Mühlviertler Familienepos
Über Carl reden wir morgenDer Roman ist eine komplexe Geschichte über drei Genererationen. Eine große Hilfe ist zu Beginn das Lesezeichen mit dem Familienstammbaum, welcher jedoch nicht vollständig ist. Auf den titelgebenden Carl ...
Der Roman ist eine komplexe Geschichte über drei Genererationen. Eine große Hilfe ist zu Beginn das Lesezeichen mit dem Familienstammbaum, welcher jedoch nicht vollständig ist. Auf den titelgebenden Carl müssen wir außerdem eine Weile warten.
Die Geschichte beginnt nicht, wie man anhand des Klappentextes vermutet 1918, sondern bereits 1828 mit Anton Brugger und seiner Schwester Rosa. Im oberösterreichischen Mühlviertel übernimmt Anton die Getreidemühle seines Vaters, während Rosa lieber vom Land in die Stadt ziehen möchte. Als sie eines Tages eine Frau anspricht, die Dienstmädchen für reiche Herrschaften in Wien sucht, nimmt sie das Angebot an. Anton vermisst Rosa und heiratet spät. Erst nach einem schweren Schicksalsschlag bittet er seine Schwester zurück auf den Hof zu kommen, um für ihre Nichten und Neffen zu sorgen.
Sohn Albert erweitertet den Familienbetrieb und baut zusätzlich ein Warenhaus, welches den Mühlviertlern mehr Möglichkeiten bringen soll und bald floriert. Er ist ein sehr aufgeschlossener Mann und findet in Wien seine zukünftige Frau, die von den Dorfbewohnern skeptisch beäugt wird und nur schwer Anschluss findet. Albrecht und Anna bekommen vier Kinder: Die Zwillingsbrüder Carl und Eugen, Gustav und die Nachzüglerin Elisabeth. Während Eugen später nach Amerika auswandert, müssen Carl und Gustav in den Krieg ziehen....
Zu Beginn empfand ich den Schreibstil etwas distanziert, aber eindringlich. Im Vergleich zu den beiden anderen Romanen, die ich bereits von der Autorin gelesen habe, war ich etwas überrascht und diese Erzählweise nicht wirklich gewohnt. Doch mit der Zeit verflog dieses Gefühl und ich war mitten in der Geschichte um die Familie Brugger. Die Handlung wird sehr detailliert beschrieben. Judith W. Taschler springt zwischen den Zeitebenen hin- und her. Einige Begebenheiten werden aus verschiedenen Perspektiven erzählt, sodass einige Vorkommnisse dadurch aus einem anderen Blickwinkel gesehen werden können. Als Leser erhält man daher einen sehr guten Einblick in einige Geschehnisse und in die Charaktere der Figuren. Diese sind wunderbar gezeichnet und haben Tiefe. Man lebt mit ihnen mit und schließt einige davon ganz besonders ins Herz.
Durch die lange Zeitspanne und die vielen unterschiedlichen Personen ist der Roman sehr abwechslungsreich. Die Autorin vermittelt einen sehr guten Einblick in das damalige harte Leben auf dem Land, die Rolle der Frau, sowie die langsamen Veränderungen in der Gesellschaft. Neben dem kargen Arbeitsleben am Land gibt es auch Einblicke ins Stadtleben der damaligen Zeit, wo Dienstboten teilweise wie Sklaven behandelt und von der gehobenen Schicht drangsaliert und missbraucht wurden.
Weitere Themen sind Auswanderung und natürlich der bereits im Klappentext angekündigte Erste Weltkrieg. Die Kriegsschilderungen an der österreichisch/italienischen Grenze sind erschütternd und bleiben im Gedächtnis haften.
Im Gegensatz dazu hat man die wunderbaren Beschreibungen der Landschaft des Mühlviertels vor Augen und erlebt das Dorflebens hautnah mit. In dieser Geschichte gibt es Freud und Leid, Liebe und Missgunst, aber alles auf einem sehr anspruchsvollen und glaubhaftem Niveau.
Dieser Roman sollte weder nebenher noch parallel gelesen werden, denn er erfordert Konzentration. Das Ende blieb leider ziemlich offen. Ich hoffe es wird eine Fortsetzung geben, auf die man nicht allzu lange warten muss, denn ich möchte sehr gerne noch mehr über die Familie Brugger erfahren.
Noch ein Wort zum Cover. Ich finde es hebt sich vom Einerlei historischer Romane/Familienromae richtig ab und ist absolut gelungen. Für mich passt es perfekt zu dieser nicht alltäglichen Geschichte, die sich nicht in ein Schema pressen lässt.
Fazit:
Ein etwas anderer historischer Familienroman über 100 Jahre und drei Generationen, der Konzentration erfordert. Ein mitreißendes und komplexes Familienepos...einzig das offene Ende war nicht ganz meins.