Profilbild von reni74

reni74

Lesejury Star
offline

reni74 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit reni74 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.06.2024

Ein Kind verschwindet

Dorf unter Verdacht
0

In London ist die Stimmung gedrückt, hunderte Eltern bringen ihre Kinder zum Bahnhof, um sie vor den drohenden Bombenangriffen der Deutschen in Sicherheit zu bringen. Die Kinder fahren aufs Land, in die ...

In London ist die Stimmung gedrückt, hunderte Eltern bringen ihre Kinder zum Bahnhof, um sie vor den drohenden Bombenangriffen der Deutschen in Sicherheit zu bringen. Die Kinder fahren aufs Land, in die vermeintliche Sicherheit, leider aber gilt das nicht für alle.

Das Buch ist bereits das 10. aus der Reihe rund um Autorin Josephin Tey und den Ermittler Archie Penrose, ich hatte bisher keines davon gelesen. Der Stil der Autorin hat mich direkt abgeholt. Das Setting des Buches rund um das beschauliche englische Dorf in den 1930er/1940er Jahren, hier direkt zu Beginn des 2. Weltkriegs, hat mich stark an die Bücher von Agatha Christie und auch G. K. Chesterton erinnert, obwohl hier natürlich die Leichtigkeit und der unterschwellige Humor fehlen. Stattdessen erwartet den Leser eine klassisch aufgebaute Kriminalgeschichte, mit viel Spannung, eingebettet in die Dorfidylle mit ihren Bewohnern als Verdächtigen.

Die Figuren, allen voran die auf einer echten Person basierende Josephin sind sehr gut gezeichnet und direkt sympatisch. Auch wenn man keine Vorkenntnisse zu den Hintergründen hat baut man eine Beziehung zu ihnen auf. Auch für die Dorfbewohnern werden schnell Sympathie und Antipathie geweckt. Wie von der Autorin beabsichtigt zieht man als Leser schnell Schlüsse zu möglichen Verdächtigen und ihren Motiven. Die Autorin versteht es hier exzellent falsche Spuren zu legen und den Leser so lange im Unklaren zu lassen. Der Spannungsbogen entwickelt sich stetig nach oben, um dann eine überraschende, oder vielleicht auch doch nicht so überraschende Wendung zu bringen, hatte ich doch ganz, ganz kurz mal eine Vermutung in diese Richtung.

Was ich an diesem Krimi unglaublich gut gemacht finde, ist die Grundstimmung. Der Leser spürt die allgegenwärtige Angst vor dem bevorstehenden Krieg. Auch die dörfliche Idylle, das sonnige Wetter, schaffen es nicht die Erinnerungen der Ältern an die Ereignisse 20 Jahre zuvor zu verdrängen, als man schon einmal in einem verheerenden Krieg Väter, Brüder, Söhne verloren hat. Ein Zitat zum bevorstehenden Eintritt Großbritanniens in den Krieg hat mich hier leider sehr an die aktuellen Ereignisse unserer Zeit erinnert -

"Das kommt davon, wenn man tatenlos zusieht, wie etwas Schreckliches passiert, selbst wenn es einen nichts angeht."

Auch die Emotionen rund um das Verschwinden des Kindes sind unglaublich nachvollziehbar dargestellt, die Ängste der Eltern, die Vorwürfe die man sich in einer solchen Situation macht, der Eifer der Polizei und der Suchtrupps, ihre beginnende Resignation, aber auch das Misstrauen und die Verdächtigungen innerhalb der Dorfgemeinschaft, die tiefliegenden Argwohn und alte Feindschaften offenlegen.

Bevor ich dieses Buch gelesen habe, habe ich die Reihe, auch auf Grund ihres Covers, in die Abteilung "cosy Crime" gesteckt. Diese Einschätzung muss ich hiermit redigieren, cosy ist an diesem Fall so gar nichts, im Gegenteil. Das beschriebene Szenario ist emotional aufgeladen, düster und bewegend, die Bezüge zu realen Ereignissen, deren Verlauf der Leser kennt machen die Geschichte greifbar. Definitiv nicht das letzte Buch der Reihe für mich.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.06.2024

Berührend

Morgen und Abend
0

Fischer Johannes wacht morgens auf und beginnt seinen Tag, so wie er ihn immer beginnt, seit seine Frau Erna verstorben ist. Aufstehen, erstmal eine rauchen, Kaffe und schauen, was wie das Wetter aussieht. ...

Fischer Johannes wacht morgens auf und beginnt seinen Tag, so wie er ihn immer beginnt, seit seine Frau Erna verstorben ist. Aufstehen, erstmal eine rauchen, Kaffe und schauen, was wie das Wetter aussieht. Allerdings ist heute irgendwas anders als sonst.

"Morgen und Abend" ist ein recht dünnes Büchlein von nur 122 Seiten und erzählt von Johannes, einem alten Mann. Zu Beginn des Buches wird der Leser Zeuge seiner Geburt, danach triff man ihn erst wieder als alten Mann am Ende seines Lebens, man begleitet ihn durch seinen Tag, begleitet ihn in seinen Erinnerungen durch sein Leben, begleitet ihn auf seinem letzten Weg. Dem Leser ist dabei vom ersten Moment an klar, wohin die Reise geht, Johannes selbst wird es erst recht spät klar.

Autor Jon Fosse schreibt seine berührende Geschichte in einem sehr speziellen, einzigartigen Stil, der Leser ist hier gefordert und muss sich auch ein Stück weit darauf einlassen. Im Groben könnte man sagen, die gesamte Geschichte besteht aus einem einzigen Satz. Es gibt Kommas, ab und an ein Fragezeichen, aber ansonsten kein Satzzeichen. Ab und zu sind einzelne Wortgruppen durch Einrückung gekennzeichnet, es gibt auch Großschreibung, die einen neuen "Satz" ankündigt, aber im Grunde ist der gesamte Roman eine einzige Aneinanderreihung von Worten. So muss es wohl aussehen, wenn man einen Untertitel für die eigenen Gedanken erstellten würde, der wie ein Liveticker unten durchläuft. Sehr speziell und so noch nie gesehen. Im ersten Moment dachte ich fast an einen Druckfehler, bis ich gemerkt habe, dass das ein stilistisches Mittel des Autors ist.

Die Geschichte ist sehr berührend. Dieser letzte Tag, durchzogen von Erinnerungen, vom Wiedersehen mit Freunden, von einer gewissen Leichtigkeit, aber auch von so viel Trauer geht nicht spurlos am Leser vorbei und am Ende musste ich auch kurz mal schniefen. Zu Recht hat dieses Buch den Nobelpreis für Literatur gewonnen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.06.2024

Ein Leben

Im Tal
0

Als Toni Rosser tot von einem Wanderer in seiner Hütte gefunden wird, weint ihm niemand eine Träne nach. Wunderlich war der Alte, der da einsam, verwahrlost und allein droben im Tal gehaust hat, gewalttätig ...

Als Toni Rosser tot von einem Wanderer in seiner Hütte gefunden wird, weint ihm niemand eine Träne nach. Wunderlich war der Alte, der da einsam, verwahrlost und allein droben im Tal gehaust hat, gewalttätig wie der Vater einst. So manches Gerücht macht die Runde über den schweigsamen Eigenbrödler, dessen traurige Lebensgeschichte das Buch erzählt.

Tommie Goerz hat hier einen unglaublich atmosphärischen Roman vorgelegt, der eine komplette Lebensgeschichte ablichtet. Der Leser begleitet den kleinen Toni durch seine eintönige Kindheit, geprägt durch die grundlosen Gewaltausbrüche des Vaters. Die Schulzeit, die für den schüchternen, in sich gekehrten, gehemmte Jungen Hähme und Prügel bedeuten, seine Jugend und schließlich seine Flucht weg vom Vater, fort aus dem Tal, hinein in den Krieg. Den ersten Weltkrieg, dessen Schrecken der Leser durch Tonis Augen miterlebt, die anschließende Heimkehr eines veränderten Tonis, der so viel vom Leben erwartet, sich aber dabei selbst am meisten im Weg steht. Denn letztlich kann er nicht aus seiner Haut, kann dem Einfluss des wütenden Vaters nicht entkommen, ist gefangen in sich Selbst.

Der Autor erzählt all dies unaufgeregt, aber um so eindringlicher aus Tonis Sicht, allerdings nicht in der Ich-Form. Fast hat es den Anschein als wäre Toni nur ein Beobachter seiner Selbst, ein Gast in seinem eigenen Kopf. Er ist dem Leser nicht unbedingt sympatisch, aber man fühlt mit dem ängstlichen Knaben, dem gehemmten jungen Mann, dem vom Leben enttäuschten Einsiedler. Gleichzeitig wird man auch wütend auf die Welt, auf den prügelnden Vater, die eifersüchtigen Klassenkameraden, die ignoranten Dorfbewohner, die nur all zu gern tratschen und so das Bild von Toni erschaffen, dem sich dieser dann immer mehr angleicht.

Eingebettet ist diese dramatische Lebensgeschichte in eindrucksvolle Landschaftsbeschreibungen und ein sehr authentisches Bild der damaligen Zeit. Der Autor beschreibt das beschwehrliche bäuerliche Leben im ländlichen Franken, den industriellen Fortschritt und ebenso die Schrecken des ersten und zweiten Weltkrieges und dazwischen immer Toni, der suchende, der getriebene, der missverstandene, vom Leben enttäuschte Toni.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.06.2024

Machtspiele

Die Schwester
0

Ich bin ja in Zeiten des Kalten Krieges groß geworden. Wenn wir von der Angst vor einem Atomkrieg gesprochen haben, war da eigentlich immer die Rede von den USA und Russland, damals noch die UdSSR. Heute ...

Ich bin ja in Zeiten des Kalten Krieges groß geworden. Wenn wir von der Angst vor einem Atomkrieg gesprochen haben, war da eigentlich immer die Rede von den USA und Russland, damals noch die UdSSR. Heute wissen wir natürlich, wie naiv es war sich einzig auf diese beiden Atommächte zu beschränken, gibt es doch heute immer mehr Länder auf der Welt, die ebenfalls über Nuklearwaffen verfügen und nicht müde werden der Welt damit zu drohen. Ein Land fällt uns in diesem Zusammenhang sicher direkt ein, Nordkorea. Ein Land, über das wir in der westlichen Welt nicht wirklich viel wissen, ein Land, das uns in vielerlei Hinsicht fremd ist.

Wenn ich Nordkorea höre habe ich natürlich direkt das Bild des politischen Führers des Landes vor Augen, Kim Jong Un, eine Person, die man auf Grund ihres Aussehens vielleicht erstmal belächeln würde. Das an ihm allerdings so gar nichts zu belächeln ist wurde der Welt recht schnell klar. Das vorliegende Buch bietet einen intensiven und beängstigenden Blick auf die Person Kim Jong Un, auf seine Politik, auf seine Herkunft, auf seine Familie und damit auf die wohl wichtigste Person in seinem Leben (neben seinem Vater und seinem Großvater), auf seine Schwester.

Lange war der Welt nicht einmal klar, das die Frau, die den Machthaber begleitet tatsächlich seine Schwester ist, denn keine andere Herrscherfamilie macht so ein Geheimnis um sich selbst, wie die Nordkoreas. Selten hat die Mystifizierung, der Kult um eine Person, um eine Familie solche Ausmaße angenommen, wie in diesem Fall. Es ist unglaublich interessant den Ausführungen des Autors zu folgen, von denen viele lediglich durch die akribische Analyse und anschließende Deutung von Bildmaterial und Aussagen der Beteiligten zustande kommen. Nur eine Kenner der Kultur des kleinen asiatischen Landes kann hier die entsprechenden Schlüsse ziehen.

Obwohl das Buch "Die Schwester" heißt, tritt Kim Yo Jong nur anfangs kurz in Erscheinung, als ihr Auftritt bei den olympischen Spielen in Südkorea beschrieben wird. Der Autor legt großen Wert darauf dem Leser die komplette Familiengeschichte darzulegen und macht so deutlich, worauf sich der Machtanspruch des Diktators stützt. Es ist erschreckend zu lesen mit welchen Mitteln gegen das eigene Volk, sogar gegen die eigene Familie vorgegangen wird, um die Führungsrolle zu stärken. Bei Beschreibungen zu Ausschweifungen und Exzessen angesichts einer hungernden Bevölkerung kommt Wut und Unverständnis auf, richtig beängstigend wird es aber, wenn man liest wie hörig die Menschen ihrer Herrscherfamilie folgen.

Der Autor beschreibt einen manipulativen Machthaber, der mit den Andeutungen zum roten Atomknopf auf seinem Schreibtisch die Welt erpresst, der von Wiedervereinigung und Denuklearisierung spricht, sogar Friedensverträge unterzeichnet, bei denen ihm seine Schwester den Stift reicht und am nächsten Tag eine neue Langstreckenrakete testet. Einen Machthaber, der rauschende Feste feiert und nicht davor zurückschreckt dafür hübsche Frauen auf der ganzen Welt entführen zu lassen. Ein Machthaber, den man leicht als verrückt abtun könnte, dessen ganzes Auftreten aber wohl inszeniert ist und das eben auch mit Hilfe seiner Schwester.

Manchmal ist es während der Lektüre nicht leicht den Überblick zu behalten, den der Autor springt zeitlich sehr durch die verschiedenen Ereignisse. Auch die Ähnlichkeit der Namen macht es nicht leichter, ob jetzt vom aktuellen Herrscher, seinem Vater, oder gar seinem Großvater, dem Gründer der Republik, die Rede ist, war mir manchmal nicht direkt klar. Ich habe mich manchmal gefragt, warum sich der Autor so intensiv auch mit der Vergangenheit beschäftigt, es ist aber letztlich nötig, um die Rolle der Schwester innerhalb dieses Machtgefüges zu verstehen.

Kim Yo Jong, eine Frau, die fast unscheinbar und schüchtern wirkt, die aber hinter einem der mächtigsten und gefährlichsten Männer unserer Zeit die Fäden in der Hand und vielleicht sogar den Finger am Atomknopf hat. Eine Frau vor der man durchaus Angst haben sollte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.05.2024

Das Ende ist nah

Weltuntergänge. Vom Sinn der Endzeit-Erzählungen
0

Der Weltuntergang kommt, das ist bekannt, schließlich wir in fünf bis sieben Milliarden Jahren unsere Sonne verglühen und die Erde unbewohnbar machen. Das werden wir nicht mehr erleben und unsere Nachkommen ...

Der Weltuntergang kommt, das ist bekannt, schließlich wir in fünf bis sieben Milliarden Jahren unsere Sonne verglühen und die Erde unbewohnbar machen. Das werden wir nicht mehr erleben und unsere Nachkommen haben bis dahin hoffentlich eine andere Heimat gefunden, oder sie haben es erfolgreich geschafft sich selbst in die Luft zu sprengen, irgendwelche Killerviren zu züchten, uns fällt ein Asteroid auf den Kopf, oder Gott hat letztlich die Nase voll von seiner Schöpfung und schickt eine neue Flut.

Szenarien der Apokalypse, des Weltuntergangs sind so alt wie die Menschheit. Waren sie in früheren Zeiten eher von Gott geschickt, wie eben die Sinnflut, die sicher ein reales Ereignis zum Vorbild hat, sind es heute menschengemachte Bedrohungen, die uns ängstigen. In Büchern und Filmen (nicht nur der Bibel) wird diese Thematik schon lange behandelt, wobei es dabei nicht nur darum geht Ängste zu schüren, sondern eher darum, damit umgehen zu können.

Ingo Reuter behandelt in seinem, Buch die verschiedensten Endzeitszenarien und ihre Wahrscheinlichkeit. Bei manchen kann er uns beruhigen, so ist ein Atomkrieg heute eher unwahrscheinlich und auch Aliens werden in absehbarer Zukunft wohl nicht auf Beutezug hier vorbei kommen. Anderes wieder, wie globale Klimakatastrophen sind da schon eher wahrscheinlich.

Der Autor erläutert anschaulich und mit einer guten Prise Humor, warum uns solche Szenarien faszinieren und wie sie oft ein Spiegel der Gesellschaft sind, wie Autoren und Filmemacher hier den Finger auf die Wunde legen. Er stellt verschiedene Erzählweisen einander gegenüber und analysiert Hintergründe und Wirkung. Viele seiner Beispiele sind dem Leser wahrscheinlich bekannt, man bekommt aber durch seine Deutung nochmal einen ganz anderen Blick darauf.

Das Buch beleuchtet verschiedenste Aspekte von Endzeiterzählungen und erklärt die Faszination, die von ihnen ausgeht und wer danach noch nicht genug hat findet am Ende noch eine Liste mit Literatur - und Filmtipps.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere