Isenhart
IsenhartMund zu Mund-Beatmung bei einem Säugling, der nach einer problematischen Geburt tot zur Welt kommt – bereits der Einstieg ist rasant und diese Vorgehensweise für die damalige Zeit ein Werk des Teufels. ...
Mund zu Mund-Beatmung bei einem Säugling, der nach einer problematischen Geburt tot zur Welt kommt – bereits der Einstieg ist rasant und diese Vorgehensweise für die damalige Zeit ein Werk des Teufels. Holger Karsten Schmidt erzählt die Lebensgeschichte des Jungen Isenhart, der im Hause eines Adeligen aufwachsen und gemeinsam mit dessen Sohn Konrad Bildung erfahren darf. Bildung, die weit über „normale Maßstäbe“ hinaus reicht. Bildung, die zum damaligen Zeitpunkt gefährlich war und allzu leicht als „Ketzerei“ verurteilt wurde. Jene Bildung, die aus Isenhart einen hoch intelligenten jungen Mann machte, der sich niemals mit Gegebenheiten zufrieden gab, sondern vielmehr Fragen stellte. Als Isenhart durch einen grauenhaften Mord seine große Liebe Anna verliert, begibt er sich auf die Suche nach dem Täter. Eine Suche, die bis zur letzten Seite dieses gewaltigen Werkes andauern soll. Denn bei diesem Mord handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Allzu viele Parallelen treten in regelmäßigen Abständen auf und immer wieder sind junge, unschuldige Mädchen die Opfer. Isenhart macht es sich zur Lebensaufgabe, diesen scheinbar wahnsinnigen Serienmörder zu stellen und sammelt Indizien. Die Suche geht letztendlich sogar bis nach Spanien, wo Isenhart in Toledo Einzelheiten über seinen leiblichen Vater erfährt. Kurz nach seiner abenteuerlichen Rückkehr überschlagen sich die Ereignisse und der Autor steuert auf ein fulminantes Finale zu …
Die Umsetzung dieser an sich schon hoch interessanten Geschichte ist Holger Karsten Schmidt meines Erachtens vortrefflich gelungen. Er erzeugt bereits zu Beginn große Spannung, legt geschickt Fährten, die sich ab und zu als falsch erweisen und vermittelt einen guten Eindruck vom Alltagsleben im Mittelalter. Meine persönlichen Lese-Highlights waren die gut recherchierten Details aus dieser Zeit, die nur allzu oft – und zu Unrecht - glorifiziert wird. Der Ursprung von Redewendungen, die man ohne viel darüber nachzudenken laufend im Alltag verwendet, wird ebenso anschaulich erklärt wie die Armut, die Mühen und Plagen des Lebens, die Ansichten der Menschen, der Aberglaube, die Klassenunterschiede und die Macht des Klerus. Eine bunte Facette an Geschichten, wunderbar zu einem großen historischen Roman verflochten!
Der Autor steigt mit einem denkwürdigen Ereignis in die Geschichte ein – der Wiederbelebung des toten Säuglings, der aufgrund seiner Widerstandskraft Isenhart genannt wird. Bereits hier schlingt er die Fäden der Spannung geschickt um seinen Leser, die ihn bis zur letzten Seite nicht mehr los lassen werden. Der Roman ist durch seine vielen Höhepunkte dermaßen fesselnd geschrieben, dass es beinahe unmöglich ist, ihn beiseite zu legen. Durch seine wechselnde Konzentration auf jeweils einen anderen Protagonisten wirken die Kapitel kurzweilig und fachen die Neugier auf das weitere Schicksal der handelnden Personen stets aufs Neue an. Vom Schreibstil sehr angetan möchte ich das große Geschick dieses Autors hervorheben, mit dem er Gefühle und Gedankengänge der betreffenden Personen in den Text einzuflechten versteht. Dies macht die Dialoge lebendig und erweckt Sympathie oder Antipathie, je nachdem, ob es sich um Freunde oder Feinde der Hauptpersonen handelt.
Holger Karsten Schmidt konzentriert sich auf eine Handvoll Protagonisten, bedient sich aber auch einer beträchtlichen Anzahl von Nebenfiguren. Isenhart, Konrad, Sophia und Walter von Ascisberg wird die meiste Aufmerksamkeit zuteil. Trotzdem versäumt der Autor es nicht, den Leser auch für alle anderen handelnden Personen zu erwärmen. Es ist einfach, sich in sie hinein zu versetzen, da sie lebendig und interessant gezeichnet sind.
Es handelt sich bei dem vorliegenden Buch um eine gebundene Ausgabe mit eindrucksvollem Cover, der Titel „Isenhart“ durch erhobene, geschwungene Lettern und einem Schwert dargestellt. Autor, Verlag und besagter Titel sind im Querformat angeführt, eine interessante, wenn auch eher unübliche Vorgehensweise. Die erste Innenseite besteht aus pergament-ähnlichem Papier, das wiederum mit Schnörkel verziert ist. Der Inhalt wurde in 42 Kapitel eingeteilt, wobei der Beginn eines jeden Kapitels mit den Worten „Anno domini“ und der betreffenden Jahreszahl eingeleitet wird. Dem Leser wird auf diese Weise bereits zu Beginn vermittelt, ob sich der Autor auf den nachfolgenden Seiten auf die Gegenwart oder die Vergangenhart seines Protagonisten bezieht. Komplettiert wird der edle Ersteindruck des Buches durch jeweils einen verzierten Anfangsbuchstaben zu Beginn eines Kapitels – den handgeschriebenen Büchern in den Klöstern nachempfunden, die im Mittelalter durch oftmals Jahre währende liebevolle Handarbeit von Mönchen zu wahren Meisterwerken wurden. Der Autor hat sich bei seinen Recherchen sichtlich nicht nur auf Inhalte konzentriert, er passte auch die äußere Erscheinungsform des Buches jener Zeit an, in der seine Figuren lebten und wirkten. Außergewöhnlich!
Dieses Buch stellt eine faszinierende Mischung aus Kriminalroman und historischem Roman dar. Eine beeindruckende und vor allen Dingen authentisch wirkende Geschichte aus einer Zeit, die wir meist nur aus dem Geschichtsunterricht kennen. Eine Zeit, die oftmals verklärt dargestellt, vom Autor jedoch mit vielen Details aus dem Leben seiner Protagonisten bereichert wird. Dies vermittelt einen etwas realistischeren Eindruck aus dem Alltagsleben, den Standesunterschieden, den Mühen und Nöten der armen Bevölkerungsschicht, der Gier und Skrupellosigkeit des Adels, der immensen Macht der Kirche und unter anderem auch der großen Bedrohung durch Krankheiten. Kleine Verletzungen hatten aufgrund fehlender ärztlicher Versorgung in Folge von Armut oder Unwissenheit allzu oft tödlichen Ausgang. Die zur Zeit des Mittelalters modernen Aderlässe schwächten die Kranken, anstatt Positives zu bewirken und in Geisteskranken sah man aus Angst und Unwissenheit das Werk des Teufels. Holger Karsten Schmidt schafft es mit seinem Roman auf vortreffliche Art und Weise, dem Leser das Mittelalter mit all seinen Facetten nahe zu bringen. Er glorifiziert nicht, verdammt aber auch nicht. Er beschreibt, be- oder verurteilt nicht. Das Hauptaugenmerk wird neben der Geschichte eines Serienmörders auf Bildung gelegt. Bildung, wie sie nur schwer zu erlangen war und die aufgeschlossene, intelligente Menschen verbergen mussten, um Folter oder Hinrichtungen zu entgehen. Bildung stellte eine Bedrohung in der damaligen Zeit dar und dieser Roman veranschaulicht ziemlich genau die Gründe dafür.