Die Lebenden und die Toten im Treppenviertel
RIVER. Die Toten und die LebendenInhalt: Der fast 100-jährige Reeder Karl Mohr, wohnhaft im Treppenviertel von Hamburg-Blankenese, wird vermisst. Hinter den Fassaden der altehrwürdigen Häuser rumort es. Menschen ziehen aus, andere ziehen ...
Inhalt: Der fast 100-jährige Reeder Karl Mohr, wohnhaft im Treppenviertel von Hamburg-Blankenese, wird vermisst. Hinter den Fassaden der altehrwürdigen Häuser rumort es. Menschen ziehen aus, andere ziehen ein. Geheimnisse, die bis in die RAF-Zeit zurückreichen, kommen ans Licht.
Persönliche Meinung: „River. Die Toten und die Lebenden“ lässt sich nicht umstandslos einem Genre zuordnen. Zwar kommt es zu mehreren (klein)kriminellen Taten, sodass sich Krimielemente im Roman wiederfinden. Im Kern geht es aber, wie der Untertitel schon sagt, um „die Toten und die Lebenden“; die Menschen, die im Blankeneser Treppenviertel wohnen und den River, die Elbe, die zu ihren Füßen liegt. Insofern ist „River“ weniger ein Kriminalroman als vielmehr ein Gesellschaftsroman/Sittenbild über die Menschen, die im Treppenviertel wohnen. Die alteingesessenen, teilweise während des Romans sterbenden Bewohner*innen werden so langsam von einer freiheitlichen, der Polyamorie offenen Kindergeneration abgelöst. Bisweilen spitzt sich „River“ auch zu einer Familiengeschichte zu, deren Vergangenheit aufgedeckt und Gegenwart beleuchtet wird. Spannend dabei waren kleinere Aufdeckungen, die das scheinbare Familienidyll durchbrechen. Der Handlungsort ist das schon genannte Treppenviertel, das bildlich dargestellt wird. Die Erzählweise ist eher experimentell: Die Kapitel sind kurz (im Schnitt 3 oder 4 Seiten) und es kommt häufig zu einem abrupten Perspektivwechsel, an den man sich zunächst gewöhnen muss, da man bei der Vielzahl der auftretenden Personen zu Beginn ins kalte Wasser geschubst wird und sich erst orientieren muss. Auch der Erzählton ist anders als gewohnt: Die Figuren und die Handlung werden aus einer nüchternen Erzählposition beschrieben, die zwischen Distanz und Kälte changiert (was ich aber nicht negativ meine, sondern erzähltheoretisch interessant). Die Figuren bleiben dadurch zwangsläufig blass, allerdings gehört das zum Konzept des Romans: Es dreht sich weniger um Figuren als fühlende Individuen, sondern um deren Geschichten bzw. Vergangenheiten, die immer wieder mit Flüssen interagieren. Am Ende wird nicht jede Frage geklärt, allerdings ist „River“ erst der Auftakt zu einer Trilogie. „River“ besticht insgesamt durch seine Andersartigkeit, die immer mal wieder auf eine experimentelle Ebene ausschlägt. Die Handlung ist dabei durch die Aufdeckungen der kleineren und größeren Geheimnisse durchweg interessant.