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Veröffentlicht am 15.09.2024

Wer mordet mit Nussecken?

Nuss und Schluss. Ein Hansel & Pretzel Krimi
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Was ist ein Cosy-Krimi? In der Wikipedia fallen dazu die Schlagworte: Kriminalfall steht nicht im Mittelpunkt, Lokalkolorit, Humor, Ironie, Amateurermittler, gemächliches Erzähltempo. Wem dieses Genre ...

Was ist ein Cosy-Krimi? In der Wikipedia fallen dazu die Schlagworte: Kriminalfall steht nicht im Mittelpunkt, Lokalkolorit, Humor, Ironie, Amateurermittler, gemächliches Erzähltempo. Wem dieses Genre so gut gefällt wie mir, der ist mit der Hansel & Pretzel-Reihe von Dani Baker auf eine Goldmine gestoßen.

In „Nuss und Schluss“, dem ersten Band, kommt Sieglinde Sommer, genannt Linn, in die kanadische Kleinstadt Kitchener-Waterloo. Nach dem Scheitern ihrer Ehe will sie sich neu erfinden. Sie ändert Wohnort, Arbeitgeber, Job und Vornamen. Doch gleich ihr erster Arbeitstag in der deutschen Bäckerei Hansel & Pretzel beginnt mit einem Supergau. Nachdem sie es gerade noch rechtzeitig nach Kitchener geschafft hat, findet sie im Hinterhof ihrer neuen Arbeitsstätte eine Leiche. Und nicht irgendeine Leiche! Bei der Toten handelt sich ausgerechnet um Sidney Stark, einflussreiche Stadträtin und Erbin einer Supermarktkette. Prompt wird ihr Chef, der Bäcker Rainer, als tatverdächtig verhaftet. Da Linn von seiner Unschuld überzeugt ist, beginnt sie selbst zu ermitteln. In Kitchener ist der Mord Stadtgespräch. Linn kann sehr gut zuhören und erhält so neue Informationen über die Tote, die außergewöhnlich unbeliebt war. Viele hatten Grund, sie zu hassen. Rainer wird bald aus der Untersuchungshaft entlassen. Doch Linn ermittelt heimlich weiter und kommt dem Täter immer näher. Zu nah?

Deutsche im Ausland sind für mich immer ein interessantes Thema. Hier dient diese Konstellation als Aufhänger für eine Krimireihe. Linn nimmt vieles anders wahr als ihre Mitbürger. Dass die Autorin selbst in Kanada lebt und sich bestens auskennt, ist gut zu spüren.

Obwohl ich ein bekennender Fan von Cosy-Krimis bin, kannte ich Dani Baker noch nicht. Ein Umstand, den ich schnellstens ändern werde. Ihr flotter Schreibstil hat mich die Geschichte beinahe inhalieren lassen. Ich schätze ihren Humor sehr. Sie geizt nicht mit lustigen Sprüchen, ohne seicht zu werden. Mein Lieblingszitat: „So viel Gesundes würde meinem Körper schaden. Da müsste ich anschließend zwei Tafeln Schokolade und eine Tüte Chips essen, um das wieder zu neutralisieren.“

Ganz nebenbei erfährt der Leser einiges über die Eigenheiten der Kanadier. Ob Schecks statt Lastschrift, Ehrenamt oder Toplader-Waschmaschinen, die Autorin hat gut recherchiert. Das bestätigte mir eine amerikanische Freundin, die lange Zeit an der kanadischen Grenze gelebt hat. Manches mag etwas überzeichnet sein, das ist dem Genre geschuldet. Das trifft jedoch nicht auf Lakishas Beschreibung eines Anaphylaktischen Schocks zu. Nachvollziehbar erklärt.
Den Kriminalfall fand ich für einen Cosy-Krimi ziemlich spannend. Lange tappte ich im Dunkeln. Aber es gab auch genügend Verdächtige und Motive.
Die leckeren Backrezepte am Buchende waren noch ein weiteres Highlight für mich. Trotz der Hitze habe ich bereits eines ausprobiert. Lecker, echtes Hüftgold.

Linn ist mir sehr sympathisch. Nach dem Ende ihrer Ehe krempelt sie die Ärmel hoch und wagt einen Neuanfang. Sie ist klug, tatkräftig und empathisch. Dass gleich zwei attraktive Männer durch ihre bloße Anwesenheit Linns Denkvermögen jeweils schock gefrieren, ist zwar übertrieben, aber amüsant. Ihre WG-Mitbewohner sind divers. Der bullige Gesundheitsfanatiker Igor ist ein Sensibelchen was den Mordfall betrifft und beschwert sich über zu viel Butter in Backwaren. Mitbewohnerin Mac dagegen sieht aus wie ein Goth-Model, verfügt über hervorragende PC-Kenntnisse und hat mennonitische Wurzeln. Kyle ist einer der zwei Gründe, die Schnappatmung bei Linn auslösen. Seine Freundin Norah ist vor einem Jahr spurlos verschwunden, ohne Gepäck und ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Vermieter Bryan ist harmoniesüchtig und stets auf Ausgleich bedacht. Und da ist noch Inspektor Bas van de Groot. Groß, blond, blauäugig ist er Linns Objekt der Begierde.
Man sieht, die Autorin hat sich mit ihren Charakteren Mühe gegeben. Ihr volles Potenzial werden sie erst noch entfalten.

Das Cover hat mir sehr gut gefallen. Farben, Darstellung und Schriftzug wirken leicht altmodisch und passen perfekt. Das Brezel-Design der Kapitelseiten ist hübsch und stimmig.

Die Autorin setzt das Konzept des Cosy-Krimis hervorragend um. Für alle Freunde des Genres ein absolutes Muss! Großartig, dass es mit Linn weitergeht. Band Zwei, einen Weihnachtskrimi, werde ich mir nicht entgehen lassen. Die Leseprobe am Buchende verspricht weiteren großen Lesespaß.





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Veröffentlicht am 10.09.2024

Der Rommé-Club und sein erster Fall

Der Rommé-Club ermittelt
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Hauptkommissar Hannes Neffgen liebt es gemütlich und er ist nicht die hellste Kerze auf der Torte. Als ihm kurz vor seiner Pensionierung ein Mordfall übertragen wird, fühlen sich die kriminalistisch ambitionierten ...

Hauptkommissar Hannes Neffgen liebt es gemütlich und er ist nicht die hellste Kerze auf der Torte. Als ihm kurz vor seiner Pensionierung ein Mordfall übertragen wird, fühlen sich die kriminalistisch ambitionierten Damen des örtlichen Rommé-Clubs genötigt, den Ermittler zu unterstützen.

Wer hat Bürgermeister Hubert Brandt erschlagen? Das Eifeldörfchen Himmelrath steht kopf. Schnell sind die ersten Verdächtigen gefunden, aber sie können allesamt ein Alibi vorweisen. Während der Ermittlungen werden gut gehütete Geheimnisse aufgedeckt oder wie Ingrid, eine der Freundinnen sagt: „Unter jedem Dach ein Ach“. Das führt zu neuen Verdächtigen. Aber wieder hat jeder ein Alibi. Die Tätersuche erweist sich weiterhin als schwierig, obwohl die Rommé-Cops erfolgreicher scheinen als die Polizei. Wird dieser Fall als Cold Case enden?

Das originelle Cover ziert eine dörfliche Szene in Form einer Spielkarte. Verziert mit den Symbolen Pik, Karo, Herz und Kreuz. Passt ausgezeichnet zum Rommé-Spiel.

Birgit Zimmermanns locker-leichter Schreibstil erlaubt flüssiges Lesen. Ihre anschaulichen Beschreibungen und gut gewählten Schauplätze erzeugen eine angenehme Atmosphäre. Idyllische Landschaften, provinzieller Charme, Lokalkolorit und bodenständige Charaktere sorgen für gute Unterhaltung. Das Tempo ist eher behäbig, was passt. Seelische Erschütterungen oder unangenehme Entdeckungen werden erst einmal mit einem Gläschen Sekt oder Rotwein neutralisiert. Trotzdem gelingt es der Autorin, Spannung zu erzeugen. Erst auf den letzten Seiten wird der Mörder entlarvt – mit einem glaubwürdigen Tatmotiv. Für einen Cosy Krimi erweist sich der Kriminalfall als unerwartet spannend.

Auch die Charaktere überzeugen. Ob die schillernde Rosa, die sich als langjährige Krimileserin Miss Marple verbunden fühlt und mit 83 immer noch erfolgreich flirtet. Oder Tochter Evelyne, die sportliche Ex-Rektorin, die sich rührend um den Sohn des Mordopfers kümmert und während der Ermittlung die Liebe ihres Lebens findet. Die Femme fatale Ingrid und die tatkräftige Bäuerin Barbara vervollständigen das ermittelnde Detektiv-Quartett. Auch die Nebencharaktere sind liebevoll gezeichnet.

Regionalkrimis sind beliebt. „Der Rommé-Club ermittelt“ gehört zu den überzeugenden Vertretern dieses Genre. Ich fühlte mich von dem starken Frauenquartett sehr gut unterhalten. Hoffentlich ermitteln sie bald wieder.



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Veröffentlicht am 05.09.2024

Mord in Yorkshire

Mord im Yorkshire-Moor
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In „Mord im Yorkshire Moor“ ermitteln Detective Inspektor Malcolm Halloran und seine Freundin, die Bibliothekarin, Kitt Hartley bereits zum dritten Mal. Inzwischen hat ihre Beziehung weitere Fortschritte ...

In „Mord im Yorkshire Moor“ ermitteln Detective Inspektor Malcolm Halloran und seine Freundin, die Bibliothekarin, Kitt Hartley bereits zum dritten Mal. Inzwischen hat ihre Beziehung weitere Fortschritte gemacht, trotz der schrecklichen Geschehnisse in der Vergangenheit. Da droht ein neuer Mord, Halloran in tiefe Abgründe zu stürzen.

Eigentlich fühlt sich Malcolm Halloran so gut wie schon lange nicht mehr. Seine Beziehung zu Kitt Hartley bedeutet ihm sehr viel. Endlich ist sein Leben auch außerhalb seiner Arbeit wieder lebenswert. Um so härter trifft es ihn, dass er nach einer gemeinsamen Liebesnacht, über einen neuen Mordfall unterrichtet wird. Einen Mord, identisch mit dem, dem seine Frau Kamala vor fünf Jahren zum Opfer fiel. Obwohl Halloran den Täter damals überführt hatte, kommen Zweifel in ihm auf. Hat der Täter aus dem Gefängnis heraus erneut einen Mord zu verantworten? Wer sind seine Helfer? Längst überwunden geglaubte Gefühle drängen wieder in sein Bewusstsein und lassen Malcolm so ausrasten, dass seine Chefin ihn erst einmal suspendiert. Kitt möchte ihrem Freund helfen und ihre Beziehung retten. Deshalb fahren sie in Hallorans alte Heimat, damit er sich den alten Dämonen stellen und den Fall aufklären kann.

Die Geschichte nimmt sofort an Fahrt auf. Trotz seiner Suspendierung fährt der Inspektor unbeirrt zu dem Gefängnis, in dem der Mörder seiner Frau einsitzt. Er ist der festen Meinung, dass sein ehemaliger Kollege, der Serienmörder Kerr auch hinter dem neuen Mord steckt. Vom damaligen Täter erfährt er nichts Neues, sondern wird nur verspottet. Wie unter einem Zwang stehend, muss Malcolm weiter ermitteln. Kitt versteht seine psychische Situation und begleitet ihn nach Irendale, wo er früher lebte und die Mordserie vor fünf Jahren und auch der neue Mord stattfand. Der zuständige Detective Inspector Bailey, sein ehemaliger Constable, ist mit der Mitarbeit der beiden einverstanden, solange sie sich im Hintergrund halten.
Malcolm ist besessen von einer erneuten Täterschaft Kerrs oder seinem nahen Umfeld, was zu erneuten unangenehmen Ausrastern führt. Obwohl verschiedene Verdächtige ermittelt werden und es auch zu einer Verhaftung kommt, schafft es der ansonsten so besonnene Halloran nicht, objektiv zu sein. Erst als seine Freundin in eine lebensbedrohende Lage gerät, kommt er langsam zur Besinnung. Kitt ermittelt in eine völlig andere Richtung als die beiden Inspektoren und findet auch erste Hinweise. Doch erst als das Paar die Ermittlung gezwungenermaßen aufgibt und sich schon auf der Heimfahrt befindet, stößt Kitt auf das entscheidende Indiz.

Mir gefällt der Schreibstil von Helen Cox. Als Leser ist man von Beginn an mitten in der Geschichte drin. Sie schafft es, den Leser zu fesseln und den Spannungsbogen zu halten. Obwohl Malcolm den Täter von Beginn an zu kennen glaubt, gibt es zahlreiche Verdächtige mit unterschiedlichen Motiven. Die relativ kurzen Kapitel, der immer wieder aufblitzende Humor – Kater Jago sabotiert die Beziehung seines Frauchens - und die klare Sprache erlauben flüssiges Lesen. Die Geschichte ist nachvollziehbar und logisch. Wieder tauchen Runen auf, aber auch Zitate aus „Beowulf“, einem frühmittelalterlichen Heldengedicht, geben Rätsel auf. Das sorgt für zusätzliche Spannung, ohne zu dominieren. Lange wusste ich nicht, wer hinter dem Mord steckt, das hat mir besonders gut gefallen. Ein kleiner Kritikpunkt bezieht sich auf die wiederholt versteckten Hinweise auf die sexuellen Präferenzen von Malcolm und Kitt. Für den Fall völlig unerheblich. Fifty Shades of Grey? Na und?

Die meisten Charaktere sind mir inzwischen vertraut und ich habe sie gern wieder getroffen. Nur die schrille Ruby kam für meinen Geschmack dieses Mal etwas zu kurz. Auch die anderen Charaktere sind authentisch und glaubhaft, ob Mörder oder Kollege. Malcolm Halloran zeigt uns in diesem Band eine andere Seite seines Charakters. Umgab ihn schon immer auch etwas Dunkles, so verliert der sonst so britisch beherrschte Mann hier fast völlig seine Selbstkontrolle. Dabei beschreibt die Autorin glaubhaft das Trauma, unter dem er leidet und dessen Folgen lassen sich nun nicht länger verdrängen. Die intelligente, gebildete Kitt steht ihm loyal zur Seite, was nicht immer ganz einfach ist, da er sie u.a. mit Misstrauen konfrontiert, das sie nicht verdient. Sie wirkt inzwischen viel moderner und selbstbewusster als noch in Band 1. Auch nach dem Anschlag auf sie, fängt Kitt sich nach kurzem Schrecken wieder, und löst letztendlich den Fall.

Das Cover passt sehr gut zu einem Krimi, der in Yorkshire spielt. In kräftigen Farben, mit Cottage, Schaf und aufgeschichteter Steinmauer. Dieser Band fügt sich ausgezeichnet in die Reihe ein. Die Kapitelseiten sind mit einem hübschen Scherenschnitt geschmückt. Das passt alles hervorragend zusammen und wirkt sehr britisch.

Mir hat das Buch gut gefallen. Die Charaktere sind stimmig, wie gewohnt. Der Kriminalfall war spannender als in den vorigen Bänden. Der Humor kam nicht zu kurz und auch die Rätsel fehlten nicht. Das Beste? Dass Ende September 2024 der nächste Band herauskommt. Ich werde Kitt und Malcolm auch beim nächsten Fall begleiten.

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Veröffentlicht am 05.09.2024

Aberwitz trifft Cosy Krimi

Heidabimbam!
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Wer schräge Regionalkrimis liebt, ist hier genau richtig! Aber von Beginn an …

Capitano Francesco Caruso und Museumskuratorin Angelica Fiorelli werden beauftragt, den zweitgrößten Smaragd der Welt sicher ...

Wer schräge Regionalkrimis liebt, ist hier genau richtig! Aber von Beginn an …

Capitano Francesco Caruso und Museumskuratorin Angelica Fiorelli werden beauftragt, den zweitgrößten Smaragd der Welt sicher von Rom nach Überlingen am Bodensee zu bringen. Schon als der italienische Polizist auf die seltsame Idee verfällt, den wertvollen Edelstein in einem bunten Eiswagen Marke Giovanni zu transportieren, schwant dem Leser nichts Gutes.
Gleichzeitig fordern ungewohnt viele Verbrechen den Polizeiposten im malerischen schwäbischen Muggenpfuhl heraus. In Abwesenheit ihres Chefs sollen die Polizisten Schmähle und Schmälzle – Klischee! - mehrere Überfälle der berüchtigten Schlumpfbande und einen mysteriösen Einbruch mit Todesfolge aufklären. Ein Anschlag auf den Edelsteintransport führt unsere Protagonisten zusammen. Caruso kehrt nach Muggenpfuhl zurück, um in der schwäbischen Kleinstadt den Smaragd sicher zu verstecken. Dieser Entschluss führt zu teilweise aberwitzigen Ereignissen und schrägen Personen. Ob das Muggenpfuhler Medium Gundel Sternklar, Caruso von einem Fluch befreit, der französische Topdieb Remy, die Schlange, jetzt in Überlingen als Friseur arbeitet, die Trattoriachefin Donna Elvira mit ihrem verstorbenen Mann eine flotte Sohle aufs Parkett legt oder eine Horde wild gewordener Schwaben auf Geisterjagd, ein Hotel zerlegt, für Abwechslung ist gesorgt. Aber was steckt dahinter?

Das Cover ist eher schlicht. Die kahle Krone eines Laubbaumes auf grünem Hintergrund. So unspektakulär, dass es den Leser überhaupt nicht auf den Krimi vorbereitet, den es ziert.

Autor Harald J. Marburger nimmt uns in „Heidabimbam!“ mit in eine schwäbische Provinz, die so nur im Klischee existiert. Obwohl uns seine Geschichte auch nach Italien und Kolumbien führt, liegt der Schwerpunkt doch nördlich des Bodensees. Seinen flotten Schreibstil garniert der Autor mit schwäbischen Schimpfworten und Ausdrücken, die für Nichtschwaben immerhin am Buchende übersetzt werden.

Seine Charaktere sind bewusst überzeichnet. Das beginnt bei der Namensgebung und endet nicht mit den Eigenheiten der Personen. Während Polizist Schmälzle keine fünf Minuten ohne Nahrungsaufnahme existieren kann, wandelt Schmähle fortwährend auf Freiersfüßen. Auch die übrigen Protagonisten sind nicht realistischer, aber sehr unterhaltsam. Allein mein Lieblingscharakter, das Medium Gundel Sternklar, der (Spoiler: er ist keine Frau) stets zwischen Spiritualität und Registrierkasse schwankt.

Da ich auf schräge Krimis stehe und zudem Schwäbin bin, fühlte ich mich gut unterhalten. Alle Klischees über Schwaben werden bedient, nur die Kehrwoche fehlt. Oder habe ich da etwas überlesen? Bis zum Ende war ich mir nicht klar darüber, ob der Autor Schwaben hasst oder liebt. Ich tippe wohlwollend auf die letztere Annahme. Ob sich die Lektüre auch für Hessen, Bayern, Sachsen, Saarländer oder andere Nichtschwaben eignet? Es hängt stark von deren Humor ab. Das angehängte Glossar wird dann dringend benötigt. Oder wissen Sie, was ein Busierschdengl ist?

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Veröffentlicht am 02.09.2024

Wie gefährlich ist es, ein Smartphone zu kaufen?

Das Smartphone
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Die Studentin Paula kauft ein gebrauchtes Smartphone, wie schon 19 Prozent der deutschen Bevölkerung vor ihr. Ein Kauf mit weitreichenden Konsequenzen. Der Verkäufer ihres Smartphones wird getötet und ...

Die Studentin Paula kauft ein gebrauchtes Smartphone, wie schon 19 Prozent der deutschen Bevölkerung vor ihr. Ein Kauf mit weitreichenden Konsequenzen. Der Verkäufer ihres Smartphones wird getötet und sie ist aus Sicht der Polizei eine Mordverdächtige. Doch Paulas Albtraum hat gerade erst begonnen.

82,2 Prozent der Deutschen nutzen ein Smartphone. Dieser Umstand inspirierte Marc Meller zu seinem neuen Thriller. Welche Möglichkeiten eröffnen sich demjenigen, der keine Skrupel hat und Gewinnmaximierung als einziges Ziel anerkennt? Hier ist es ein Versicherungskonzern, der mit Faktor X, einer KI-generierten Spyware, Smartphones bzw. deren Besitzer ausspioniert. Als dem Konzernchef die Sache zu heiß wird, für eine Versicherung ist ihr Ruf schließlich überlebenswichtig, soll Faktor X verschwinden. Dabei treten unerwartet Komplikationen auf, die ein Killerkommando auf den Plan rufen.
Ab sofort sterben Menschen. Paula, Studentin der Molekulargenetik, wird von der Polizei verdächtigt und gerät gleichzeitig ins Visier der Killer. Ab sofort kämpft sie um ihr Leben, im übertragenen wie im konkreten Sinn. Glücklicherweise trifft sie auf Mitstreiter, die sie unterstützen. Doch letztlich muss sie allein entscheiden, wem sie noch vertrauen kann.

Das Thema hat genau meinen Geschmack getroffen. KI und neue Medien liegen derzeit im Trend und ich bin eine leidenschaftliche Krimileserin. Ein neuer, überzeugender Plot kommt mir immer sehr entgegen. Im Nachwort bestätigte sich mein Eindruck, dass dem Autor das Thema Umgang mit neuen Technologien ein Anliegen ist. Dort weist er auch eindrücklich daraufhin, wie einschneidend die Folgen für viele wären, falls eine KI über die Vergabe von Versicherungen bestimmte.

Ich war bereits nach der Leseprobe tief in die Geschichte eingetaucht und wollte unbedingt wissen, wie es mit Paula weitergeht. Die Verknüpfung des Missbrauchs neuer Technologien mit dem Schicksal einer sympathischen Hauptfigur fand ich sehr gelungen. Schockierend fand ich, wie schnell das Leben eines Menschen aus den Fugen geraten kann, ganz ohne eigenes Zutun.
Vielleicht sollten wir in diesem Bereich alle vorsichtiger sein?

Meller schreibt flott und baut schnell Spannung auf. Der Autor hat sehr gut recherchiert, ob Nebensächliches, wie über Eichenfässer in denen Malt Whiskey reift, oder Wichtiges, wie die Fakten, die Informatik oder Epigenetik betreffen. Er gibt dem Leser das nötige Hintergrundwissen. Leider schießt er dabei gelegentlich über das Ziel hinaus, was den Lesefluss etwas behindert.

Paula als Hauptcharakter war mir sehr sympathisch. Ich fand ihre Handlungsweise bis auf einmal, als sie allein die Mafiabar betreten hat, sehr gut nachvollziehbar. Auch ihr Zusammenbruch, nach der Absage Kleimanns, war absolut glaubwürdig. Schließlich wurde ihr sozusagen der Boden unter den Füßen weggezogen. Auch ihre Überlegungen nach dem zweiten Besuch bei Prof. Kleimann und die Auszeit von ihrem Team fand ich logisch.
Ein widersprüchlicher Charakter war Emil für mich. Immer dann, wenn ich beschlossen hatte, ihm zu trauen, passierte etwas, das mich wieder an ihm zweifeln ließ. Wie sich die Folgen bipolarer Störungen äußern, weiß ich nur sehr oberflächlich. Sein selbstloses Handeln im Epilog hat mich aber mit ihm ausgesöhnt.
Eine weitere interessante Protagonistin war Gabriela für mich. Ohne sie entschuldigen zu wollen, kann ich mir ihre Schwierigkeiten beim Erklimmen der Karriereleiter in einem Weltkonzern gut vorstellen. Vermutlich färbt dies auf den Charakter ab. Trotzdem opferte sie täglich Zeit für ihre demente Mutter.
Die übrigen Charaktere blieben etwas blass.

Das Cover hat mir rundum gefallen. Die Farben, die erhabenen Buchstaben, das Frequenzdiagramm und der angedeutete Computercode. Alles schön anzusehen und perfekt zum Thema passend.

Selten ist mir eine Rezension so schwergefallen. Das Thema ist höchst aktuell, die Geschichte hat mich gepackt, sodass ich sie in kurzer Zeit gelesen habe. Die technischen und wissenschaftlichen Erklärungen fand ich durchweg höchst interessant und ich habe viel Neues erfahren. Der Autor hat sehr gut recherchiert, was mir ausgezeichnet gefällt. Paula ist ein sympathischer, authentischer Charakter, ich wollte stets wissen, wie es mit ihr weitergeht. Soweit alles gut.
Aber: Für einen Thriller gibt es zu viele technische und wissenschaftliche Erklärungen und Wiederholungen. Ich habe es nachgeprüft, das Thema Jailbreak bzw. Rooten, wird in der ersten Hälfte des Krimis sechsmal behandelt. Das behindert den Lesefluss unnötig. Viele Verdächtige musste ich einfach von der Liste streichen: Mateusz, Steffen, Ben, Paulas Vater. Welche spannenden Verwicklungen wurden da verschenkt?

Mein Fazit:

Wer sich für neue Technologien und Epigenetik interessiert, für den ist dieser Thriller ein absolutes Muss. Obwohl dies auf mich nur bedingt zutrifft, fand ich die Geschichte trotz einiger Kritikpunkte spannend und unterhaltsam. Besonders pfiffig fand ich die Wahl des Triggers.
Der Autor schöpft sein Potenzial noch nicht zur Gänze aus. Mehr Gewicht auf Charaktere, Logik und spannende Wendungen, ein bisschen weniger Technik, Wissenschaft und Erklärungen. Dann noch Verzicht auf unnötige Wiederholungen und wir haben den perfekten Thriller! Ich werde den Autor im Auge behalten.

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