In „Die junge Frau und die Nacht“ erzählt Guillaume Musso die besondere Geschichte des Jungen, so anders als die anderen und dem Verschwinden des einen Mädchens, das es so mysteriös und anziehend schaffte jeden in seinen Bann zu ziehen.
Unerwartet wird der Autor Thomas Degalais von seinem Jugendfreund nach Jahrzehnten zurück in seine alte Heimat an der wunderschönen Cote d’Azur beordert. Ihre frühere Schule plant Großes: Die alte Sporthalle soll dem Erdboden gleich gemacht werden und einem protzigen Glaspalast weichen. Thomas, der den alten Campus nie ganz verlassen konnte, folgt dem Ruf seines Freundes sofort und entdeckt dort nicht nur seinen alten Campus wieder und die Menschen, mit denen er diesen geteilt hat, auch die Erinnerungen an seine große Liebe und sein größtes Geheimnis flammen erneut auf. Die Erinnerungen an dieses schöne, besondere Mädchen mit den roten Haaren. Die Erinnerung an Vinca und ihr mysteriöses Verschwinden. Was ist mit ihr geschehen? Was passierte in dieser Nacht vor fünfundzwanzig Jahren?
„Die Liebe ist alles oder nichts. Was zählt, war einzig dieser Moment. Die verzehrende und toxische Verführung der Nacht.“
Gemeinsam mit Thomas begibt sich der Leser auf eine turbulente Reise zwischen den Jahrzehnten. Während der gegenwärtigen Szenen begleitet man Thomas durch seine ganz persönlichen Ermittlungen zu den geheimnisvollen Geschehnissen der Vergangenheit, während man in einem angenehmen Rhythmus immer wieder selbst ins Jahr 1992 reist oder in die Hintergründe der zahlreichen Figuren abtaucht. Der Schreibstil ist sehr abwechslungsreich und toll gegliedert, sodass es sich fast ein bisschen liest wie eine Mischung aus Reise- oder Ermittlungsbericht (aber ganz ohne die typischen polizeilichen Spürnasen) und dem klassischen Roman, wie wir ihn kennen und lieben.
Ein besonderes Highlight war für mich die Sprache des Autors, in dessen wunderschönen, treffenden Formulierungen man sich immer wieder aufs Neue verlieren kann. Egal, ob es sich dabei um seine eigenen Worte handelt oder die kunstvoll eingeflochtenen Zitate anderer Autoren und Künstler. Man spürt in jeder Zeile die Liebe zum geschriebenen Wort und die Leidenschaft zur Literatur, was bei mir des Öfteren für Gänsehaut sorgte.
Die Figuren haben eine beeindruckende psychologische Tiefe und wurden mit viel Liebe zum Detail entwickelt. Es ist leicht jeden einzelnen Charakter nachzuvollziehen und mit ihnen mitzufühlen. Und was meiner Meinung nach ganz besonders war: Ich hatte nie das Gefühl jemanden einordnen zu können in gut und böse, schuldig und unschuldig, Täter und Opfer, selbst als alle Zusammenhänge aufgelöst waren. Was jedoch nicht verwirrend oder unvollständig wirkte, sondern wunderbar menschlich und realistisch. Die Motive und Gefühle jedes Einzelnen sind so individuell und auf den Punkt herausgearbeitet, dass es schwer fällt, jemandem ein Label aufzudrücken. Wobei es hier etwas schade war, dass die Hauptfigur Thomas sich bis zum Ende hin nicht von seiner fantasiebeflügelten Obsession seiner Jugendliebe lösen kann. Er ist zwar nachvollziehbar und sehr sympathisch, aber entwickelt sich leider während des gesamten Romans nicht wirklich weiter.
„Vielleicht, weil es sinnlos war, einen Verantwortlichen zu suchen. Vielleicht, weil wir zwei beides waren: schuldig und unschuldig, Opfer und Täter. Vielleicht, weil die einzige Wahrheit darin bestand, anzuerkennen, dass es 1992 am Lycée Saint-Exupéry in Sophia Antipolis ein faszinierendes Mädchen gegeben hatte, das alle verrückt machte, die sie in ihr Leben ließ. Denn wenn man mit ihr zusammen war, erlag man der Illusion, ihre Existenz an sich sei schon die Antwort auf die Frage, die wir uns alle stellen: Wie die Nacht überstehen?“
Abschließend muss ich sagen wusste ich zwar nie so genau woran ich war bei diesem Buch, ist es nun ein Roman oder ein Thriller, eine Kriminalgeschichte oder eine tragische Lovestory, muss ich sagen, dass genau dieses Unvorhersehbare den Reiz ausgemacht hat. „Die junge Frau und die Nacht“ war von der ersten bis zur letzten Seite spannend, die charmante Sprache war berührend und entführte ins schöne Südfrankreich und die Figuren luden zum Mitleiden ein. Alles in allem sehr gelungen.