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Veröffentlicht am 06.10.2024

Wie Risse im Mauerwerk

Backstein
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Iggy findet vor ihrer Haustür zwei Säcke voller Backsteine und auf diesen ein Bild, das ihr verstorbener Vater einst auf die Wand der Suchtstation malte, in der er viele Jahre seines Lebens verbracht hat. ...

Iggy findet vor ihrer Haustür zwei Säcke voller Backsteine und auf diesen ein Bild, das ihr verstorbener Vater einst auf die Wand der Suchtstation malte, in der er viele Jahre seines Lebens verbracht hat. Einige Steine fehlen und um herauszufinden, welche Motive genau verschwunden sind, macht Iggy sich auf den Weg nach Berlin, das dem Verstorbenen wichtig war. Ihre Hündin Kuro und schmerzhafte Erinnerungen begleiten sie auf ihrer Reise, die einen Wendepunkt bedeuten könnte.

»Ich bin Iggy, eine dreißigjährige Frau, die als Aufsicht im Städtischen Museum für Gegenwartskunst arbeitet. Ich bin keine Heldin.« (Seite 11)

Man darf sich von dem schönen Cover mit einem Mops darauf nicht täuschen lassen, denn so lustig die Geschichte anhand des Klappentextes klingt, so traurig und tragisch ist diese. Iggy ist ein sperriger Charakter, sie ist launisch und unzuverlässig, eine Einzelgängerin mit einem Hang zu Drama und Depression. Geschuldet ist dies ihrer Kindheit, die dominiert wurde durch die Herrschaft des alkoholsüchtigen Vaters, der die Familie terrorisiert, seine Frau und die zwei Töchter regelmäßig gezüchtigt hat. Der Schatten des übermächtigen Tyrannen hängt nach dessen Tod immer noch über Iggy und bestimmt ihr Leben.

»Was sich bei uns zu Hause abspielte und wie ich mich dabei fühlte, durfte niemand erfahren. Damals war über Gefühle zu sprechen so etwas wie das Einräumen eines Geschirrspülers: So sehr du auch kramst und puzzelst, so sehr du auch nach einem logischen System suchst, es gibt immer wen, der es besser kann als du.« (Seite 17)

Ich habe ängstlich und neugierig die Backsteine mit Iggy aufgebaut, habe die Bilder betrachtet, bin wütend geworden, habe Entsetzen verspürt und bin Hand in Hand mit ihr weggerannt. Habe sie auf ihrer Suche begleitet, bin in ihre Spuren getreten, habe ihre Verzweiflung gespürt und ihren Kampf gefühlt. Ihre seelischen Narben brachten mich zum Weinen, ihre Erinnerungen aus dem Gleichgewicht. Auf ihrer Suche nach sich selbst habe ich Iggy zugesehen und ihr gewünscht, Erfolg zu haben. Bewegt lege ich das Buch zur Seite und atme tief durch. Ein lesenswerter Roman.

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Veröffentlicht am 04.10.2024

Wo sind die Männer hin?

Das Verschwinden
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Jane ist mit ihrem Mann Leo und dem gemeinsamen Sohn Benjamin in den Bergen, als sie einnickt und nach dem Aufwachen bemerkt, dass ihre Familie verschwunden ist. Der Notruf reagiert seltsam, sodass sie ...

Jane ist mit ihrem Mann Leo und dem gemeinsamen Sohn Benjamin in den Bergen, als sie einnickt und nach dem Aufwachen bemerkt, dass ihre Familie verschwunden ist. Der Notruf reagiert seltsam, sodass sie tagelang durch die Berge irrt auf der Suche nach Mann und Kind, ohne eine Spur von beiden zu finden. Nach ihrer Rückkehr in die Zivilisation muss Jane feststellen, dass auch dort alle Menschen mit einem Y-Chromosom verschwunden sind. Verstört sucht sie nach der einzigen Person aus ihrer Vergangenheit, der sie vertraut: Evangelyne, die Anführerin einer politischen Bewegung, mit der sie früher eine Freundschaft verband. Da tauchen verstörende Videos auf, die Jane einen Weg zeigen, ihre Familie zurückzuholen.

„Etwa gegen zwanzig Uhr schlief ich ein. Unten im Tal, in der Welt der Menschen, riefen die ersten Frauen die Polizei. Sie rannten durch ihre Häuser und brüllten Namen. Sie klopften hilfesuchend an die Haustüren der Nachbarn, nur um festzustellen, dass auch die Nachbarinnen Namen rufend durchs Haus rannten. Sie fuhren zu den Polizeiwachen und fanden sie hell erleuchtet und leer vor, die Türen offen stehend. Kleinflugzeuge fielen vom Himmel.“ (Seite 8)

Das Buch beginnt aus der Sicht von Jane, die als einzige als Ich-Erzählerin fungiert, obwohl ihre Perspektive bald nicht mehr allein im Vordergrund steht, allerdings nimmt sie überwiegend den meisten Raum im Buch ein. Nach und nach führen alle Wege zu Evangelyne, einer verurteilten Kriminellen, deren Straftaten aber man tatsächlich umgekehrt sehen kann, denn dem gesunden Menschenverstand nach war sie das Opfer, dem Unrecht geschehen ist. Plötzlich dreht sich alles um sie, die Frauen umkreisen Evangelyne, wie die Bienen den Honig, sie ist die unangefochtene Königin.

Ab da wird es etwas verwirrend für mich, ich bin zwar immer noch fasziniert von der Ausgangssituation, will unbedingt erfahren, was den Frauen zugestoßen ist, bevor die Männerwelt so plötzlich verschwand, was ebenfalls einer Aufklärung bedarf, merke aber langsam, dass ich nicht mehr mitkomme. Die folgenden Ereignisse kühlen mein Interesse deutlich runter, es wird erklärt und seziert, aber so richtig verstanden habe ich die Auflösung nicht. Aus einer Dystopie ist eine Fallstudie entstanden, die das Thema verfehlt und mich ratlos zurücklässt. Schade, aber so gänzlich überzeugt mich das Buch insgesamt leider nicht.

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Veröffentlicht am 02.10.2024

Ein Foto für die Ewigkeit

Die Erinnerungsfotografen
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Herr Hirasaka betreibt ein Fotostudio, aber eines, das besonders ist. Im Studio finden sich Menschen ein, die gestorben sind, dort verweilen sie eine Weile, bevor es weitergeht ins Jenseits. Während ihres ...

Herr Hirasaka betreibt ein Fotostudio, aber eines, das besonders ist. Im Studio finden sich Menschen ein, die gestorben sind, dort verweilen sie eine Weile, bevor es weitergeht ins Jenseits. Während ihres Aufenthalts dürfen sie sich für jedes Lebensjahr ein Foto aussuchen, ein einzelnes dürfen sie mit einer Kamera selbst schießen, während sie das Geschehene hautnah erleben. Herr Hirasaka nimmt jeden Besucher herzlich auf und erinnert ihn oder sie daran, was im Leben wichtig ist.

»Ich bin nur ein Wegbegleiter. Wenn die Leute plötzlich erfahren, dass sie bereits gestorben sind, brechen sie sogleich in Tränen aus oder sind ganz niedergeschmettert. Einige veranstalten dann ein ziemliches Trara. Meine Aufgabe ist es, den Schock zu mildern. Deshalb ist dieses Fotostudio so gestaltet, dass es der Welt der Lebenden weitgehend ähnelt.« (Seite 13)

Die in Tokio lebende Autorin Sanaka Hiiragi liebt unter anderem alte Fotoapparate und auch das Fotografieren selbst, da lag es wohl nahe, eine Geschichte niederzuschreiben, die sich darum dreht. Eine Prise Märchen, eine Dosis Lebensratgeber, unterschiedliche Schicksale sowie ein Fotograf, der geheimnisvoll tut und anscheinend selbst eine unbekannte Vergangenheit vorzuweisen hat; kann das funktionieren? Das kann und das tut es! Die Idee dahinter finde ich zauberhaft, wie schön wäre es doch, bevor man ganz geht, die Zeit zu haben, von jedem Tag des Lebens ein Bild aufbewahrt zu haben, das man sich ansehen kann. Im digitalen Zeitalter leider nicht mehr zeitgemäß, dennoch liegt ein gewisser Reiz darin, sich das vorzustellen.

Die einzelnen Erzählungen waren nicht sonderlich aufregend, aber interessant und unterhaltsam auf jeden Fall. Das eher leise Buch hat mich bestens unterhalten, mir eine schöne Lesezeit beschert und lässt mich mit einem Lächeln im Gesicht zurück. Nur besondere Bücher schaffen das. Lesenswert!

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Veröffentlicht am 01.10.2024

Home Sweet Home

Ein Ort für immer
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Als Carol den viel älteren Declan kennengelernt, gibts in der irischen Kleinstadt viel zu tuscheln: der Altersunterschied, der Umstand, dass Carol geschieden und die Lehrerin seiner Kinder ist, sowie natürlich ...

Als Carol den viel älteren Declan kennengelernt, gibts in der irischen Kleinstadt viel zu tuscheln: der Altersunterschied, der Umstand, dass Carol geschieden und die Lehrerin seiner Kinder ist, sowie natürlich die Tatsache, dass Declans Frau die Familie verlassen hat. Dennoch zieht Carol nach kurzer Zeit zu ihm und scheint glücklich zu sein. Als Declan erkrankt, verfrachten ihn seine Kinder in ein Pflegeheim und setzen Carol vor die Tür, um das Haus zu verkaufen. Moira kann nicht mitansehen, wie ihre Tochter leidet, und kauft das Haus, in dem Carol so viele Jahre mit Declan gewohnt hat. Weder sie noch Carol ahnen, welch düsteres Geheimnis das Haus verbirgt.

„Jetzt hätte Carol ihn gern nach seiner Beziehung zu seinen Kindern gefragt, aber es war wohl zu spät dafür. Declan war zu sehr damit beschäftigt, sich verloren zu gehen. Dass seine eigenen Kinder ihn ebenfalls aufgegeben zu haben schienen, war da sicher nicht hilfreich.“ (Seite 39)

Dieser Roman hat mich wunderbar unterhalten, der Mix aus Familienroman und Krimi mit einer Prise Drama sowie einem Hauch schwarzer Humor bescherte mir spannende Lesestunden und lässt mich zufrieden zurück. Carol und ihre Familie stehen zwar im Vordergrund, aber Graham Norton lässt mich auch tief ins Leben und die Gefühlswelt der anderen Beteiligten blicken. So erklärt sich rückblickend manch eine Situation und auch die Beweggründe für bestimmte Handlungen werden beleuchtet, ergeben aus einer anderen Sicht einen gänzlich anderen Sinn.

Die Geschichte war wendungsreich und konnte mich wiederholt überraschen. Ich war gespannt darauf, welche Lösung mir präsentiert wird und war mit dem Ende zufrieden. Gerne empfehle ich den Kleinstadtkrimi weiter.

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Veröffentlicht am 27.09.2024

Friedlicher Streit für den Frieden

Das Land, wo die Kanonen blühn
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»Jahrgang 1899
Wir haben die Frauen zu Bett gebracht,
als die Männer in Frankreich standen.
Wir hatten uns das viel schöner gedacht.
Wir waren Konfirmanden.
Dann holte man uns zum Militär,
bloß so als ...

»Jahrgang 1899
Wir haben die Frauen zu Bett gebracht,
als die Männer in Frankreich standen.
Wir hatten uns das viel schöner gedacht.
Wir waren Konfirmanden.
Dann holte man uns zum Militär,
bloß so als Kanonenfutter.
In der Schule wurden die Bänke leer,
zu Hause weinte die Mutter.«
(Seite 9, Auszug)

Zwei Weltkriege hat er miterlebt, seine Bücher wurden in seinem Beisein durch die Nationalsozialisten auf dem Berliner Opernplatz verbrannt, umso mehr hat Erich Kästner sich für Demokratie und Frieden eingesetzt, zahlreiche Texte und Gedichte verfasst. Dieses in vier Teile aufgeteilte Büchlein enthält Zitate, Gedichte, Erzählungen und Beobachtungen des mit zahlreichen Auszeichnungen geehrten Schriftstellers, der 1974 in München verstarb. Erschreckend dabei ist, dass diese Texte heute immer noch so aktuell sind. Sehr empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist übrigens das Nachwort von dem Kästner-Kenner Sven Hanuschek, das ich äußerst interessant fand. Lesenswert!

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