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Veröffentlicht am 14.06.2021

Leichte Unterhaltung

Der erste letzte Tag
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Ein Fitzek-Roman - einmal ganz anders! Als Autor von Psychothrillern hat Sebastian Fitzek sich einen Namen gemacht. Auch in seinem neuen Buch „Der erste letzte Tag“ kommt die Psychologie nicht zu kurz. ...

Ein Fitzek-Roman - einmal ganz anders! Als Autor von Psychothrillern hat Sebastian Fitzek sich einen Namen gemacht. Auch in seinem neuen Buch „Der erste letzte Tag“ kommt die Psychologie nicht zu kurz. Denn im Verlauf einer Fahrt von München nach Hamburg gibt er tiefe Einblicke in das Seelenleben seiner Protagonisten. Was für den Lehrer Livius und die abgedrehte Journalistin Lea als Not-Fahrgemeinschaft beginnt, wird recht schnell zu einem Stresstest. Zunächst sieht Livius Leas Idee, diesen gemeinsamen Tag „on the road“ so zu gestalten, als sei es ihr letzter im Leben, als Spiel an. Doch Leas Konsequenz stellt ihn auf eine harte Probe …
Dass er einen Roman auch ganz ohne (psychische) Gewalttaten schreiben kann, beweist Fitzek hier auf lockere und sehr humorvolle Weise. Sein „Roadtrip“ hält so manche Überraschung bereit, aber auch tiefere Erkenntnisse, menschliche Zuwendung und Wärme. Mit viel Wortwitz führt er durch die rasante, teils kuriose Handlung und stellt uns die unterschiedlichsten Charaktere vor. "Der erste letzte Tag": Ein sommerleichter Roman, nicht tiefschürfend, aber sehr unterhaltend.

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Veröffentlicht am 13.06.2021

Bitterböse

Das Baby ist meins
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Auch in ihrem zweiten Roman nach „Meine Schwester, die Serienmörderin“ behandelt Braithwaite ein kurioses Thema. Ihre Erzählung spielt wiederum in Nigeria, diesmal vor dem Hintergrund des Corona-Lockdowns. ...

Auch in ihrem zweiten Roman nach „Meine Schwester, die Serienmörderin“ behandelt Braithwaite ein kurioses Thema. Ihre Erzählung spielt wiederum in Nigeria, diesmal vor dem Hintergrund des Corona-Lockdowns. Bambi, ein junger Macho, zieht nach dem Rauswurf durch seine derzeitige Freundin Mide zu seiner Tante, die vor kurzem Witwe geworden ist. Allerdings ist noch jemand bei Aunty Bidemi untergeschlüpft: Esohe, pikanterweise eine Geliebte seines toten Onkels, mit ihrem Baby.
In ihrem gewohnt lockeren, unkonventionellen Schreibstil lässt die Autorin Bambi selbst erzählen und kommentieren. Provozierend böse schildert Braithwaite heftige Szenen, in denen sich Bambi in die rücksichtslosen Streitigkeiten der beiden Frauen um Baby Remi verwickelt sieht, die durchaus handfeste Ausmaße annehmen. Bambis Reaktionen, die (alles andere als salomonisch) patriarchalisch geprägt sind und seine eigene Erziehung deutlich widerspiegeln, präsentiert sie zutiefst ironisch. Denn bei aller Autorität, die der junge Mann sich geben mag, wirkt er eher naiv, lebensunerfahren und etwas unsicher den beiden Frauen gegenüber. Alle drei Protagonisten und ihre Handlungsweisen erscheinen uns merkwürdig und fremd - wie die nigerianische Kultur.

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Veröffentlicht am 06.06.2021

Am Rand der Gesellschaft

Krumholz
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Erst spät erfährt Agatha, dass sie einen Namen besitzt: taubstumm und in armen Verhältnissen geboren, hat sich niemand so recht mit der kleinen Halbwaise beschäftigt. Nach dem Selbstmord des Vaters wird ...

Erst spät erfährt Agatha, dass sie einen Namen besitzt: taubstumm und in armen Verhältnissen geboren, hat sich niemand so recht mit der kleinen Halbwaise beschäftigt. Nach dem Selbstmord des Vaters wird sie in einem Heim untergebracht, wo Arbeit, Willkür und Missbrauch ihr Dasein bestimmen. Erst als sie sechzehn Jahre alt ist, erscheint eine Frau, die sich mit viel Geduld um sie kümmert. Agathes Leben scheint nun eine glückliche Wendung zu nehmen bis sie eines Tages dem jungen Zenz begegnet …
Äußerst eindrucksvoll beschreibt Flavio Steimann das Aufwachsen der taubstummen Agatha zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in absoluter Stille und ohne viel Zuwendung. Sehr sensibel versetzt er sich (und den Leser) in die Situation des Mädchens, das über viele Jahre hinweg einfach „das Kind" ist, ohne Selbstbewusstsein, nur geduldet in ihrer Umgebung und für einfache Arbeiten zu gebrauchen. Die präzise, starke, teilweise auch archaische Sprache des Autors beschwört klare Bilder von Menschen und Landschaft. In der zweiten Hälfte des Buches steht Zenz im Mittelpunkt, der Agatha im „Krumholz" begegnet. Auch wenn diese Begegnung nicht direkt vom Autor erzählt wird, bestimmt sie das weitere Schicksal beider Protagonisten. Ebenso psychologisch feinfühlig wie in Agathas Fall schildert Steimann das Leben und die Gedankenwelt von Zenz Torecht, der - ebenso wie Agatha - zu den Menschen gehört, die am Rande der Gesellschaft existieren, ausgebeutet und mit wenig Hoffnung.
Steimann greift zwar ein authentisches Verbrechen auf, das 1914 in der Schweiz geschah, gibt dem Thema in seinem Roman jedoch etwas Allgemeingültiges, Gesellschaftspolitisches, das durchaus zeitübergreifend ist.

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Veröffentlicht am 31.05.2021

Verlust und Neuanfang

Unter Wasser Nacht
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Der Tod des eigenen Kindes ist eine furchtbare Tragödie. Wie gehen Eltern damit um, wie verarbeiten sie dieses Schicksal?
Der Unfalltod von Sophies und Thies´ Sohn Aaron liegt inzwischen mehr als ein Jahr ...

Der Tod des eigenen Kindes ist eine furchtbare Tragödie. Wie gehen Eltern damit um, wie verarbeiten sie dieses Schicksal?
Der Unfalltod von Sophies und Thies´ Sohn Aaron liegt inzwischen mehr als ein Jahr zurück, doch sie haben das Geschehen noch lange nicht verarbeitet. Neiderfüllt blickt Sophie auf die befreundete vierköpfige Nachbarsfamilie, in der das Leben perfekt abzulaufen scheint. Eines Tages erscheint eine Fremde aus Dänemark, Mara. Ihr Erscheinen bringt nicht nur Thies´ Gefühlswelt durcheinander, sondern weckt auch bei einigen Dorfbewohnern dunkle Erinnerungen.
Wechselweise schildert Hauff die Sichtweisen der Hauptakteure auf die Ereignisse und entrollt so nach und nach die Gedankenwelt der Protagonisten. Stück für Stück treten Geheimnisse zutage; der Leser erfährt einige Details über Maras Beweggründe und gleichzeitig mehr über die Ursache von Aarons Ertrinken. Das geschieht in einem ruhigen Rhythmus, keineswegs hektisch oder aufgeregt, und bleibt trotzdem spannend. Der Fokus des Romans liegt meines Erachtens auf den Problemen des Ehepaares Thies und Sophie. Ihre Schuldgefühle, ihre Suche nach dem Grund für das Ertrinken ihres Kindes, ihre Bemühungen, den Verlust gemeinsam zu verabeiten - das wird ganz intensiv nachempfunden. Allerdings hat mich etwas gestört, dass die Autorin Maras Geschichte als fast gleichwertig eingeflochten hat. Sie lenkt meiner Meinung nach sehr vom eigentlichen Thema ihres Romans ab: dem Thema von Verlust und Neuanfang.

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Veröffentlicht am 29.05.2021

Schreiben als Flucht

Jugend
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Schreiben erscheint Tove Ditlevsen immer mehr als Ausweg: begonnen hat sie als Kind mit der Niederschrift von Gedichten; nun, als Jugendlicher, dient es ihr immer mehr als Flucht aus ihrem tristen Alltag. ...

Schreiben erscheint Tove Ditlevsen immer mehr als Ausweg: begonnen hat sie als Kind mit der Niederschrift von Gedichten; nun, als Jugendlicher, dient es ihr immer mehr als Flucht aus ihrem tristen Alltag. Während der erste Band der Autobiographie von ihrer kargen Kindheit im Arbeiterviertel Kopenhagens handelt, erzählt die Autorin im zweiten Teil in ihrem schlichten, aber dennoch mitreißenden Stil, wie sie ihre Jugendjahre in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erlebt hat. Es macht sie unglücklich, ihre Zeit verkaufen zu müssen, um an mehr oder weniger ungeliebten Arbeitsstellen ihren Lebensunterhalt zu verdienen; es macht sie ebenso unglücklich, als Heranwachsende nicht völlig über sich selbst bestimmen zu können. „Das Jungsein ist ein vorübergehender, zerbrechlicher und unbeständiger Zustand. Er muss überwunden werden, einen anderen Sinn hat er nicht."
Ob es für sie einfacher wird, wenn sie erst verheiratet ist und sich von einem Mann „versorgen lassen kann“, wie ihre Mutter (und vermutlich die meisten Frauen in jener Zeit) überzeugt ist? Auf Tanzveranstaltungen und durch die Vermittlung einer Freundin erhält sie Kontakte zu ganz unterschiedlichen Männern, über die sie sehr offen und schonungslos berichtet.
Ditlevsen verlebte ihre Jugendjahre in einer politisch sehr bewegten Zeit: Hitlers Machtergreifung und der drohende Weltkrieg warfen Schatten. Doch Politik steht für sie eher im Hintergrund; sie ist zu intensiv mit sich selbst und ihrem Erwachsenwerden beschäftigt.


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