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Veröffentlicht am 14.06.2022

Eine perfekt komponierte Erzählung

Bartleby, der Schreiber
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Inhalt: Auf die Annonce eines New Yorker Notars/Rechtsanwalts, der einen neuen Schreiber einstellen möchte, meldet sich Bartleby, ein unscheinbarer, farbloser Mann. Anfangs stürzt Bartleby sich mit Feuereifer ...

Inhalt: Auf die Annonce eines New Yorker Notars/Rechtsanwalts, der einen neuen Schreiber einstellen möchte, meldet sich Bartleby, ein unscheinbarer, farbloser Mann. Anfangs stürzt Bartleby sich mit Feuereifer auf die Aufgaben, doch plötzlich gibt er auf – mit den Worten: „Ich möchte lieber nicht.“

Persönliche Meinung: „Bartleby, der Schreiber“ ist eine Erzählung des amerikanischen Schriftstellers Herman Melville. Erzählt wird die Handlung retrospektiv aus der Ich-Perspektive des bis zuletzt namenlos bleibenden Notars/Rechtsanwalts, der versucht, die Beweggründe Bartlebys zu verstehen. Bartleby, der im Fokus der Erzählung steht, ist eine schwer durchdringbare, rätselhafte Figur, die Züge jener Figurengestaltung aufweist, die Franz Kafka später nutzen wird. Bartleby erscheint (zunächst) als Parasit, der sich arbeitsverweigernd sukzessiv in die Kanzlei einnistet und ausnutzt, dass sein Arbeitgeber mit dem gebetsmühlenartig wiederholten „Ich möchte lieber nicht“ nicht umgehen kann. Erzähltechnisch schön gemacht ist, wie sich die Verweigerung, das Nicht-Mehr-Wollen, schrittweise steigert – bis sie in der existenziellsten aller Verweigerungen gipfelt, wodurch letztlich aufgezeigt wird, dass Bartleby weniger Parasit als vielmehr ein systemisches Opfer ist. Durchzogen ist die Erzählung außerdem durch eine latente Spannung: Warum möchte Bartleby „lieber nicht“? Was treibt ihn (nicht) an? Bartleby schweigt sich über seine Motive aus; zum Schluss der Handlung erhält der Ich-Erzähler allerdings eine Information über Bartleby, mit der er Bartlebys Verhalten begründet – ob die Lesenden ihm dabei folgen, bleibt frei. Der Weg zur (möglichen) Antwort ist eine kleine Gefühlsachterbahn, die von Verwunderung, Unverständnis und möglicherweise Ärger über Bartlebys Verhalten geprägt ist – bis zuletzt nur Mitleid übrigbleibt. Die vorliegende Ausgabe des Insel Verlags wird abgerundet durch modern gehaltene Illustrationen von Sabine Wilharm, die die Atmosphäre der Erzählung sehr gut einfangen. Insgesamt ist „Bartleby, der Schreiber“ eine konzise, erzähltechnisch perfekt komponierte Erzählung, die ein Ende besitzt, das nicht drastischer sein könnte.

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Veröffentlicht am 02.06.2022

Ein spannender und humorvoller Urban-Fantasy-Krimi

Die Silberkammer in der Chancery Lane
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Inhalt: In den Londoner Silver Vaults wird eine Leiche gefunden: ein Mann, dem das Herz brutal herausgerissen worden ist. Die Umstände deuten auf ein magisches Verbrechen hin, sodass Peter Grant, Polizist ...

Inhalt: In den Londoner Silver Vaults wird eine Leiche gefunden: ein Mann, dem das Herz brutal herausgerissen worden ist. Die Umstände deuten auf ein magisches Verbrechen hin, sodass Peter Grant, Polizist und Zauberlehrling in Personalunion, zum Tatort gerufen wird. Doch auch für ihn ist der Mord unerklärbar und schnell stellt sich heraus: Auf ein solch starkes Wesen ist Peter noch nie getroffen. Und als hätte er nicht beruflich schon alle Hände voll zu tun, bahnt sich auch eine private Veränderung an…

Persönliche Meinung: „Die Silberkammer in der Chancery Lane“ ist ein Urban-Fantasy-Roman von Ben Aaronovitch. Es handelt sich um den 9. Band der „Die-Flüsse-von-London“-Reihe, die sich um den Polizisten/Zauberlehrling Peter Grant dreht, der in London magische Verbrechen aufklärt. Die Handlung von „Die Silberkammer in der Chancery Lane“ ist in sich abgeschlossen, sodass man mit diesem Band auch quer in die Reihe einsteigen kann. Aufgrund der Beziehungen der Figuren (im 9. Band treten einige alte Bekannte auf) ist es allerdings sinnvoll, die Reihe chronologisch zu lesen. Außerdem entfaltet sich so auch der besondere Charme der Reihe besser. Zu der Handlung selbst will ich nicht zu viel vorwegnehmen: Sie dreht sich, wie der Inhaltsteaser vermuten lässt, um die Aufklärung des Silver-Vaults-Mordes (der, so viel kann ich verraten, nicht der einzige bleiben wird). Spannung entsteht dadurch, dass man lange Zeit nicht weiß, was es mit dem Täter (und seinen Motiven) auf sich hat. Neben krimitypischer Ermittlerarbeit kommt durch magische Artefakte, Zauberei und phantastische Wesen eine schöne Portion Fantasy in die Handlung. Was mir bei den Fantasy-Elementen besonders gut gefallen hat, ist, dass die magische Welt des „Die-Flüsse-von-London“-Universums in „Die Silberkammer in der Chancery Lane“ weiter ausgebaut wird. Sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit erhält die magische Welt eine größere Breite (womit konsequent der im Vorgängerroman eingeschlagene Weg fortgesetzt wird). Das Ende des Romans deutet ebenfalls einige interessante Veränderungen für den Fortgang der Reihe an. Erzählt wird „Die Silberkammer in der Chancery Lane“ aus der Ich-Perspektive von Peter Grant. Peter erzählt mit viel Humor – mal beißend, mal trocken, immer mit selbstironischem Ton. Auch baut er die ein oder andere popkulturelle Referenz ein. Daneben hat Peter ein Faible für Architektur und kommentiert häufig den baulichen Charakter der verschiedenen Handlungsorte, sodass man – neben Krimi und Fantasy – eine kleine Stadtführung durch London erhält. Der Schreibstil von Ben Aaronovitch lässt sich gewohnt flüssig und angenehm lesen. Insgesamt ist „Die Silberkammer in der Chancery Lane“ ein humorvoller und spannender Urban-Fantasy-Krimi, der außerdem die Weichen für kommende Romane stellt.

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Veröffentlicht am 02.06.2022

Ein schön geschriebener Fantasyroman mit tollen Wendungen

Sternwanderer
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Inhalt: Wall ist ein kleines englisches Dorf, das östlich von einer Steinmauer begrenzt wird. Diese wird ständig bewacht. Denn: Jenseits der Mauer befindet sich das Feenreich, in das man sich besser nicht ...

Inhalt: Wall ist ein kleines englisches Dorf, das östlich von einer Steinmauer begrenzt wird. Diese wird ständig bewacht. Denn: Jenseits der Mauer befindet sich das Feenreich, in das man sich besser nicht verirren sollte. Tristran, ein junger Mann aus Wall, passiert dennoch die Grenze. Sein Ziel: Er will einen gefallenen Stern ausfindig machen, um ihn seiner Angebeteten Victoria zu schenken. Allerdings ist Tristran nicht der Einzige Sternwanderer…

Persönliche Meinung: „Sternwanderer“ ist ein Fantasyroman von Neil Gaiman. Erzählt wird der Roman von einem auktorialen Erzähler, der die Leserschaft durch die Handlung führt und häufiger das Geschehen kommentiert. Dabei wird eine bildhafte, archaisierende und schnörkelige Sprache genutzt, die derjenigen von Märchen ähnelt (Der altertümliche Duktus wird allerdings vereinzelt durch moderne/derbe Wörter durchbrochen. Inwiefern dies auch im englischsprachigen Original so ist, kann ich nicht beurteilen. So oder so: Die Derbheit stößt etwas auf, tut dem ansonsten schönen Duktus aber insgesamt keinen großen Abbruch.) Die Handlung setzt sich aus mehreren Erzählsträngen zusammen. Nachdem kurz Tristrans Herkunft erzählt wird, rückt im Hauptteil der Auszug Tristrans aus Wall und die Suche nach dem gefallenen Stern in den Fokus. Hier teilt sich die Handlung in drei Stränge auf. Denn neben Tristran suchen noch weitere Personen aus ganz anderen Motiven nach dem Stern – wer das ist, wird hier nicht verraten. Schön gemacht ist, dass sich diese Handlungsstränge immer wieder überschneiden: Punktuell treffen die Protagonisten aufeinander; auch Figuren, die in einem Handlungsstrang eine Rolle gespielt haben, treten in einem weiteren erneut auf. Innerhalb der Handlung kommt es dadurch auch zu einigen schönen Wendungen, die behutsam vorbereitet werden. Auf seiner Suche besteht Tristran allerlei Abenteuer, bei deren Bewältigung ihm unterschiedliche phantastische Wesen und magische Dinge helfen (auch hier finden sich wieder Anspielungen auf Märchen). Neben Fantasy und Abenteuer spielt auch Liebe eine große Rolle in „Sternwanderer“ (inwiefern genau, möchte ich hier nicht spoilern 🙃). Das Ende des Romans ist sehr stimmig und rund. Insgesamt ist „Sternwanderer“ ein kurzweiliger, märchenhaft geschriebener Fantasyroman mit einigen schönen Wendungen und einer ausgesprochen rund komponierten Handlung.

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Veröffentlicht am 28.05.2022

Ein spannender, wendungsreicher Thriller

Schreib oder stirb
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Inhalt: Der Literaturagent David Dolla erhält einen Anruf aus einer psychiatrischen Klinik: Carl Vorlau, ein Patient, behauptet, für die Entführung der siebenjährigen Pia verantwortlich zu sein. Er will ...

Inhalt: Der Literaturagent David Dolla erhält einen Anruf aus einer psychiatrischen Klinik: Carl Vorlau, ein Patient, behauptet, für die Entführung der siebenjährigen Pia verantwortlich zu sein. Er will Dolla erzählen, wo er Pia versteckt hält – unter der Voraussetzung, dass Dolla ihm einen Exklusivvertrag (inklusive einer Millionen Euro Vorschuss) bei einem Verlag verschafft. Falls Dolla ablehnen sollte, werde, so Vorlaus Drohung, niemand Pia finden können. Zugleich müsse sich aber auch Dolla selbst auf drastische Konsequenzen gefasst machen…

Persönliche Meinung: „Schreib oder stirb“ ist ein Thriller, der in Koproduktion von Sebastian Fitzek und Micky Beisenherz entstanden ist. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bisher noch keinen Fitzek-Thriller gelesen habe 😅. „Schreib oder stirb“ ist also meine Fitzek-Premiere. Daher kann ich keine Vergleiche zu anderen Thrillern ziehen und „Schreib oder stirb“ nur für sich allein betrachten. Erzählt wird der Thriller aus der Ich-Perspektive von David Dolla, einem erfolgreichen Literaturagenten mit einer gehörigen Portion (auch schrägem) Humor. Dolla nimmt in der Handlung die Funktion der Ermittlerfigur ein, die versucht, den geheimen Ort, an dem Pia versteckt ist, ausfindig zu machen. Dabei helfen ihm sowohl seine Freunde als auch seine Klienten (die im Übrigen teilweise schön skurril ausgestaltet sind). Zu der Handlung möchte ich gar nicht so viel vorwegnehmen: Die Spannungskurve ist hoch, die Handlung sehr wendungsreich (stellenweise geht die Handlung von einem Moment auf den nächsten völlig unerwartete Wege), das Ende schön twistig. Der Thriller wird außerdem rasant erzählt; durch die eher kurzen Kapitel ist das Tempo hoch. Ein wichtiger Bestandteil von „Schreib oder stirb“ ist der Humor, von dem der Thriller durchzogen ist. Generell – unabhängig vom Buch – ist es mit Humor/Witz ja so eine Sache. Während die eine Person bestimmte Dinge urkomisch findet, findet die andere Person die gleichen Dinge flach oder albern. Für mich gab es in „Schreib oder stirb“ einige wirklich witzige Stellen (besonders die ironischen Einblicke in den Literaturagenten-Alltag), andererseits gab es aber auch viele Passagen, die für mich zu kalauernd erzählt worden sind. Aber wie gesagt: Geschmäcker sind verschieden und meine Meinung ist nur eine unter vielen. Insgesamt haben diese Passagen, deren Humor mir eher weniger gefallen hat, mein Lesevergnügen auch nicht sonderlich getrübt, weshalb sie für mich nicht so sehr ins Gewicht fallen. Der Schreibstil von Fitzek/Beisenherz lässt sich sehr flüssig und angenehm lesen, was – gemeinsam mit dem hohen Tempo der Handlung – dazu führt, dass man nur so durch die Seiten fliegt. Insgesamt ist „Schreib oder stirb“ ein spannender, wendungsreicher Thriller mit skurrilen Figuren. Auch hat „Schreib oder stirb“ mir als Fitzek-Neuling Lust darauf gemacht, endlich mal seine älteren Thriller zu lesen.

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Veröffentlicht am 28.05.2022

Ein lyrisches Plädoyer für den Frieden und gegen den Krieg

#Antikriegslyrik
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„Antikriegslyrik“ versammelt 64 Gedichte, die sich inhaltlich mit dem Krieg in der Ukraine auseinandersetzen. Die Gedichtsammlung geht auf das gleichnamige Social-Media-Projekt von Fabian Leonhard (Lyriker ...

Antikriegslyrik“ versammelt 64 Gedichte, die sich inhaltlich mit dem Krieg in der Ukraine auseinandersetzen. Die Gedichtsammlung geht auf das gleichnamige Social-Media-Projekt von Fabian Leonhard (Lyriker und Verleger) zurück, der unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine dazu aufrief, Gedichte unter dem Hashtag „Antikriegslyrik“ zu posten. Eine Auswahl dieser geposteten Gedichte findet sich in „

Antikriegslyrik“. Die Gedichte sprechen unterschiedlichste Gefühle an: Es geht um das Finden von Wörtern in einer sprachlos machenden Zeit, Fassungs- und Hilflosigkeit, die seelische Belastung durch den Krieg, das Gefühl des Erschlagenseins oder den Umgang mit den Nachrichten. Auch die Diskrepanz zwischen dem Leben in Deutschland, das weitgehend normal weitergeht, und dem Kriegsgeschehen in der Ukraine spielt in einem Gedicht eine Rolle. Weitere Gedichte beschäftigten sich mit dem Frieden und der Hoffnung auf ein baldiges Ende des Kriegs. Der Ton der Gedichte ist nachdenklich, bedrückt, teilweise auch hoffend – je nach dem, womit sich das jeweilige Gedicht inhaltlich auseinandersetzt. Insgesamt ist „#Antikriegslyrik“ ein vielstimmiges lyrisches Plädoyer für den Frieden und gegen den Krieg.

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