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Veröffentlicht am 26.08.2024

Einsame Zweisamkeit

Kaffee mit Milch
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Agneta fährt zu ihrer Tochter nach Stockholm, wo Tilda seit ein paar Jahren Jura studiert. Die Beziehung zwischen den Frauen ist schlecht, keine von ihnen war in den letzten Jahren zu einem Gespräch bereit, ...

Agneta fährt zu ihrer Tochter nach Stockholm, wo Tilda seit ein paar Jahren Jura studiert. Die Beziehung zwischen den Frauen ist schlecht, keine von ihnen war in den letzten Jahren zu einem Gespräch bereit, obwohl es genug zu klären gäbe. Nun aber gibt es etwas, was Agneta ihrer Tochter sagen muss, sie schiebt es seit Wochen vor sich her, ihr läuft die Zeit davon. An einem verlängerten Wochenende in Stockholm soll es soweit sein, aber als Agneta dort ankommt, stößt sie auf eine Mauer des Schweigens, die sie selbst auf einmal kaum noch überwinden kann und will.

„Irgendwas hatte sie wohl richtig gemacht bei ihrem Kind, dass Tilda so viel mehr Mut besaß und wegging. Sie redet es sich zumindest ein, dass es gut war . Diese Sanftheit in Tildas Stimme, die Verlegenheit. Agneta will diesen Moment in die Länge ziehen, während der weiche Ton ihren Gehörgängen schmeichelt und sie sich das Gehirn in Watte packen lässt.“ (Seite 130)

Kein leichtes Thema hat die Autorin sich da ausgesucht, die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist eine spezielle, viele Zwischentöne spielen eine Rolle, es ist ein ständiges auf und ab der Gefühle, die regelmäßig zutage kommen zu den unpassendsten Zeiten. Agneta hat einen Auftrag, sie hat ein Ziel, und scheitert immer wieder daran, dass sie kleine Augenblicke trauter Zweisamkeit nicht zerstören will. Die seit Jahren achtsam gepflegte Sprachlosigkeit zwischen den Frauen wird ihnen zum Verhängnis, keine kann aussprechen, was sie eigentlich möchte. Gefühle werden totgeschwiegen, Empfindungen kaschiert, dabei könnte alles so einfach sein. Eigentlich.

Ein wunderbarer Roman, der melancholisch und traurig, aber auch brutal realistisch gewesen ist. Ich habe förmlich mitgelitten, habe gebangt, suchte nach Worten, war gerührt und berührt, verlor letztendlich die Fassung und klappte das Buch mit einem Lächeln zu, denn es war schön, dass ich dabei gewesen bin. Lesenswert!

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Veröffentlicht am 23.08.2024

Literarisches Meisterstück

Seltsame Sally Diamond
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Sally Diamond verbrennt ihren toten Adoptivvater Tom Diamond in der Tonne zur Entsorgung des Mülls, schließlich hat er sie selbst darum gebeten, bevor er an einer Krankheit starb. Nie hätte Sally sich ...

Sally Diamond verbrennt ihren toten Adoptivvater Tom Diamond in der Tonne zur Entsorgung des Mülls, schließlich hat er sie selbst darum gebeten, bevor er an einer Krankheit starb. Nie hätte Sally sich träumen lassen, welche Konsequenzen diese Tat für sie haben würde, da sie jahrzehntelang zusammen mit Tom zurückgezogen gelebt hat, nachdem ihre Adoptivmutter verstorben ist. Sie fängt allmählich an, unter Menschen zu gehen, Freundschaften zu knüpfen und Vertrauen zu fassen, was ihr schwer fällt. Warum das so ist, hat sie nie hinterfragt, aber die Vergangenheit steht bereits vor der Tür und Sally wird lernen müssen, damit umzugehen.

„Ich begann, meine Gefühle und meine Eigenschaften zu erforschen. Ich stellte fest, dass ich wütend, nachtragend, verletzt und ängstlich war, aber auch dankbar, warmherzig, freundlich, rücksichtsvoll und einsam. Tina sagte, mangelndes Vertrauen sei mein größtes Problem, aber angesichts meiner Vergangenheit sei das vollkommen verständlich. Das gefiel mir. Ich war verständlich.“ (Seite 137)

Nach „Kleine Grausamkeiten“ sowie „Auf der Lauer liegen“ ist dies das dritte Buch der Autorin, das ich lesen durfte, und obwohl ich dachte, dass das zuerst genannte Buch nicht übertroffen werden könnte, wurde ich eines Besseren gelehrt. Man sollte sich von dem harmlosen Titel und dem fast schon unschuldigen Titelbild nicht täuschen lassen, denn auch wenn es fast insgesamt unblutig blieb, war die Geschichte reich an Gewalt und Perversität. Was Sally über ihre Kindheit erfuhr, zeigte mir die Richtung, in die es geht; Liz Nugent wäre aber nicht Liz Nugent, wenn sie nicht noch weitere Überraschungen in petto gehabt hätte.

Der erste Teil erklärte vergangene Ereignisse, im zweiten tauchte plötzlich ein weiterer Ich-Erzähler auf, der weit in die Vergangenheit zurück ging und Ungeheuerliches zu berichten hatte. Dies aber so raffiniert, dass ich eine lange Zeit nicht sicher war, was ich davon halten soll. War es gelogen oder steckte ein Fünkchen Wahrheit drin? Lange war mir dies überhaupt nicht klar. Die folgenden Enthüllungen entsetzten mich, wie grausam und perfide dies alles war! Als sich eine Kehrtwende abzeichnete, riss die Autorin das Ruder erneut herum und ich konnte nicht fassen, was dann geschah. Der dritte Teil, der Höhepunkt des Dramas in drei Akten, hat mir einiges abverlangt, denn natürlich stellte ich mir vor, wie es zu Ende gehen könnte. Letztendlich wurde ich auch da überrascht, denn nicht alles ist, wie es scheint und nichts bleibt, wie es immer war. Highlight!

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Veröffentlicht am 21.08.2024

Ein Juwel im Krimigenre

Wenn die Nacht endet
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Vor zwanzig Jahren ist im halländischen Skavböke der achtzehnjährige Mikael Söderström erschlagen aufgefunden worden. Auf einer Party in der Nacht davor gab es Streit, die Namen von zwei Freunden tauchen ...

Vor zwanzig Jahren ist im halländischen Skavböke der achtzehnjährige Mikael Söderström erschlagen aufgefunden worden. Auf einer Party in der Nacht davor gab es Streit, die Namen von zwei Freunden tauchen in diesem Zusammenhang immer wieder auf, denen aber beiden nichts nachzuweisen ist. Zwanzig Jahre später geschieht erneut ein Mord, der jüngere Bruder von Mikael ist das Opfer. Vidar Jörgensson von der Polizei Halmstadt übernimmt die Ermittlungen und findet bald eine Spur, die in die Vergangenheit führt.

„Die Geschichte schert sich nicht um Wünsche oder Erwartungen, um nichts dergleichen. Stattdessen: ein Sortiment von Personen, die reden und handeln, die Zeugenaussagen machen, verlogene wie der Wahrheit entsprechende, die einander ablehnen oder idealisieren. Einige entziehen sich, wollen nicht sichtbar in Erscheinung treten, wirken aber dennoch im Stillen; ihr Handeln erzeugt einen Widerschein in vollkommen anderen Lebensgeschichten.“ (Seite 20)

Beim vorliegenden Buch handelt es sich um den dritten Teil der Halland-Krimi-Reihe, folgend auf „Wenn die Nacht endet“ und „Unter dem Sturm“, in denen Vidar Jörgensson ermittelt. Man kann alle Bücher unabhängig voneinander lesen, die einzelnen Fälle stehen im Vordergrund, und wenn es etwas gibt, das der Leser wissen sollte, wird es wiederholend erzählt.

Dieser Teil der hervorragenden Buchreihe ist für mich der Höhepunkt der Serie, es ist für mich, als sei der Autor angekommen und seine Buchfiguren mit ihm mit. Anfangs springt er ein wenig durch die Zeiten, bedient einen Sprecher, der zu den Lesenden spricht, bald aber führt er durch die Geschichte und nimmt ganz routiniert mich als Beobachterin mit. Einzig die vielen ungewohnten Vor- und Nachnamen bereiten mir Schwierigkeiten; die Polizistin Gerd lässt mich permanent schmunzeln, weil mein Mann genauso heißt, allerdings stolpere ich beim Lesen genauso oft deswegen und stocke im Text. Die vielen schwedischen Familiennamen führen in der Fülle dazu, dass ich an manchen Stellen einfach nicht mehr weiß, wer gemeint ist. Natürlich ergibt sich im weiteren Verlauf die richtige Zuordnung, allerdings würde ich dafür nicht die Hand ins Feuer legen. Dies schmälert allerdings nicht im geringsten das Lesevergnügen!

Dieser komplexe und überaus spannende Kriminalfall lässt mich begeistert das Buch zuschlagen und mehr als zufrieden zurück. Viele falsche Fährten legte der Autor, deutete da etwas an, hinterließ dort einen Hinweis, lief im Kreis und kehrte wiederholt in die Vergangenheit zurück. Ich fand Verdächtige und Täter, verwarf meine Theorie, überlegte hier, kombinierte da, kam aber trotzdem nicht auf die Lösung, die mich verblüffte, weil sie eigentlich so naheliegend, aber trotzdem gut versteckt war. Ein großartiger Krimi, der mich sehnsüchtig auf eine Fortsetzung warten lässt. Uneingeschränkte Leseempfehlung gibt es dafür von mir.

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Veröffentlicht am 19.08.2024

Punkte im Chaos

Als wir Schwäne waren
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Diese Geschichte handelt von Reza, er selbst fungiert als Ich-Erzähler und nimmt die Leserschaft mit zurück in seine Kindheit, zurück nach Bochum, als er in den 1990er Jahren mit seiner Familie aus dem ...

Diese Geschichte handelt von Reza, er selbst fungiert als Ich-Erzähler und nimmt die Leserschaft mit zurück in seine Kindheit, zurück nach Bochum, als er in den 1990er Jahren mit seiner Familie aus dem Iran ins Ruhrgebiet geflohen ist. Er berichtet darüber, wie es ist, in einem fremden Land aufzuwachsen, wo die Abschlüsse der Eltern nicht anerkannt werden, wo die Siedlung nach Armut riecht, aber auch nach Majoran und Etagenbetten. Wo das Recht des Stärkeren gilt und Wut ein Mittel zum Überleben ist.

„Rückblickend frage ich mich, wie es ist, wenn sich das Alte schließt und das Neue nicht öffnet. Wenn in der Fremde plötzlich auch Dinge nicht funktionieren, mit denen man bisher vertraut war und die immer funktioniert haben. Deren Gesetzmäßigkeiten man zu kennen glaubt. Dinge, die vielleicht nicht mal hierhergehören und selbst fremd sind.“ (Seite 28)

Selten hat mich ein Buch beim Lesen so begeistert, wie dieses hier. Ich wäre am liebsten permanent in Freudenschreie ausgebrochen, wollte auf jeder Seite eine Passage markieren oder las einen Absatz erneut, weil ich die Sätze so passend und brillant fand. Dennoch fällt es mir schwer, in Worte zu fassen, was dieses Werk in mir ausgelöst hat, ich habe Angst, der Geschichte nicht gerecht zu werden, indem ich darüber schreibe, meine Gedanken und Gefühle sortiere, während ich im Kopf eigentlich noch mittendrin bin. Das ist einfach nur phänomenal!

„Wir kommen aus dem Krieg, aus dem Elend. Wenn wir Armut sagen, meinen wir nicht Sozialhilfe, sondern Cholera. Aber dass das hier nicht oben ist, ist uns schon früh klar. Unser Ruhrgebiet ist dürr, verbittert. Kauft unentwegt Müll und kann ohne Fernseher nicht einschlafen. Ohne Schminke sein Antlitz nicht ertragen.“ (Seite 111)

In klaren Worten, mal poetisch, zärtlich, aber auch straßentauglich und im Gangster-Style, führte mich das Kind, der Junge, der Teenager, der einmal Schriftsteller werden wird, durch die Erzählung. Tragik wechselte sich mit Komik ab, die jedoch mehr einem Galgenhumor glich, denn dahinter verbargen sich Schicksale, die nicht immer glimpflich ausgegangen sind. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, denn die Magie des Buches liegt darin, dass sie vom Lesenden neu entdeckt werden will. Grandios!

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Schlacht um Pakete

Lieferdienst
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Arkadi ist ein Bote, genauer gesagt ein Bringer, der auf einem Hoverboard durch die Lüfte saust und mit anderen Kurieren Waren zu Kunden bringt. Die Konkurrenz schläft nicht, es wird mit allen Mitteln ...

Arkadi ist ein Bote, genauer gesagt ein Bringer, der auf einem Hoverboard durch die Lüfte saust und mit anderen Kurieren Waren zu Kunden bringt. Die Konkurrenz schläft nicht, es wird mit allen Mitteln gekämpft. Als ihn ein Kollege um einen Gefallen und die Übernahme seiner Lieferung bittet, ahnt Arkadi nicht, worauf er sich einlässt, muss aber kurz darauf mitansehen, wie besagter Kurier stirbt. Seltsame Aufträge folgen und bald wird es für Arkadi ungemütlich.

„Ich lasse den Blick schweifen, damit das Visor Kuriere der Konkurrenz und elektronische Counterdelivery-Maßnahmen identifizieren kann. Mithilfe des Additional Rear Scope Emulators (ARSE) schaue ich, wie es hinter mir aussieht. Laut ARSE-Cam ist die Luft rein. Also platziere ich die GameStation in dem Boxdrop.“ (Seite 22)

Das Buch hat mich gut unterhalten, es war witzig und voller Ideen, was die Zukunft angeht. Einige Hinweise auf lebende Personen und solche, die Lieferdienste und andere Unternehmen in unserer Zeit betreffen, entlockten mir wiederholt ein Lachen. Arkadis Abenteuer waren mitreißend, auch wenn die Geschichte nicht übermäßig spannend war. Dennoch fieberte ich zusammen mit Arkadi dem Ausgang entgegen, war neugierig, in welchen Schlamassel er da hineingeraten ist und wie er da wieder rauskommt.

Die Mischung aus Dystopie und Thriller gefiel mir gut, allerdings gibt es auch Kritik meinerseits, denn immer wieder musste ich pausieren und zum Übersetzungsprogramm wechseln, was ich irgendwann einfach nur lästig fand. Zwischen technischen Begriffen, echten und erfundenen, gab es solche in englischer, „denglischer“ und natürlich auch futuristischer Sprache. Das war mir persönlich zu viel des Guten. Natürlich klingt Counterdelivery Measures oder Recalculating cooler als Gegenlieferungsmaßnahmen oder Neuberechnung, aber die permanenten Pausen schmälerten mein Lesevergnügen erheblich, was ich schade und unnötig fand. Wen das nicht stört, wird hier allerdings rundum zufrieden sein.

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