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Veröffentlicht am 16.12.2024

Nett zu lesen mit emotionalem Tiefgang, aber auch nicht weltbewegend

Weihnachtshaus
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Ich habe viel Gutes über dieses Buch gehört und es mir nun extra in der Vorweihnachtszeit vorgenommen. Phasenweise habe ich das von der Autorin selbst eingesprochene Hörbuch gehört, das hat mir besser ...

Ich habe viel Gutes über dieses Buch gehört und es mir nun extra in der Vorweihnachtszeit vorgenommen. Phasenweise habe ich das von der Autorin selbst eingesprochene Hörbuch gehört, das hat mir besser gefallen als die Lektüre. Denn auch, wenn das Buch tiefgründige Themen anspricht und kurzweilig ist, konnte es mich nicht so recht nachhaltig beeindrucken.

Ein Knackpunkt für mich ist dabei sicherlich, dass die Kurzgeschichte ohne direkten Dialog auskommt und auch sprachlich eher schörkelhaft-poetisch daherkommt. Das ist nicht unbedingt mein Lieblingsschreibstil, ich fand es dafür aber noch ganz gut. Trotzdem merke ich beim Lesen, dass ich dann einfach nicht so gut dranbleiben kann.

Phasenweise hat mich der Roman emotional sehr bewegt. Der Verlust der Beziehungsperson wird greifbar gemacht, ohne dabei zu sehr in eine Schwere zu kippen. Dabei behilflich ist vor allem die zentrale Freundinnenschaft zwischen der Protagonistin und Lilli, welche eine so liebevolle Unterstützung ist, dass es sich wie eine warme Umarmung anfühlt. Auch andere Figuren des Buchs sind kleine Hoffnungsbringer*innen, wie etwa Bill, der endlich die Fertigstellung des titelgebenden Hauses auf den Weg bringt.

Die Stimmung ist winterlich-weihnachtlich, das hat mir gut gefallen. Aufgrund der Kürze des Textes konnte ich mich aber nicht ganz in die Handlung fallen lassen, da die Charaktere nur selten tiefgründig betrachtet werden. Menschen, die poetische Sprache mögen und sich auf die Suche nach den kleinen Hoffnungssymbolen im Text begeben wollen, können hier aber auf jeden Fall Freude finden.

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Veröffentlicht am 12.12.2024

Ein Buch rund um (Nicht-)Mutterschaft, das eine herausragende Tiefe und Ambivalenz abbildet

Eva
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Vor der Beobachtungsgabe Verena Keßlers kann ich mich nur verneigen. Sie widmet sich in „Eva“ einem Themenfeld, das von Ambivalenz und Unverständnis geprägt ist, und liefert einfach ab.

Eva Lohaus, die ...

Vor der Beobachtungsgabe Verena Keßlers kann ich mich nur verneigen. Sie widmet sich in „Eva“ einem Themenfeld, das von Ambivalenz und Unverständnis geprägt ist, und liefert einfach ab.

Eva Lohaus, die titelgebende Figur, ist dabei nur eine von vier Frauen, denen je ein Kapitel gewidmet wird. Ihre Geschichten sind jedoch nicht isoliert, sondern miteinander verwoben. Dieses Verweben gelingt Keßler mit einer solchen Leichtigkeit und einem gleichzeitigen Feinsinn, dass es mich nur begeistern konnte. Ergänzt wird die Handlung um ganz besondere und zarte Beziehungen, die teilweise wirklich sehr überraschend kommen. ❤️

Zurück zu Eva Lohaus, die öffentlichkeitswirksam darüber spricht, warum sie es mit Blick auf die Klimakrise für egoistisch hält, weitere Kinder zu bekommen. Dem gegenüber stehen Frauen, die keine Kinder bekommen können oder die ihr Kind verloren haben. Außerdem eine Mutter, die erschöpft ist vom Muttersein und welche versucht, sich selbst als Individuum innerhalb und außerhalb der Rolle wieder zu verorten.

Die verschiedenen Positionen scheinen so konträr und konfliktbeladen zu sein, dass ich es schlicht meisterinnenhaft finde, wie Keßler sie zu verbinden vermag ohne sich selbst zu positionieren. Und nicht nur die verschiedenen Lebensperspektiven werfen einen vielschichtigen Blick auf dieses komplexe Thema, sondern auch die Figuren sind in sich von einer Ambivalenz und Tiefe geprägt, die mich beeindruckt hat.

Denn wer keine eigenen Kinder haben möchte, will nicht zwangsläufig gar keine in ihrem Leben haben und wer eigene hat, kann auch abweisende Gefühle empfinden. Und nicht zuletzt darf sich die eigene Position auch einfach verändern, auch wenn das in unseren gesellschaftlichen Strukturen gar nicht so leicht ist. All das findet einen Raum in diesem großartigen Buch, das ich wirklich bedingungslos allen empfehle, weil es ein gut lesbares Plädoyer ist für Solidarität statt Abschottung bei unterschiedlichen Lebenseinstellungen.

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TW: (ungewollte) Kinderlosigkeit, Kindstod, Fruchtbarkeitsuntersuchungen, Gewaltandrohung, M0rd an Tieren (eine Szene, nicht explizit)

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Veröffentlicht am 12.12.2024

Ein schön geschriebenes Buch mit hoffnungsvollen Impulsen

Hoffnung
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Ich fand die Texte im Buch überwiegend angenehm zu lesen und mochte auch die grundlegende Struktur. Nermin Ismail macht sich zuerst Gedanken über den Wortursprung von "Hoffnung" und fasst verschiedene ...

Ich fand die Texte im Buch überwiegend angenehm zu lesen und mochte auch die grundlegende Struktur. Nermin Ismail macht sich zuerst Gedanken über den Wortursprung von "Hoffnung" und fasst verschiedene Positionen dazu zusammen. Mir persönlich war dieser Teil zu theoretisch, ich finde ihn in diesem Buch aber trotzdem schlüssig.

Viel mehr gefallen hat mir dann die pragmatische Portraitierung verschiedener Menschen. Die Autorin legte hier einen Fokus auf Menschen ethnischer und/oder religiöser Minderheiten bzw. auf als von der Mehrheitsgesellschaft "anders" markierte Menschen. So können Lesende die Trauer von Hanau-Hinterbliebenen sowie das Trauma von Überlebenden des Genozids an den Bosniak:innen oder von Uigur:innen zumindest in Ansätzen nachvollziehen. Sie alle eint trotz allem Schlimmen ein Weitermachen, das die Autorin mit Hoffnung übersetzt.

Eindrücklich fand ich zudem, dass vor allem Privilegierte sich der eigenen Machtposition bewusst werden sollten, um diese für ein solidarisches Hoffen einzusetzen. Denn die eigene hoffnungsvolle Vision muss im Einklang sein mit einem grundsätzlichen Streben nach einer von Gleichheit und Respekt gesprägten Welt. Dazu gehört auch, dass sich Menschen verschiedener Ansichten wieder begegnen und austauschen können. Erst durch Brücken kann Empathie und damit Solidarität nachhaltig gebaut und erhalten werden.

Die Autorin richtet sich auch mit klaren Worten an ihre Journalismus-Kolleg:innen, denn unsere auf Katastrophenmeldungen ausgerichtete Berichterstattung macht es der Hoffnung schwer, obwohl so viel Gutes bereits passiert. Gerade nach den schlimmsten Taten kann eine gesellschaftliche Solidarität beobachtet werden, die es jedoch selten in die Medien schafft.

Am Ende kamen mir einige Gedanken ein wenig repetitiv vor, doch ich behalte die Lektüre grundsätzlich positiv in Erinnerung. Vor allem nehme ich mir mit, dass Hoffnung ein Privileg und eine Grundvoraussetzung gleichermaßen ist, die nicht von allein kommt, sondern aktiv erhalten werden muss. Denn Aufgeben kann schlicht keine Option sein, wenn ein gutes Leben angestrebt wird - das kann ich vor allem von Menschen lernen, die trotz absolutem Grauen weiter für ein besseres Morgen kämpfen. Damit schafft die Autorin es, "Hoffnung" zu entromantisieren, denn sie ist eben kein von toxischer Positivität getriebenes Gefühl, sondern bedeutet manchmal schlicht, trotzdem weiterzuleben.

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Veröffentlicht am 05.12.2024

Ein schweres Buch voller Zartheit und Liebe zum Leben

Gute Gründe
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Mit „Gute Gründe“ hat Nadine J. Cohen einen wirklich tollen Debütroman mit viel Tiefgang geschrieben, der mich im richtigen Moment gefunden hat. Die Triggerwarnungen sollten hier unbedingt ernst genommen ...

Mit „Gute Gründe“ hat Nadine J. Cohen einen wirklich tollen Debütroman mit viel Tiefgang geschrieben, der mich im richtigen Moment gefunden hat. Die Triggerwarnungen sollten hier unbedingt ernst genommen werden!

Yael befindet sich nach ihrem Su!zidversuch auf dem Weg zurück ins Leben. Sehr passend dazu ist die Sprache von einer Lethargie geprägt, die ich für sehr authentisch halte. Die Tage fließen um Yael herum, zu Beginn kommt sie nur durch die täglichen Besuche im Frauenschwimmbad ein wenig unter Menschen. Dort trifft sie auch Shirley und freundet sich mit ihr an - ganz ungeachtet des Altersunterschiedes.

Richtig toll fand ich, dass wir hier recht präsent eine jüdische Perspektive im Zentrum der Erzählung haben. So lernen die Lesenden nicht nur etwas über jüdische Kultur und Bräuche, sondern können eine Vorstellung davon erlangen, wie groß die Auswirkungen weitergegebener Holocaust-Traumata auf den Alltag der Überlebenden eigentlich sind. Ich hoffe, dass viele Menschen so Kontakt zu diesem Thema bekommen.

Ebenso bemerkenswert ist, wie Cohen die zur Depression passende Lethargie sprachlich umzusetzen vermag, ohne dass der Schwermut überhand nimmt. Kleine Fragmente - mal Rückblenden, mal kurze Gedanken - lockern den Text mit einem angenehm trockenen, fast schwarzen Humor auf. So bricht die Autorin auch mit einigen Stereotypen rund um psychische Erkrankungen, denn Betroffene liegen eben nicht zwangsläufig weinend im Bett, sondern führen unter Umständen ein von außen betrachtet „normales“ Leben.

Und nicht zuletzt mochte ich die Figuren und ihre Beziehungen richtig gern. Die sind nämlich sehr authentisch gezeichnet und entsprechend Yaels Situation zwar unterstützend, aber auch nicht konfliktfrei. Eine zentrale Rolle neben der Freundinnenschaft von Yael und Shirley spielt die Schwesternschaft zu Liora. Letztere befindet sich im Spannungsfeld zwischen Verantwortung für Yael und für ihre eigenen Grenzen.

Ein kleiner Wermutstropfen ist leider das Ende. Da war mir dann nämlich Einiges zu schnell und manche Vorgeschichten wurden sehr kurz abgehandelt, obwohl ich mir da mehr Details gewünscht hätte. Das schien dann entsprechend willkürlich, weshalb mir auch die Emotionalität zum Schluss etwas abhanden gekommen ist. Abgesehen davon hat mich die Geschichte mit ihrer Schwere emotional an der richtigen Stelle getroffen und empfehle sie allen, die die dunklen Momente des Lebens selbst gut kennen. Dann kann das Buch nämlich wie eine warme Umarmung sein. ❤️‍🩹


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TW: Su!zid, psychische Erkrankung, Suchtverhalten, T0d, Trauer

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Veröffentlicht am 04.12.2024

Tolle Figuren und spannendes Kammerspiel, mir jedoch textlich zu experimentell

Schwindel
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Ich mochte Hengamehs ersten Roman „Ministerium der Träume“ richtig gern, deshalb war natürlich klar, dass ich auch deren neuen Roman lesen möchte. So ganz konnte „Schwindel“ meine Erwartungen aber leider ...

Ich mochte Hengamehs ersten Roman „Ministerium der Träume“ richtig gern, deshalb war natürlich klar, dass ich auch deren neuen Roman lesen möchte. So ganz konnte „Schwindel“ meine Erwartungen aber leider nicht erfüllen.

Im Roman dreht sich alles um Ava sowie ihre drei Liebhaber:innen. Ava scheint mit ihren Liebschaften großzügig umzugehen und sich schnell in eine neue zu flüchten, wenn es emotional tiefer zu gehen droht. So gibt es einige enttäuschte Erwartungen und wie es der Zufall so will, befinden sich die vier irgendwann ausgeschlossen auf dem Dach von Avas Wohnhaus. In einer Art Kammerspiel tragen jetzt nicht nur die Figuren untereinander ihre Konflikte aus, sondern die Lesenden erfahren auch so Einiges über die einzelnen Protagonist:innen - und das ist authentisch komplex.

Hier komme ich auch zu einer klaren Stärke des Romans: Wie kaum jemensch sonst schafft es Hengameh, die Komplexität menschlicher Identitäten in eine Sprache zu packen. Wo fängt Eigenverantwortung an und wo hören alte Traumata auf (looking at you, Ava)? Ist eine Lesbe noch lesbisch, wenn der Partner ein trans Mann ist? Wie kann ein sicherer Raum für nichtbinäre 6ualität aussehen?

Die Figuren sind alle wirklich vielschichtig und ich mochte es, wie Hengameh sie nach und nach entpackt. Da trifft die ältere Lesbe, die ihre Freund*innen in der Aids-Pandemie verloren hat, auf die junge nichtbinäre Person und muss ihren Platz erst neu finden. Es geht um Label, das Hinterfragen ebendieser und um Allianzen, die sich im Roman sehr dynamisch immer wieder neu formen.

Und obwohl ich die Perspektiven richtig toll fand und das Buch auch gut lesen konnte, hat es mich nicht wirklich überzeugen können. Das liegt vor allem an den verschiedenen Textformen. Delias Abschnitte sind konsequent klein geschrieben und brechen auch mal mitten im Satz ab. Manche Seiten bestehen aus nur einem Wort, andere reihen die immer gleichen Worte in einem Strudel aneinander. Das sorgt zwar auch dafür, dass der Roman schnell zu lesen ist, aber ich habe zu solch künstlerischen Aspekten einfach keinen Zugang und daher die Seiten auf Verständnisebene quasi übersprungen. Die gewählte Sprache bewegt sich auf der Grenze zwischen direkt und vulgär - für mich war es okay so, aber wer mit Vulgarität ein Problem hat, wird hier nicht glücklich werden. Nicht gut gefallen hat mir außerdem, wie stark Drogen verschiedener Art immer wieder eine Rolle spielten. Und schließlich war mir die Geschichte am Ende zu fragmentarisch und nicht so abgeschlossen wie im Vorgängerroman.

Ein Buch für alle, die Hengamehs Erzählweise mögen, Lust auf tiefe & ambivalente Figuren haben und offen sind für kunstvolle Textformen. Für mich war es eine eher durchwachsene Lektüre, ich bleibe Hengameh aber dennoch treu und gebe wegen der lehrreichen Perspektiven im Buch trotz meiner Kritik eine gute Bewertung.

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