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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.03.2023

Brutale, homophobe Welt der 90er Jahre

Young Mungo
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Mungo wächst in den 90er Jahren im East End in Glasgow auf. Seine Mutter hat schon früh ein starkes Alkoholproblem entwickelt und kümmert sich nur phasenweise um ihre Kinder, sodass sich vor allem Mungos ...

Mungo wächst in den 90er Jahren im East End in Glasgow auf. Seine Mutter hat schon früh ein starkes Alkoholproblem entwickelt und kümmert sich nur phasenweise um ihre Kinder, sodass sich vor allem Mungos ältere Schwester Jodie um ihn kümmert. Sein älterer Bruder Hamish hingegen führt eine Bande im Viertel an, die regelmäßig Kämpfe gegen Katholiken führen. Damit Mungo ebenso gefürchtet wird im Viertel, schleppt Hamish ihn immer zu den Kämpfen mit. Bei einem Kampf lernt er James kennen – James, der einen Großteil seiner Zeit im Taubenschlag verbringt und den Mungo immer mehr in sein Herz schließt. Doch Gefühle zwischen Jungs ist in dieser homophoben Zeit ein absolutes Unding, weswegen Mungos Mutter ihn mit zwei zwielichtigen Männern zu einem Angelausflug schickt, damit sie einen Mann aus ihm machen. Dass dies ein einziger Albtraum für Mungo wird, ist ihr wohl nicht klar oder egal…



Douglas Stuart stellt gerade durch die Figur Hamish die toxisch maskulinen, homophoben Einstellungen und Lebensansichten dar, in denen Mungo aufwächst. Tatsächlich kann ich mir vorstellen, dass die Situation im Arbeiterviertels in Glasgow zu der Zeit (und auch anderswo) genau so war und nur maskuline Härte und Brutalität zählten. Es wird in den verschiedensten Situationen deutlich, dass Mungo zu sanft ist, zu zart ist und er sämtliche Erwartungen nicht erfüllt. Nur bei James fühlt er sich sicher und kann sein, wer er ist. Doch diese kleinen Auszeiten sind riskant und beide wissen, dass sie sich nicht nahe sein „dürfen“.

Douglas Stuart schildert hier eine außergewöhnlich brutale Welt und schafft es trotzdem, zarte Momente und Sanftheit zu kreieren, die Mungo in seinem Denken und Handeln transportiert. Die Herausforderungen, die mit den Beziehungen zu seinen Geschwistern einhergehen, die Selbstentdeckung und Entdeckung von Empfindungen, Zärtlichkeit und Begehren und die Schwierigkeit des Verheimlichens habe ich ihm auf jeder Seite abgenommen. Generell mochte ich den schonungslosen Schreibstil unglaublich gern.

„Young Mungo“ ist brutal, tragisch und aus meiner Sicht eine klare Leseempfehlung, denn Homophobie endete nicht mit dem Ende der 90er Jahre.

Veröffentlicht am 12.03.2023

Bewegend und gut umgesetzt

Macht
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Liv ist Mitte dreißig und führt von außen betrachtet ein perfektes Leben: Sie ist in ihrem Job als Pflegerin glücklich, ist verheiratet und liebt ihren Mann Terje, sie hat zwei gesunde Kinder, Rosa und ...

Liv ist Mitte dreißig und führt von außen betrachtet ein perfektes Leben: Sie ist in ihrem Job als Pflegerin glücklich, ist verheiratet und liebt ihren Mann Terje, sie hat zwei gesunde Kinder, Rosa und Johannes, die sie ebenfalls liebt, und wohnt in einem schönen Haus. Als ins Pflegeheim eine neue Bewohnerin einzieht, deren Bruder Jahre zuvor wegen Vergewaltigung angeklagt wurde, sieht sich Liv plötzlich stärker denn je mit ihrem eigenen Trauma konfrontiert. Es ist gut 15 Jahre her, dass sie vergewaltigt wurde und außer ihrer besten Freundin weiß niemand davon - auch ihr Mann nicht. Den ruft sie zwar immer an, wenn sie abends oder im Dunkeln allein unterwegs ist und seit jeher bestimmt die Angst Livs Alltag. Nach außen hin konnte sie die ruhige und unversehrte Fassade bis jetzt jedoch immer aufrecht erhalten.

Heidi Furre hat mit "Macht" ein sehr bewegendes und intensives Buch geschrieben, in dem sie eine Frau und das Trauma einer Vergewaltigung in den Mittelpunkt stellt. Liv kämpft ihr Leben lang dagegen an, möchte sich nicht als Opfer sehen und auch von anderen auf gar keinen Fall als Opfer wahrgenommen werden. Und warum sollte die damalige Vergewaltigung ihr Leben in der Gegenwart einschränken? Obwohl sie dagegen ankämpft, beherrscht sie dies doch und Liv muss sich mit ihrem Trauma auseinandersetzen. Die Autorin beschreibt mit leiser und dennoch eindringlicher Stimme, wie Liv die Kontrolle über sich zurückzubekommen versucht, wie ihre Familie und ihre Freundin Frances sie dabei unterstützen und welche Erinnerungen und Gedanken während ihres Alltags immer wieder hochkommen. Dabei spielen Zweifel, der Wunsch und das Verlangen nach Selbstbestimmtheit, Wut und Verständnis/Empathie ineinander.
Für mich ein sehr gelungenes Werk, für das ich eine klare Leseempfehlung ausspreche!

Veröffentlicht am 07.03.2023

Düstere Liebesgeschichte mit Thrill

Anatomy
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"Anatomy" spielt in Edinburgh im Jahr 1817: Lady Hazel Sinnett hat einen großen Traum - sie möchte Chirurgin werden. Allerdings ist das als Frau in der Zeit überhaupt nicht möglich und Hazel soll möglichst ...

"Anatomy" spielt in Edinburgh im Jahr 1817: Lady Hazel Sinnett hat einen großen Traum - sie möchte Chirurgin werden. Allerdings ist das als Frau in der Zeit überhaupt nicht möglich und Hazel soll möglichst schnell ihren Cousin heiraten und einen Erben auf die Welt bringen. Als sie den Dozenten Dr. Beecham kennenlernt, handelt sie einen Deal bei ihm aus: Wenn sie die medizinische Prüfung schafft, darf sie bei ihm studieren. Welch ein Glück, dass Hazel den Auferstehungsmann Jack Currer kennenlernt: Er buddelt Leichen aus und verkauft sie für Lehrzwecke. Von ihm lernt Hazel nicht nur, sondern entdeckt auch die Gefühle von Liebe. Doch als die beiden Auffälligkeiten an den Leichen finden, ahnen sie noch nicht, welches Geheimnis dahinter steckt.

"Anatomy" ist die erste Regency Romance, die ich lese. Mir gefällt die Kombination aus Liebesgeschichte und düsterem Thrill. Dana Schwartz hat einen sehr flüssigen Schreibstil und hat mich mit ihren bildhaften Beschreibungen schnell ins Jahr 1817 katapultiert. Mit Jack und Hazel hat sie zwei liebenswürdige und interessante Figuren geschaffen. Gerade Hazel hat mir mit ihren feministischen Ansichten und ihrem Kampfgeist sehr gefallen!

Im Verlauf baut sich immer mehr Spannung auf und die Geschehnisse werden wechselnd aus Jacks und Hazels Perspektive geschildert, sodass wir Einsicht in beide Figuren bekommen.

Für mich ein interessantes und spannendes Buch, das ich so noch nicht gelesen habe!

Veröffentlicht am 05.03.2023

Politisches Essay einer 30-Jährigen

Serious Shit
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In "Serious Shit" beleuchtet Marlene Knobloch, wie die 30-Jährigen ticken und welche Probleme sie in der Welt sehen bzw. mit welchen Problemen und Missständen sie sich auseinandersetzen müssen. Dabei stellt ...

In "Serious Shit" beleuchtet Marlene Knobloch, wie die 30-Jährigen ticken und welche Probleme sie in der Welt sehen bzw. mit welchen Problemen und Missständen sie sich auseinandersetzen müssen. Dabei stellt sie sich selbst in den Mittelpunkt der Beobachtungen und spricht zwar von einer Generation (bzw. drei, die irgendwie ineinanderfallen), zu der sie sich zwar selbst zählt, gleichzeitig jedoch weniger auf das Alter, sondern eher auf die Lebenseinstellung und die Lebensgrundlagen/den Lebensstil abzielt.

Als Journalistin kann Marlene Knobloch natürlich sehr gut schreiben und hat das Essay auf stichhaltigen Beobachtungen, pointierten Äußerungen und anschaulichen sowie zutreffenden Metaphern geprägt. Zwar stimme ich ihr nicht in allen Aussagen zu und sehe die Pauschalisierungen recht kritisch. Allerdings sind es die Beobachtungen und Schlüsse, die sie in Rückbezug auf ihr eigenes Umfeld zieht und das so sicherlich vielfach in Deutschland bzw. im westlichen Europa herrscht. Im Mittelpunkt stehen der Klimaschutz, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und Mechanismen von Social Media. Thematisiert werden Unbedarftheit, mangelnde politische Auseinandersetzung und die Bürde, die der Generation aufgehalst wurde und wird.

Auch wenn ich inhaltlich nicht allem zustimme und die Kapitel so verdichtet geschrieben sind, dass so vieles drinsteckt, was man bei mehrmaligem Lesen auseinanderdröseln und eigenen Recherchen näher beleuchten müsste, finde ich die Beobachtungen oftmals sehr treffend.

Das Essay würde ich - sowohl für die Dreißigjährigen, aber auch für andere Altersgruppen - definitiv als Aufruf verstehen, sich (wieder oder überhaupt erstmal) mit sich selbst, der Politik und gesellschaftlichen Prozessen auseinanderzusetzen.

Veröffentlicht am 04.03.2023

Ich mochte die Idee

Not exactly love. Wer braucht schon ein Happy End?
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Als WG klappt es zwischen Hazel und Alfie eigentlich ganz gut. Doch als sie miteinander schlafen, muss sich zeigen, ob das nun alles zerstört hat oder beide cool damit umgehen können und weiterhin ein ...

Als WG klappt es zwischen Hazel und Alfie eigentlich ganz gut. Doch als sie miteinander schlafen, muss sich zeigen, ob das nun alles zerstört hat oder beide cool damit umgehen können und weiterhin ein gutes Verhältnis zueinander haben. Als dann auch noch Hazels Schwester Emily mit ihrer Frau Daria auftaucht, die gerade ihren Kinderwunsch verfolgen und auf der Suche nach einem Samenspender sind, kommen weitere Probleme hinzu.

"Not exactly love" ist der Debütroman von Kate Brooks und lässt ja bereits im Titel vermuten, dass es sich um keinen wirklichen Liebesroman handelt. Daher haben mich die ersten hundert eher seichten, humorvollen Seitenüberrascht, die schon auf Liebesroman schließen lassen. Recht schnell, wenn mit Emily und Daria weitere Figuren dazukommen, wird klar, dass Kate Brook diverse gesellschaftliche bzw. politische Themen anspricht und einbinden möchte. Das finde ich prinzipiell als Idee gut - gerade zwischen all den unbefangenen und leichten Liebesromanen, die immer auf ein Happy End zusteuern.

Es gibt viele Perspektivwechsel, an einigen Stellen ist der Schreibstil holprig und mir fehlt tatsächlich Figurentiefe. Ich konnte niemanden so wirklich greifen und fand einige Szenen auch sehr absurd oder an den Haaren herbeigezogen.

Die Lösung am Ende hingegen fand ich wiederum passend.

Mich konnte Kate Brook leider nicht überzeugen, aber da ich die Idee mochte und unbedingt wissen wollte, wie alles ausgeht, habe ich es gern zu Ende gelesen.