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Veröffentlicht am 06.09.2019

Tanja Raich – Jesolo

Jesolo
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Andrea und Georg, beide Mitte 30 und mit beiden Beinen im Leben stehend. Sie machen Urlaub in Jesolo, weil sie immer Urlaub in Jesolo machen. Sie kennen das Hotel, den Stand mit den immer gleichen Liegen, ...

Andrea und Georg, beide Mitte 30 und mit beiden Beinen im Leben stehend. Sie machen Urlaub in Jesolo, weil sie immer Urlaub in Jesolo machen. Sie kennen das Hotel, den Stand mit den immer gleichen Liegen, die Umgebung und wissen, worauf sie sich einlassen. Doch statt entspannter Tage verbringen sie die schönste Zeit des Jahres mit Streitigkeiten. Ein wiederkehrendes Thema ist Andreas Weigerung, mit Georg zusammenzuziehen. Sie will ihre Freiheit nicht aufgeben, er will und kann sie nicht verstehen. Im Haus seiner Eltern ist genügend Platz, sie können die Miete sparen, haben Unterstützung. Für Andrea die Vorhölle. Doch dann teilt ihr Arzt ihr mit, dass sie schwanger ist. Sie denkt über Abtreibung nach, sagt Georg nicht Bescheid, bis sie die vermeintlich freudige Nachricht doch teilt und sich für das gemeinsame Leben entscheidet. Ein Leben, das nicht ihres ist, das sie nie wollte und das sie schon hasst, bevor es beginnt.

Tanja Raich bringt in ihrem Roman das Dilemma der heutigen Frau auf den Punkt. Jahrelang schildert man ihr die Illusion der beruflichen Selbstverwirklichung, lässt sie zur Karriere ansetzen und suggeriert ihr, dass sie die ganze Welt haben kann. Doch dann wird sie 30 und aus der ganzen Welt wird plötzlich Kinder, Küche, Kirche. Wer sich sträubt, muss den Gegenwind aushalten, Alternativen zum tradierten Rollenverständnis gibt es nicht. Ihr Erstlingswerk hat ihr die Nominierung auf der Shortlist Debüt 2019 des Österreichischen Buchpreises beschert, einer Auszeichnung, der man aufgrund ihrer Sprachversiertheit nur uneingeschränkt zustimmen kann.

Vom Ende her betrachtet, beginnt der Roman interessanterweise geradezu mit dem Auflösen der Beziehung der beiden Protagonisten. Man wundert sich, dass sie den finalen Schritt nicht endlich tun, so quälend sind ihre Auseinandersetzungen. Sie verletzten sich gegenseitig absichtlich, nichts scheint sie mehr zu verbinden. Nur nach außen erhalten sie noch den Schein. Die Zäsur kommt durch die Schwangerschaft. Lange war ich überzeugt, dass Andrea sich gegen das Kind, gegen Georg und gegen das gemeinsame Leben entscheidet. Doch dann kommt es anders und genau das, wovor sie immer Angst hatte, tritt ein. Noch stellt sie Bedingungen an das gemeinsame Leben, doch mit dem Heranwachsen des Kindes schwindet ihr Widerstand und mit ihm verschwindet Andrea:

„Das ist nur der Anfang. Dieser Strudel wird uns immer weiter nach unten ziehen. Aber vielleicht zieht dieser Strudel nur mich nach unten, während du sorglos an der Oberfläche weiterschwimmst.“

Georg realisiert seinen Traum vom Haus, von der Familie, von der Idylle auf dem Land. Immer beratend an seiner Seite: seine Eltern. Andrea ist nur ein Möbelstück, ein Accessoire, das aber bitte nicht reinreden soll:

„Was weiß ich schon von diesem neuen Leben. Darüber weißt du besser Bescheid.“

Und bald schon erkennt sie in sich die Kopie ihrer Schwiegermutter, die wartet, dass der Gatte nach Hause kommt, um ihm dann das heiße Essen zu servieren.

Wenig deutet zu Beginn des Buchs auf das hin, was Andrea widerfährt. Aber so ist nun mal das Leben und Tanja Raich schildert authentisch, wie Frauen in diese Rolle hineingedrängt werden, zunächst ganz sachte, sich irgendwann ergeben und einfach machen, was man von ihnen erwartet. Widerstand ist zwecklos bzw. der Zeitpunkt, um einen anderen Weg einzuschlagen, wurde einfach verpasst. Sie können daran verzweifeln oder sich einreden, dass das auch ihr Traum ist. Ist ja auch alles ganz toll. Nur halt nicht das, was sie vom Leben erwarteten, wovon sie träumten, was aus ihnen hätte werden können.

Dramaturgisch überzeugend, sprachlich stark – ein Debut, das mich schnell überzeugen konnte und das in seiner Aktualität nicht unterschätzt werden sollte, denn diese Generation wir irgendwann ausbrechen wollen und sich das zu holen, was man ihr versprochen hatte.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Jan Peter Bremer – Der junge Doktorand

Der junge Doktorand
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Zwei lange Jahre schon haben die Greilachs die Ankunft des Doktoranden erwartet und sich ausgemalt, wie sich der Aufenthalt des Bewunderers gestalten könnte. Viel haben sie im Dorf darüber gesprochen, ...

Zwei lange Jahre schon haben die Greilachs die Ankunft des Doktoranden erwartet und sich ausgemalt, wie sich der Aufenthalt des Bewunderers gestalten könnte. Viel haben sie im Dorf darüber gesprochen, dass das Werk des Malers Günter Greilach nun wissenschaftlich betrachtet und gewürdigt werden soll und Natascha erwartet eine spannende Abwechslung von dem ansonsten etwas eingefahrenen Alltag. Nun ist er da und der erste Eindruck ist eher enttäuschend, aber das kann ja noch werden, man muss dem jungen Mann nur richtig begegnen und ihn auf den richtigen Weg geleiteten. Schnell jedoch zeigt sich, dass der Aufenthalt sich völlig anders gestaltet als von Günter und Natascha ausgemalt und dass vorhandene Gräben plötzlich noch tiefer und unüberwindbar werden.

Jan Peter Bremers kurzer Roman erinnert stark an ein Stück des absurden Theaters, in dem die Protagonisten in ihrer Gedankenwelt gefangen sind und auf den tragischen Höhepunkt hinsteuern, ohne das Unglück kommen zu sehen. In der Tat setzt er den Rahmen sehr eng und hält die dramatischen Einheiten ein, die durch die Präsenz des Doktoranden in der Wohnung der Greilachs örtlich und zeitlich begrenzt werden sich einzig um dessen antizipierten Aufenthalt drehen. Fasziniert bis erschreckt schaut man dem tragikomischen Sinnieren des älteren Ehepaars zu und verfolgt ihre sprachlich ausgereizten Dialoge, die ihre Unfähigkeit zu kommunizieren und die fehlende gedankliche Flexibilität vortrefflich entlarven.

Neun Mal hatte Florian Sommer sein Ankommen angekündigt und kurzfristig wieder abgesagt, sein plötzliches Erscheinen überrumpelt die Greilachs, so dass sie sich erst sortieren müssen, bevor sie sich tatsächlich mit ihm auseinandersetzen können. Natascha, die sich für eine bescheidene, aber großartige Zuhörerin hält, sieht sich in Gedanken wie ein junges Mädchen aufblühen und den Doktoranden mit ihren immer noch vorhandenen Reizen becircen. Günter wiederum will sich auch nicht größer machen als er ist, aber nun ja, er hat einiges erreicht, sogar eine Ausstellung hatte man ihm schon in Aussicht gestellt und gerade seine unprätentiöse Haltung zu seinem Werk und der Kunst im Allgemeinen ist es doch, die faszinieren muss, weshalb er auch großzügig sein Atelier für den Doktoranden öffnen wird. Statt Florian Sommer zu fragen, weshalb er da ist und was er vorhat, projizieren sie nicht nur gedanklich, sondern auch verbal ihre Vorstellungen auf den jungen Mann, der gar keine Chance hat, den andauernden Wortschwall zu unterbrechen.

„Was soll den Florian sonst von uns denken“, fuhr sie fort und deutete mit dem Kopf in seine Richtung. „Gerade du kannst es dir gar nicht leisten, dass er denkt, wir beide wären schon ganz verknöcherte Menschen.“

Diametreal steht ihr Verhalten ihrem Agieren entgegen und schafft so einen unterhaltsamen Kontrast dem man amüsiert folgt. Ab einem gewissen Punkt jedoch, wird das mentale Gefängnis, in dem Natascha und Günter unwissentlich festsitzen auch traurig, denn was sich dem Leser und Florian Sommer als fiktivem Zuhörer schnell offenbart, bleibt ihnen verborgen und so dreht sich der Strudel immer schnell und zieht sie hinab ins Verderben und lässt die Situation regelrecht eskalieren.

Auf der persönlichen Ebene wird die Hybris der Figuren aufgedeckt, aber auch der Kunstbetrieb als Ganzes mit seiner Selbstüberschätzung, die durch die kleine abgeschottete Welt, in der sich die Protagonisten nur um sich selbst drehen und sich mit ihresgleichen auseinandersetzen, ohne je den Blick nach außen zu wagen oder dem Außenblick Aufmerksamkeit zu schenken, wird in dem Roman entlarvt. Jan Peter Bremer bringt dies in aller Kürze und Enge sprachlich ausgefeilt auf den Punkt. Ein Roman, der eigentlich auf eine Bühne gehört, denn er braucht kein großes Dekor, sondern spricht für sich selbst. Die Nominierung auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019 daher völlig zurecht.

Veröffentlicht am 03.09.2019

Tonio Schachinger - Nicht wie ihr

Nicht wie ihr
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Ivo Trifunović hat alles, worum ihn viele beneiden: gefeierter Fußballstar bei einem Londoner Verein, verdient 100.000 € in der Woche, fährt einen Bugatti und ist mit einer attraktiven Frau verheiratet, ...

Ivo Trifunović hat alles, worum ihn viele beneiden: gefeierter Fußballstar bei einem Londoner Verein, verdient 100.000 € in der Woche, fährt einen Bugatti und ist mit einer attraktiven Frau verheiratet, die immer noch alle Blicke auf sich zieht und Ivos Privatleben und die beiden Kinder managt. Doch irgendwas fehlt in Ivos Leben, er hat den Eindruck zu funktionieren, aber der Erfolg gibt ihm nicht mehr den Kick. Er beginnt eine Affäre mit seiner Jugendfreundin Mirna, doch auch das bringt nicht die erhoffte Erfüllung. Er könnte zufrieden sein, aber warum ist er es nicht? Das scheinbar perfekte Leben hat offenbar auch seinen Preis – und der ist hoch.

Tonio Schachinger ist mit gerade einmal 27 Jahren auf der diesjährigen Longlist für den Deutschen Buchpreis gelandet. Das alleine ist schon bemerkenswert, dies dann aber auch noch mit einem Fußballprofi als Protagonisten zu erreichen, ist umso erstaunlicher. Das Cover weist schon unmissverständlich den Weg des Inhalts: der stilisierte Fußball, der einerseits golden schimmert, zugleich aber tiefe Risse aufweist, lässt ahnen, was kommt. Wenn man den Roman aufschlägt, ist man als literaturaffiner Leser vermutlich etwas voreingenommen und hat eine Vorstellung, was einem erwartet. Schnell jedoch gerät man in einen Sog, der einem nicht mehr loslässt und der die Vorurteile nur bedingt erfüllt.

Ivo ist rotzig, ohne Frage, sein Vokabular passt wie die Faust aufs Auge zu einem typischen Straßenkicker, der genau dort sozialisiert wurde und zu jung schon zu viel Geld verdient hat und bejubelt wurde.

"ein paar [Fußballer] schauen ja immer so , als würden in ihren Köpfen Heuballen durch eine Alpenprärie wehen"

Die Herkunft als Kind von Ex-Jugoslawen mit diffusen Nationalitäten hat ihn auch geprägt, wichtiger war jedoch immer das, was er auf dem Platz abgeliefert hat, denn nur das hat darüber entschieden, ob er Österreicher oder Jugoslawe war. Er liebt attraktive Frauen und schnelle Autos, erfüllt jedes Klischee nach außen.

In ihm sieht es jedoch gänzlich anders aus. Der Erzähler sieht das, was nicht aus außen dringt. Die Selbstzweifel, Gefühle der Leere. Er hat alles und doch fehlt etwas. Aber er weiß nicht, was es ist. Das alte Spiel "wenn ich von hier aus treffe, dann kann ich mir etwas wünschen" wirkt nicht mehr, denn er hat keine Wünsche mehr. Beziehungsweise, er hat einen Wunsch, erkennt ihn aber nicht. Materiell ist er gesättigt, aber er hat keine Freiheit. Als Spieler ist er nur eine Figur, die von Verein zu Verein geschoben wird, über die Manager entscheiden, deren Tagesablauf durchgetaktet und fremdbestimmt ist. Die Außenwelt entscheidet über Erfolg und Misserfolg, er selbst kann oft nur passiv zusehen, was mit seinem Leben geschieht.

Ein etwas prolliger Protagonist mit bisweilen unterirdischem Vokabular, das ihn jedoch authentisch wirken lässt. Darunter jedoch verbirgt sich jedoch ein intelligenter Roman, der das System Fußball als gnadenloses Wirtschaftssystem entlarvt, in dem der Mensch zur Ware reduziert wird. Ein ungewöhnlicher Roman, auf den man sich einlassen muss – bei genauer Betrachtung aber mitreißend und überzeugend gemacht.

Veröffentlicht am 01.09.2019

Dervla McTiernan – Todesstrom

Todesstrom
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Seiner Frau zuliebe gibt Cormac Reilly seinen Posten bei der Spezialeinheit in Dublin für den normalen Polizeidienst in Galway auf. Das Team ist feindselig und man überlässt ihm nur ungelöste Altfälle. ...

Seiner Frau zuliebe gibt Cormac Reilly seinen Posten bei der Spezialeinheit in Dublin für den normalen Polizeidienst in Galway auf. Das Team ist feindselig und man überlässt ihm nur ungelöste Altfälle. Nur mit Danny, den er auf der Polizeischule kennenlernte, versteht er sich einigermaßen, aber auch der kann sich keinen Reim darauf machen, weshalb man Cormac so kaltstellt. Ein Selbstmord weckt Erinnerungen an einen Fall 20 Jahre zuvor: Cormac war dem nun verstorbenen junge Mann damals begegnet, als dieser noch ein Kind war und er ihn und seine Schwester Maud aus unsäglichen Verhältnissen holte. Scheinbar hat die Gewalterfahrung aus der Kindheit doch ihre Spuren hinterlassen. Aber so einfach ist der Fall nicht, vor allem will Maud nicht an diese Theorie glauben. Zwei Jahrzehnte war sie spurlos verschwunden, doch nun ist sie wieder in Galway. Besteht zwischen dem Tod ihres Bruders und ihrem plötzlichen Auftauchen etwa ein Zusammenhang?

Dervla McTiernan stellt gleich mit ihrem Debut unter Beweis, dass sie es mit den bekannten irischen Krimi Autoren aufnehmen kann und inzwischen auch bei uns bekannten Namen wie Adrian McKinty, John Banville/Benjamin Black, John Connolly oder Catherine Ryan Howard in nichts nachsteht. Nicht nur der Fall – oder besser die Fälle, die geschickt mit einander verwoben werden - hat es in sich, vor allem konnte die Autorin mich mit dem spannenden menschlichen Zusammenspiel innerhalb der Polizei überzeugen.

Obwohl Galway die sechstgrößte Stadt Irlands ist, erweckt der Handlungsort doch eher den Eindruck eines Dorfes oder einer Kleinstadt. Alle kennen sich und jeder weiß irgendein schmutziges Geheimnis des anderen. In diesem Umfeld ist es nicht leicht für Außenseiter Fuß zu fassen und das Vertrauen zu gewinnen. Mit seinem Erfolg in der Hauptstadt sind die Schwierigkeiten für Cormac umso mehr vorprogrammiert. Die Atmosphäre, die McTiernan erschafft, legt sich über die ganze Handlung, ein ungutes Gefühl, dass noch irgendetwas im Busch ist, vom dem Cormac nichts ahnt, das aber entscheidend sein wird, lässt einem nicht los.

Besonders positiv ist mir aufgefallen, wie widersprüchlich und vielschichtig die Frauenfiguren in diesem Roman erscheinen. Statt auf plakative Schablonen zurückzugreifen, hat die Autorin sehr interessante Persönlichkeiten geschaffen, die den spannenden Krimi deutlich bereichern. Die Handlung wird geschickt aufgebaut und die Spannung steigert sich kontinuierlich bis zum großen Knall.

Ein rundum überzeugender Auftakt für die Reihe um DI Cormac Reilly, bei dem die Autorin auf saubere Ermittlungen und nicht auf Technik oder Zufall bei der Lösung des Falles setzt.

Veröffentlicht am 01.09.2019

Tom Zürcher – Mobbing Dick

Mobbing Dick
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Nachdem er das Jurastudium aufgegeben hat, findet Dick Meier einen Assistentenjob in der Schweizerischen Bankanstalt. Was sein Vorgesetzter Remo Bachmann genau tut, weiß er nicht, nur manchmal eilt dieser ...

Nachdem er das Jurastudium aufgegeben hat, findet Dick Meier einen Assistentenjob in der Schweizerischen Bankanstalt. Was sein Vorgesetzter Remo Bachmann genau tut, weiß er nicht, nur manchmal eilt dieser mit Stift und Papier davon. Auch was er selbst tut, weiß er nicht so genau, denn richtige Arbeit hat er eigentlich nicht. Je mehr sein Chef gestresst ist, desto prekärer wird dessen Position in der Bank. Die Vorgesetzten beobachten ihn genau und bereiten Dick langsam auf die Übernahme wichtigerer Aufgaben vor. Dazu gehört ein Seminar in Vreneli, einer Geheimschrift, in der alles in der Bank codiert wird. Dicks Stern steigt und zunehmend gerät er in einen Strudel, der durch die belastende Situation im Elternhaus, wo er immer noch lebt, noch gesteigert wird. Sowohl die Arbeit, wie auch die Freizeit zehren an seinen Nerven und bald schon verwandelt er sich in „Mobbing Dick“, denn nur so kann er dem Druck noch standhalten.

Man kann sich köstlich amüsieren mit Tom Zürchers Bankensatire. Die Geheimnistuerei, strenge Hierarchie und Prahlen auf Basis von absurden Titeln und Statistiken lädt zum Schmunzeln ein. Jedoch fragt man sich bei Dicks Arbeitsbeschreibung schon, wie viele Mitarbeiter es wohl geben mag, die auch in der Realität kaum Arbeit haben und ihre Tage nur so vertrödeln oder umgekehrt, nicht den leisesten Schimmer davon haben, was sie eigentlich tun. Hier deutet sich schon an, dass das Buch nicht nur lustig sein wird. Ebenso die Familiendialoge während des Essens, verfolgt man diese zunächst noch belustigt, zeigt sich jedoch im Verlauf immer deutlicher die destruktive Konstellation, die nicht ohne Folgen für den Protagonisten bleibt.

Vieles an dem Roman hat geradezu kafkaeske Züge. Dick Meier kann das Treiben in der Bank nicht überblicken, seine Ängste werden immer stärker und die damit verbundene Unsicherheit treibt ihn zum Äußersten. Vieles, was er tut, erscheint völlig sinnlos und absurd, aber er kommt aus dem Hamsterrad, in dem er sich gefangen sieht, nicht heraus. Was zunächst als Befreiungsschlag wirkt, das Mobbing der Kollegen, wendet sich unweigerlich gegen ihn und führt ihn letztlich in einen wahren Wahn. „Mobbing Dick“ ist das Psychogramm eines modernen Arbeitnehmers, der die Arbeitswelt und die unterschiedlichen Erwartungen der Gesellschaft nicht mehr erfüllen kann und sich plötzlich in seiner eigenen Scheinwelt wiederfindet.

Auch wenn man die Geschichte mit einem gewissen persönlichen Abstand liest, geht sie doch nicht spurlos an einem vorbei. Unweigerlich kommt man ins Grübeln und erkennt ohne große Mühe, dass die Muster, die sich in der Fiktion auftun, keineswegs erfunden, sondern ausgesprochen real sind. Unterhaltsam im Ton, ernst in der Aussage – die Nominierung auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019 ohne Frage verdient.