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Veröffentlicht am 29.09.2023

"Manchmal ist Wasser doch dicker als Blut"

Bis wir unsere Stimme finden
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Jakob musste mit anhören, wie seine Eltern verschleppt wurden. Von den Nationalsozialisten. Er versteckte sich erfolgreich und kann jetzt mit anderen Menschen über die Grüne Grenze flüchten. In die Schweiz. ...

Jakob musste mit anhören, wie seine Eltern verschleppt wurden. Von den Nationalsozialisten. Er versteckte sich erfolgreich und kann jetzt mit anderen Menschen über die Grüne Grenze flüchten. In die Schweiz. Ein Loch wurde in den Grenzzaun geschnitten, aber Jakob bleibt hängen. Es ist sein Rucksack, der ihn für einen kurzen Augenblick aufhält. Hinter ihm will eine Frau durch den Zaun, aber plötzlich ertönen laute und aggressive Stimmen. Schüsse fallen und eine Frau schreit laut auf, fällt dann in den Schnee. Jakob schaut nach hinten, sieht ein 5jähriges Mädchen, das schläft. Ihre Mutter ist die Frau, welche wohl erschossen wurde. Sie kann Jakob noch bitten, dass er die Kleine mitnimmt und sie so behandelt, als sei sie seine kleine Schwester. Immerhin ist er ja schon 10 Jahre alt.

Jakob und Fanny kommen also als „Verdingkinder“ in die Schweiz. Zunächst scheint es die beste Lösung für die beiden zu sein. Dann aber kommt es ganz schlimm. Sie werden gedemütigt, ausgestoßen und verprügelt. Und noch viel Abscheulicheres wird ihnen angetan. Wie sie trotzdem zu netten Menschen heranwachsen sollen? Ich weiß es nicht.

Das Thema Verdingkinder ist heikel und umso mehr freue ich mich, dass die Autorin Astrid Töpfner es zum Gegenstand ihres neuesten Buches machte. Am Anfang warnt sie vor Triggern, die bei empfindlichen Lesern oder Betroffenen ausgelöst werden könnten. Und das war gut, so konnte ich mich schon vorher darauf einstellen. Immer mal wieder pausieren und das Gelesene reflektieren, so kam ich gut voran und konnte das Unfassbare aufnehmen.

Dass diese Kinder erst Jahrzehnte nach ihrem Leid eine kleine Entschädigung bekamen, unglaublich. Dieses dunkle Kapitel wird leider noch immer gerne verschwiegen. Und nein, diese „Helfer in der Landwirtschaft“ gab es nicht nur in der Schweiz. Genaueste Recherche und ein Sprachstil, der das Schreckliche lebendig aufzeigt, so beschreibe ich "Bis wir unsere Stimme finden". Das Buch hat so viele Sterne und noch mehr Leser verdient.

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Veröffentlicht am 25.09.2023

Es gibt Traumata, die nie vergessen werden

Gebranntes Kind sucht das Feuer
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Keine Schilderung eines Geschehens ist so unverfälscht, wie jene aus erster Hand. Dass die Autorin Cordelia Edvardson in der dritten Person von sich selbst spricht, ist nachzuvollziehen. Sie bezeichnet ...

Keine Schilderung eines Geschehens ist so unverfälscht, wie jene aus erster Hand. Dass die Autorin Cordelia Edvardson in der dritten Person von sich selbst spricht, ist nachzuvollziehen. Sie bezeichnet sich als „das Mädchen“ und schildert zunächst ihr Leben bei der Mutter. Als uneheliches Kind und zudem noch Dreivierteljüdin, war es doppelt schwer. Sie wird mit 14 Jahren nach Auschwitz deportiert und erlebt dort das Grauen in Menschengestalt.

„Gebranntes Kind sucht das Feuer“ erschien im Jahr 1986 zum ersten Mal. Jetzt wurde es neu übersetzt und erneut veröffentlicht. Ihre Erlebnisse in Auschwitz sind so grausam, dass ich immer wieder Pausen einlegen musste. Frau Edvardson schreibt so, als ob sie nur neben dem Kind stehen würde. Sonst hätte sie es wohl nicht geschafft, ihre Gedanken zu Papier zu bringen.

Nach der Befreiung war sie schwer traumatisiert. Sie konnte zunächst nicht über das Erleben sprechen und das Verhältnis zur Mutter war völlig gestört. Das Nachwort von Daniel Kehlmann gefiel mir sehr gut. Er beseitigte noch wenige Unklarheiten, welche mich beschäftigten. Ein äußerst wichtiges Buch, das zeigt, wie wichtig unser Widerstand bis heute ist. Niemals darf solch ein Unrecht wieder geschehen. Wir alle sind dabei gefragt. Lasst uns jederzeit für Demokratie und Freiheit einstehen.

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Veröffentlicht am 23.09.2023

Ein Wohlfühlroman zum Abschalten

Das Leuchten der Blätter
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Es gibt Augenblicke, da wünscht Ava sich eine Märchenfigur. Die soll bitte alle „Schätze“ aus dem Laden in einem Nu hinwegfegen. Die Sachen stammen von Frida, ihrer Ziehmutter. Als sie starb war ihr Wunsch, ...

Es gibt Augenblicke, da wünscht Ava sich eine Märchenfigur. Die soll bitte alle „Schätze“ aus dem Laden in einem Nu hinwegfegen. Die Sachen stammen von Frida, ihrer Ziehmutter. Als sie starb war ihr Wunsch, dass Ava den Laden für Altes und Antikes übernimmt und weiter darin arbeitet. Aber die ist so unglücklich, ja ihr Befinden ist fast sogar depressiv. Gerne würde sie sich von den Fesseln der Erwartung Anderer befreien. Gut, dass Solvie, eine Amerikanerin auf Deutschlandreise, in ihr Leben tritt. Beide sehnen sich nach einem Neuanfang und verreisen zunächst einmal miteinander in Solvies Heimatstadt.

Es ist der dritte Band der „Sehnsuchtswald-Reihe“ und auch dieser gefiel mir sehr gut. Die außergewöhnliche Verbindung zu Bäumen wird auch in „Das Leuchten der Blätter“ eindrucksvoll verdeutlicht. Ava lernt, dass sie nicht allen Menschen gefallen kann, wenn sie ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche erfüllt. Das fällt ihr schwer und ob sie es schafft und in welcher Weise ihr die Bäume dabei helfen, das ist ein Thema des Buches. Selbstverständlich ist auch die Windharfe wieder Gegenstand von Erzählungen.

Nein, kein Herz-Schmerz-Buch, sondern ein echter Wohlfühlroman. Wie nennt sich diese neue Aktion zum Abschalten? „Waldbaden“? Ja, die Autorin kennt es, obwohl sie diesen Begriff nicht gebrauchen muss. Ihre Beschreibung der Landschaften und Orte rund um die Mecklenburger Seenplatte ist so bildhaft, dass ich mich beim Lesen immer wieder dorthin träumen konnte. Frau Koelle recherchierte auch wieder intensiv und die Folge sind viele Fakten über die Historie der Landschaft. Einen Sternenregen gibt es dafür von mir.

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Veröffentlicht am 22.09.2023

Ein Krimi mit vielen Fakten über das Leben in Serbien

Die Spur der Kinder
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Auch nach drei Jahren Trennung schmerzt ihn die Erinnerung an seine Liebste. Walter Kühn kann sich nicht damit zufrieden geben. Aber, was soll´s. Heute wird gefeiert. Sein bester Freund wurde Vater und ...

Auch nach drei Jahren Trennung schmerzt ihn die Erinnerung an seine Liebste. Walter Kühn kann sich nicht damit zufrieden geben. Aber, was soll´s. Heute wird gefeiert. Sein bester Freund wurde Vater und gibt einen aus. Oder zwei, oder drei…. Am nächsten Tag ist es nicht nur sein Kater, der ihm zusetzt. Auch die jungen Eltern schockieren ihn mit einer sehr beängstigenden Mitteilung. Die Kleine soll in der Nacht verstorben sein. Das wiederum glaubt Walter Kühn nicht und macht sich auf die Suche nach Erklärungen. Zumal es weitere Neugeborene gab, die ebenfalls plötzlich verstorben sein sollen.

„Die Spur der Kinder“ stammt aus der Feder von Thomas Roser. Er lebt in Belgrad, ist Korrespondent und ein guter Autor. Dass er sich in Serbien bestens auskennt, zeigen die vielen detaillierten Darstellungen über Land und Leute. Die Story um Walter Kühn ist der dritte Band einer Reihe. Kühn arbeitet immer mal wieder als Hobbyermittler, obwohl sein Job Journalist ist. Das Thema plötzlicher Kindstod und die Ahnung, dass es sich keineswegs darum handelt, wird erst im Laufe der Story deutlich. Die Spannung langsam aufgebaut, bis der Bogen dann im großen Finale erschlafft.

Ich habe beim Lesen viel über das ehemalige Jugoslawien erfahren. Wie es zum Balkankrieg kam, welche unterschiedlichen Religionen und Menschenschläge involviert waren und warum der Hass bis heute anhält. Die Sprache ist bildhaft und die Beschreibung der Landschaft lässt Filme im Kopf des Lesers entstehen. Ein Buch, das mich nicht nur gut unterhalten hat. Es lässt mich nachdenklich zurück. Dieser Krieg, mitten in Europa, hätte viel mehr Aufmerksamkeit und humanitäre Hilfe für die Bevölkerung verdient.

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Veröffentlicht am 22.09.2023

"Kinderlähmung ist grausam, Schluckimpfung ist süß"

Die Formel der Hoffnung
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Dr. Morgan, dem Chef des Vanderbilt-Hospitals war nicht bewusst, dass es sich bei Dr. M. Horstmann um eine Frau handelt. Niemals hätte er sie eingestellt, aber jetzt musste er damit leben. Frauen in Arztberufen ...

Dr. Morgan, dem Chef des Vanderbilt-Hospitals war nicht bewusst, dass es sich bei Dr. M. Horstmann um eine Frau handelt. Niemals hätte er sie eingestellt, aber jetzt musste er damit leben. Frauen in Arztberufen waren nicht gewünscht und schon gar nicht als gleichwertige Mitarbeiter angesehen. Und dann ausgerechnet diese 1,82 m große Ärztin, die allein durch ihre Gestalt schon Aufsehen erregte. Das war also im Jahr 1940. Wenn man bedenkt, dass erst im Jahr 1961 die Massenimpfung eingeführt wurde….

„Die Formel der Hoffnung“ beschreibt die Bemühungen einer Frau, das Virus der Kinderlähmung zu besiegen. Kaum wird sie in der Historie aufgeführt. Umso mehr Achtung habe ich vor der Autorin Lynn Cullen. In einem Nachwort erläutert sie die Schwierigkeiten beim Recherchieren und zeigt noch einmal, welche Hürden Frauen auch im Jahr 1940 noch überwinden mussten. Und das in den eigentlich doch recht fortgeschrittenen USA.

Dr. Dorothy Millicent Horstmann lebte für ihren Beruf und sah im Erforschen des Virus eine Lebensaufgabe. Zu sehr litt sie mit den kleinen Patienten, die unter den qualvollen Bedingungen einer Behandlung litten. Diese „eiserne Lunge“ war nur eine der Maßnahmen und half doch nur wenigen. Immer wieder musste Dorothy den lauten Stimmen der Kollegen weichen und war doch maßgeblich am Entwickeln eines Impfstoffes beteiligt. Wenn ich bedenke, wie rasch ein Impfstoff gegen Covid gefunden wurde, schon erstaunlich.

Das Buch enthält viele Fakten über Virologie. Aber auch über die Lebensumstände in dieser Zeit. Das Personenverzeichnis am Ende gibt Aufschluss über alle im Buch genannten Personen. Die gehobene Sprache lässt sich auch dank der Übersetzerin Maria Poets angenehm lesen.

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