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Veröffentlicht am 05.08.2019

Zwei Meter

Drei Schritte zu dir
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Stella Grant hat gerne alles unter Kontrolle, obwohl ihre Krankheit ihr das fast unmöglich macht. Seit ihrem sechsten Lebensjahr hat sie viel Zeit in Krankenhäusern verbracht, denn sie leidet an Mukoviszidose. ...

Stella Grant hat gerne alles unter Kontrolle, obwohl ihre Krankheit ihr das fast unmöglich macht. Seit ihrem sechsten Lebensjahr hat sie viel Zeit in Krankenhäusern verbracht, denn sie leidet an Mukoviszidose. Sie hält sich streng an ihren Therapieplan und hofft auf eine Spenderlunge. Wegen eines Infekts ist sie gerade wieder in der Klinik, wo sie den etwa gleichaltrigen Will Newman (17) trifft. Auch er ist schwer an Muko erkrankt, hat aber sonst nicht viel mit Stella gemeinsam, denn er nimmt es mit seiner Therapie nicht so genau. Trotzdem fühlen sich beide nach kurzer Zeit zueinander hingezogen. Und exakt das wird zum Problem, denn Patienten mit der Lungenkrankheit müssen etwa drei Meter Abstand zueinander halten. Weil er sich mit resistenten Bakterien infiziert hat, ist Will sogar eine besonders große Gefahr für Stella. Wie sollen die beiden mehrere Schritte Abstand wahren, wenn sie sich berühren wollen?

„Drei Schritte zu dir“ von Rachael Lippincott ist der Roman, der auf dem Drehbuch des gleichnamigen Films basiert.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 31 Kapitel mit einer angenehmen Länge. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge abwechselnd in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Stella und Will. Die Übergänge sind fließend, sodass keine Wiederholungen oder Lücken entstehen. Dieser Aufbau funktioniert sehr gut.

Der Schreibstil ist gut verständlich, aber sehr einfach. An vielen Stellen wird deutlich, dass die Drehbuchstruktur den Roman geprägt hat. So gibt es beispielsweise nur wenige detailreiche Beschreibungen. Dennoch lässt sich die Handlung gut nachvollziehen. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir leicht.

Im Mittelpunkt des Romans stehen Stella und Will, zwei Protagonisten, die ich zwar grundsätzlich sympathisch finde, aber vor allem in den ersten Kapiteln zu unreif für ihr Alter empfunden habe. Allerdings machen die beiden eine Entwicklung durch. Die meisten Personen wirken recht authentisch. An einigen Stellen bleiben die Charaktere jedoch ein wenig zu blass, was sicherlich dem Erzählstil geschuldet ist.

Obwohl die Geschichte nur allmählich Fahrt aufnimmt und erst im letzten Drittel so richtig Spannung aufkommt, konnte mich die Handlung gut unterhalten. Meine Erwartung, mehr über die Krankheit und das Leben mit Mukoviszidose zu erfahren, wurde absolut erfüllt. Die Stärke des Romans liegt darin, auf dieses Lungenleiden aufmerksam zu machen und darüber aufzuklären, was ich sehr begrüßenswert finde. Die Verbindung von Liebes- und Krankheitsgeschichte kann schnell ins Kitschige abrutschen. Das ist bei diesem Roman eher nicht der Fall. Allerdings konnte mich das Buch nicht so sehr berühren wie erhofft.

Ich habe die Geschichte als ungekürzte Lesung gehört. Dabei liest Dirk Petrick die Will-Kapitel und Maximiliane Häcke die Stella-Passagen. Die zwei Sprecher machen dabei einen guten Job.

Das optisch ansprechende Cover passt sehr gut, denn es greift eine im Buch erwähnte Zeichnung auf. Beim deutschen Titel wurde sich am amerikanischen Original („Five Feet Apart“) orientiert.

Mein Fazit:
Auch wenn mich die Geschichte nicht in allen Punkten überzeugt hat, ist „Drei Schritte zu dir“ von Rachael Lippincott ein unterhaltsamer und thematisch interessanter Roman. Die Filmversion werde ich mir bei Gelegenheit sicherlich auch noch anschauen.

Veröffentlicht am 31.07.2019

Ein Leben in einem Lügenkonstrukt

Die junge Frau und die Nacht
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Auf das Drängen seines besten Freundes Maxime Biancardini kehrt der erfolgreiche Schriftsteller Thomas Degalais wegen einer Jubiläumsfeier ihrer alten Schule aus den USA in seine französische Heimatstadt ...

Auf das Drängen seines besten Freundes Maxime Biancardini kehrt der erfolgreiche Schriftsteller Thomas Degalais wegen einer Jubiläumsfeier ihrer alten Schule aus den USA in seine französische Heimatstadt Antibes an der Côte d’Azur zurück – an den Ort, an dem vor 25 Jahren Vinca Rockwell, seine große Liebe, spurlos verschwand. Damals beging Thomas mit Maximes Hilfe aus Liebe und Verzweiflung ein grausames Verbrechen. Nun droht die Vergangenheit die beiden einzuholen, denn jemand ist hinter ihr Geheimnis gekommen und will Rache. Um sich und ihre Familien zu schützen, müssen Thomas und Maxime herausfinden, warum Vinca mit 19 Jahren im Dezember 1992 das Internatsgelände von Saint-Exupéry verließ. Doch je näher sie der Wahrheit kommen, desto größer wird die Gefahr…

„Die junge Frau und die Nacht" ist ein Roman von Guillaume Musso.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus fünf Teilen, die in 18 Kapitel untergliedert sind, die mit Zitaten eingeleitet werden. Das Buch endet mit einem Epilog beziehungsweise mehreren Epilogen. Vorangestellt ist eine Art Prolog. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven, vorwiegend aus der Sicht von Thomas in der Ich-Perspektive. Es gibt immer wieder Rückblenden, denn die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen. Der Aufbau wirkt durchdacht.

Der Schreibstil ist angenehm und anschaulich. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir aufgrund einiger Perspektivwechsel und Zeitsprünge nicht so leicht. Auch die Einführung vieler Personen auf wenigen Seiten macht den Anfang verwirrend. Später habe ich mich allerdings gut in der Geschichte zurechtgefunden.

Die Protagonisten sind reizvoll angelegt und werden als vielschichtige, psychologisch gut ausgearbeitete Charaktere präsentiert. Dadurch erscheinen die Personen durchaus authentisch. Ein Manko des Romans ist es jedoch, dass ich mich mit keiner der Persönlichkeiten identifizieren kann und es keine Sympathieträger gibt.

Inhaltlich kommt der Roman wie ein Psychothriller daher. Die Atmosphäre ist düster. Es geht um Rache, dunkle Geheimnisse, menschliche Dramen und Verbrechen. Zwar spielt auch die Liebe eine nicht unwichtige Rolle. Dennoch ist für meinen Geschmack die Krimi-Komponente zu stark ausgeprägt.

Trotz der mehr als 400 Seiten bleibt die Geschichte weitgehend kurzweilig. Mit mehreren Wendungen gelingt es dem Autor, das Rätsel um das Verschwinden von Vinca und den eingangs geschilderten Mord aufrechtzuerhalten. Immer wieder kann der Leser eigene Theorien aufstellen. Bis zum Schluss ist die Spannung hoch. Allerdings wirken die Enthüllungen gegen Ende auf mich ein wenig zu stark konstruiert.

Interessant sind die Ausführungen, die Musso an seinen Roman anfügt. Zu lesen sind dort „Über das Privileg des Romanautors“ und „Das Wahre vom Falschen unterscheiden“. So erfährt der Leser zum Schluss, welcher Teil des Romans auf tatsächlichen Begebenheiten und was auf reiner Fiktion beruht.

Ein weiterer Pluspunkt ist die Karte, die eine Orientierung über das St. Exupéry College gibt. Auch das Quellenverzeichnis und die Fußnoten gehören zum Zusatzmaterial.

Das düstere Cover passt gut zum Inhalt des Romans, weicht jedoch erheblich von der französischen Ausgabe ab. Der deutsche Titel wurde dagegen vom Original („La jeune fille et la nuit“) übernommen.

Mein Fazit:
Nachdem ich zuvor einige Lobeshymnen auf Guillaume Musso gehört und mit entsprechend hohen Erwartungen die Lektüre begonnen hatte, hat mich sein neuer Roman „Die junge Frau und die Nacht" wegen kleinerer Schwächen ein wenig enttäuscht. Dennoch beweist der Autor sein schriftstellerisches Können und bereitet fesselnde Lesestunden, sodass ich den Vorgängerromanen von Musso sicherlich auch noch eine Chance geben werde.

Veröffentlicht am 30.07.2019

Eine gefährliche Freundschaft

So schöne Lügen
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Eigentlich wollte Louise (29) Autorin werden, stattdessen schlägt sie sich in New York mit miesen Jobs herum. Um ihr Leben zu finanzieren und die Miete für die Wohnung in Brooklyn zu bezahlen, arbeitet ...

Eigentlich wollte Louise (29) Autorin werden, stattdessen schlägt sie sich in New York mit miesen Jobs herum. Um ihr Leben zu finanzieren und die Miete für die Wohnung in Brooklyn zu bezahlen, arbeitet sie in einem Café, schreibt für eine Internet-Shoppingseite und gibt SAT-Vorbereitungskurse. So lernt sie die 23-jährige Lavinia Williams kennen. Die reiche Studentin wohnt auf der Upper East Side und ist sehr attraktiv. Es ist der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft. Lavinia teilt ihr glamouröses Leben mit Louise, die der schönen Welt zunehmend verfällt. Doch es geht nur solange gut, wie Louise nach den Regeln von Lavinia mitspielt...

„So schöne Lügen“ ist der Debütroman von Tara Isabella Burton.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zehn Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Erzählt wird im Präsens. Der Aufbau wirkt durchdacht und funktioniert gut.

Der Schreibstil ist geprägt von vielen Dialogen. Er verzichtet auf ausschweifende Beschreibungen und Details. Dadurch erinnert er stellenweise an ein Drehbuch oder Drama. Dennoch liest sich der Roman flüssig. Umgangssprache macht den Stil lebhaft, aber nicht zu vulgär.

Mit Louise und Lavinia stehen zwei Protagonistinnen im Vordergrund, die ich zwar nicht sonderlich sympathisch, aber doch sehr reizvoll finde. Beide Charaktere sind nicht leicht zu durchschauen, was für die Handlung jedoch förderlich ist. Zum Teil wirken die beiden ungleichen Frauen sowie einige Nebenpersonen ein wenig überzeichnet, was dem Lesevergnügen allerdings keinen Abbruch tut.

Beim Lesen kommt keine Langeweile auf. Das liegt nicht nur daran, dass der Roman nur etwas mehr als 300 Seiten hat, sondern auch daran, dass die Geschichte schnell einen Sog entwickeln kann. Die Handlung nimmt stetig an Spannung zu und bietet einige Überraschungen.

Gut gefallen hat mir auch, dass das Buch gesellschaftskritische Elemente aufgreift. Die schöne Welt des falschen Scheins, der Umgang mit den sozialen Medien und ähnliche Themen sind sehr aktuell und regen zum Nachdenken an.

Das Cover der gebundenen Ausgabe finde ich optisch äußerst gelungen, obwohl es wenig über den Inhalt aussagt. Der deutsche Titel weicht stark vom Original („Social Creature“) ab, passt aber nach meiner Ansicht sogar noch besser.

Mein Fazit:
Mit „So schöne Lügen“ ist Tara Isabella Burton ein eher ungewöhnlicher Roman gelungen, der - aufgrund des Schreibstils, der Charaktere und der Story - das Potential hat zu polarisieren. Mir hat die kreative Geschichte unterhaltsame und fesselnde Lesestunden bereitet, sodass ich das Buch weiterempfehlen kann.

Veröffentlicht am 29.07.2019

Ein Leben, das außer Kontrolle gerät

All das zu verlieren
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Auf den ersten Blick führt Adèle ein angenehmes Leben: Die Journalistin arbeitet für eine Pariser Tageszeitung. Mit ihrem Mann Dr. Richard Robinson, einem Chirurgen, und ihrem kleinen Sohn Lucien lebt ...

Auf den ersten Blick führt Adèle ein angenehmes Leben: Die Journalistin arbeitet für eine Pariser Tageszeitung. Mit ihrem Mann Dr. Richard Robinson, einem Chirurgen, und ihrem kleinen Sohn Lucien lebt sie in einem schicken Pariser Viertel. Finanziell geht es der Familie gut, sie reist gerne einmal übers Wochenende ans Meer. Dennoch ist Adèle unglücklich und führt ein Doppelleben. Sie trifft sich heimlich mit anderen Männern und lebt mit Fremden ihre sexuellen Obsessionen aus. Dabei setzt sie alles aufs Spiel, denn sie könnte viel verlieren…

„All das zu verlieren“ ist der gelungene Debütroman von Leïla Slimani.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus kurzen Kapiteln, die sich zum Teil aus mehreren Abschnitten zusammensetzen. Erzählt wird zunächst aus der Perspektive von Adèle, später aus der von Richard. Der Roman ist chronologisch aufgebaut, allerdings gibt es mehrere Rückblenden. Diese Struktur ist gut durchdacht.

Der Schreibstil wirkt eher reduziert, schnörkellos, detailarm und nüchtern, ist aber gleichzeitig auch intensiv, schonungslos und eindringlich. Die Autorin beweist eindrucksvoll, wie gut sie mit Sprache umgehen kann und wie viel sich in wenigen Sätzen vermitteln lässt. Schon nach wenigen Seiten entwickelt die Geschichte dadurch einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte.

Mit Adèle steht eine interessante Protagonistin im Vordergrund, die das Potenzial hat zu polarisieren. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, sie auf Anhieb als sympathisch empfunden zu haben. Obwohl ihre Gedanken und Gefühle recht deutlich werden, konnte ich ihr Verhalten größtenteils nicht nachvollziehen oder gar gutheißen. Dennoch hat der Charakter etwas an sich, das ihn spannend und reizvoll macht, sodass ich ihre Geschichte sehr gerne verfolgt habe. Stellenweise drängt sich der Eindruck auf, dass die Protagonistin etwas überspitzt dargestellt wird. Das hat mich beim Lesen allerdings nicht gestört. Absolut authentisch finde ich Richard. Die Nebenfiguren bleiben größtenteils recht blass, was in diesem Fall aber zur Geschichte passt.

Mit nur etwas mehr als 200 Seiten ist der Roman ziemlich kurz. Trotzdem steckt inhaltlich eine Menge darin, denn die Geschichte verfügt über viel Tiefgang. Es geht um mehr als nur die Lebensgeschichte einer zerrissenen Frau und die Abgründe, die sich dabei offenbaren. Ein Pluspunkt ist die gesellschaftskritische Komponente, durch die der Roman immer wieder aufwühlt und zum Nachdenken anregt.

Das Cover gefällt mir gut, weil es die innerliche Zerrissenheit von Adèle illustriert. Der deutsche Titel weicht leider stark vom französischen Original („Dans le jardin de l'ogre“) ab, den ich um einiges passender finde.

Mein Fazit:
Mit „All das zu verlieren“ konnte mich Leïla Slimani überzeugen. Es ist ein fordernder, aber sehr besonderer Roman, der mich in seinen Bann gezogen hat. Mit Sicherheit wird es nicht die letzte Geschichte der Autorin bleiben, die ich gelesen habe.

Veröffentlicht am 24.07.2019

Ein Ort voller Sünder

Die Kinder des Borgo Vecchio
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In dem kleinen Viertel Borgo Vecchio an der Küste, irgendwo in Italien, wachsen Cristofaro, Celeste und Domenico, der von allen nur Mimmo genannt wird, auf. Die drei Kinder stehen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, ...

In dem kleinen Viertel Borgo Vecchio an der Küste, irgendwo in Italien, wachsen Cristofaro, Celeste und Domenico, der von allen nur Mimmo genannt wird, auf. Die drei Kinder stehen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, haben ihren kindlichen Blick jedoch schon länger verloren. Giovanni, Mimmos Vater, ist der Metzger des Viertels. Er betrügt seine Kunden mit einer manipulierten Waage. Cristofaros Vater, ein notorischer Säufer, ist sogar noch schlimmer: Er verprügelt seinen Sohn jeden Abend heftig. Und auch Celestes Mutter, die Prostituierte, ist für ihre Tochter kein gutes Vorbild. Während sich Carmela um ihre Freier kümmert, muss die Schülerin bei Wind und Wetter auf dem Balkon ausharren. Doch die drei Freunde setzen ihre Hoffnungen in Totò, den Berufsganoven mit der Pistole…

„Die Kinder des Borgo Vecchio“ ist ein Roman von Giosuè Calaciura.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus sieben Kapiteln unterschiedlicher Länge. Erzählt wird aus einer allwissenden Perspektive. Immer wieder gibt es Rückblenden, die nicht sofort als solche zu erkennen sind. Genaue Orts- und Zeitangaben fehlen, was die Einordnung des Romans erschwert. Insgesamt funktioniert der Aufbau jedoch gut.

Besonders beeindruckt am Roman hat mich das sprachliche Ausdrucksvermögen des Autors. Die nur rund 150 Seiten sind gespickt mit ungewöhnlichen Sprachbildern, mit allerlei Metaphern und Symbolen, die für eine dichte, fast schon greifbare Atmosphäre sorgen. Poetisch und intensiv mutet der Schreibstil an. Mit wenigen Worten und auf nahezu brillante Weise gelingt es Calaciura, sehr vieles zu transportieren. Dies ist eine der Stärken des Romans. Allerdings erfordert er ein aufmerksames und sorgfältiges Lesen.

Mit Mimmo, Cristofaro und Celeste stehen drei junge, interessante Charaktere im Vordergrund. Schon nach wenigen Seiten habe ich mit den sympathischen Protagonisten mitgelitten, die noch Träume und Hoffnungen haben, obwohl sie in einer grausamen Umgebung leben müssen. Weniger überzeugt haben mich die Nebenfiguren, die teils klischeehaft, teils stark überzeichnet wirken.

Apropos Übertreibungen: Auch inhaltlich habe ich mich mit der Geschichte schwergetan. Viele der Schilderungen gleiten ins Pathetische, Karikaturenhafte, übermäßig Dramatische und immer wieder auch ins Surreale ab. Trotz der dargestellten Ungerechtig- und Grausamkeiten konnte mich der Roman daher leider nur wenig berühren. An einigen Stellen habe ich die Geschichte stattdessen als skurril und sogar (ungewollt?) komisch empfunden.

Gut gefallen hat mir, dass hier und da Gesellschaftskritik durchscheint. Unklar bleibt jedoch auch nach den letzten Seiten die (moralische) Botschaft des Ganzen. Ebenso wenig hat sich mir der Sinn der unnötig zahlreichen Bibelbezüge und religiösen Passagen erschlossen.

Nicht richtig zuordnen kann ich auch das Cover der gebundenen Ausgabe, da ich nicht verstehe, wen die drei Jungen darstellen sollen. Rein optisch gefällt es mir allerdings. Der deutsche Titel ist eine erweiterte Version des italienischen Originals („Borgo Vecchio“).

Mein Fazit:
„Die Kinder des Borgo Vecchio“ von Giosuè Calaciura ist ein wort- und bildgewaltiger Roman, dessen sprachliche Versiertheit besonders ist. Leider lässt mich die Geschichte, die dem Leser einiges abverlangt, in Bezug auf den Inhalt jedoch ein wenig ratlos zurück, sodass ich das Buch nur bedingt empfehlen kann.