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Veröffentlicht am 10.02.2018

Beobachtungen der Autorin aus ihrer Praxis ohne wissenschaftlichen Hintergrund

Kochbuch für die Seele
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Ich war sehr gespannt auf dieses Buch, da ich die Idee eines „Kochbuchs“ für die Seele gut finde. Leider ist die Umsetzung völlig anders als erwartet. Die Autorin reiht in diesem Buch eine Ansammlung an ...

Ich war sehr gespannt auf dieses Buch, da ich die Idee eines „Kochbuchs“ für die Seele gut finde. Leider ist die Umsetzung völlig anders als erwartet. Die Autorin reiht in diesem Buch eine Ansammlung an eigenen Beobachtungen und Halbwahrheiten aneinander. Sie konstruiert 5 Gruppen: die Zufriedenen, die ewig Unzufriedenen, die ewig Hungrigen, die Kontrollierten, die Angepassten. Diese Gruppen überschneiden sich teilweise mit psychischen Erkrankungen die im ICD-10 bzw. DSM System erwähnt werden. Vieles wiederholt sich im Buch mehrmals, auch innerhalb der postulierten Gruppen. Die Autorin springt innerhalb der Gruppen oft von einem Thema zum Nächsten, um dann später wieder zurückzuspringen. So entsteht keine klare Linie, man hat vielmehr das Gefühl es handle sich um eine Aneinanderreihung von Beobachtungen der Autorin. Zu den einzelnen Gruppen scheint die Autorin teils eigenwillige Ansichten zu haben. Zum Beispiel ist Anorexie gemäss der Autorin immer ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Auch erklärt sie, dass gemäss ihren Beobachtungen Anorexie häufiger bei Zwillingen vorkommt, da ein Zwilling sich von dem anderen abgrenzen will, nachdem diese zuvor jahrelang komplett gleich gekleidet das Leben Seite an Seite bestritten hatten. Eine Statistik zitiert sie hier nicht. Möglich, dass dies stimmt, hier kenne ich die Materie zu wenig.

Auch sagt die Autorin, Personen mit Magersucht wüssten, dass sie eine gestörte Körperwahrnehmung haben. Ich denke genau das ist etwas was die Patienten nicht unbedingt wissen und woran in Therapiesitzungen gearbeitet werden muss! Weiters wird behauptet, Personen mit Essstörung wüssten selber, dass die Störung nicht gut für ihren Körper ist (ungesund). Ich weiss nicht, ob man das pauschal behaupten kann. Ich denke Patienten mit Anorexie denken nicht primär an ihre Gesundheit. Dann meint die Autorin auch, bei Bulimie sei durch das Erbrechen „der gesamte Magen-Darm-Trakt verwirrt“.

Häufig werden von der Autorin Sätze wie „ich denke …“, „in meiner Erfahrung“, „ich kann mir vorstellen“ benutzt. Allzu oft werden pauschalisierende Aussagen ohne jegliche Referenz auf den Tisch gelegt. Die Autorin scheint sich aus ihrer Erfahrung heraus und ihren Vorstellungen hier etwas zusammenzufantasieren. Weiters zeugen manche Aussagen nur ansatzweise von einem Verständnis der medizinischen Themen und psychischen Krankheiten an sich.

Sehr wenig wird darauf eingegangen, WAS man denn tatsächlich essen sollte. Es wird erwähnt, man solle sich ausgewogen ernähren. Mehrmals sagt die Autorin auch, dass Verbote nur die Lust fördern, das verbotene Produkt essen zu wollen. Sie spricht sich daher gegen Verbote aus. Hier hätte ich mir eine Vertiefung gewünscht.

Am Ende jedes Kapitels stellt die Autorin Übungen vor. Hier gibt es zwei Übungen, die bei drei der fünf Gruppen (komplett gleich) vorkommen! Insgesamt kann ich den Übungen nur wenig abgewinnen.

Fazit: zu allgemein gehalten, zu viele Pauschalisierungen, viele Wiederholungen ohne medizinischen Hintergrund.

Veröffentlicht am 08.02.2018

Männer und Gefühle

Die Herzen der Männer
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Butler wagt sich bei diesem Buch an die Beziehung zwischen Vätern und Söhnen, Rollenverteilung und Sexismus. Missbrauch, sowohl emotional als auch körperlich, spielt in dem Buch eine zentrale Rolle. Das ...

Butler wagt sich bei diesem Buch an die Beziehung zwischen Vätern und Söhnen, Rollenverteilung und Sexismus. Missbrauch, sowohl emotional als auch körperlich, spielt in dem Buch eine zentrale Rolle. Das Buch ist grob in 3 Abschnitte geteilt: 1962 im Camp Chippewa in Wisconsin, 1996 im Stardust Supper Club und schliesslich 2019 im Whiteside Pfadfinder Reservat, wie das Camp Chippewa mittlerweile genannt wird. Nelson Doughty ist der zentrale Protagonist des Buches. Als wir ihn kennenlernen ist er dreizehn, ein Pfadfinder und der Signaltrompeter im Camp Chippewa. Er ist ernst, zielstrebig und hat klare Moralvorstellungen. Leider ist er auch eher unbeliebt, wird von den anderen gehänselt und hat keine Freunde. Oder, wie ihm selbst im Laufe des ersten Abschnitts klar wird, die einzige Person die es mit ihm je gut gemeint hat war seine Mutter. Sein Vater ist ein frustrierter Mann der die Familie nach Jahren des Missbrauchs schliesslich verlässt.

Die Erzählung springt ins Jahr 1996, wo wir Nelson eher als stillen Zuschauer wiedersehen. Über Umwege erfahren wir, was seitdem mit Nelson passiert ist. Im Stardust Supper Club trifft sich Nelson mit einem alten Bekannten Jonathan und dessen Sohn Trevor. Die Beziehung von Trevor und seinem Vater ist in vielerlei Hinsicht ähnlich zu der von Nelson und seinem Vater. Nelson scheint sich in Trevor wiederzuerkennen, da beide ähnliche Moralvorstellungen haben. Und so scheint Trevor schliesslich Nelson und seiner militärischen Karriere nachzueifern.

In 2019 erzählt letztlich Sarah, Trevors Frau, als alleinerziehende Mutter ihre Sicht der Dinge. Sie fährt mit ihrem Sohn Thomas zurück ins Pfadfinderlager, wo Nelson mittlerweile als Leiter fungiert. Hier schliesst sich der Kreis. Die Themen sind nun aktueller denn je: Waffen, Sexismus, Patriotismus und Ausländerfeindlichkeit katapultieren uns direkt ins Amerika des 21. Jahrhunderts. Sehr interessant ist der Standpunkt einer Frau auf diese Dinge. Sarah hat es als einzige Frau im Camp nicht unbedingt einfach.

Butler hat einen sehr interessanten Zugang zu diesem Thema gefunden. Mir gefällt, wie er es schafft, Nelsons Geschichte über 3 verschiedene Zeitpunkte so komplett zu erzählen. Ohne es wirklich anzusprechen behandelt er die Beziehung zwischen Vater und Sohn, zwischen Männern als Freunden und die Rolle des Mannes in unserer Gesellschaft. Ein sehr gut geschriebenes und wichtiges Buch, dessen Themen aktueller nicht sein könnten.

Veröffentlicht am 03.02.2018

Wunderschön und sehr traurig

All die Jahre
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„Manchmal verging zwischen einem Tag und dem nächsten ein ganzes Leben.“

Es ist 1957, als die einundzwanzigjährige Nora Flynn und ihre jüngere Schwester Theresa Irland verlassen und mit dem Schiff nach ...

„Manchmal verging zwischen einem Tag und dem nächsten ein ganzes Leben.“

Es ist 1957, als die einundzwanzigjährige Nora Flynn und ihre jüngere Schwester Theresa Irland verlassen und mit dem Schiff nach Boston auswandern. Dort wartet Charlie, Noras Verlobte, der schon vorher nach Boston ist, um alles vorzubereiten. In Irland gibt es keine Optionen mehr für sie – und so machen sie sich hoffnungsvoll auf zu einem neuen Leben. Theresa möchte Lehrerin werden und Nora wünscht sich nichts mehr, als ihr diesen Traum zu erfüllen – koste es, was es wolle. Doch Theresa macht einen folgenschweren Fehler. Sie wird schwanger. Nora trifft eine Entscheidung, die ihr und Theresas Leben für immer verändern wird.

Fünfzig Jahre später trifft sich die ganze Familie bei einer Beerdigung wieder. Auch Theresa, die inzwischen im Kloster lebt, trifft Nora seit Jahren zum ersten Mal wieder. Hier müssen sie endlich aufarbeiten, was in den Jahren seit der Einreise in Amerika passiert ist.

Sullivans Schreibstil ist außerordentlich; ruhig und flüssig. Die Charaktere sind stark, die Geschichte unendlich realistisch – ich wollte das Buch nicht aus der Hand legen. Nora und Theresa sind zwei starke Protagonisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jede versucht, auf ihre Art mit der Entscheidung zurechtzukommen. Die Kapitel spielen abwechselnd in 1957/1958 und 2009, und Sullivan schafft es auf brillante Weise, so alle relevanten Treffen und Briefwechsel über 50 Jahre zu beschreiben. Ein außerordentliches Buch, das nachdenklich und traurig macht, aber auch eine wunderschöne Erzählung.

Veröffentlicht am 31.01.2018

Ein Muss für den informierten Patienten

Gesundheit!
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Natalie Grams ist approbierte Ärztin und ehemalige Homöopathin. Mittlerweile ist sie (endlich!) von der Homöopathie abgekommen. In ihrem neuen Buch erklärt sie empathisch und verständlich, was gemeint ...

Natalie Grams ist approbierte Ärztin und ehemalige Homöopathin. Mittlerweile ist sie (endlich!) von der Homöopathie abgekommen. In ihrem neuen Buch erklärt sie empathisch und verständlich, was gemeint ist, wenn wir von „Wissenschaft“ sprechen und worum es sich bei der EBM, der sogenannten „evidence based medicine“ handelt. Ein Großteil des Buches handelt von der Evidenz – welche Evidenz gibt es, dass Therapie X wirkt? Wie suchen Ärzte eine Therapie aus? Sie veranschaulicht den Unterschied zwischen Pseudowissenschaft und Wissenschaft.

Natalie Grams ist mit diesem Buch ein sehr wichtiges Werk gelungen: eine Erklärung für Patienten, wie die Schulmedizin tickt, wann man auf sie zurückgreifen sollte und für welche Situationen Alternativen ausreichen. Sie erklärt, was es mit Pharmafirmen auf sich hat und wie Medikamente entwickelt werden. Auch das Thema Impfungen wird sehr anschaulich behandelt. Ausführlich erklärt sie verschiedene alternativmedizinsche Methoden und zeigt auf, ob diese in ihrer Wirksamkeit wissenschaftlich belegt sind. Jede ihrer Aussagen ist mit der jeweiligen Quelle versehen, die Literaturangaben finden sich stets am Ende jedes Kapitels. Das Kapitel Prävention kommt für mich im Buch etwas zu kurz, eine weitere Ausführung würde aber vermutlich den Rahmen sprengen. Ich hoffe aber, dass dies eventuell ein Thema für das nächste Buch wird.

Insgesamt ein ausgezeichnet recherchiertes Buch, hinter dem viel Arbeit steckt. Teils ist es trocken zu lesen, was aufgrund des Themas auch schwer anders möglich wäre. Ein Muss für jeden, der ein informierter Patient sein will!

Veröffentlicht am 31.01.2018

Keine 0815 Liebesgeschichte

Träume, die ich uns stehle
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Die neunzehnjährige Lara landet nach einem Autounfall in der Psychiatrie. Sie kann sich an die vergangenen zwei Jahre nicht erinnern. Außerdem kann sie nicht aufhören zu reden. Was ist passiert? Und wieso ...

Die neunzehnjährige Lara landet nach einem Autounfall in der Psychiatrie. Sie kann sich an die vergangenen zwei Jahre nicht erinnern. Außerdem kann sie nicht aufhören zu reden. Was ist passiert? Und wieso hört ihr niemand zu? Dann lernt sie Thomas kennen. Besser gesagt, sie findet ihn. Auf der Intensivstation. Denn Thomas liegt nach einem Unfall im Koma. Seltsamerweise reagiert Thomas nur auf Laras Stimme. Und so beginnt Lara, Thomas Geschichten zu erzählen…

Nach einem etwas langatmigen Einstieg konnte ich das Buch nicht mehr beiseitelegen. Lily Oliver hat einen einzigartigen Schreibstil. Lara erzählt ihre Geschichte, man taucht richtiggehend ein in ihre Gedankenwelt. Irgendwann wird klar, dass nicht alles, was Lara erzählt, auch stimmen kann. Zwischendurch erzählt Thomas von den Träumen, die er im Koma hat. Dialoge zwischen den beiden gibt es keine. Durch das Buch begleiten wir Lara auf ihrem Weg, ihre Erinnerungen wiederzufinden. Das Buch hat mich wirklich überrascht, es ist völlig anders als ich erwartet habe. Lily Oliver ist mit diesem Buch eine sehr berührende, tiefgründige Geschichte gelungen. Definitiv keine klassische Liebesgeschichte, sondern viel mehr. Realistisch, traurig aber auch wunderschön.