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Veröffentlicht am 30.06.2019

Erfrischende Geschichte über Doppelmoral, Frauenfeindlichkeit und das politische Patriarchat - brandaktuell und überraschend anders

Das Verhältnis
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Aviva Grossman ist 19 Jahre alt, als sie 1999 eine Affäre mit dem verheirateten Kongressabgeordneten Aaron Levin, in dessen Büro sie als Praktikantin arbeitet, beginnt. Ihre Mutter Rachel, die davon erfährt, ...

Aviva Grossman ist 19 Jahre alt, als sie 1999 eine Affäre mit dem verheirateten Kongressabgeordneten Aaron Levin, in dessen Büro sie als Praktikantin arbeitet, beginnt. Ihre Mutter Rachel, die davon erfährt, versucht das Schlimmste zu verhindern und die Affäre durch ihre Einmischung zu verhindern. Dich der Sex-Skandal gelangt 2001 durch einen Unfall an die Öffentlichkeit. Aviva wird zu einer neuen Monica Lewinsky abgestempelt und ist mit einem dauerhaften Stigma belegt, das ihre (politische) Karriere beendet.

Zum Inhalt des Romans möchte ich mich gar nicht weiter äußern, da ich damit die Raffinesse des Plots vorwegnehmen würde.

Gabrielle Zevin erzählt in "Das Verhältnis" die Geschichten von fünf Frauen, die alle auf ihre Weise mit der Affäre Avivas mit dem Kongressabgeordneten Levin verbunden sind. Der Roman besteht insofern aus fünf Kurzgeschichten, die aus der Perspektive der jeweils handelnden Frau geschrieben sind und bis auf die letzte, die Avivas Geschichte in From ihres Blogs zusammenfasst, chronologisch aufeinander aufbauen.
Auch wenn man Aviva nur dafür bemitleiden kann, dass ein Fehler in jungen Jahren sich durch ihr gesamtes Leben zieht und nicht nur Auswirkungen auf ihre berufliche Karriere, sondern auch privat auf ihre Tochter Ruby hat, ist der Roman wunderbar ironisch geschrieben.

Es ist ein Buch, das nicht nur durch die Diskussionen im Zusammenhang mit #metoo brandaktuell, aber nicht per se eine feministische Abhandlung ist. Die Autorin stellt die weiblichen Charaktere in ihren unterschiedlichen Lebenslagen und Erfahrungswerten sehr vielschichtig mit all ihren Stärken und Schwächen und den Fehlern, die sie begehen, dar. Es sind starke Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen, aber wahrlich nicht perfekt sind.

Aufgrund des Klappentextes hatte ich mir "nur" eine Geschichte über eine Affäre und ihre Folgen in Zeiten des Internets, das nichts vergisst, erwartet, "Das Verhältnis" biete aber viel mehr. Es ist eine erfrischende Geschichte über Doppelmoral, Frauenfeindlichkeit und das politische Patriarchat, die mit Herz und Verstand lebendig und prägnant formuliert ist. Es ist ein Buch, das überraschend anders geschrieben, raffiniert konstruiert ist und ohne jegliche Klischees auskommt und mir insbesondere aufgrund seiner unerwarteten Andersartigkeit sehr gut gefallen hat.

Veröffentlicht am 04.05.2019

Feel-good-Geschichte über eine grenzenlose Tierliebe - authentisch, hoffnungsvoll, menschlich

Mein Freund Fred und unser langer Weg nach Hause
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Craig Grossi schildert berührend wie ihm der Welpe Fred in Afghanistan zuläuft und er dort den Marines ein treuer Begleiter wird. Es ist herzerwärmend zu lesen, wie selbstverständlich ein Hund entgegen ...

Craig Grossi schildert berührend wie ihm der Welpe Fred in Afghanistan zuläuft und er dort den Marines ein treuer Begleiter wird. Es ist herzerwärmend zu lesen, wie selbstverständlich ein Hund entgegen aller militärischer Vorschriften im Camp akzeptiert wird und wie viel Unterstützung Craig bei der Unterbringung des kurzbeinigen, scheinbar immer lächelnden Tieres erhält.
Gleichzeitig schildert Craig sehr anschaulich, welchen Gefahren die Soldaten tagtäglich durch die Taliban ausgesetzt sind und wie man trotz der Verluste von Kameraden und Freunden oder eigener Verletzungen stoisch weitermachen muss.

Als sich Craigs Einsatz in Afghanistan dem Ende neigt, setzt er alle Hebel in Bewegung um Fred in die USA ausfliegen zu lassen. Auch dabei wird ihm so viel Hilfe zuteil, dass man es nicht glauben würde, wäre es keine wahre Geschichte. Soldaten, DHL-Mitarbeiter, Tierärztin, Craigs Schwester in den USA - alle tragen dazu bei, dass dieses Wunder geschehen kann und Fred letztlich in Virginia bei Craigs Familie wohlbehalten ankommt.

Als sie beide wieder vereint sind, ist Fred, gezeichnet von den Strapazen in Afghanistan und unter posttraumatischen Belastungsstörungen leidend, für Craig ein Halt im Leben und gleichzeitig ein Türöffner um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Gemeinsam mit einem ehemaligen Soldaten unternehmen die drei einen Roadtrip durch die USA, treffen ehemalige Kameraden, Veteranen, Kriegsversehrte, aber auch Zivilisten, die die ehemaligen Soldaten und ihren tölpeligen Hund mit offenen Armen empfangen.

Craig und Freds gemeinsame Geschichte macht Hoffnung und zeigt, wie viel Menschlichkeit auch unter schwersten Bedingungen herrschen kann und wie viel man mit Durchhaltevermögen und der Kraft der Liebe erreichen kann. Ihr Weg ist Inspiration und der Beweis, dass es sich lohnt, an das Gute im Menschen zu glauben.

Durch diese Geschichte habe ich ein ganz anderes, viel positiveres Bild von Soldaten erhalten, unabhängig wie man über Krieg oder die Sinnhaftigkeit des Afghanistan-Einsatzes denken mag. Sie zeigt, dass auch Soldaten nur Menschen sind, die Gefühle haben und nicht nur stumpf Befehl und Gehorsam leisten.
Craig ist seiner Erzählung absolut authentisch und nahbar, so dass man darüber hinwegsehen kann, dass der Roadtrip typisch amerikanisch etwas sehr pathetisch wirkt.

Veröffentlicht am 17.04.2019

perfekte Mischung aus (Familien-)drama und Spannungsroman, in der Vergangenheit und Gegenwart durch die Parallelen zwischen den beiden Protagonistinnen geschickt miteinander verbunden werden

Das Leuchten jenes Sommers
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Madeleine, genannt Maddy, lebt mit 16 Jahren als Waise auf dem Anwesen Summerhill in Cornwall. Es ist August 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, weshalb eine Stimmung der Angst und Unsicherheit ...

Madeleine, genannt Maddy, lebt mit 16 Jahren als Waise auf dem Anwesen Summerhill in Cornwall. Es ist August 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, weshalb eine Stimmung der Angst und Unsicherheit herrscht. Zudem Zeitpunkt kommt Maddys lebenslustige ältere Schwester Georgiana von ihrem Aufenthalt auf dem Kontinent zurück und hat ihren neuen Freund Victor mitgebracht. Dieser wirkt weltgewandt und höflich, schmeichelt mit Komplimenten, aber dann kommt er Maddy zu nahe und sie empfindet ihn zunehmend als Bedrohung.

Siebzig Jahre später gelangt Chloe durch einen Auftrag eines Verlegers nach Summerhill. Sie sol die Autorin Madeleine Hamilton fotografieren, die ein neues Buch herausbringen soll. Für Chloe ist die Begegnung mit der betagten Dame etwas ganz Besonderes, da sie als Kind eines ihrer Kinderbücher um den "grandiosen Fuchs Foxy" zu ihren Lieblingsbüchern zählte und bis heute die alte Ausgabe ihres Vaters von 1956 besitzt.
Es ist der erste Auftrag, den Chloe seit Langem angenommen hat und für ihren Mann Aidan völlig unverständlich, schließlich muss sie seiner Ansicht nach nicht arbeiten. Er schränkt Chloe zunehmend ein, so dass sie sich auch nicht auf die von ihm lang ersehnte Schwangerschaft und das gemeinsame Kind freuen kann.

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und ist jeweils aus der Sicht einer der beiden jungen Frauen geschrieben, in der Vergangenheit unmittelbar aus der Ich-Perspektive von Maddy. Chloes Liebe zur Fotografie und die von Madeleine und ihrer Schwester geschriebenen Kinderbücher stellen die Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart her. Darüber hinaus gibt es noch weit mehr Parallelen, die es von Madeleine und Chloe zu entdecken gilt. So haben beide früh ihre Eltern verloren und stehen einem dominanten Mann gegenüber, der sie versucht einzuschüchtern und ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Beide sind dabei in Situationen, in denen sie sich aus Angst oder Scham niemandem offenbaren können. Zwischen beiden entwickelt sich eine Freundschaft über die Generationen hinweg, bei der sich Madeleine mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht und beiden die dunkle Seite der Liebe bewusst wird.

Beide Erzählebenen fesseln, so dass man einerseits in einer Zeitebene verbleiben möchte, gleichzeitig aber neugierig ist, wie es in der Vergangenheit bzw. in der Gegenwart weitergeht.
Die Schicksale von Maddy und Chloe berühren und sind zugleich spannend erzählt. Vor allem Maddy, die mit 16 Jahren mutiger und selbstbewusster als die 28-jährige Chloe ist, beeindruckt mit ihrer Geschichte, die vor dem Hintergrund des beginnenden Zweiten Weltkrieges noch dramatischer wirkt. Aber auch Chloe schöpft mit der Zeit Kraft und gibt sich ihrem Schicksal nicht mehr nur so hin.

Es ist ein leiser erzählter Roman, der voller Empathie für die beiden Frauen geschrieben ist, die sich damit konfrontiert sehen, dass die Liebe sowohl ein Geschenk als auch eine Bürde sein kann. Es ist ein Roman über Geschwisterliebe, das enge Band der Familie, über Ängste und den Mut, für sich selbst einzustehen, aber auch über emotionale Abhängigkeit und Obsession, der am Ende eine fesselnde Dynamik entwickelt.
"Das Leuchten jenes Sommers" ist die perfekte Mischung aus (Familien-)drama und Spannungsroman, in der Vergangenheit und Gegenwart durch die Parallelen zwischen den beiden Protagonistinnen geschickt miteinander verbunden werden.

Veröffentlicht am 06.04.2019

100 Jahre Nähmaschine und ein Bündel Notizen sind die Grundlage dieser charmanten Familiengeschichte

Die Nähmaschine
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Als Freds Großvater in Edinburgh im gesegneten Alter von 90 Jahren stirbt, erbt Fred dessen Wohnung, in der er unter anderem die Nähmaschine, die schon seiner Urgroßmutter Kathleen gehört hatte. Er bringt ...

Als Freds Großvater in Edinburgh im gesegneten Alter von 90 Jahren stirbt, erbt Fred dessen Wohnung, in der er unter anderem die Nähmaschine, die schon seiner Urgroßmutter Kathleen gehört hatte. Er bringt es trotz seiner Geldknappheit aufgrund seiner Arbeitslosigkeit nicht über das Herz, die Singer aus dem Jahr 1911 zu verkaufen und beginnt selbst zu nähen, obwohl er bisher maximal einen Knopf annähen konnte. In der verschlossenen Nähmaschine versteckt, entdeckt er ein Bündel an Notizen. Es sind Aufzeichnungen der Frauen, die die Nähmaschine genutzt haben und jedes einzelne genähte Stück vermerkt haben. Er liest zwischen den Zeilen und stellt sich vor, welchen Zwecken die Kleidungsstücke und Decken gedient haben könnten.
Parallel dazu erhält er von einem Nachbarn seines Großvaters eine Kassette, in der sich eine Urkunde befindet, die Fred zu einem lange gehüteten Familiengeheimnis führen, das nicht einmal seine Mutter Ruth kannte.

Der Roman beginnt mit der Produktion der von Fred wiederentdeckten Nähmaschine im Jahr 1911, als Jean aufgrund eines Streiks ihre Arbeitsstelle verliert und in einem letzten Handgriff eine Botschaft in der Spule versteckt. Im weiteren Verlauf des Romans erfährt der Leser durch welche Hände die Nähmaschine gegangen ist und begleitet damit auch ein Stück von Freds Familiengeschichte. Man taucht ein in die Jahre 1954, als Connie die Nähmaschine ihrer Mutter Kathleen übernimmt, 1980, als der schwangeren Schwesternschülerin Ruth von Connie geholfen wird, die ihre Kleider ändert und Jean in dem Krankenhaus im Alter von 87 Jahren stirbt.

"Die Nähmaschine" ist eine äußerst charmante Familiengeschichte, in deren Zentrum eine Nähmaschine steht, die mit Unterbrechung seit über 100 Jahren genutzt wird und deren Inhaberinnen aus Tradition aufgezeichnet haben, was mit ihr produziert oder geändert wurde. Dabei wird abwechselnd aus den unterschiedlichen Jahren und den liebevoll gezeichneten handelnde Personen erzählt, wobei die Geschichte immer wieder auf Fred in der Gegenwart zurückkommt. Die einzelnen Handlungsstränge ergeben ein kompliziertes Geflecht aus Verwandtschaftsverhältnissen, das am Ende durch die Aufdeckung des Familiengeheimnisses schlüssig aufgedröselt wird und alle Charaktere und vergangenen Ereignisse zu einem großen Ganzen zusammenfügt.

Auch wenn ich mir von den Notizen mehr erwartet hatte, als eine chronologische Auflistung von Kleidungsstücken, bekommt man durch die Rückblenden ein Gefühl für die vorangegangen Generationen und die Verhältnisse der damaligen Zeit.
Es ist ein warmherziger Wohlfühlroman, der selbst die Leser, die noch nie eine Nähmaschine genutzt haben, ein wenig nostalgisch werden lässt und neugierig auf Selbermachen und Upcycling macht.

Veröffentlicht am 27.02.2019

Unblutiger Psychothriller, der mit der Angst der Protagonistin spielt und der ein glaubwürdiges, nicht zu schnell vorhersehbares Ende hat.

Einer wird sterben
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Stella ist mit Kater Paulchen allein in der Villa in der eigentlich ruhigen Blumenstraße. Ihr Mann Paul ist Frachtpilot und wie so häufig unterwegs.
Als Stella auf der gegenüberliegenden Straßenseite ...

Stella ist mit Kater Paulchen allein in der Villa in der eigentlich ruhigen Blumenstraße. Ihr Mann Paul ist Frachtpilot und wie so häufig unterwegs.
Als Stella auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Fahrzeug auffällt, ein Oldtimer wie ihr Mann ihn früher gefahren hat, besetzt mit einem Pärchen, das stunden-, bald tagelang einfach nur dasitzt und wartet, wird sie zunehmend nervöser. Sie fühlt sich beobachtet und passiv bedroht. Auch den Nachbarn fällt das Fahrzeug mit den fremden Menschen unangenehm auf, aber auch die hinzugerufene Polizei ist machtlos.
Stella fürchtet, dass das Paar etwas über die Nacht vor sechs Jahren weiß, in der sich ein Unfall ereignete, an dem sie und ihr Mann beteiligt waren. Gestützt wird ihre These durch anonyme Anrufe, die Stella erhält und Farbschmierereien an der Villa. Unruhig und verzweifelt bittet sie Paul, früher nach Hause zu kommen, doch der kann seinen Dienstplan nicht so schnell ändern.

"Einer wird sterben" ist in ein unblutiger Psychothriller, bei dem die Spannung nach und nach gesteigert wird. Zunächst wirkt Stella wie eine neureiche, hysterische Hausfrau, die mangels Ablenkung "die Flöhe husten hört". Mit steigender Angst und gefangen in ihrem Gedankenkarussell erfährt man mehr über die Unfallnacht, die sich gerade zum sechsten Mal gejährt hat und die Schuld, die Stella und Paul auf sich geladen haben. Mit einer Lüge haben die beiden sich erpressbar gemacht und offensichtlich möchte jemand, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Doch warum ausgerechnet jetzt, nach sechs Jahren? Und warum zeigt sich der vermeintliche Erpresser nicht?
Der Psychoterror, dem sich Stella ausgesetzt sieht, ist subtil, wirkt deshalb aber besonders authentisch und bedrohlich. Als Leser kann man sich mit Stella identifizieren, da man jederzeit in eine Situation wie sie sie erlebt, hineingeraten kann. Auch die Nachbarschaft voller Neid, Missgunst und Querulanten, die Stella, die bisher eine Außenseitern war, durch diese Situation erst näher kennenlernt, ist voller Charaktere, die nur schwer einzuschätzen sind.
"Einer wird sterben" ist ein fesselnder Thriller mit einem glaubwürdigen Ende, das man, begrenzt auf die subjektive Sicht von Stella, so nicht vorhersehen konnte.