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Veröffentlicht am 27.07.2018

Roman der großen Gefühle. Die klassische Liebesgeschichte ist vorhersehbar, aber unterhaltsam und ergreifend geschrieben

Nichts als Liebe
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Macy Sorensen hat mit elf Jahren ihre Mutter verloren und ist allein bei ihrem Vater aufgewachsen, der nach dem Tod seiner Ehefrau ein Wochenendhaus gekauft hat, um sich und Macy von dem Schmerz um den ...

Macy Sorensen hat mit elf Jahren ihre Mutter verloren und ist allein bei ihrem Vater aufgewachsen, der nach dem Tod seiner Ehefrau ein Wochenendhaus gekauft hat, um sich und Macy von dem Schmerz um den Verlust abzulenken. In Healdsburg/ Kalifornien lernt sie dort Elliot kennen, einen gleichaltrigen Nachbarsjungen, der wie sie eine Leidenschaft für Bücher und Worte hat. Die beiden freunden sich an, verbringen fast jedes Wochenende und die Ferien miteinander. Mit 17 Jahren entwickeln sie zarte Gefühle für einander und können sich nach langem Zögern ihre Liebe eingestehen. Macy hatte nach dem Verlust ihrer Mutter stets Angst, Elliot durch eine Liebesbeziehung als ihren besten Freund zu verlieren und hat ihn deshalb auf Abstand gehalten. Ihre Befürchtungen haben sich bewahrheitet...

Elf Jahre später begegnen sie sich wieder, sind beide in festen Beziehungen, spüren aber nach wie vor tiefe Vertrautheit miteinander. Macy begreift dadurch, dass ihre Beziehung zu Sean nur so harmonisch ist, da sie sich ihm nie so wie Elliot öffnen könnte und Seans Verlust sie niemals derart treffen könnte. Sie löst die Verlobung mit ihm, ohne sich sicher zu sein, ob sie den Mut aufbringen kann, einen Neustart mit Elliot zu wagen oder doch lieber an ihm als guten Freund festhalten möchte.

Die Geschichte wie aus Freundschaft Liebe wird, ist aus der Perspektive von Macy geschrieben, die seit dem frühen Verlust der Mutter unter Bindungsängsten leidet. In Rückblenden wird ihre Freundschaft mit Elliot geschildert, die chronologisch 14 bis elf Jahre vor der Wiederbegegnung mit Elliot handelt. Als Jugendliche sind sie liebenswerte Außenseiter, die gemeinsam in Macys Bücherzimmer lesen und mit dem Heranwachsen immer mehr für einander empfinden.

Gespannt möchte man als Leser erfahren, was zwischen den beiden Seelenverwandten vor elf Jahren vorgefallen ist, das sie so entzweit hat, dass sie all die Jahre nicht mehr miteinander gesprochen haben. Vergangenheit und Gegenwart werden abwechselnd geschildert, in der sich die Geschichte von der Annäherung, eine tiefe Verbundenheit bis zur Liebe, die nie geendet hat, wiederholt.

"Nichts als Liebe" ist wie Titel und das romantische Cover vermuten lassen, ein Roman großer Gefühle. Es ist eine klassische Liebesgeschichte über zwei Menschen, die vom Schicksal für einander bestimmt sind, Seelenverwandte, die sich auch körperlich anziehen und die aufgrund eines einzigen Fehlers und eines tragischen Unglücks nicht zu einander finden und Jahre ihres Lebens verschwenden, bis sie eine zweite Chance bekommen.
Der Roman hat traurige, aber vor allem in den Jugendjahren der Protagonisten viele witzige Momente. Die Charaktere sind authentisch dargestellt, sympathisch und machen es leicht, sich in sie hineinzuversetzen.
Es ist ein Buch voller Emotionen, das schon sehr vorhersehbar ist, aber dennoch unterhaltsam und ergreifend geschrieben ist.

Veröffentlicht am 22.06.2018

Es gibt nicht nur die EINE wahre Liebe - gefühlvoller Liebesroman über eine Frau zwischen zwei Männern

Emmas Herz
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Einen Tag vor ihrem ersten Hochzeitstag stürzt Emmas Ehemann Jesse auf dem Weg zu einem Filmdreh in einem Hubschrauber über dem Pazifik ab. Ein Passagier wird tot gefunden und Jesse für tot erklärt.
Für ...

Einen Tag vor ihrem ersten Hochzeitstag stürzt Emmas Ehemann Jesse auf dem Weg zu einem Filmdreh in einem Hubschrauber über dem Pazifik ab. Ein Passagier wird tot gefunden und Jesse für tot erklärt.
Für Emma war Jesse ihre große Liebe, weshalb der Schmerz für sie kaum zu ertragen ist. Ohne ihn hält sie es in Kalifornien nicht mehr aus und kehrt zwei Monate nach dem Absturz zurück in ihr Elternhaus nach Neuengland. Früher fand sie es dort beklemmend, wollte wie Jesse reisen, die Welt erkunden und auf keinen Fall die Buchhandlung ihrer Eltern übernehmen, die sich so sehr gewünscht haben, dass eine der beiden Töchter Geschäftsführerin von "Blair Books" wird.
In Massachusetts begegnet sie ihrem Mitschüler Sam wieder, der früher schon für Emma geschwärmt hat, und verliebt sich in ihn. Er ist Musiklehrer und kann sie für das Klavierspiel begeistern. Emma wird insgesamt ruhiger, ist nicht mehr so rastlos wie in den 20ern und entscheidet sich dafür, die Buchhandlung der Eltern zu übernehmen. Sie ist glücklich mit ihrem neuen Leben und möchte Sam heiraten, auch wenn sie Jesse nie vergessen hat.
Wenige Wochen vor der Hochzeit und über zwei Jahre nach dem Unglück wird Jesse gefunden. Er ist am Leben und Emma weiß nicht, für wen ihr Herz schlägt: für ihren Ehemann oder ihren Verlobten?

Emmas Leben wird zweimal nachhaltig erschüttert. Die erste Nachricht ist der vermeintliche Tod ihres geliebten Ehemanns, der sie in tiefste Trauer stürzt, aus der sie nur mit der Hilfe ihrer Familie herauskommt. Sie liebt Jesse nach wie vor, kann sich aber nicht vorstellen, ihr Leben allein zu verbringen. Sie schließt innerlich mit Jesse ab und verliebt sich nein in Sam, der bodenständiger als Jesse ist und ihr nun den Halt gibt, den sie braucht. Mit ihm führt sie ein Leben, das sie früher als spießig bezeichnet hätte.
Als Jesse wie durch ein Wunder zurückkehrt, ist Emma schockiert. Sie hat einerseits ein schlechtes Gewissen, dass sie sich neu gebunden hat, obwohl sie Jesse noch liebt, andererseits liebt sie aber auch Sam, den sie nicht verletzen möchte.

"Emmas Herz" ist ein Roman der großen Gefühle. Die Erzählung ist stark auf Emmas Gefühls- und Gedankenwelt fokussiert, wie sie trauert, mit ihrem Leben hadert und sich schließlich eingesteht, wieder glücklich sein zu dürfen.
Als Leserin kann man sich problemlos in Emma hineinversetzen, das Auf und Ab ihrer Emotionen nachvollziehen. Alle Charaktere wirken authentisch: Jesse, der zwei Jahre gekämpft hat, um zu überleben und zu seiner Frau zurückzukehren. Sam, der sich nach Jesses Rückkehr nur wie der Ersatz des Ehemanns ohne realistische Chance auf ein gemeinsames Leben mit Emma vorkommt. Und Emma, die beide Männer von Herzen liebt.

"Ich denke nicht, dass wahre Liebe die einzige große Liebe ist.
Ich glaube, wahre Liebe ist einfach echt. Reine Liebe. Aufrichtige Liebe."

In Schilderungen von Dreiecksbeziehungen ist die Entscheidung oft vorhersehbar, aber bei diesem Roman sind durchaus beide Lösungen denkbar. Bis zum Ende bleibt es spannend, wie sich Emma letztlich entscheiden wird: Für Jesse und ihr altes, freiheitsliebendes Leben oder für Sam und ihr neues, beschauliches Leben.

Wie schon der erste Roman "Zwei auf Umwegen", den ich von Taylor Jenkins Reid gelesen habe, regt "Emmas Herz" zum Nachdenken an, wie man selbst in solch einer Konstellation gehandelt hätte. Mit einer detaillierten Handlung abseits von Emmas Gefühlswelt, die ihre Veränderung noch stärker herausgestellt hätte, hätte mir "Emmas Herz" mit ein paar Seiten mehr noch besser gefallen.

Veröffentlicht am 01.06.2018

Feinfühliger Roman über eine beklemmende Ehe und die Flucht in ein neues Leben in Frankreich - Befreiungsschlag

Helle Nächte am Meer
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Als Imogen auf einer Geschäftsreise in Paris ist, kann sie endlich den seit Monaten gehegten Plan in die Tat umsetzen und ihren beängstigend kontrollsüchtigen Ehemann Vince verlassen. Die Irin begibt sich ...

Als Imogen auf einer Geschäftsreise in Paris ist, kann sie endlich den seit Monaten gehegten Plan in die Tat umsetzen und ihren beängstigend kontrollsüchtigen Ehemann Vince verlassen. Die Irin begibt sich zurück an den Ort, an dem sie aufgewachsen ist, an die Atlantikküste nach Frankreich. In Hendaye hat sie fünf Jahre mit ihrer Mutter gelebt, die dort als Haushälterin für die Familie Delissandes gearbeitet hat.
Imogen versucht alle Spuren zu verwischen, da sie genau weiß, dass ihr Ehemann alles daran setzen wird, sie zu finden. Sie nimmt eine Stelle als Reinigungskraft an und mietet eine kleine Wohnung. Zunächst hält sie sich mit sozialen Kontakten zurück, um ihren Mann nicht unüberlegt auf sie aufmerksam zu machen. Schon bald freundet sie sich aber mit den Franzosen an und trifft auch wieder auf die Familie Delissandes, die ihre Villa noch als Sommerhaus nutzen.
Nach all den Jahren des Einschränkungen durch den zwanghaften, eifersüchtigen und sie beherrschenden Ehemann verspürt sie endlich wieder das Gefühl von Freiheit und beginnt wieder, sie selbst zu sein, erlangt das innere Strahlen zurück, das sie in der Ehe mit Vince verloren hat.
Vince sieht Imogen als sein Eigentum an, heftet sich auf ihre Fersen und reist zunächst auf nach Paris um ihre Fährte aufzunehmen.

Der Roman beginnt unmittelbar mir der Flucht Imogens, weshalb man nur ahnen kann, was sie durchlitten hat und aus welchen Gründen ihre scheinbar keine andere Möglichkeit blieb, als ihren Arbeitsplatz zu kündigen und das Land zu verlassen. Man spürt ihre Angst, aber auch ihren Mut und ihre Entschlossenheit, ihr Leben ein für alle mal zu ändern.
Imogens Ehe wirkte nur auf Außenstehende glücklich und harmonisch. Sie selbst war wie ein Vogel im Käfig, die von ihrem Mann zwar körperlich unversehrt blieb, aber massiv eingeschüchtert war und unter seinen hohen Ansprüchen, Regeln und zwanghaften Eigenschaften zu leiden hatte.

Der Roman schildert einerseits Imogens Perspektive und ihren Neuanfang in Hendaye, aber auch Vinces Sicht der Dinge und seinen festen Entschluss, Imogen zu sich zurückzuholen. Er redet sich und anderen ein, dass Imogen labil ist und wieder eingefangen werden muss.
In Rückblicken erfährt man auch mehr über Imogens Vergangenheit, ihre Kindheit, ihre enge Beziehung zu ihrer Mutter und warum sie sich von Vince zunächst Halt gefunden hat.

In Frankreich blüht Imogen regelrecht auf, schließt Kontakte und erste Freundschaften mit den Bewohnern in Hendaye. Sie schöpft Kraft, um sich endgültig von Vince abnabeln zu können, die Flucht kann nur ein Anfang sein.
Imogens Schritte sind nachvollziehbar und authentisch geschildert, die Geschichte spannend, auch wenn man als Leser gleichzeitig von Vinces Absichten weiß.

"Helle Nächte am Meer" liest sich wie ein Befreiungsschlag. Es ist ein feinfühliger Roman über eine beklemmende Ehe, zwar ohne körperliche oder sexuelle Gewalt, stattdessen mit einer psychischen Gewalt, die der Ehefrau die Luft zum Atmen nimmt.
Cover und Titel des Romans finde ich deshalb irritierend und nicht zum Inhalt passend. Sie suggerieren für mich einen eher unbeschwerten Sommerroman.

Veröffentlicht am 11.04.2018

Berührende Geschichte über deutsche Kriegsverbrechen, Entnazifizierung und die Herausforderungen des politischen Wiederaufbaus Deutschlands

Die geliehene Schuld
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1949 ist der Weltkrieg seit vier Jahren vorbei, Deutschland von den Alliierten besetzt und seht vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Die Journalistin Vera Lessing hat im Krieg ihren Mann und ...

1949 ist der Weltkrieg seit vier Jahren vorbei, Deutschland von den Alliierten besetzt und seht vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Die Journalistin Vera Lessing hat im Krieg ihren Mann und ihre Eltern verloren und in ihrem Kollegen Jonathan Jacobsen bei der Zeitung "Echo" einen guten Freund gewonnen. Als dieser während seiner Recherchen zu Flüchtlingsrouten in Europa einen tödlichen Verkehrsunfall erleidet, ist Vera zunächst schockiert, möchte jedoch seine Arbeit fortsetzen. Die wird dabei immer wieder behindert, sogar körperlich bedroht und ihr wird klar, dass der Tod von Jonathan kein Unfall war. Alte Seilschaften der Nationalsozialisten sind immer noch aktiv und arbeiten mitunter sogar mit den Alliierten zusammen. Vera setzt alles daran, herauszufinden, welchen Skandal oder welchem Verbrechen Jonathan auf der Spur war und wer die Aufdeckung zu unterbinden wusste.

Der Roman springt abschnittsweise einige Monate zurück in das Jahr 1948, als Jonathan mit seinen Recherchen begann und dabei Marie Weißenburg kennenlernte. Maries Vater, der unter den Nationalsozialisten im Reichssicherheitshauptamt gearbeitet hat, ist im Krieg gefallen. Die Familie ist von Berlin nach Köln geflohen, wo Marie nun mit ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern wohnt. Sie ist gelernte Sekretärin und bekommt aufgrund ihrer guten Leistungen eine Anstellung bei dem Parlamentarischen Rat in Bonn. Marie hatte sich bisher nicht für Politik interessiert, aber als sie erfährt, dass ein Kollege ihres Vaters bei den Nürnberger Prozessen angeklagt ist, beginnt sie zu hinterfragen, was die Tätigkeit ihres Vaters war und weshalb in ihrer Familie nicht darüber gesprochen wird.

"Die geliehene Schuld" ist ein authentisches Familiendrama, das im Nachkriegsdeutschland mit Wiederaufbau und Entnazifizierung spielt und sich wie ein spannender Krimi liest. Es ist eine fiktionale Geschichte, die jedoch auf historischen Fakten beruht. Sehr eindringlich spürt man, wie sich die Menschen nach 1945 gefühlt haben: Hinterbliebenem die um ihre gefallenen Angehörigen trauern, politisch und religiös Verfolgte, die überlebt haben und traumatisiert sind, mit der Vergangenheit abschließen wollen oder einen nachvollziehbaren Hass auf "die Deutschen" verspüren. Altnazis, die sich ihre gerechten Strafe entziehen möchten und skrupellos versuchen, ihre eigene Haut zu retten. Es gibt Menschen, die ihre Taten bereuen und andere, die die Gräueltaten verdrängen möchten und Menschen, in denen das nationalsozialistische Gedankengut fest verhaftet ist und die dem Führerstaat nachtrauern.

In beiden Handlungssträngen, 1948 und 1949, spielen mutige Frauen eine Hauptrolle, die Dinge hinterfragen und für die Wahrheit ihre Leben aufs Spiel setzen. Durch immer neue Details, die während der Recherchen bekannt werden, bleibt der Roman, der neben dem dramatischen Kriminalfall noch eine zarte Liebesgeschichte enthält, spannend bis zum Schluss.

"Die geliehene Schuld" ist ein sehr gelungenes Werk über deutsche Kriegsverbrechen und Entnazifizierung und die Herausforderungen des noch jungen Deutschlands wenige Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs, der alles andere als trocken ist, sondern durch sympathische Charaktere und deren persönliche Lebensgeschichten und berührenden Schicksale überzeugt.

Veröffentlicht am 30.03.2018

Vergnügliche Geschichte mit Tiefgang und einer etwas verschrobenen Protagonistin, die an ihren Herausforderungen wächst

Der Kaktus
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Susan Green ist 45 Jahre alt und lebt allein in einer kleinen Wohnung in London. Sie sieht sich als unabhängige, emanzipierte Frau, die weiß, was sie will. Sie hat einen Beruf als Versicherungsmathematikerin, ...

Susan Green ist 45 Jahre alt und lebt allein in einer kleinen Wohnung in London. Sie sieht sich als unabhängige, emanzipierte Frau, die weiß, was sie will. Sie hat einen Beruf als Versicherungsmathematikerin, der zu ihr passt, distanziert sich allerdings von Kollegen und Nachbarn. Sie kümmert sich lieber um ihre bescheidene Kakteensammlung, als Freundschaften zu pflegen. Eine Ausnahme ist Richard, ihr Freund mit gewissen Vorzügen, mit dem sie sich einmal wöchentlich trifft, um etwas Kulturelles zu unternehmen und mit dem sie auch ins Bett geht.
Ihr Leben ändert sich, als ihre Mutter stirbt und ihrem in ihren Augen nichtsnutzigen Bruder Edward den lebenslangen Nießbrauch ihres Haus überlässt und Susan sich damit um ihr Erbe betrogen fühlt. Erstaunt von der Erkenntnis, dass sie in ihrem Alter ungewollt schwanger ist, beginnt sie um ihr Erbe zu kämpfen und versucht zu beweisen, dass Edward das Testament zu seinen Gunsten beeinflusst hat.
Bei dem Versuch, das Testament anzufechten, macht Susan eine Entdeckung, die sie noch weiter aus der Bahn wirft.

Susan wirkt auf andere Menschen so stachelig wie ihre Kakteen, da sie nicht in der Lage ist, emotionale Beziehungen aufzubauen. Sie ist im Umgang mit den Menschen zu direkt und lebt ihr eigenes, zurückgezogenes Leben, dass viele als einsam empfinden würden. Sie möchte "Herrin" ihres "eigenen Schicksals" sein, gibt sich unnahbar und braucht ihrer Meinung nach keine Freunde, da sie sich von niemandem abhängig machen möchte.
"Was mir an Familie und anderen engen persönlichen Beziehungen fehlt, wird mehr als kompensiert durch mein reiches inneres Leben, das so viel konstanter und verlässlicher ist."
Auf diese Weise schützt sie sich vor Verletzungen, möchte jeden Bereich ihres Lebens selbst bestimmen, bezeichnet sich selbst als "willensstark und teflonbeschichtet".

Susans Charakter hat auf den ersten Eindruck fast autistische Züge, so wenig empfänglich ist sie für tiefer gehende Beziehungen mit anderen Menschen. Im Verlauf des Romans erfährt man jedoch, was die Hintergründe für ihr zurückgezogenes Leben und ihre ablehnende Haltung gegenüber anderen ist.
Wie nebenbei fließen Erinnerungen in die Handlung ein, die Susan offensichtlich seit Jahren zurückdrängt, durch die man sich und ihr Verhalten aber zu verstehen lernt. Susan möchte sich schlicht vor Verletzungen schützen und lässt darum niemanden näher an sich heran.

Als sie ihre Mutter verliert und der Einfluss ihres Bruders wächst und sie selbst sich noch an den Gedanken gewöhnen muss, Mutter zu werden, hat sie Angst, die Kontrolle über ihr sonst so strukturiertes zu verlieren. Sie sieht sich mit so vielen Veränderungen auf einmal konfrontiert, die es ihr nicht mehr ermöglichen, ihr geregeltes Leben wie gewohnt zu gestalten. Sie erlebt plötzlich Emotionen und Gefühle, die ihr fremd sind und ist auf die Hilfe von anderen angewiesen. So wird ihre Nachbarin Kate zu einer guten Freundin und auch Rob, der Freund ihres Bruders Edward, zu einem unerwarteten Verbündeten.

Graeme Simsion lobt den Roman als "originell, bezaubernd und absolut glaubwürdig" und in der Tat erinnert Susan ein wenig an Don Tillman, den Protagonisten aus Simsions "Das Rosie-Projekt". Wie Don hat Susan ihre unerschütterlichen Grundsätze und eine streng geordnete Lebensweise, die perfekt für sie ist, aber keinen Raum für andere Menschen lässt. Die Veränderungen in ihrem Leben und der Kontrollverlust, mit dem sie zurecht kommen muss, bewirken jedoch, dass sie sich persönlich verändert und weiterentwickelt.

"Der Kaktus" ist ein Roman mit einer erfrischend ungewöhnlichen und auf ihre Art sehr liebenswürdigen Hauptpersonen, deren raue Fassade im Verlauf des Romans zu bröckeln beginnt. Er unterhält mit einem klugen trockenen Humor und überrascht durch Wendungen, die dem Roman immer wieder eine neue Richtung geben.
Susan ist einfach nur ein schrulliger Charakter, der beginnt, aktiver am Leben teilzuhaben, sondern ein Mensch, der aufgrund ihrer Lebensgeschichte einen Schutzmechanismus entwickelt hat. Dieser Hintergrund zu Susan gibt der unterhaltsamen Geschichte Tiefgang.
Es war mir ein Vergnügen zu lesen, wie Susan sich verändert, an ihren Herausforderungen wächst und wie aus der stacheligen Versicherungsmathematikern eine immer noch sehr eigenwillige, aber viel offenere, dem Leben zugewandtere Frau in den besten Jahren wird.