Passive Selbstfindung
HitzeEin sehr gehyptes Buch mit einem Cover, das um Aufmerksamkeit buhlt, "ein Lieblingsbuch von Obama" - kann es halten, was es verspricht? Ich für mich muss feststellen: eher nicht.
Ich beginne mal mit der ...
Ein sehr gehyptes Buch mit einem Cover, das um Aufmerksamkeit buhlt, "ein Lieblingsbuch von Obama" - kann es halten, was es verspricht? Ich für mich muss feststellen: eher nicht.
Ich beginne mal mit der Aussage zu Obama. Ich glaube, dass der Mann viel liest, aber eigentlich weiß ich nicht genau was und ob unsere Geschmäcker deckungsgleich sind, kann ich nicht beurteilen - denn Lesen ist ein sehr subjektives Erlebnis und nicht bei jedem bringt ein Buch etwas zum Klingen. In diesem Fall muss ich mich aber schon fragen, was Obama denn so umgehauen hat - die passive, stark sexuell aufgeladene und überforderte Sinnsuche der 23-jährigen Edie wird es wohl kaum gewesen sein, sondern (rein spekulativ natürlich) vermutlich eher die Tatsache, dass er namentlich im Buch auf S. 124 erwähnt wird. Würde mir das passieren, wäre ich wohl auch hingerissen und begeistert.
Ansonsten ist dieser Roman einer, der in seiner Bewertung geradezu nach einer deutlichen Trennung von Diskurs- und Inhaltsebene schreit. Auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung hat mir der Roman zeitweise richtig gut gefallen. Die Erzählinstanz versteht es, Unausgesprochenes in den Mittelpunkt zu stellen, das Schweigen spricht, verunsichert aber nicht. Sie schlägt unvermittelte Bögen, die sinnvoll sind, und die Leserschaft nicht verwirren, sie deutet an und erkennt, kommentiert und lässt offen - sehr dosiert, sehr gut gemacht. Sie ist Beobachterin ihres eigenen Lebens, mit großer Distanz und Passivität lässt sie die Tage vorbeigleiten. Der einzige Wermutstropfen ist das Sprachregister, das einen Hang zu bildungssprachlichen Fremdwörtern aufweist, nicht zu der Selbstwahrnehmung der Erzählerin zu passen scheint und für mich daher störend war.
Inhaltlich dreht sich der Roman im ersten Teil um sehr viel Sex und die Möglichkeit mit Sex und Gewalt zu kontrollieren und kontrolliert zu werden, sowie der Versuch durch Sex eine Daseinsberechtigung zu erreichen und wahrgenommen zu werden. Diese inhaltliche Ausrichtung soll Edies Minderwertigkeitskomplexe unterstreichen, in ihrer Ausführlichkeit und ihrem Fokus nahm die Thematik für mich aber viel zu viel Raum ein und wurde ziemlich schnell einfach nur öde. Die zweite Hälfte des Romans hat mir inhaltlich besser gefallen, da hier der Fokus mehr auf Edies erwachendes Selbstverständnis gelegt wird. Allerdings waren mir viele Symbole und Ereignisse, die den Weg zur Beantwortung der Frage "Wer bin ich?" ebnen sollten, zu platt, zu zahlreich und zu simpel gewählt. Die vielen fehlschlagenden Versuche, sich selbst zu zeichnen und der verlangende Blick in den Spiegel - das geht doch nun wirklich auch subtiler. Ansonsten besticht Edie hauptsächlich durch ihre schon enervierende passive Art, die besonders in Zeiten eines aktiv selbstbestimmten Feminismus zeitweise wie ein anachronistischer Rückgriff auf ein antiquiertes Frauenbild anmuten mag. Darf man als Frau überhaupt noch zulassen, dass einem alles nur zustößt? Darf man als Mensch heute überhaupt noch zulassen, nichts zu tun oder zu sein?
"Hitze" ist ein Roman, der Gespräche und Gedanken anzustoßen vermag, und sicher auch ein paar Analysemöglichkeiten bietet. Erzählerisch auf gutem Niveau, bleibt er inhaltlich jedoch zu einfach und einseitig.