen Figuren sind sehr individuell angelegt, von jung bis alt, Spaßvogel bis Mauerblümchen, schwerem Schicksal bis Leichtigkeit ist alles vertreten, sodass das Kennenlernen Spaß macht.


Alles in allem also ein toller Roman, der unter der Last des Sterbens nicht zusammenbricht.

Veröffentlicht am 27.09.2019

Kontroverse Themen mit wenig Tiefe

Dreck am Stecken
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Abtauchen in die Abgründe der Menschen. Manie und Depressionen, Sprachstörungen, Kriminalität, Alkoholsucht, Tod, Demenz, all das und mehr vertreten in Alexandra Fröhlichs Roman „Dreck am Stecken“.

"Familie ...

Abtauchen in die Abgründe der Menschen. Manie und Depressionen, Sprachstörungen, Kriminalität, Alkoholsucht, Tod, Demenz, all das und mehr vertreten in Alexandra Fröhlichs Roman „Dreck am Stecken“.

"Familie ist Leben, dein Leben."

Die vier Brüder Johannes, Jakob, Philipp und Simon haben es nicht leicht. Aufgewachsen in einem Elendsviertel Hamburgs mit einer manisch-depressiven Mutter ändert sich alles, als diese sich pünktlich mit der Volljährigkeit des Ältesten das Leben nimmt. Die Jungs kommen in die Obhut des Opas und so beginnen die Abenteuer dieser etwas anderen WG. Als schließlich auch der Alte stirbt und den Jungs ein altes Tagebuch vererbt, tun sich weitere Abgründe auf und die Vier graben sich durch bis zum Zweiten Weltkrieg, auf der Suche nach der Geschichte ihrer Familie.

"Unmittelbar oder mittelbar- Schuld ist Schuld."

Alexandra Fröhlich vereint hier so viele umstrittene Themen, die einen wirklich verstehen lassen, dass die Brüder mit einigen Problemen zu kämpfen hatten. Spannend zwar, aber mir zu hintergründig. Ich hätte mir gewünscht, dass Qualität über Quantität ginge und mehr auf die einzelnen Problematiken eingegangen wird. Simon beispielsweise hat seit seiner Kindheit krampfartige Anfälle, wenn er überfordert ist. Diese geschehen immer wieder, aber Hintergründe oder ähnliches werden nicht beleuchtet. Sein Bruder ist Arzt, bringt Medikamente und das war es. Es fehlt die Tiefe. Dies zieht sich durch den gesamten Roman. Die Jungs reisen nach Argentinien, aber für den Leser wäre es dasselbe, wenn sie einfach in einen anderen Stadtteil reisen. Das Drumherum fehlt komplett.

Die Sprache fand ich außergewöhnlich und besonders, teilweise grenzwertig, derb und nahezu vulgär, aber das passte sehr gut zum Roman und den Jungs, auch wenn es zu Beginn befremdlich ist. Auch die Auswahl des Settings und der Figuren ist etwas Neues, diese Randgruppe auszuwählen und so viele negative Aspekte einzubauen ist mutig und interessant.

Insgesamt mochte ich den Roman aufgrund des besonderen Ansatzes, aber mir fehlte schlicht die Tiefe in der Darstellung.

Veröffentlicht am 25.09.2019

Nordisch-kühl und dennoch sehr gelungen

Luzies Erbe
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Kriegsromane gibt es wie Sand am Meer, doch Helga Bürsters Roman „Luzies Erbe“ sticht durch nordische Nüchternheit und den außergewöhnlichen Blickwinkel heraus.

„Der Krieg war ein schrecklicher Tölpel, ...

Kriegsromane gibt es wie Sand am Meer, doch Helga Bürsters Roman „Luzies Erbe“ sticht durch nordische Nüchternheit und den außergewöhnlichen Blickwinkel heraus.

„Der Krieg war ein schrecklicher Tölpel, er warf die Dinge um und stellte sie verkehrt herum wieder auf.“

Im Bremer Umland ist der Krieg eingezogen und niemanden lässt er unbeachtet. Auch die Magd Luzie hat zu kämpfen mit den Entwicklungen, aus dem elterlichen Nest zum Bauern getrieben, der Verlobte im Krieg verschollen und ein junger Mann auf dem Hof, der ihr einfach nicht aus dem Kopf geht. Doch ist dieser der polnische Zwangsarbeiter Jurek und jede Annährung verboten.
Jahrzehnte später stirbt Luzie und hinterlässt ihre zwei Töchter, ihre Enkelin und Urenkelin einen Koffer voller Rätsel der Vergangenheit, denn was mit ihr und Jurek geschehen ist unterlag dem Mazur’schen Schweigen und so beginnt eine Schnitzeljagd durch die Zeit.

Ein Roman geprägt von nordisch, kühler Nüchternheit, was durch die kurzen, präzisen Formulierungen schon ab der ersten Seite auffällt. Nichts wird beschönigt, nicht um den heißen Brei geredet. Und doch war gerade das anfänglich ein kleines Problem für mich, weil es eine Distanz geschaffen hat, die im Rückblick aber doch sehr gekonnt eingesetzt ist. Dazu zählte für mich auch, dass der Roman mit sehr vielen Menschen, verschiedenen Zeiten und Perspektiven begonnen hat, sodass es nur durch ungeteilte Aufmerksamkeit gelingt alle Zusammenhänge zu verstehen und jeden richtig einzuordnen. Dies wird jedoch selbst nach kleinen Startschwierigkeiten im Laufe des Romans immer leichter.

Die großen Pros des Buches sind für mich klar Setting und Figuren. Die nordisch-ländliche Atmosphäre wird stilvoll untermalt durch einige plattdeutsche Einwürfe und die gesamte Szenerie so wunderbar bildlich, dass man in Gedanken neben Luzie im Heu liegt und das Geschehen beobachtet. Die Charaktere sind so komplex und durch die Vergangenheit gezeichnet, dass alles ein großes Netz an Wirkungen mit sich zieht. So wird aus vielen kleinen Puzzleteilen nach und nach ein stimmiges Ganzes. Auch die Auswahl den Fokus auf die polnischen Zwangsarbeiter und die mittellose Magd zu legen ist sehr gelungen, abwechslungsreich und bringt Spannung in die Geschichte.

Insgesamt ein sehr gelungener Roman, der durch Bodenständigkeit, Realitätsbezug, sowie interessante Figuren und eine ganz besondere Sprache besticht.