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Veröffentlicht am 19.03.2019

Geschwisterrivalitäten

Der Verrat
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Nach dem ersten Roman "Die Vergessenen" von Ellen Sandberg, die unter Pseudonym schreibt und hinter der eine bekannte deutsche Krimiautorin steckt, war ich schon mega gespannt auf ihr neuestes Werk. "Die ...

Nach dem ersten Roman "Die Vergessenen" von Ellen Sandberg, die unter Pseudonym schreibt und hinter der eine bekannte deutsche Krimiautorin steckt, war ich schon mega gespannt auf ihr neuestes Werk. "Die Vergessenen" fand ich nämlich wirklich sehr gut und hat von mir 5 Sterne erhalten.
Mit "Der Verrat" kann sie leider nicht daran anschließen - das kann ich schon verraten. Ihr neuer Roman ist ein Familiendrama um drei sehr unterschiedliche Schwestern; Ariane, genannt Nane, Birgit und Pia.
Es beginnt mit der vorzeitigen Entlassung von Nane, die nach zwanzig Jahren das Gefängnis verlassen darf. Schwester Birgit verhilft ihr zu einem Job im älterlichen Antiquitätengeschäft, sowie zu einer kleiner Wohnung im ersten Stock des ehemaligen Elternhauses. Nane quälen jedoch weiterhin Fragen, was genau in dieser Sommernacht 1998 auf dem Weingut Graven passiert ist. Sie hat Erinnerungslücken an diese Nacht und möchte unbedingt mit Thomas sprechen, dem Vater des verunglückten Henning, der damals mit seinem Auto in die Tiefe stürzte. Doch Thomas liegt nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus und ihre Schwester Pia, die in die Winzerfamilie eingeheiratet hat, versucht alles nur erdenklich Mögliche Nane vom Weingut fernzuhalten.

Mit Rückblenden in die Jahre 1997/98 erfährt der Leser in kleinen Häppchen, was vor zwanzig Jahren wirklich geschah. Wir lernen Nane und Pia besser kennen, sowie Thomas von Manthey und seine Familie auf dem berühmten Weingut. Die Figuren sind zahlreich, jedoch kann man sie immer gut zuordnen und hat alle im Blick.
Die drei Schwestern nehmen unterschiedlich große Parts in der Geschichte ein. Birgit ist harmoniesüchtig und bleibt sehr blass. Das Hauptaugenmerk liegt bei Pia und Nane, die in ihrem gegenseitigen Hass ganz schön weit gehen. Mit Nane habe ich oft mitgefühlt, jedoch ist sie trotz ihrem langen Gefängnisaufenthalt zu impulsiv und unüberlegt. Die makellose Pia war für Nane schon immer unerreichbar - Hassobjekt und Vorbild in einer Person. Diese ist Restaurateurin und hat ein sehr angenehmes Leben auf dem Weingut. Sie ist jedoch kühl und zu kopfgesteuert. Schon seit früher Kindheit hat sie gelernt keine Gefühle zuzulassen.

Geschwisterrivalität, Neid, Eifersucht, Hass, Schuld und Verrat - wie der Titel schon voraussagt - sind die Grundthemen zu diesem Spannungsroman. Ich fühlte mich gut unterhalten, hatte jedoch eine baldige Ahnung wohin sich diese Geschichte hinentwickeln wird. Trotzdem gab es noch einige überraschende Wendungen. Spannung ist vorhanden, jedoch schleichen sich ab und zu einige Längen in die Geschichte. Einige Lösungen fand ich nicht ganz stimmig. Mit einer etwas erotisch angehauchten Komponente konnte ich so gar nichts anfangen. Auch der "Fluch der Frauen" in der Familie kam mir zu aufgesetzt und gewollt vor. Insgesamt hat mir die Geschichte zwar gut gefallen, jedoch kommt sie bei weitem nicht an "Die Vergessenen" heran und wird mir wahrscheinlich nur ansatzweise im Gedächntis bleiben...

Schreibstil:
Die Autorin schreibt sehr flüssig und bildhaft. Ihre Charaktere sind lebendig, bleiben aber hier etwas eindimensional. Die menschlichen Abgründe hinter der Fassade werden hingegen großartig wiedergegeben. Das idyllische Weingut und die Landschaften werden bildgewaltig dargestellt. Hundert Seiten weniger hätten dem Roman allerdings gut getan...

Fazit:
Der neue Spannungsroman von Ellen Sandberg erzählt über menschliche Abgründe und einem Familiendrama, das mich zwar gut unterhalten hat, aber doch so einige Schwächen bietet.

Veröffentlicht am 16.03.2019

Helden einer dunklen Zeit

Die Spionin der Charité
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Passend zur momentanen laufenden 2. Staffel der Charité im TV hat Autor und Historiker Christian Hardinghaus seinen Roman geschrieben, der jedoch nicht ident mit der Serie ist.
Es ist mein zweites Buch ...

Passend zur momentanen laufenden 2. Staffel der Charité im TV hat Autor und Historiker Christian Hardinghaus seinen Roman geschrieben, der jedoch nicht ident mit der Serie ist.
Es ist mein zweites Buch des Schriftstellers. Mit "Die Spionin der Charité" hat er einen spannenden Roman erschaffen, der eine Mischung aus Wahrheit und Fiktion ist. Einige Figuren in Hardinghaus Buch erhalten vom Autor einen erfundenen Namen, während andere - wie Sauerbruch, de Crinis oder Kolbe mit ihren Klarnamen genannt werden. Am Ende des Buches werden die Pseudonyme aufgedeckt. Für mich wäre diese Änderung nicht wirklich notwendig gewesen...

1974. Zu Beginn lernen wir die ältere Lily Kolbe kennen, einstmals Professor Sauerbruchs Chefsekretärin. Sie entschließt sich ein Interview zu geben und endlich das Geheimnis des Donnerstagsclubs, eine Widerstandsgruppe während des Zweiten Weltkrieges, zu lüften. Lily möchte die Geschichte ihres Mannes, Fritz Kolbe, einem amerikanischen Journalisten erzählen. Er gehört zu denjenigen, die immer wieder ihr Leben riskiert haben und trotzdem eher unbekannt blieben oder totgeschwiegen wurden. Fritz Kolbe war Diplomat beim Auswärtigen Amt und hat für die USA spioniert. Immer wieder hat er seinen Leben aufs Spiel gesetzt und hat in der Schweiz den Amerikanern geheime Papiere übergeben....Papiere, die auch über Konzentrationslager berichteten, die jedoch sowohl von den Amerikanern, als auch den Briten ignoriert wurden. Es macht einen dabei fassungslos, dass die Allierten schon viel früher eingreifen und somit hunderttausende Menschenleben hätten retten können. Auch Fritz Kolbe wurde nie die Beachtung für seine Einsätze zuteil - im Gegenteil! Dies möchte Lily nun ändern....

Dazu reisen wir zurück ins Jahr 1943. Lily, die Kolbes Frau Maria nachempfunden wurde, erhält den Auftrag Fritz Kolbe zu bespitzeln und herauszufinden, ob er als Mitglied für den geheimen Donnerstagclub angeworben werden kann. Dieser Widerstandsgruppe, die sich in der Charité unter Professor Ferdinand Sauerbruch formiert hat, gehört auch Lily an. Die Beiden verlieben sich und arbeiten fortan gemeinsam in der Widerstandsgruppe unter Professor Sauerbruch in der Charité.

Der Leser erhält einen realistischen Einblick in den Krankenhausalltag der Charité in den letzten beiden Kriegsjahren. Die Bombenangriffe, die die Ärzte dazu zwingt im Bunker zu operieren oder die laufende Bedrohung durch Bespitzelung und diverse Besuche hochrangiger SS-Männer. Je mehr sich der Krieg dem Ende naht, umso gefährlicher wird es für die Widerstandskämpfer und auch für die Ärzte in der Klinik. Sauerbruch wird immer wieder unter Druck gesetzt, vorallem nach dem missglückten Attentat an Hitler am 20. Juli 1944. Graf Stauffenberg, ein Freund von Sauerbruchs Sohn, ging schließlich beim Professor und seiner Frau im Haus ein und aus...Inwiefern Sauerbruch in die Pläne des Attentats eingeweiht war, lässt der Autor offen und der Fantasie des Lesers...
Das Ende des Romans hält noch eine Überraschung bereit!

Schreibstil:
Der Schreibstil des Autors ist eher nüchtern, aber fesselnd - kommt er doch eher aus dem Sachbuchbereich. Trotzdem sind seine Charaktere sehr lebendig und bilhaft gezeichnet. Die persönlichen Schicksale der historischen Figuren berühren und vorallem die beklemmende Atmosphäre und die allgegenwärtige Gefahr während des Krieges wird wunderbar eingefangen. Man bangt mit den Charakteren und hofft, dass die Gestapo nicht hinter ihre Pläne und Verschwörungen kommt.

Fazit:
Eine bewegende Geschichte, die uns einen weiterer Blick in diese dunkle Zeit während des Zweiten Weltkrieges werfen lässt. Besonders für diejenigen, die auch "Die Charité" im TV verfolgen eine große Empfehlung! Spannend, informativ und eindrucksvoll.

Veröffentlicht am 13.03.2019

Spannender zweiter Teil rund um Matilda Darke

Gieriger Zorn
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Mit dem zweiten Band rund um DCI Matilda Darke hat mich Michael Wood wieder ins englische South Yorkshire entführt. Auch diesmal beginnt der Prolog äußerst rasant und brutal. Auf einem abgelegenen Feldweg ...

Mit dem zweiten Band rund um DCI Matilda Darke hat mich Michael Wood wieder ins englische South Yorkshire entführt. Auch diesmal beginnt der Prolog äußerst rasant und brutal. Auf einem abgelegenen Feldweg wird ein Pärchen brutal überfallen und gefoltert. Der Mann wird anschließend erschossen, die Frau mit einem Bauchschuss sterbend zurückgelassen. Matilda steht vor einer neuen schweren Prüfung, denn nicht nur der Mordfall, sondern auch ein diskriminierender Artikel in der Zeitung erinnert an ihr Versagen bei einer Kindesentführung, die sich demnächst jährt. Von ihrer Vorgesetzten erfährt Matilda auch noch, dass ihr Team aufgelöst werden soll. Erfolge müssen her! Doch den Bewohnern der Stadt machen Einbrüche und vermehrte Überfälle mehr Kummer und Sorgen und auch die Presse scheintgegenüber dem Ermittlerteam immer einen Schritt voraus zu sein. Immer mehr Abgründe tun sich auf. Was hat der Tod eines alten Mannes, der als Selbstmord getarnt ist, mit dem Überfall auf das Pärchen zu tun? Und wer verfolgt Matilda?

DCI Matilda ist mir mittlerweile ans Herz gewachsen. Sie ist kein einfacher Charakter. Dem Alkohol hat sie endlich abgeschworen, aber sie leidet noch immer sehr unter dem Tod ihres Mannes und dem missglückten Entführungsfall vor einem Jahr. Die gehässigen Artikel in der Zeitung tragen nicht gerade zur Beruhígung bei, ebenso wenig wie die voraussichtliche Auflösung ihres Ermittlungsteam. Dieses hat jede Menge Rückschläge und Verluste zu verkraften. TRotzdem ist sie ein wahnsinnig starke Frau, die nicht so schnell aufgibt und sich in ihrem neuen Fall verbeißt.

Einzig Matildas Drama war mir im bereits zweiten Band etwas zu sehr präsent, da es meiner Meinung bereits im ersten buchfüllend war. Es wird Zeit, dass sie wenigstens die misslungene Kindesentführung ad acta legt. Der Autor greift öfters auf Begebenheiten aus dem ersten Fall zurück, was manche Mitleser etwas gestört hat.

Es wird sehr schnell Spannung aufgebaut und der Autor lenkt den Leser oftmals auf falsche Fährten. Fleißig habe ich mitgerätselt und musste doch wieder meine Vermutungen verwerfen. Rasante Szenen und gut platzierte Cliffhanger lassen einem das Buch schwer aus der Hand legen. Das Ende ist schlüssig und gut durchdacht.

Schreibstil:
Michael Wood schreibt rasant und intensiv. Geschickt wird Spannung mit gut platzierten Cliffhangern aufgebaut. Der Autor überrascht mit unerwarteten Wendungen und falschen Fährten. Die Charaktere sind facettenreich und absolut gelungen, der Krimi vielschichtig.


Fazit:
Ein spannender Krimi mit überraschenden Wendungen und einem sympathischen Ermittlerteam. Man kann diesen zweiten Band zwar auch ohne Vorkenntnise zu Band 1 lesen, aber ich empfehle immer wieder die Reihenfolge einzuhalten. Mir hat dieser Nachfolgeband noch besser gefallen, als das Krimidebüt und freue mich schon auf einen weiteren Fall rund um DCI Matilda Darke.

Veröffentlicht am 12.03.2019

Wichtiger Roman

Das Verschwinden des Josef Mengele
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Dieses Buch behandelt das Leben des "Todesengels" von Ausschwitz, Josef Mengele, nach seiner Flucht 1948 über die "Rattenlinie" nach Südamerika. Mit einem neuen Namen und der Gewissheit in Argentinien ...

Dieses Buch behandelt das Leben des "Todesengels" von Ausschwitz, Josef Mengele, nach seiner Flucht 1948 über die "Rattenlinie" nach Südamerika. Mit einem neuen Namen und der Gewissheit in Argentinien unter Diktator Péron ein neues Leben beginnen zu können, nahm er nach seiner Ankunft in Buenos Aires 1949 die Verbindung zum wohlorganisierten Netzwerk aus Unterstützern auf. Der Kontakt zu seiner reichen Günzburger Familie, die einen Landmaschinenhandel betrieb und sogar über Mengele nach Südamerika lieferte, blieb immer bestehen. Kindheitsfreund Hans Sedlmeier und ein weitverzweigtes Netz von Nazi-Seilschaften in Südamerika, sowie in Deutschland, ließen ihn in Argentinien ein angenehmes Leben führen. Erst nach dem Sturz Pérons, den Aktivitäten des deutschen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer sowie der Verurteilung und Hinrichtung Eichmanns beginnt sein gut geführtes Leben zu bröckeln. Im Laufe der Jahre wechselt Mengele öfters seinen Namen und den Wohnort. Nach einer langen Zeit in Argentinien lebt er anschließend in Paraguay und später in, wo er erst 1979 beim Baden im Meer ertrinkt. Seine Verbrechen blieben ungesühnt.

Für mich war es unvorstellbar, dass es der Justiz nicht gelang Mengele aufzuspüren bzw. wie lange es dauerte bis überhaupt nach den geflohenen Naziverbrechern gesucht wurde.
Wie das Nachkriegsdeutschland, aber auch der Rest der Welt, das Thema lange Zeit ausschließt und nicht aufarbeitet, lässt mich verständnislos den Kopf schütteln. Erst in den späten 1970er Jahren beginnt man die Verbrechen aufzuarbeiten und startet mit der Suche, die vorallem von Israel und dem Mossad, angeführt wurde. Diese Suche wikt zu Beginn noch sehr unstrukturiert und mangelhaft und führt im Laufe der Jahre dazu, dass viele Naziverbrecher nicht aufgespürt wurden.

Der Roman oder die Biografie liest sich sehr emotionslos und kühl. Das Buch lässt sich generell schlecht einordnen, denn als Roman ist es zu dokumentarisch angelegt. Es gibt kaum Dialoge, es ist sehr sachlich gehalten und an einigen Stellen zeitraffend. Die dreißig Jahre, die Mengele nach dem Verlassen Europas in Südamerika lebt, werden rasch abgehandelt.
Der Autor zeigt Mengele als aufbrausenden und lamentierenden Mann, der oft im Selbstmitleid versinkt und keinerlei Reue oder Einsicht zeigt. Er versteht nicht, warum ein Mann von seinem Ruf, sowie seiner Hingabe für Führer und Vaterland, immer seine Flucht vor Augen haben muss und nicht anerkannt wird. Mengele ist oft ein ängstlicher einsamer Mann, jedoch bevor man als Leser "Mitleid" mit ihm haben könnte, springt der Autor zurück in die Vergangenheit und erzählt über die Gräueltaten des damaligen Arztes. Selbst als untergetauchter Mann, der auf das Wohl seiner Freunde angewiesen ist, Familien, die ihm unbekannter Weise beherbergen, führt er sich zeitweise wie ein Despot auf. Immer wieder versucht er die Menschen in seinem Umkreis zu manipulieren und seine Überlegenheit auszuspielen.

Die Recherchearbeit des Autors ist bemerkenswert. Die Geschichte selbst ist nicht wirklich spannend geschrieben, sondern wirkt kühl und eher wie ein Sachbuch.

"Immer nach zwei oder drei Generationen, wenn das Gedächtnis verkümmert und die letzten Zeugen der vorherigen Massaker sterben, erlöscht die Vernunft, und die Menschen säen wieder das Böse. (S. 214)"

Diesen Satz möchte ich am Ende so stehen lassen, denn ich denke, dass er nicht weit hergeholt ist und leider ein sehr ungutes Gefühl im Magen verursacht.

Cover:

von links nach rechts:
Am ersten Cover im französischen Original sieht man ein Foto des Autors, danach folgt die italienische Ausgabe, die französische, die niederländische und die spanische.

Fazit:
Das Buch ist schwer einzuordenen. Es ist sachlich, und eher dokumentarisch mit kaum Dialogen. Auf jeden Fall ist es ein sehr wichtiges Buch, das aufzeigt, wie rücksichtslos und unbelehrbar Mengele und seine Nazifreunde waren. Lektüren wie diese sollten uns immer wieder aufzeigen, wie grausam der Mensch sein kann und dass diese Gräueltaten auch in Zukunft passieren können. #gegendasvergessen

Veröffentlicht am 11.03.2019

Hat noch Luft nach oben

Café Engel
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Zu Beginn des ersten Bandes dieser Trilogie lernen wir Hilde und Luise als Kinder im Jahr 1935 kennen. Hildes behütete Kindheit im Café Engel in Wiesbaden steht im Gegensatz zu Luises Leben, die auf Gut ...

Zu Beginn des ersten Bandes dieser Trilogie lernen wir Hilde und Luise als Kinder im Jahr 1935 kennen. Hildes behütete Kindheit im Café Engel in Wiesbaden steht im Gegensatz zu Luises Leben, die auf Gut Tiplitz in Ostpreußen aufwächst. Sie ist die uneheliche Tochter des Gutsherren und wird nach dessen Tod gemeinsam mit ihrer Mutter vom Gutshof vertrieben. In Stettin bauen sie sich eine neue Existenz auf bis die Russen während des Krieges anrücken und beide wiederum Richtung Westen flüchten müssen. Bis Hilde und Luise aufeinander treffen sind zehn Jahre vergangen und 3/4 des Romans bereits gelesen - wieder einmal führt der Klappentext eines Romans den Leser in die Irre....!

Kernpunkt dieser Geschichte ist das titelgebende Café Engel samt seinen Besitzern und Bewohnern. Es ist ein Künstlercafé, das gerne von Schauspielern, Mitarbeiter der Requisite und Musikern des gegenüberliegenden Theaters besucht wird. Inhaber Heinz Koch ist ein Kunstliebhaber und fördert den Besuch seiner Gäste. Während des Zweiten Weltkrieges muss das Café allerdings geschlosen werden. Als das Ende des Krieges in greifbare Nähe rückt, möchten Hilde und ihre Mutter das Cafè wiedereröffnen, während Vater Heinz, der noch zum Volkssturm eingezogen wurde, in Kriegsgefangenschaft gerät. Doch die Lebensmittelvorräte sind so gut wie aufgebraucht und die wenigsten Menschen haben das Geld, um sich in ein Café zu setzen. Doch so schnell gibt Hilde nicht auf....

Der Roman spielt vorwiegend in der Nachkriegszeit und spart nicht mit Themen wie zerbombte Städte, Flucht und dem Leben unter den Besatzern. Die Menschen hungern und der Schwarzmarkt blüht. Im Café Engel begleiten wir nicht nur Hilde und ihre Mutter Elsa, sondern auch die Jüdin Julia, die im Hause Koch versteckt wurde, Jean-Jacques, einem französischen Zwangsarbeiter, dem die beiden Frauen zur Flucht verhelfen und wir lesen auch aus der Sicht von Heinz im Gefangenenlager. Dadurch gibt es viele Perspektivwechsel, die nicht bei allen Leserinnen der Leserunde bei der Lesejury gut ankamen. Ich fand diese allerdings gut gewählt und hatte keinerlei Probleme damit - im Gegenteil. Ich finde, dass man damit einen viel besseren Einblick in die Gedanken und in die Gefühlswelt der einzelnen Charaktere hatte. Leider trug der etwas irreführende Klappentext auch zu einigen Enttäuschungen in der Leserunde bei. Die angegebenen Differenzen von Hilde und Luise sind erst am Ende eingetroffen. Das groß angekündigte Geheimnis gab es nicht. Die beiden jungen Frauen waren auch nicht unbedingt die Hauptprotagonisten des Romans....
Besonders beeindruckt hat mich der Abschnitt von Heinz im Gefangengenlager. Gut übermittelt wurden auch die Gefühle von Jean-Jacques, der sich in einer Zwickmühle befindet und dem ich sein Gefühlsregungen sehr gut verstehen konnte.
Die Charaktere sind sehr facettenreich beschrieben. Leider wirken einige davon am Ende etwas unglaubwürdig, denn sie verändern sich dramatisch. Dieser Umschwung war mir zu drastisch, um glaubwürdig zu wirken. Das ist schade, denn im ersten Drittel mochte ich vorallem Hilde sehr, die mit viel Power, Einfallsreichtum und Mut an die Wiedereröfnung des Café herangeht.

Die Handlungsorte sind realistisch und sehr bildhaft dargestellt. Ich hatte immer das Gefühl die wunderbare Atmosphäre des Café Engel zu spüren, litt mit Jean-Jacques in seiner französischen Heimat in den Weinbergen oder begleitete Luise auf ihrer aufregenden und leidvollen Flucht. Aber auch die Bombardierungen und die Skepsis gegenüber den neuen Besatzern, den Amerikanern, wird sehr überzeugend geschildert.

Gut fand ich, dass es zum Ende hin keinen Cliffhanger gab, der zu viele Handlungsstränge offen lässt. Der Roman ist fast in sich abgeschlossen und kann auch gut als stand-alone gelesen werden. Ich mag es nämlich gar nicht, wenn zum Schluss vieles offen bleibt oder oft sogar mitten in der Geschichte abgebrochen wird. Das empfinde ich als Kaufzwang für den nächsten Band der Reihe bzw. als Veräppelung des Lesers.

Ob ich den zweiten Teil lesen werde, kann ich noch nicht sagen. Es gibt so viele interessante Bücher zu diesem Thema, die gerade die Buchhandlungen nur so überschwemmen. Da es sich um mein momentanes Lieblingsgenre handelt, muss ich hier natürlich auch genau überlegen welche Bücher ich lesen werde...

Schreibstil:
Marie Lamballe hat ihre Geschichte rund um das Café Engel sehr detailreich und lebendig erzählt. Sie schreibt flüssig und leicht. Die Kapitel sind eher kurz gehalten.
Durch den etwas unglaubwürdigen Wechsel einiger Charaktere zum Ende hin, konnte ich zu einigen Figuren keine richtige Beziehung aufbauen.

Fazit:
Ein Roman, der mich nicht ganz zufrieden zurücklässt und bei dem ich mir noch nicht sicher bin, ob ich den zweiten Teil lesen werde. Mit der Bewertung tu ich mir etwas schwer, denn mir hat die Geschichte insgesamt gut gefallen. Das Ende war mir allerdings zu sehr auf Happy End getrimmt und die überzogenen Charakterwechsel fand ich unglaubwürdig. Hingegen fand ich die vielen Perspektivwechsel interessant und aufschlussreich, sowie die atmosphärischen Beschreibungen gelungen. Ich vergebe 3 1/2 Sterne für diesen ersten Teil der Trilogie.

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