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Veröffentlicht am 14.10.2019

Die Goldenen Zwanziger Jahre in der Schokoladenvilla

Die Schokoladenvilla – Goldene Jahre
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Das wunderschöne herbstliche Cover passt ebenso vorzüglich zur momentanen Jahreszeit, wie auch der Untertitel "Goldene Jahre" zum Inhalt, der die Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts widerspiegelt.
Nicht ...

Das wunderschöne herbstliche Cover passt ebenso vorzüglich zur momentanen Jahreszeit, wie auch der Untertitel "Goldene Jahre" zum Inhalt, der die Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts widerspiegelt.
Nicht nur in Berlin, sondern auch in Stuttgart erlebte das Theater, das Varieté und der Stummfilm einen Höhepunkt sondergleichen. Die Menschen suchen nach dem Ersten Weltkrieg Zerstreuung und Vergnügen. Aber auch wirtschaftlich kehrt für kurze Zeit der Aufschwung zurück. Auch die Schokoladenmanufaktur der Rothmanns läuft prächtig. Judith und Victor Rheinberger sind glücklich verheiratet, Sohn Martin studiert Klavier in Paris und Töchterchen Victoria scheint die Begeisterung für die Schokoladenherstellung von ihrer Mutter gererbt zu haben. Das vorwitzige Mädchen ähnelt sehr ihren Onkel Karl, der auch als fast Dreißigjähriger, im Vergleich zu seinem Zwillingsbruder Anton, noch immer ein "Lausbub" geblieben ist. Während sich Anton selbstständig gemacht hat und Klaviere baut, sucht Karl noch immer seinen Platz in der Firma. Seine modernen Ideen prallen vorallem bei seinem Schwager immer wieder ab. Als Victor, nach dem Tod seines Vaters, der Vormund seiner noch minderjährigen Halbschwester Serafina wird, kommt frischer Wind in die Schokoladenvilla. Die junge Frau verdreht den Zwillingsbrüdern den Kopf...

Der Fokus der ersten Hälfte des zweiten Teils liegt eindeutig bei Karl und Anton. Während Anton bereits seinen Platz gefunden zu haben scheint und kurz vor der Verlobung mit Elise steht, sucht Karl verzweifelt mehr Fuß in der Firma zu fassen. Als Serafina bei den Rheinbergers einzieht, verdreht sie beiden Männern ungewollt den Kopf und stört das ohnehin nicht so gute Verhältnis der Zwillinge. Nach dem Tod ihres Vaters ist sie noch sehr verunsichert. Der Umzug von Berlin nach Stuttgart und ihre unsichere Zukunft sind dabei weitere Faktoren. Die Zufallsbekanntschaft mit der exzentrischen Französin Lilou, die als Ensemblemitglied rund um den Bühnenstar Josephine Baker angereist ist, wird eine Freundschaft fürs Leben. Als Serafina erpresst wird, ist es Lilou, die ihr zu Hilfe eilt. Währenddessen macht sich Karl Sorgen um einige auffällige Maschinengebrechen in der Fabrik.
Die Atmosphäre der goldenen Zwanziger ist wunderbar eingefangen. Mit Lilou blicken wir in die Welt der Musik und des Varietés; mit Mathilda, der kleinen Freundin von Victoria erhaschen wir, durch ihren Vater Robert, einen Einblick in die aufsteigende sozialistische Bewegung. Die Freundschaft zwischen seiner Tochter und einer Rheinberger/Rothmann ist ihm zuwider.

Für mich war die erste Hälfte des Romans zu wenig Schokoladenfabrik und zu viel Liebesgeplänkel zwischen Serafina und den Zwilliingen. Auch das Leben der Dienstboten wird diesmal kaum angeschnitten. Allerdings treffen wir wieder auf Figuren aus dem ersten Band, wie Alois, Dorothea, Edgar oder auch Judiths Mutter Hélène und einem Mann, der auf Rache sinnt.
Erst durch ein großes Unglück wird der Fokus in der zweiten Hälfte des Romans wieder auf die Schokoladenfabrik gelenkt. Dieser Abschnitt hat mich das Buch kaum aus der Hand legen lassen. Und schlussendlich geraten auch Serafina und ihre Erpresser in den Mittelpunkt, was den Spannungsbogen noch mehr nach oben schnellen lässt. Jedoch war mir das Ende dann fast zu schnell und die Begebenheiten in der zweiten Hälfte des Romans zu gerafft, während die erste Hälfte etwas langgezogen wirkte.

Die Charaktere sind wieder - bis in die kleinsten Nebenfiguren - äußert lebendig und detailliert beschrieben. Ich konnte mir jeden einzelnen wunderbar vorstellen und lebte mit den Figuren mit. Neben den altbekannten Personen, die mir bereits alle im ersten Teil ans Herz gewachsen sind, lernen wir auch neue Figuren kennen, die wir wohl teilweise auch im letzen Band der Trilogie wiedersehen werden.

Schreibstil:
Wie schon im ersten Band überzeugt Maria Nikolai mit ihrem wunderbaren flüssigen und einnehmenden Schreibstil, sowie ihren facettenreichen Charakteren. Ebenso lebendig werden die Schauplätze beschrieben und historische Begebenheiten miteingebunden. Die mehr als 700 Seiten lassen sich schnell und flüssig lesen.

Im Anschluss gibt es wieder ein Personenregister, ein Glossar und einen kleinen Blick in die Historie dieser Zeit.

Fazit:
Ein toller zweiter Band, der für mich allerdings nicht ganz an Teil 1 heranreicht. Mir war es diesmal zu viel Liebesgeplänkel und in der zweiten Hälfte ein zu geraffter Schluss, der jedoch spannend und rasant war. Trotzallem hat mir auch "Goldene Zeiten" wieder sehr gut gefallen und hat mir wunderschöne Lesestunden beschert. Wer Teil 1 gelesen hat, muss unbedingt auch zum zweiten Teil greifen!

Veröffentlicht am 13.10.2019

Der bisher beste Teil der Reihe

Stille Havel
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In seinem vierten Band rund um Hauptkommissar Toni Sanftleben geht Tim Pieper neue Wege. Erstmals gibt es einen Vergangenheitsstrang, der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges spielt.

Zuvor wird allerdings ...

In seinem vierten Band rund um Hauptkommissar Toni Sanftleben geht Tim Pieper neue Wege. Erstmals gibt es einen Vergangenheitsstrang, der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges spielt.

Zuvor wird allerdings die Leiche des Kunsthändlers Helmut Lothroth im Potsdamer Park Sanssouci gefunden. Auf seinem Handy befinden sich Fotos eines Gemäldes, welches ein Frauenportrait mit Gesichtsschleier zeigt, das im Museum Barberini ausgestellt wird. Außerdem sind Bilder einer Villa an der Havel zu sehen. Welches Interesse hatte Lothroth am Gemälde und an der Villa? Und wer ist die Frau hinter dem Schleier?
Toni Sanftleben versucht Licht in den Mordfall zu bringen, jedoch ist sein Team rund um Phong und Gesa nicht wirklich gut aufeinander zu sprechen, was die Ermittlungen erschwert. Seit Phong versucht abzunehmen und sich nur mehr gesund ernährt, müssen die anderen mit seinen Launen klarkommen. Das macht die Ermittlungen nicht gerade einfacher, denn er verhält sich sogar Toni gegenüber äußerst anmaßend. Zusätzlich wird die Geschichte rund um Lothroth komplexer, der sich sehr für die Raubkunst aus dem Zweiten Weltkrieg zu interessieren schien. Als Toni Marie Hellström, die jetzige Besitzerin der Havelvilla kennenlernt, ist er von ihr fasziniert. Marie scheint die geheimnisvolle Frau auf dem Gemälde zu erkennen, gibt jedoch kaum etwas preis. Verschweigt sie etwas?
Verdächtig ist ebenfalls ein weiterer Kunsthändler, der sich in den heutigen rechtsextremen Kreisen herumzutreiben scheint und eine Museumsdirektorin, die sich hineter zwei verscheidenen Nachnamen zu verstecken scheint.

Im zweiten Handlungsstrang befinden wir uns im Jahre 1938 und lernen die junge Lydia kennen, die ein berühmter Filmstar werden möchte. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen möchte sie dem Mief der Kneipe ihrers Vaters entkommen. Deutsche Schauspielerinnen sind kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gesucht, denn die UFA in Babelsberg nützt diese vorwiegend für Propagandafilmchen. Lydia fällt dabei Reichsminister Joseph Goebbles ins Auge, der kleinen Filmsterchen nur zur gerne weiterhilft, wenn sie sich erkenntlich zeigen. Die auf der einen Seite noch sehr naive Lydia weiß jedoch genau, dass sie nie wieder in die ärmlichen Verhältnisse von früher zurück will. Allerdings rechnet sie nicht mit all den weiteren Konsequenzen...

Der geschichtlche Hintergrund ist großartig recherchiert und obwohl ich sehr viele Romane aus dieser Zeit lese, habe ich auch in diesem Krimi von Tim Pieper wieder etwas Neues gelernt, nämlich dass Goebbels sehr wohl seine Finger bei der UFA im Spiel hatte bzw. diese nicht bei sich lassen konnte und die Besetzungen und den Status der Filmlieblinge teilweise in sein Gebiet fiel. Hier bekommt der Leser einen tollen Einblick in die Geschichte der UFA zur Zeit des Nationalsozialismus.
Der Wechsel zwischen den beiden Zeitsträngen wird gekonnt dargestellt. Die beiden Handlungsstränge halten sich dabei gekonnt die Waage.

Die Charaktere sind vielschichtig und fast jeder verdächtig. Alle Figuren scheinen zwei Gesichter zu haben - sogar Phong ;)
Toni hingegen hadert noch immer mit seiner Vergangenheit, versucht jedoch endlich frei davon zu werden. Ob es ihm glückt, müsst ihr selbst lesen!

Fazit:
Der beste Krimi von Tim Pieper und ein absoluter Pageturner, den ich nur empfehlen kann! Hervorragend durchdacht, kurzweilig, spannend und fesselnd! Großartig!

Veröffentlicht am 11.10.2019

Breite deine Flügel aus und flieg...

Wenn Schmetterlinge fliegen lernen
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"Wenn Schmetterlinge fliegen lernen" ist mein zweites Buch der Autorin und konnte mich noch mehr begeistern als ihr Debütroman "Wie Nebel in der Sonne". Die geborene Schweizerin, die auf Mallorca lebt, ...

"Wenn Schmetterlinge fliegen lernen" ist mein zweites Buch der Autorin und konnte mich noch mehr begeistern als ihr Debütroman "Wie Nebel in der Sonne". Die geborene Schweizerin, die auf Mallorca lebt, hat einen ausgesprochenen bildhaften und ausdrucksstarken Schreibstil.
Astrid Töpfers neuer Roman punktet nicht nur mit einem traumhaften Cover, sondern auch mit emotionalen und vielschichtigen Inhalt.

Olivia ist eine junge Frau, die bereits einige Schicksalsschläge hinter sich hat. Ihre Eltern, beides Wissenschafler, sind gestorben, als sie noch ein Kind war. Olivia ist bei ihren strengen und lieblosen Großeltern in Zürich aufgewachsen. Als sie volljährig ist, verlässt sie die Schweiz und will ihr altes Leben hinter sich lassen. Niemand und nichts hält sie mehr in der alten Heimat. Rastlos reist sie durch die Weltgeschichte. Schlussendlich landet sie in Ägypten, wo sie Rashida kennenlernt, die zu ihrer "Seelenfreundin" wird. Als sich ihre Großmutter immer mehr in ihrer eigenen Welt einer Demenzkranken verliert, wird Olivia von dessen Haushälterin und Freundin Marie gebeten nach Zurück zurückzukommen und sich mit ihrer Großmutter auszusöhnen. Auch Rashida spricht ihr ins Gewissen und es kommt zu einem Streit, der eine weitere Tragödie in Olivias Leben auslöst. Daraufhin kehrt sie nach Zürich zurück, doch so einfach ist es nicht sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen. Als sie auf Tom trifft, ihren Freund aus Kindheitstagen, und sich ein früherer Assistent ihrer Eltern bei ihr meldet, der sie zum Unfalltod ihrer Eltern interviewen möchte, bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen....

Olivia ist nach außen hin eine selbstbewusste junge Frau, die das Abenteuer sucht. Sie liebt das Meer und das Tauchen und möchte der kalten Schweiz am liebsten sofort wieder den Rücken kehren. Zürich sollte nur eine kurze Etappe sein. Doch innen drinnen weiß sie, dass sie sich endlich der Vergangenheit stellen muss. Olivia hat damals ihre Eltern begleitet, als sie bei einer wissenschaftlichen Reise in Nicaragua ums Lebens kamen. Sie ist seitdem traumatisiert und kann sich an nichts erinnen. Ihre Bindungsangst und ihre Zwänge, wie auch ihre unnahbare und spröde Art, machen es ihr schwer. Olivia ist gefangen in ihren Ängsten und doch innen drinnen zart und zerbrechlich. Auch ihrem Sandkastenfreund Tom gelingt es nicht gänzlich. Außerdem hat er auch so seine Geheimnisse. Seine Schwester Valerie bemüht sich hingegen gar nicht ihre Abneigung Olivia gegenüber zu verheimlichen. Und dann ist noch der etwas kautzige André Edelmann, der früherer Assistent ihrer Eltern, der unbedingt das Geheimnis des seltenen Schmetterlinges wissen möchte, dem ihre Eltern damals auf der Spur waren.
Nach und nach werden die Erlebnisse aus der Vergangenheit, sowohl bei Olivia, als auch bei Erika offenbart. Der Titel des Romans ist gut gewählt, denn es dauert lange bis Olivia ihren Kokon verlässt und ihre Flügel ausbreitet....

Was anfangs noch ein Roman über Trauerbewältung und eine Reise zu sich selbst ist, wandelt sich am Ende zu einer spannenden Stalkergeschichte, wobei sich aber die Themen nicht im Wege stehen, sondern ergänzen.

Schreibstil:
Astrid Töpfner schreibt ausdrucksstark, flüssig und gefühlvoll. Man fliegt förmlich durch die Seiten und fühlt sich den Figuren eng verbunden. Mit viel Empathie und Gefühl beschreibt Astrid Töpfner ihre Charaktere, die allesamt Ecken und Kanten haben. Auch die Alzheimer Erkrankung von Großmutter Erika wird authentisch vermittelt. Die anfangs immer abwechselnden lichten und dunklen Tage dieser Krankheit, deren Zeuge ich selbst wurde, sind einfach erschreckend.
Die Landschaftsbeschreibungen sind lebendig und anschaulich.

Fazit:
Nicht nur ein tiefgründiger Roman mit einigen überraschenden Wendungen, sondern auch ein toller Mix aus Spannung und Unterhaltung, wobei die Aufarbeitung eines Traumas und die Suche nach sich selbst im Vordergrund steht. Durch den lockeren und lebendigen Schreibstil fliegt man durch die Geschichte und erlebt ein wahres Auf und Ab an Gefühlen. Ich fand es wunderbar!

Veröffentlicht am 08.10.2019

Grandioser zweiter Teil

Die Schwestern vom Ku'damm: Wunderbare Zeiten
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Nach dem ersten Band rund um die Thalheim Schwestern, der während des Zweiten Weltkrieges spielte, befinden wir uns nun im zweiten Teil in der Nachkriegszeit in Berlin 1952. Es sind die Jahre des Aufschwungs ...

Nach dem ersten Band rund um die Thalheim Schwestern, der während des Zweiten Weltkrieges spielte, befinden wir uns nun im zweiten Teil in der Nachkriegszeit in Berlin 1952. Es sind die Jahre des Aufschwungs und des Wiederaufbaus, aber auch die Jahre, die die Spaltung des Landes vorantreiben.
Das Kaufhaus Thalheim ist wieder eines der führenden Modegeschäfte Berlins. Rike ist bemüht alles weiterhin am Laufen zu halten und kümmert sich neben ihrer Familie auch um die neuersten Modeerscheinungen. Doch als Oskar aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, übergibt Friedrich Thalheim seinem Sohn die Geschäftsführung und missachtet Rikes jahrelanger Bemühungen das Kaufhaus zu halten. Oskar hingegen interessiert sich kaum für die Geschäfte und feiert lieber die Nächte durch.

Diesmal steht Silvie im Mittelpunkt. Während ich sie im ersten Band als eher flatterhaft und noch sehr unreif empfand, wuchs sie mir in "Wunderbare Jahre" richtig ans Herz. Sie ist selbstbewusst, erfolgreich und steht mit beiden Beinen im Leben. Ihre Karriere als Rundfunkredakteurin bei RIAS bekommt mit ihrer neuen Sendung "Stimmen" einen Höhenflug. Als Rike sie bittet sich ebenfalls im Kaufhaus zu engagieren und mitzuarbeiten steht Silvie vor einer schwierigen Entscheidung. Lässt sich ihr Engagement beim Radio mit dem Kaufhaus verbinden? Und wie wird ihre weitere Zukunft aussehen? Silvie möchte weiterhin ihr Leben genießen, denn auch bei ihr hat der Krieg Spuren hinterlassen. Auf der anderen Seite fühlt sie sich Oskar und der Familie sehr verbunden. Immer wieder geht ihr der Satz "Kein Mann, kein Haus, kein Kind" im Kopf herum, als ihr dreißigster Geburtstag immer näher rückt. Die große Liebe...wo bleibt sie?
Und während der wirtschaftliche Aufschwung vorangeht, gibt es im Hause Thalheim viele Turbulenzen und Schicksalsschläge zu verkraften...
Oskar ist schwer traumatisiert, Rike reibt sich zwischen Familie und Arbeit auf und Nesthäkchen Florentine lädt der Familie zusätzliche Probleme auf. Sie rebelliert auf ganzer Linie. Silvie versucht zu vermitteln und wächst immer mehr an ihren Aufgaben.

Die historischen Begebenheiten, vorallem die politischen Veränderungen zwischen Ost und West, hat die Autorin wieder wunderbar eingefangen. Während ich schon sehr viele Romane gelesen habe, die zur Zeit der beiden Weltkriege spielen, waren es erst wenige, die sich mit der Nachkriegszeit in Deutschland beschäftigen. Als Österreicherin und zu dieser Zeit noch nicht geboren, bekam ich diese Epoche der Spaltung Deutschlands nicht wirklich mit. Deswegen ist es umso interessanter mehr über diesen Zeitraum zu erfahren. Aber nicht nur die politischen Veränderungen, wie der Aufstand in Ungarn, werden in die Geschichte miteingebaut, sondern auch kulturelle und wirtschaftliche Ereignisse. Die neuartigen Musikrichtungen aus den USA, wie der Swing, Jazz, Blues und der Rock'n'Roll werden in Deutschland immer heimischer. Aber auch historische Personen spielen eine Rolle. Man begegnet Grace Kelly, Billy Wilder, Hildegard Knef, Marilyn Monroe und erlebt das Wunder von Bern hautnah mit. Ebenso findet die Frankfurter Buchmesse in einigen Kapiteln Platz.

Die Charaktere sind wunderbar authentisch und facettenreich. Ich lebte und fühlte mit jeder Figur mit, auch wenn ich sie nicht mochte oder verstehen konnte. Ich hatte jede vor Augen und fieberte den nächsten Ereignissen entgegen.
Mich hat der zweite Band dieser Trilogie vollkommen überzeugt und ich freue mich auf die finale Geschichte der Thalheim-Schwestern, in denen Florentine unsere Hauptprotagonistin ssein wird.

Schreibstil:
Der Schreibstil der Autorin hat mich wieder völlig in den Bann gezogen. Er ist ausdrucksstark und lebendig, bildhaft und ich fühlte mich mittendrin in der Zeit, in der der Roman spielt. Der Spannungsbogen steigt zum Ende hin kontinuierlich an und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen.
Am Ende findet man eine Zeittabelle mit den wichtigsten zeitgeschichtlichen Informationen Berlin's von 1952 - 1957.

Fazit:
Ein grandioser zweiter Teil um die Thalheim-Schwestern, der meiner Meinung nach dem ersten Band überflügelt und mich komplett überzeugt hat. Zahlreiche Wendungen und ein sehr spannendes letztes Drittel ließen mich das Buch kaum aus der Hand legen! Ich empfehle diese Reihe wirklich gerne weiter und freue mich schon auf den finalen Band.

Veröffentlicht am 07.10.2019

Bleibt in Erinnerung

Luzies Erbe
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Dieser Generationenroman basiert teilweise auf wahren Begebenheiten der Familie der Autorin.
Als Luzie Mazur fast hundertjährig zuhause stirbt, hinterlässt sie nur einen Koffer und viele unbeantwortete ...

Dieser Generationenroman basiert teilweise auf wahren Begebenheiten der Familie der Autorin.
Als Luzie Mazur fast hundertjährig zuhause stirbt, hinterlässt sie nur einen Koffer und viele unbeantwortete Fragen. Ihre Tochter Thea und ihre Enkelin Johanne haben sie die letzten Jahre gepflegt und trotzallem war das Schweigen im Hause übermächtig. Die Mazurs lebten am Rande der Gesellschaft - sie gehörten nicht wirklich dazu. Dieses Gefühl ist bereits seit drei Generationen übermächtig. Dabei war Luzie einst eine fröhliche junge Frau, die gerne lachte und tanzte. Sie war mit August verlobt, als der Zweiten Weltkrieg ausbricht. Und in den kommenden Jahren sollte sich für Luzie alles ändern....

In "Luzies Schweigen" erzählt die Autorin auf zwei Zeitebenen. Diese sind nicht wie üblich voneinander getrennt, sondern springen oftmals unkontrolliert hin und her, was ein konzentriertes Lesen erfordert. Allerdings gewöhnt man sich schnell daran. Rückblicke und Erinnerungen der einzelnen Familienmitglieder ergänzen die Geschichte rund um Luzies Leben und die Nachwirkungen, die sich daraus ergeben haben.

Man hat beim Lesen das Gefühl nicht in der Gegenwart, sondern irgendwann in den 50iger Jahren zu stecken. Die Frauen leben in ärmlichen Verhältnissen und nehmen ihr Schicksal ergeben hin. Nur Helen, die Schwester von Thea ist aus dem "Mazurschen Schweigen" ausgebrochen und hat das Dorf in jungen Jahren verlassen. Enkelin Johanne lässt der Kofferinhalt keine Ruhe und sie beginnt nachzuforschen. Sie will endlich die Vergangenheit abschließen. Dabei stößt sie auf den polnischen Zwangsarbeiter Jurek Mazur, der ihr Großvater und Luzies große Liebe war. Die Rassengesetze der damaligen Zeit erlaubten keine Liebe zwischen einer deutschen Frau und einem Zwangsarbeiter einer minderwertigen Rasse. Trotzdem wurden Luzie und Jurek ein Paar und waren vortan vielen Gefahren ausgesetzt. Harte Arbeit und die unterschwellige Angst machten beiden das Leben schwer. Luzie wird ernst und schweigsam. Nach dem Krieg durften sie endlich heiraten, doch an ihrer Lage änderte sich rein gar nichts. Das Dorf ächtete die junge Familie und in Folge auch ihre Nachfahren. Und Johanne fragt sich: Warum hat Jurek Luzie verlassen?

Die Frauen der Familie sind allesamt ohne Vater aufgewachen und haben eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, die sich erst bei den Enkelkindern ändert. Ein Krieg, der nicht nur die Generation, die ihn miterleben musste beeinflusste, sondern auch die Kriegskinder und -enkel. Es geht um unerfüllte Träume und Ausgrenzung. Eigene Gefühle sind dabei kaum zulässig, denn jede der drei Frauen versucht mit der mütterlichen Unzulänglichkeit umzugehen. Erst durch Johannes Nachforschungen und durch ihre Tochter Silje wird das Mazurische Schweigen langsam durchbrochen und ein Schicksal, das über Jahrzehnte andauerte, überwunden.

Schreibstil:
Der manchmal poetische und dann wieder nüchterne Schreibstil der Autorin nimmt der Geschichte etwas von der Düsternis und Traurigkeit. Eindringlich beschreibt Helga Bürster die Gefühlswelt der Frauen aus vier Generationen, die nicht aus sich herausgehen können und das Schweigen der Kommunktion gegenüber bevorzugen.
Die plattdeutschen Dialoge geben dem Roman mehr Authentizität und versprüht Lokalkolorit.

Fazit:
Ein nachdenklich machender Roman, der die Auswirkungen des Krieges auf mehrere Generationen einer Familie aufzeigt. Die Geschichte bleibt in Erinnerung und hat mich sehr berührt. Ich gebe gerne eine Leseempfehlung!