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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.08.2018

Mehr Mystery als Thriller

Rindviehdämmerung
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„...Aber selbst die nervigsten Therapeuten, an die sie bis jetzt geraten war, wussten, dass die „Entzugserscheinungen“ von Hasch die gleichen waren wie die von Schokolade: Man wollte es und wenn es nicht ...

„...Aber selbst die nervigsten Therapeuten, an die sie bis jetzt geraten war, wussten, dass die „Entzugserscheinungen“ von Hasch die gleichen waren wie die von Schokolade: Man wollte es und wenn es nicht da war, war `s halt blöd...“

Ursula und Bertram Bachinger kommen spätabends von einer Veranstaltung nach Hause. Ursula hat schon ein eigenartige Gefühl, als sie das Haus betritt. Wenige Minuten später ist sie tot.
Kathi ist Kellnerin. In der gleichen Nacht streikt ihr Auto auf der Landstraße. Als sie zu Fuß nach Hause läuft, wundert sie sich über das eigenartige Verhalten der Kühe. Dummerweise steht ihr Wagen an der Grundstücksgrenze von Bachingers, so dass die Polizei bei ihr erscheint.
Die Autorin hat einen abwechslungsreichen Roman geschrieben. Meiner Ansicht nach ist es allerdings kein Heimatthriller, sondern eher eine Mystery-Roman. Der Begriff Heimat ist jedoch nicht falsch, denn alles dreht sich um eine kleines Dorf und die Vergangenheit seiner Bewohner.
Zum eigentlichen Inhalt möchte ich mich nicht äußern, weil ich diese Art von Romanen sonst kaum lese und mir deshalb ein Urteil nicht zutraue. Das heißt auch, dass meine Punktbewertung aus der Beurteilung des sprachlichen, nicht des inhaltlichen Eindrucks resultiert.
Dass ich das Buch überhaupt zu Ende gelesen habe, liegt an dem ungewöhnlichen Schriftstil der Autorin. Sie mischt auf äußerst geschickte Art Humor mit Grauen. Während die Handlung im überwiegenden Teil letzterem Punkt zuzuordnen ist, weist der Schriftstil viele amüsante Elemente auf. Sprechende Kühe und mitdenkende Hunde sind das eine. Auch wie Kuh und Hund miteinander kommunizieren, fand ich lustig. Hinzu kommt, dass die Gedanken der Protagonisten kursiv wiedergegeben werden. Das gleiche gilt übrigens für alle Äußerungen der Tiere.
Das Eingangszitat stammt von Kathi.
Selbst Andi, der neue Kommissar im Dorf, fällt aus dem Rahmen, denn für seine Ermittlungen interessiert ihn zuerst die Seele des Raums. Von Bayern hat er übrigens seine ganz eigene Ansicht.

„...Bayern...gehört nicht wirklich zum Rest der Republik...“

Dass Gustl, der einheimische Polizist, bei Vergehen gern einmal Lore konsultiert, die sich mit Wahrsagung und ähnlichen Methoden beschäftigt, wundert mich fast nicht mehr.
Fast mit Erstaunen habe ich registriert, dass der Fall am Ende konsequent logisch aufgeklärt wurde, auch wenn es nicht die normale Logik eines Kriminalromans ist.
Wer Mystery-Thriller mag, ist bei diesem Buch auf jeden Fall richtig. Wer einen normalen Thriller erwartet, sollte die Hände davon lassen.

Veröffentlicht am 02.08.2018

Der Autor und sein Werk

Mit Michael Ende am Schreibtisch
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„...Die kleine Dryade wohnt gerne im Garten der Casa Liocomo, dem Haus Einhorn. Für einen Baumgeist ist der Olivenhain in den Albaner Bergen bei Rom ein wahres Paradies. Die kleine Dryade mag Geschichten ...

„...Die kleine Dryade wohnt gerne im Garten der Casa Liocomo, dem Haus Einhorn. Für einen Baumgeist ist der Olivenhain in den Albaner Bergen bei Rom ein wahres Paradies. Die kleine Dryade mag Geschichten und ihr Nachbar, ein gemütlicher Herr mittleren Alters, kann wunderbar erzählen...“

Mit diesen Worten beginnt ein Buch, dass sich dem Leben und Schaffen von Michael Ende widmet, denn der ist der Nachbar der kleinen Dryade.
Dabei lässt mich der Autor des Buches auch am Schaffensprozess des Schriftstellers teilhaben. Ich darf ihm beim Schreiben quasi über die Schulter schauen.
Michaels Elternhaus war ein Haus der Gegensätze. Das betraf nicht nur den Charakter der Eltern, sondern auch ihre Lebenseinstellung. Während die Mutter eher Realistin war, lagen die Schwerpunkte des Vaters in seiner Malerei. Unter den Nazis bekam er Berufsverbot.
Gekonnt wird dargestellt, wie Michaels Lebensgeschichte Eingang in sein Werk fand, insbesondere in „Die unendliche Geschichte“. Tod und Gewalt der Nazizeit, seine Erfahrungen der Bombennächte spiegeln sich im Leben der Protagonisten wider.
Der Schriftstil des Buches lässt sich gut lesen. Die Parallelität zwischen den einzelnen Lebensstationen und der Entstehung der Bücher wird anschaulich herausgearbeitet. Gleichzeitig ist das Buch damit eine minimale Zusammenfassung von „Die unendliche Geschichte“, „Lukas, der Lokomotivführer“ und „Momo“. Wichtig dabei ist, dass begründet wird, warum er manche Dinge so und nicht anders geschrieben hat. Auch die Schwierigkeiten im Schaffensprozess werden nicht ausgeklammert. Das folgende Zitat zeigt seine Einstellung:

„...Das Kind, das ich einmal war, lebt heute noch in mir...“

Mit der Art seiner Literatur war der Autor seiner Zeit voraus. Das brachte ihm einerseits einige Literaturpreise, andererseits scharfe Worte mancher Literaturkritiker. Auch den Umgang mit den Fans musste er erst lernen.
Der Film zum Buch wird zum Desaster. Die Verfremdungen kann und will der Autor nicht mittragen. Noch schlimmer trifft es seine Frau Ingeborg.
Eine Auflistung der Bücher von Michael Ende und umfangreiche Anmerkungen ergänzen das Buch.
Die Biografie hat mir sehr gut gefallen. Sie zeigt nicht nur das Auf und Ab im Leben des Schriftstellers, sondern ermöglicht einen Einblick in seine ganz persönliche Gedankenwelt.

Veröffentlicht am 01.08.2018

Was ist mit Inchi los?

Zitrönchen
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„...Jo hatte das Gefühl, dass der Schmetterling tief in ihrem Inneren vor lauter Schreck erstarrte und dieses Gefühl übertrug sich nun auf alle ihre Gliedmaßen...“

Mücke, Jo und weitere Mädchen der Reitgruppe ...

„...Jo hatte das Gefühl, dass der Schmetterling tief in ihrem Inneren vor lauter Schreck erstarrte und dieses Gefühl übertrug sich nun auf alle ihre Gliedmaßen...“

Mücke, Jo und weitere Mädchen der Reitgruppe bekommen mit, wie sich Jos Mutter und Oma mit Inchis Mutter unterhalten. Letztere weint. In der Reitanlage treffen die Mädchen dann Inchi. Auch bei ihr sind Tränen geflossen. Was ist nur passiert?
Dabei haben sie normalerweise keine Zeit für neue Probleme. Gerade sind die Unterlagen für den Vereinscup eingetroffen. Wenn sie eine Chance haben wollen, brauchen sie nicht nur jedes Teammitglied. Trotz Eis und Schnee bedarf es eines harten Trainings.
Die Autorin hat erneut eine spannende Pferdegeschichte für jugendliche Leser geschrieben.
Der Schriftstil lässt sich zügig lesen und ist der Zielgruppe angepasst.
Gut wird dargestellt, wie die Gruppe die Aufgaben für den Wettbewerb geschickt unter sich aufteilt. Jeder bringt sich nach seinen besonderen Fähigkeiten ein. Um Inchi Halt und Zuversicht zu geben, sie vom Grübeln abzuhalten und sie weiter in die Gruppe zu integrieren, bekommt sie die schwierigsten Aufgaben. Dass sie diese bewältigen kann, ist allerdings unbestritten.
Häufig darf ich als Leser beim Training zusehen und lerne dabei eine Menge über den Umgang mit Pferden. Auch persönliche Fragen werden angesprochen. Wollen Rosita und Luis wirklich nach Spanien zurück?
Einen breiten Raum nimmt das Thema Vertrauen ein. Es geht um das Vertrauen der Gruppe zu Inchi, die sich ihre Schuld bewusst ist. Doch auch Jo hat Probleme zu vertrauen. Inchi soll auf Zitrönchen am Springreiten teilnehmen. Zitrönchen ist Jos Pferd. Sie ist dafür bekannt, dass sie fremde Reiter gern aus dem Sattel befördert. Ihre Bocksprünge sind legendär. Wird Inchi mit ihr zurecht kommen? Wie wird Zitrönchen auf die Reiterin reagieren? Genau dabei kommt Jos Schmetterling zum Tragen. Der flattert nämlich nicht nur, wenn Luis in der Nähe ist. Er signalisiert ihr auch im täglichen Leben Gefahren und macht sich in schwierigen Situationen bemerkbar.
Der ruhende Pol in dieser fast hektischen Zeit ist Jos kleine Schwester Mücke. Sie hat für sich einen ganz persönlichen Weg gefunden, sich Problemen zu stellen und die in den Griff zu bekommen. Nur als der Tierarzt wegen dem Pferd Trude erscheint, liegen bei Mücke die Nerven blank.
Die Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Sie bekommt eine unbedingte Leseempfehlung, denn sie ist lebensnah und beweist, was man mit Freundschaft, Vertrauen und Zusammenhalt erreichen kann.

Veröffentlicht am 31.07.2018

Biblische Geschichten ins Heute übertragen

Der Fremde im Zug
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„...Sie wollten doch die Kurzfassung. Dann ist es dieses eine Gebot. Aber um dieses Gebot herum ist praktisch die ganze Bibel entstanden: Geschichten, Gleichnisse, Psalmen...“

Der Untertitel des Buches ...

„...Sie wollten doch die Kurzfassung. Dann ist es dieses eine Gebot. Aber um dieses Gebot herum ist praktisch die ganze Bibel entstanden: Geschichten, Gleichnisse, Psalmen...“

Der Untertitel des Buches lautet: biblische Gleichnisse ins Heute übertragen. Die Idee fand ich spannend. Die Umsetzung hat mich nicht überzeugt.
Das Buch enthält zwanzig Geschichten. Einige sind gelungen. Manche sind sehr gut erzählt, passen aber nicht zu betreffenden Gleichnis. Andere Erzählungen haben mir gar nichts gesagt.
Auf einige möchte ich nun speziell eingehen.
Das obige Zitat stammt von der Geschichte des Fremden aus dem Zug. Es geht um das Gebot der Nächstenliebe und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Die Erzählung gehört zu denjenigen, die mir gefallen haben. Sie kann durchaus so im Heute und Hier passieren.
Zu den berührendsten Geschichten gehört „Ein Leben für ein Leben?“. Hier wird auf behutsame Art der innere Kampf einer Mutter wiedergegeben, die sich fragt, wie weit sie für ihr schwerkrankes Kind gehen würde. Allerdings finde ich den Bezug zum angegebenen Gleichnis weniger passend.
Einen besonderen Weg geht der Autor, um das Gleichnis vom verlorenen Sohn neu zu erzählen. Hier arbeitet er mit Chatprotokollen. Der Grundgedanke wird gut herausgearbeitet.
Kein Verständnis habe ich dafür, wenn biblische Gleichnisse in die Welt der Stars und Sternchen gelegt werden, wie bei der Hochzeitsgeschichte. So hätte sie Jesu nie erzählt. Seine Bezüge stammten aus der Lebenswirklichkeit des Volkes, nicht aus abgehobenen Schichten.
Auch die Geschichte von den ungleichen Zwillingen hat mir nicht zugesagt. Dass die Letzten die ersten sein werden, heißt doch nicht, dass Faulheit belohnt wird.
Der Schriftstil der Geschichten ist unterschiedlich. Einige haben einen Ich-Erzähler. Speziell in einem Fall wird ein feiner Humor kreiert. Häufig führen gut ausgearbeitete Dialoge zur entsprechenden Schlussfolgerung des Gleichnisses.
Dass bedeutet auch, dass der Schriftstil für die meisten Geschichten von mir positiv bewertet wird. Inhaltlich aber habe ich einige Vorbehalte, was ich an wenigen Beispielen belegt habe.

Veröffentlicht am 30.07.2018

Mord in Dresden anno 1948

Vergessene Seelen
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„...Pragmatismus war eine Überlebensstrategie. Stolz nur ein Hindernis. Die Parteizugehörigkeit war ein Vorteil. Kompetenz zählte nur bedingt...“

Wir schreiben das Jahr 1948. Kriminalkommissar Max Heller ...

„...Pragmatismus war eine Überlebensstrategie. Stolz nur ein Hindernis. Die Parteizugehörigkeit war ein Vorteil. Kompetenz zählte nur bedingt...“

Wir schreiben das Jahr 1948. Kriminalkommissar Max Heller in Dresden wird zu einem Tatort gerufen. In einem Sichtschacht wurde ein Toter gefunden. Noch ist nicht klar, ob das ein Unfall war, als auf einer Baustelle ein toter Junge entdeckt wird. Ermittlungen in Schulen ergeben, dass es sich um den 12jährigen Alfons Utmann handelt.
Der Autor hat einen fesselnden Kriminalroman geschrieben. Gleichzeitig vermittelt das Buch ein Stück Zeitgeschichte.
Für mich war es der erste Teil aus der Reihe. Trotzdem konnte ich dem Handlungsablauf gut folgen. Auch die familiären Verhältnisse wurden nach und nach klar.
Während sich Heller auf die Suche nach dem Mörder macht, muss er gegen seine eigenen Dämonen kämpfen. Erst am Ende der Geschichte werde ich erfahren, warum ihn die Spuren der Schläge auf dem Körper des toten Jungen so an die Nieren gehen.
Der Schriftstil des Buches ist ausgefeilt. Manchmal überwiegen kurze, knappe Sätze, wie das Eingangszitat zeigt. Es fällt bei der Begegnung mit Lehrern in der Volksschule.
Ausführlich dagegen werden die historischen Zustände beschrieben. Noch immer kämpft jeder um Nahrungsmittel und Heizmaterial, gegen Hunger und Kälte. Die Schuld gibt man den russischen Besatzern, denn in den westlichen Besatzungszonen geht das Leben schon leichter. Das folgende Zitat wirft nur ein Schlaglicht auf die Gedanken der Menschen:

„...Er wusste, dass man dem Gerede, dass die Juden alles Geld und alle Häuser aufkauften ...nicht Herr werden konnte. Viele glaubten den Berichten über die Gräuel der Nazis nicht und hielten das für Russenpropaganda. Dabei waren sie bereit gewesen, der Nazipropaganda bis in den Untergang zu folgen...“

Der Riss geht durch die eigene Familie. Während Heller ein Polizist von altem Schrot und Korn ist, arbeitet sein Sohn Klaus für das Ministerium des Inneren. Dabei übersieht er, dass auch das neue Regime Fehler macht. Die gut gestalteten Dialoge zwischen Max und Klaus sind eines der stilistischen und inhaltlichen Höhepunkte des Romans. Max sieht die Situation pragmatisch. Klaus geht es dagegen in erster Linie darum, sogenannte Staatsfeinde zu überführen.
Besonders betroffen machen drei Berichte im Rahmen der Handlung. Während der Diskussion mit dem Vater spricht Klaus das erste Mal darüber, was er im Russlandfeldzug erlebt hat. Seine Treue zum neuen Staat ist die Folge dieser Ereignisse. Es ist seine Form der Aufarbeitung persönlicher Schuld.
Auch Utmann, der Vater des toten Jungen, spricht über seine Kriegserlebnisse. Das brutale Verhalten gegenüber seiner Frau und ein reichhaltiger Alkoholkonsum lässt ihn vergessen. Dass seine Frau jegliche Hilfsangebote ablehnt, kann ich nicht nachvollziehen. Doch Oldenbusch, Hellers Partner, bringt es auf den Punkt.

„...Die Frauen solcher Männer schweigen bis ins Grab...So war es doch immer schon, die gute alte Schule, Familie über alles und der Mantel des Schweigens darüber...“

Und dann gibt es den Bericht eines Chirurgen. Er ist während des Krieges übergelaufen. An dieser Lebensbeichte hat mich am meisten seine Aussage berührt, dass er es unter gleichen Umständen wieder tun würde, obwohl er von allen Seiten, Verlierern und Siegern, als Verräter gebrandmarkt wurde.
Die Währungsreform in den drei westlichen Sektoren verschlimmert die Lage. Ängste nehmen zu. Plötzlich kommen Gedanken an einen neuen Krieg. Karin, Max` Frau, analysiert die Lage glasklar.

„...In diesem Fall waren es nicht die Russen. Im Gegenteil, es kann ihnen nicht recht sein. Es ist ein Affront!...“

Ob sie geahnt hat, dass damit die Teilung Deutschlands für viele Jahre zementiert wurde? Überall reagiert Misstrauen. Alte Seilschaften strecken ihre Fühler aus. Viele versuchen sich Richtung Westen abzusetzen.
Doch nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse und Umbrüche erweisen sich letztendlich als Motiv für den Mord. Es sind ganz banale menschliche Unvollkommenheiten.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ermöglicht mir als Leser einen Blick in die Verhältnisse und die Gedankenwelt des Jahres 1948 und unterhält mich darüber hinaus mit einem spannenden Kriminalfall.