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Veröffentlicht am 19.04.2019

Die Legende der Schattenkrähe

Die Schattenkrähe der Rocky Mountains
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Der erste Band der Willow Ranch Reihe "Die Schattenpferde der Rocky Mountains" war 2017 eines meiner absoluten Lieblingsbücher des Jahres. Deshalb habe ich mich schon sehr auf den Nachfolgeband gefreut. ...

Der erste Band der Willow Ranch Reihe "Die Schattenpferde der Rocky Mountains" war 2017 eines meiner absoluten Lieblingsbücher des Jahres. Deshalb habe ich mich schon sehr auf den Nachfolgeband gefreut. Band 2 hat mir ebenfalls wieder sehr gut gefallen, reichte für mich allerdings nicht ganz an den ersten Band heran.
Schon der Prolog hat mich wieder verzaubert. Er erzählt eine Indianerlegende um die Regenbogenkrähe und wie sie ihr prächtiges buntes Federkleid und ihre wunderschöne Singstimme verlor und zur Schattenkrähe wurde. Somit haben wir gleich einen Bezug zum titelgebenden 2. Teil. Doch auch die Schattenpferde aus dem ersten Band spielen wieder eine Rolle.
Mittlerweile sind drei Jahre vergangen und Lyla lebt mit Nick in einem Wohntrailer nahe der Willow Ranch, die ihr Bruder Lee, seine Lebensgefährtin Naira und Tante Jeanne bewirtschaften.
Lyla möchte eine Stiftung zum Schutz der Wildpferde gründen, die ihre Seelentiere sind. Sie kämpft darum den Lebensraum der einzigartigen Tiere zu erhalten. Außerdem möchte sie mehr über ihre indianischen Wurzeln erfahren. Doch die Beziehung zwischen Nick und Lyla wird auf eine harte Probe gestellt, als seine alkoholkranke Mutter bei ihnen im Wohntrailer einzieht. Einzig die geheimnisvolle Wahleeah und der Indianer Lonefeather Jones verstehen Lylas Schwierigkeiten und ihre Rastlosigkeit. Auch Wahleeah ist auf der Suche nach ihrem inneren Frieden und sich selbst und die beiden Frauen werden gute Freundinnen. Doch die junge Frau birgt ein großes Geheimnis...

Im Mittelpunkt der Geschichte steht diesmal jedoch Chuck, Lee's Freund. Ein großer Streit vor drei Jahren hat die Beziehung der Beiden stark belastet und Chuck hat die Willow Ranch daraufhin verlassen. Im Yukon war er als Pelzjäger unterwegs und kehrt nun nach dem Tod seinens Vaters zurück. Chuck hat sich jedoch sehr verändert und ist zum mürrischen Einzelgänger geworden. Alles was er möchte, ist die Pelzjägerroute seines Vaters zu verkaufen und den Ort so schnell wie möglich wieder verlassen. Doch damit gibt es bald Probleme und auch Wahleeah geht ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Die wunderbare Leseatmosphäre, die indianische Mystik und die lebendige Darstellung der Bergwelt und der kanadischen Natur hat Natascha Birovljev wieder wunderbar eingefangen. Schon im ersten Band hat sie mich damit verzaubert. Das geheimnisvolle Flair rund um Indianerlegenden und ihre Weisheiten, sowie das Leben mit der Natur hat mich erneut gefesselt. Es macht jedoch auch nachdenklich, vorallem wenn man bedenkt, wie wir mit der Natur umgehen.

Die Figuren konnten mich diesmal, mit Ausnahme von Wahleeah und Lyla, nicht komplett überzeugen, jedoch haben sich alle weiterentwickelt.
Chuck hat sich seit Band 1 total verändert. Aus dem lustigen und wagemutigen Rodeoreiter ist ein menschenscheuer und verbitterter Mann geworden. Und so läuft er auch mit Scheuklappen herum und erkennt nicht, wer es gut und wer es schlecht mit ihm meint. Seine Sturheit hat mich manchmal richtig verzweifeln lassen. Auch Nick hat an Sympathie eingebüßt. Er unterstützt Lyla kaum und bürdet ihr mit seiner unberechenbaren Mutter ein weiteres Problem auf. Lyla fühlt sich überfordert. Ihre Liebe zu den Wildpferden hat für sie noch immer oberste Priorität.
Eric, Rob und Jeanne sind in Nebenrollen wieder mit dabei und es war eine Freude ihnen wiederzubegegnen.

Zum Ende hin gibt es einen spannenden Showdown, der einem das Buch nicht mehr aus der Hand legen lässt. Einige Fragen bleiben offen, die hoffentlichen im nächsten Band beantwortet werden.


Fazit:
Ein sehr atmosphärischer Roman über Indianerlegenden und vom Leben mit der Natur. Dazu gibt es eine spannende Geschichte und viele bereits liebgewonnene Charaktere aus dem ersten Band. Ich freue mich bereits auf Band 3, der hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten lässt.

Veröffentlicht am 17.04.2019

Londons erste medizinische Hochschule für Frauen

Wohin dein Herz mich ruft
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Julia Barney ist für 1881 eine sehr selbstbewusste, zielstrebige und mutige Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Sie wuchs gemeinsam mit ihren beiden Schwestern in einem Waisenhaus auf. Ihr großer ...

Julia Barney ist für 1881 eine sehr selbstbewusste, zielstrebige und mutige Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Sie wuchs gemeinsam mit ihren beiden Schwestern in einem Waisenhaus auf. Ihr großer Wunsch als Ärztin und Missionarin in Afrika den Menschen zu helfen, steht jedoch seit kurzer Zeit auf wackeligen Füßen. Graf von Westerbridge versucht alles Mögliche, um die einzige medizinische Hochschule, die vor nicht allzu langer Zeit auch für Frauen zugelassen ist, zu schließen. In einem Prozess gegen eine Lehrkraft versucht er sein Ziel zu erreichen. Julia bereitet sich unterdessen auf die Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium vor. Auf den Weg zu einer Vorlesung nimmt sie die U-Bahn, die damals noch mit einer Dampfmaschine betrieben wurde. Es kommt es zu einem folgenschweren Unfall. Der junge und attraktive Anwalt Michael Stephenson wird dabei schwer verletzt und Julia rettet ihm das Leben. Doch Michael ist einer der Anwälte des Prozesses gegen die Medizinerin und hat es nur durch harte Arbeit geschafft, den Ruf seiner Familie wieder herzustellen. Nichts kann ihn davon abbringen. Nun hat er genau eine dieser Frauen vor sich, deren Zukunft er damit zerstört, wenn er den Prozess gewinnt. Und Julia fordert von ihm seine Hilfe - als Tausch für die Rettung seines Lebens....

Ich wusste nicht, dass es sich hier bereits um den 2. Band der Reihe "Liebe in London" (ich finde den deutschen Titel furchtbar und halte mich eher an das Original, das "London Beginnings" heißt) handelt. Protaginisten sind die drei Barney Schwestern Rosalyn, Julia und Cara. Band Eins "Die Tochter des Kapitäns" kannte ich noch nicht, hatte aber keinerlei Schwierigkeiten in "Wohin dein Herz mich ruft" einzusteigen, denn jeder Schwester ist ein Band gewidmet.

Zu Beginn hatte ich ein bisschen zu kämpfen um in die Geschichte hineinzufinden. Für meine Begriffe war mir der Roman anfangs etwas zu ruhig und unspektakulär. Das eher nette vikorianisch-züchtige Geplänkel zwischen Julia und Michael plätscherte etwas vor sich hin....doch dies änderte sich bald. Jennifer Delamere legt neben der aufkeimenden Liebesgeschichte, die doch eher am Rand spielt, ihren Fokus auf den Kampf der Zulassung von Frauen zum Medizinstudium und den damit verbundenen Prozess, gesellschaftlichen Konventionen und hebt zusätzlich den Unterschied zwischen Arm und Reich hervor. Da es sich um einen christlichen Roman handelt, steht auch der Glaube des öfteren im Fokus.

Julias offenes und gewinnendes Wesen und ihr Glaube an Gott überraschen Michael, der bis jetzt nur Frauen aus seiner Gesellschaftsschicht kennt, die eher durch Koketterie auffallen und keinerlei Ambitionen haben einen Beruf zu ergreifen. Julia ist jedoch ehrgeizig und verfolgt ihre Ziele systematisch. Doch darin kommt kein Mann vor.... Und Michaels Schwester Corinna versucht alles Mögliche, um ihren Bruder bestens zu verheiraten und die gute gesellschaftliche Stellung zu halten, wenn nicht zu verbessern. Dies zieht einige Komplikationen nach sich....

Julias jüngere Schwester Cara, die im nächsten Band die Hauptprotagonistin sein wird, hat auch in diesem Buch einen Auftritt. Ihre Figur hat mich bereits neugierig auf den Folgeband gemacht, denn Cara ist eine sehr aufgeweckte und doch verträumte Person, die nur das Gute im Menschen sieht.

Schreibstil:
Der Schreibstil von Jennifer Delamere hat mir sehr gut gefallen. Ich konnte mir alle Figuren sehr plastisch und bildhaft vorstellen. Die Charaktere sind wunderbar ausgearbeitet. Die Sprache passt zur Zeit des Romans und ich hatte das viktorianische London stets vor Augen.


Fazit:
Ein unterhaltsamer historischer Roman, der die gesellschaftlichen Konventionen und die langsam aufkommende Emanzipation der Frauen im viktorianischen London zum Thema hat. Nach anfänglich kleinen Schwierigkeiten konnte ich das Buch danach kaum aus der Hand legen.

Veröffentlicht am 15.04.2019

Einmal Hölle und zurück

Nur wer die Hölle kennt
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Nachdem mir schon der dritte Band der Martinsfehn Krimireihe von Barbara Wendelken wirklich sehr gut gefallen hat, war ich auf den neuen Krimi sehr gespannt - und er hat mich nicht enttäuscht!
Quereinsteiger ...

Nachdem mir schon der dritte Band der Martinsfehn Krimireihe von Barbara Wendelken wirklich sehr gut gefallen hat, war ich auf den neuen Krimi sehr gespannt - und er hat mich nicht enttäuscht!
Quereinsteiger der Reihe sollten kein großes Problem haben. Ich bin selbst erst bei Band 3 eingestiegen und hatte keinerlei Schwierigkeiten.

Die Autorin erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen. In Rückblenden erfahren wir mehr über die Geschehnisse im Jahre 1997, als sich die 15jährige Melody Matzke heimlich auf die Geburtstagsfeier ihrer Freundin Simone schleicht. Ihre Mutter hat ihr aus einer Laune heraus plötzlich die Teilnahme kurzfristig verweigert. Melody ist sauer und tönt auf der Party mit dem Satz: "Ich wünschte meine Mutter wäre tot" herum. Als sie sich später ziemlich alkoholisiert auf dem Heimweg macht, steht sie vor dem in Vollbrand stehenden Elternhaus. Ihre Mutter und ihr kleiner Halbbruder Michael kommen in den Flammen um, ebenso wie die gleichaltrige Auszubildende Daniela Finke. Ihr Stiefvater Wulf gibt Melody die Schuld und richtet seinen ganzen Hass gegen die ungeliebte Stieftochter, die von der Fürsorge ins Heim gesteckt wird.

Melody ist alleinerziehende Mutter und ist sprichwörtlich - passend zum Buchtitel - durch die Hölle gegangen. Nach 20 Jahren kehrt sie auf Anraten ihrer Psychologin in ihr Heimatdorf Martinsfehn zurück. Doch noch immer schlägt ihr Misstrauen und Hass entgegen und die Gerüchte, dass Melody das Gestüt angezündet hat, halten sich noch immer hartnäckig. Einzig Simone, die in der Zwischenzeit eine erfolgreiche Fotografin geworden ist, heißtihre damalige Schulfreundin willkommen. Sie veranstaltet eine kleine Willkommensparty zu ihrem Geburtstag, bei der sie alle Freunde von früher einlädt. Auch Melodys damaliger Freund Thore Bremer erscheint mit seiner Ehefrau Julia, die alles andere als begeistert ist, dass Melody wieder zurück ist. Während der Feier spricht Simone von einem Enthüllungsroman an dem sie gerade schreibt und der den wahren Brandstifter entlarven soll. Doch dazu kommt es nicht mehr, denn kurz darauf brennt auch Simones Haus bis auf die Grundmauern nieder....
Der Fall von damals wird neu aufgerollt, doch die ermittelnden Polizisten aus dem Jahre 1997 sind bereits in Rente oder haben den Beruf gewechselt. Nola van Heerden und Renke Nordmann werden daraufhin auf den Fall angesetzt...

Der rote Faden des Krimis ist die Brandnacht vor 20 Jahren, die Ausgangspunkt für alle weiteren Verbrechen ist. Die einzelnen Charaktere werden sehr lebendig und mit viel Liebe zum Detail dargestellt. Melody ist auch nach zwanzig Jahre noch immer tief traumatisiert und wünscht sich nichts mehr, als endlich Ruhe und ein normales Leben mit ihrem kleinen Sohn Linus. Simone ist eine egoistische Frau, die gerne im Mittelpunkt steht; Torben ein Mann, der sich seiner Austrahlung bewusst ist und erfolgreich als IT-Fachmann arbeitet; die Eifersucht seiner Frau Julia auf Melody nimmt bald zerstörerische Züge an. Sein Bruder Henning ist manipulativ und Wulf noch immer voller Hass und völlig unbeherrscht. Rosi, die noch immer am Gestüt arbeitet, das neu aufgebaut wurde, ist eine undurchsichtiges "Mannweib", das viel von Pferden, aber nichts von Menschen hält. Nolas Kollege Conrad trinkt zu viel und steht kurz vor dem Zusammenbruch und Renke ist sich seinen Gefühlen gegenüber Nola nicht wirklich sicher. Die privaten Probleme der beiden Ermittler sind ebenfalls Teil des Krimis, nehmen aber nicht zu viel Raum ein.

Voller Spannung und mit immer neuen Wendungen, die mich aufs Glatteis führten, bin ich durch diesen Krimi gerast. Puzzlestück um Puzzlestück wird aufgeklappt, bis man kurz vor dem Ende noch immer nicht wirklich weiß, wer nun hinter allem steckt. Die stetig ansteigende Spannungskurve und die temporeiche Erzählweise tut ihr übriges. Mit einem kleinen Showdown am Schluss und einem stimmigen Ende wollte ich das Buch schon zuklappen....doch ein wirklich grausamer Cliffhanger auf den letzten Seiten hat mich voller Entsetzen zurückgelassen! Ich kann nicht glauben, dass ich nun nicht erfahre was hier weiter passiert (keine Angst der Fall ist abgeschlossen!) und eine halbe Ewigkeit auf den nächsten Band warten muss....Barbara Wendelken, wie konnten sie uns Lesern das nur antun?

Schreibstil:
Der Schreibstil ist rasant und der dichte Plot lädt zu Miträtseln ein. Die kurzen Kapitel lassen einem noch schneller durch das Buch fliegen. Die Spannungskurve steigt stetig an. Die charismatischen Figuren und ihre Emotionen sind großartig und sehr bildhaft dargestellt.

Fazit:
Ein packende Kriminalroman, der mir eine spannende Lesezeit beschert hat. Charismatische Figuren, ein mitreißender und ein dichter Plot, sowie zahlreiche überraschende Wendungen haben mich abolut überzeugt. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung!

Veröffentlicht am 14.04.2019

Die Geschichte eines mutigen Jungen

Niemand weiß, dass du hier bist
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Obwohl ich schon wahnsinnig viel Literatur zum Thema Zweiter Weltkrieg gelesen habe, fehlt mir eindeutig noch viel Wissen, was sich außerhalb Deutschlands und Österreichs zugetragen hat. Deshalb hatte ...

Obwohl ich schon wahnsinnig viel Literatur zum Thema Zweiter Weltkrieg gelesen habe, fehlt mir eindeutig noch viel Wissen, was sich außerhalb Deutschlands und Österreichs zugetragen hat. Deshalb hatte auch "Niemand weiß, dass du hier bist" von Nicoletta Giampietro, ein Roman der in Italien 1942 spielt, viel zu bieten. Obwohl unsere Hauptprotagonist Lorenzo noch ein Junge von anfangs 12 Jahren ist, ist das Buch in meinen Augen kein Jugendbuch.

Lorenzo wächst in Tripolis auf. Libyen ist zu dieser Zeit eine italienische Kolonie. Aufgewachsen unter Anhänger von Mussolini, ist er stolzer Faschist. Als Lorenzo 1942 von seiner Mutter aus Sicherheitsgründen nach Siena zu seinem Nonno und seiner Tante Chiara geschickt wird, denkt er noch an einige Wochen Ferien in der Toskana. Mit der Zeit vermisst Lorenzo seine Heimat und Freunde sehr, vorallem als ihm klar wird, dass seine Mutter ohne ihn nach Tripolis zurückgekehrt ist. Während sein Vater, trotz einer Kriegsverletzung, wieder an der Front kämpfen muss, versucht seine Mutter über einen Verwandten, ihn von dort abzuziehen.
Lorenzo freundet sich mit dem Nachbarjungen Franco an, dessen Familie überzeugte Mussolini-Anhänger sind. Und auch Francos Kusine Ilaria lässt sein Herz schneller schlagen. Doch ein Vorfall in der Schule und die beginnende Freundschaft zum jüdischen Jungen Daniele Neri lassen Lorenzo langsam nachdenklich werden. Als die Deutschen Italien besetzen und in Siena die Juden deportieren, überdenkt Lorenzo seine Einstellung und fällt eine Entscheidung....

Die italienisch-französische Autorin lebt seit 1986 in Deutschland und vermittelt in ihrem tiefgründigen Debütroman viel italienische Zeitgeschichte. Ihr Protagonist Lorenzo muss in den beiden Kriegsjahren schnell erwachsen werden. Seine widerstreitenden Gefühle werden von Nicoletta Giampietro sehr authentisch dargestellt. Der Wandel vom naiven und unbeschwerten Jungen zum Jugendlichen, der der Erwachsenenwelt mit Unglauben gegenübersteht, ist großartig gelungen.

In der Villa kann er sich keinem Menschen anvertrauen. Mit Franco verbindet ihn zwar eine lose Freundschaft, aber das faschistische Elternhaus, besonders Francos Onkel, stehen seiner Familie eher feindlich gegenüber. Einzig die Hausangestellte Cesarina gibt ihm etwas Herzenswärme und Geborgenheit. Seine Tante Chiara beachtet Lorenzo anfangs etwas skeptisch, denn er merkt bald, dass sie nicht auf der Seite von Mussolini steht und immer wieder Heimlichkeiten vor ihm hat. Mit dem jüdischen Arzt Matteo findet Lorenzo eine Männerfigur, zu der er aufschauen und bewundern kann, während sein Nonno eher wortkarg an den ersten großen Krieg zurückdenkt, in dem er mitgekämpft hat. All diese Charaktere sind sehr liebevoll gezeichnet und detailliert beschrieben. Ich hatte alle vor Augen und fieberte mit ihnen mit.

Die Geschichte lässt sich trotz des ernsten Themas leicht lesen. Die Autorin spielt gekonnt mit den Gefühlen der Leser und zeigt auf, wie fanatisch Menschen sein können, ohne näher über die Hintergründe nachzudenken. Gut aufgezeigt wurde auch, wie Kinder schon von klein auf manipuliert und auf "die richtige Spur" gebracht werden. Der Faschismus wird gehuldigt, denn der Duce hat wieder Wohlstand ins Land gebracht. Doch auch Mussolini und seine Anhänger werden zur Marionette und von Hitler regelrecht überrannt. Besonders gut hat mir ein Gedanke von Lorenzo gefallen: "Man kann doch seine Werte nicht wie seine Unterhose wechseln". Dieser Satz spiegelt die Zeit der Kriegsjahre (nicht nur) in Italien wider. Und Lorenzo begibt sich daraufhin selbst in große Gefahr, als er sich vornimmt zu seiner Überzeugung zu stehen und das menschlich Richtige zu tun.

Schreibstil:
Die Autorin schreibt sehr lebendig, berührend und voller Atmosphäre. Die bildhaften Beschreibungen von Siena, das sich als Lazarettstadt bewirbt, um nicht bombardiert zu werden, um nicht nur seine Einwohner, sondern auch die mittelalterlichen Bauten zu schützen, wird authentisch dargestellt.
Das italienische Lebensgefühl ist spürbar, die Zerissenheit von Lorenzo mehr als greifbar.

Fazit:
Die Geschichte eines Jungen, der in Zeiten des Krieges das menschlich Richtige tun will. Ein tiefgründiger Roman, der mich sehr berührt hat und der die Wankelmütigkeit und den Fanatismus der Menschen aufzeigt. Von mir gibt es eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 10.04.2019

Einen Ozean entfernt

Zeilen ans Meer
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Wer sucht nach einen Nachfolger zu "Gut gegen Norwind"?
Mit "Zeilen ans Meer" könnt ihr diesen Roman gefunden haben, denn er steht in seiner Poesie, Melancholie und Tiefgründigkeit Glattauers Bestseller ...

Wer sucht nach einen Nachfolger zu "Gut gegen Norwind"?
Mit "Zeilen ans Meer" könnt ihr diesen Roman gefunden haben, denn er steht in seiner Poesie, Melancholie und Tiefgründigkeit Glattauers Bestseller in keinster Weise nach. Allerdings handelt es sich hier um einen reinen Briefroman, wo wirklich Briefe und keine Emails getauscht werden. Da ich selbst seit meiner Kindheit Briefe schreibe, liebe ich diese Art Romane sehr und fühle mich dabei immer wie eine Art "Seelenverwandte".

Dieser Briefroman erzählt die Geschichte der ehemaligen deutschen Studentin Lena, die 1999 ein Work-and-Travel Jahr in Australien verbracht hat. Am Ende ihres Aufenthaltes schreibt sie ihre Empfindungen, Wünsche und Träume auf und verschließt diese in einer Flaschenpost. Am Strand von Perth schickt Lena diese auf Reise. 16 Jahre später findet Sam Lenas Flaschenpost beim Joggen am Strand nahe Sydney und schreibt spontan zurück. Somit erhält Lena nach dieser langen Zeit überraschend Post aus Australien. Mittlerweile ist die Übersetzerin Mutter einer Tochter und lebt in Trennung. Aus Kartengrüße zur Weihnachtszeit werden bald immer längere Briefe - eine wunderbare Brieffreundschaft entsteht. Über die Ferne hinweg tauschen Sam und Lena Gedanken aus, die sie oftmals nicht einmal mit ihren besten Freunden
besprechen. Über die Distanz sieht man oft Dinge aus einer anderen Perspektive und langsam kommen sich die Beiden immer näher. Doch kann man sich in einen Brieffreund verlieben?

Die Geschichte ist, obwohl in Briefform, wahnsinnig intensiv. Die wechselseitige Erzählung der beiden Protagonisten lässt dem Leser hinter die Fassade schauen. Man erlebt die Höhen und Tiefen von Sam und Lena mit und spürt die Intensivität der Gefühle. Beide haben ihre eigenen Probleme und eine Vergangenheit, die Spuren hinterlassen hat. Lenas Träume von damals sind dem Alltag und den Sorgen gewichen, ihre Unbeschwertheit verflogen. Die Liebe zur Musik ist tief vergraben, die Gitarre im Keller versteckt. Sam versucht Lena zu überzeugen, wieder ihren ehemaligen Leidenschaften nachzugehen und wieder zu leben.

"Dinge, die wir lieben, die uns begeistern, sind niemals Sackgassen, sondern immer der richtige Weg. Vielleicht haben sie kein Ziel, aber sie geben uns eine Richtung vor"- Seite 70

Seine Leidenschaft zum Surfsport hat Sam hingegen nie verloren, doch den Wunsch Berufssurfer zu werden, hat er aufgegeben. Die perfekte Welle hat er noch nicht gefunden. Sein bester Kumpel Daniel unterstützt ihn, wo er nur kann. Gemeinsam bauen sie Surfbretter aus Glasfaser.

Doch auch bei Brieffreunden gibt es nicht immer nur eitlen Sonnenschein. Vertrauen ist besonders wichtig und immer wieder überfallen beide große Zweifel. Einige überraschende Wendungen tun ihr Übriges dazu. In einem „normalen“ Roman wäre mir das Hin und Her zwischen den beiden vielleicht mit der Zeit etwas auf die Nerven gegangen, so aber fiebert man selbst dem nächsten Brief und einer Antwort entgegen.
Mit der Zeit wünschen sich sowohl Lena, als auch Sam, sich im realen Leben zu treffen. Denn auch wenn sie sich emotional so nah sind, fehlt einfach die körperliche Nähe und die Möglichkeit ein gemeinsames Leben zu teilen. Die Fernbeziehung von Lena und Sam droht mit der Zeit am Alltag zu scheitern. Doch kann überhaupt eine Liebe auf Distanz funktionieren?

In der heutigen digitalen Welt ist es nur mehr schwer vorstellbar, nur über Briefe zu kommunizieren. Auch ich werde immer wieder befremdlich angeschaut, wenn ich erzähle, dass ich noch ganz altmodisch Briefe auf Papier schreibe und mit der Post versende. Umso mehr genoss ich die Gefühle, wenn Lena auf den Briefträger wartet und voller Sehnsucht in den Briefkasten schaut. Erst nachdem sich beide in der realen Welt getroffen haben, schreiben sie sich auch hin und wieder Mails und skypen. Die Buchtipps, die die beiden austauschen, ließen mein Herz ebenso höher schlagen.

Schreibstil:
Sarah Fischers wunderschöne poetische Schreibstil verzauberte mich von der ersten Seite an. Mit sehr viel Empathie schreibt die Autorin über Gefühle und Ängste. Beide Protaginisten sind authentisch und sehr liebevoll dargestellt. Man kann die Entwicklung der aufkeimenden Gefühle wunderbar mitverfolgen. Die Dynamik steigert sich von Brief zu Brief. Sarah Fischer gelingt es großartig die wunderschönen Plätze in Australien darzustellen, die Sam Lena beschreibt. Lena hingegen bringt Sam München näher und einen ganz bestimmten Platz im Englischen Garten: der Eisbach und die berühmte Eisbachwelle...ein Surferparadies mitten in der Großstadt.

Fazit:
Ein zauberhafter Briefroman, der mich wunderbar unterhalten hat. Wer noch ähnliches wie "Gut gegen Nordwind" sucht, dem kann ich "Zeilen ans Meer" ans Herz legen. Mit viel Empathie und Poesie erzählt Sarah Fischer eine berührende Geschichte, realitätsnah, tiefgründig und packend. Ich empfehle dieses Buch gerne weiter!

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