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Veröffentlicht am 13.12.2018

Unterhaltsamer bayrisch-österreichischer Krimi

Treibts zua!
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Ein Krimi, der in Bayern und Salzburg spielt...coole Idee, dachte ich, als ich die Kurzbeschreibung zu "Treibts zua!" gelesen habe.
Humorvoll sind bereits die ersten Seiten, wo mit der Leiche geschachert ...

Ein Krimi, der in Bayern und Salzburg spielt...coole Idee, dachte ich, als ich die Kurzbeschreibung zu "Treibts zua!" gelesen habe.
Humorvoll sind bereits die ersten Seiten, wo mit der Leiche geschachert wird...liegt sie nun auf bayrischer Seite oder schon über der Staatsgrenze im Salzburger Gebiet? So genau ist das ja wohl nicht..oder doch?

Die zuständigen Ermittler, Lilly Engel aus Bayern und Sigmund Huber aus Salzburg, sind sich noch nicht einig, wer für den Fall zuständig ist. Doch eine zukünftige Zusammenarbeit bleibt ihnen nicht erspart, trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten.
Lilly kommt aus dem hohen Norden Deutschlands und hat sich wegen ihren Kindern nach Reichenhall an die österreichischen Grenze versetzen lassen. Ihr Exmann arbeitet und lebt in Salzburg. Durch die Nähe zur Mozartstadt kann sich ihr Mann auch den Kindern widmen - was sich allerdings als Irrtum herausstellt. Lilly versucht als alleinerziehende Mutter Beruf und ihr Leben unter einem Hut zu bringen, was jedoch meistens im Chaos ausartet.
Ihr österreichischer Kollege ist das glatte Gegenteil. Huber, gebürtiger Wiener, ist alleinstehend, liebt gutes Essen und seinen Kaffee, lebt oftmals seine Macho-Allüren aus. Eine alleinerziehende Kommissarin, die ihr Privatleben nicht unter Kontrolle hat, ist ihm mehr als zuwider.
Beim Mordfall an einem jungen Mann mit Roma Wurzeln müssen die Beiden jedoch zusammenarbeiten, denn vor kurzem wurde eine Frau mit demselben Hintergrund tot in Salzburg aufgefunden. Und was hat es mit den Medaillons auf sich, die bei den Leichen gefunden wurden?
Engel und Huber ermitteln in allen möglichen Schichten und an den verschiedensten Örtlichkeiten. Als ein weiterer Toter gefunden wird, sind sich alle einig, dass hier ein Serienmörder am Werk ist. Doch was ist seine Motivation? Und wie viele Tote wird es noch geben?
Kurze Einschübe aus der Sicht des Mörders lassen den Leser fleißig miträtseln. Dass der Täter vor nichts zurückschreckt ist auch bald Engel und Huber klar.

Weitere Charaktere bleiben, bis auf Wahrsagerin Annemarie, gegenüber den beiden Hauptprotagonisten eher im Hintergrund. Trotzdem spielen sie alle eine wichtige Rolle, die nach und nach offenbart wird.

Ab dem Mittelteil war es mir etwas zu viel Geplänkel zwischen den beiden Ermittlern und zu wenig Krimi. Für mich hat die Spannung etwas darunter gelitten, bis die Handlung zum Ende hin wieder etwas an Fahrt aufnimmt und in einem grandiosen Finale endet, welches dem Leser den Titel erklärt. Ich freue mich schon auf eine Fortsetzung!

Schreibstil:
Der Schreibstil der beiden Autoren, die ebenfalls aus Österreich und Deutschland kommen, ist witzig, locker und teilweise bitterböse. Die regionalen Eigenheiten, sowie Brauchtum und Landschaft sind perfekt insziniert. Hier zeigt sich auch mal eine andere Seite von Salzburg, die sicher die wenigstens von uns kennen. Lokalkolorit wird in diesem Krimi groß geschrieben.
Ich finde es immer wieder spannend, wenn zwei Autoren gemeinsam ein Buch schreiben und man als Leser hier keinerlei Hinweise hat, wer welche Abschnitte geschrieben hat.

Fazit:
Ein amüsanter Krimi mit viel Lokalkolorit und einem sehr unterschiedlichen Ermittlerteam, das nicht nur aus verschiedenen Ländern kommt, sondern die auch sonst sehr unterschiedlich sind. Das Private stand für mich etwas zu viel im Vordergrund - trotzdem ein wirklich gelungener Auftakt.

Veröffentlicht am 09.12.2018

Freundinnen fürs Leben - oder doch nicht?

Drei Frauen am See
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Dora Heldt ist bekannt für ihre humorvollen Romane und ihre Syltkrimis. Die Autorin kann aber auch anders und hat mich mit ihrem Roman "Drei Frauen am See" wirklich überrascht und überzeugt. Die tiefgründige ...

Dora Heldt ist bekannt für ihre humorvollen Romane und ihre Syltkrimis. Die Autorin kann aber auch anders und hat mich mit ihrem Roman "Drei Frauen am See" wirklich überrascht und überzeugt. Die tiefgründige Geschichte ist vielleicht nicht wirklich etwas für die Leserinnen, die sonst ihre leichteren Romane bevorzugen, wie ich auch schon aus den Bewertungen ersehen konnte.
Wer aber eine Geschichte über Freundschaft, Schicksalsschläge und einfach über Dinge, die das Leben schreibt, lesen möchte, sollte hier zugreifen!

Es gibt einige Bücher, die sich um Freundinnen ranken, die sich aus den Augen verloren haben und/oder durch den Tod einer von ihnen, wieder zusammentreffen. Es gibt auch Geschichten, in denen ein Wunsch erfüllt werden soll oder jemand eine Wunschliste abarbeitet. Obwohl das Thema doch schmerzlich ist, sind diese Romane meistens humorvoll geschrieben. Dora Heldts Buch "Die Frauen vom See" hingegen ist melancholisch, tiefgründig und berührte mein Herz.
Endlich konnte ich wieder in einem Roman versinken und tat mir richtig schwer aus der Welt rund um Alex, Friederike, Jule und Marie aufzutauchen.

Dieses Kleeblatt hat sich als Teenager ewige Freundschaft geschworen. Sie verbrachten einst wunderschöne gemeinsame Sommer am Haus am See, welches Maries Eltern gehörte. Dort schmiedeten sie Pläne, kümmerten sich umeinander, teilten Glück, Freud und Leid. Als Teenager beschlossen sie in einem Brief aufzuschreiben, wie sie sich ihr Leben und ihre Freundschaft in 30 Jahren vorstellen und versprechen ihre Zeilen erst nach dieser Zeit zu lesen. Doch mit dem Erwachsenwerden driften die Mädchen immer mehr auseinander bis es zu einem großen Streit kommt, der die Freundschaft der vier Frauen beendet. Als Alex, Friederike und Jule eines Tages von Maries Tod erfahren, sind sie schockiert. Doch Marie hat ihre damaligen Freundinnen nicht vergessen. Kurze Zeit später flattert der Brief eines Notars bei den drei Frauen ein, der eine große Überraschung birgt und der ihr Leben verändert...

Der Roman wird sowohl in der Gegenwart, als auch in der Vergangenheit aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Das erfordert Konzentration. Lediglich am Anfang hatte ich ein bisschen Schwierigkeiten die vielen Informationen den einzelnen Figuren zuzuordnen. Die Lebensläufe von Alex und Friederike sind doch sehr ähnlich gestrickt. Allerdings hatte ich schnell ein Gefühl für jede der vier Frauen, die sich im Laufe der Jahre alle weiterentwickelt haben.
In Rückblenden erleben wir die gemeinsame Zeit der vier Mädchen, sowie ihre sehr unterschiedlichen Charaktere. Dieser Strang spielt in den 1970iger und 1980iger Jahren und somit auch teilweise in meiner eigenen Kinder- und Jugendzeit. Die damalige Zeit wurde sehr authentisch und lebendig dargestellt. Auch die Familie der vier Teenager spielt dabei ein große Rolle - bei der einen mehr, bei der anderen weniger.
Alex, Verlegerin, und Friederike, Leiterin eines 5 Sterne Hotels, sind beide erfolgreich im Beruf, trotzdem sind sie unterschiedlich und haben auch verschiedene Charaktereigenschaften. Beide wirken anfangs etwas kühl. Jule hingegen ist seit 20 Jahren geschieden und alleinerziehende Mutter. Sie ist die Gefühlvolle des einstigen Kleeblattes. Jede von ihnen hat ihr eigenes schweres Päckchen zu tragen.
Alle Charaktere wurden von der Autorin wunderbar ausgearbeitet. Dora Heldt hat sich jeder der vier Frauen länger gewidmet und deswegen konnte ich ihre Gefühlswelt wunderbar nachvollziehen. Die verstorbene Marie ist durchwegs präsent und eine sehr sympathische Frau, die bereits in ihrer Kindheit durch ihr schweres Herzleiden viel zurückstecken musste. Trotzdem war sie immer für alle da und der eigentliche Zusammenhalt von Alex, Friederike und Jule.

Nun zu den Kritikpunkten anderer Leser beim großen Online Portal....ja, das Buch ist dick und beinhaltet ein paar kleine Längen. Doch ich habe mir überlegt, welche Informationen man hätte weglassen können und bin zu dem Schluss gekommen, dass es genau diese Menge an Informationen benötigt, um alles gut zu verstehen und um sich in die Figuren hineinversetzen zu können.
Manche kritisieren, es sei zu vorhersehbar...jein! Man hofft darauf, dass die übrigen Frauen wieder zueinander finden...natürlich. In gewisser Weise glaubt man daran, aber bis zum Ende hin bleibt diese Hoffnung (meiner Meinung) offen. Auf jeden Fall ist es kein Roman, bei dem man nach den ersten Seiten weiß, wie er ausgeht. Absolut nicht! Vielleicht muss man aber auch ein bestimmtes Alter haben, um die Geschichte richtig zu verstehen (ich bin einige Jahre jünger als die Protagonisten)....oder sie hat gerade meinen Nerv getroffen. Und deswegen war dieser Roman für mich authentisch, gefühlvoll, tiefgründig und somit definitiv eine wunderschöne Geschichte, die mit viel Einfühlungsvermögen geschrieben wurde.

Fazit:
Dieser Roman beinhaltet viele Themen: Freundschaft, Lebenslügen, Trauer, Abschied, Enttäuschung, Schicksal und Zusammenhalt. Allen davon wird die Autorin gerecht. Für mich war dieser Roman absolut gelungen, der eine etwas andere Dora Heldt zeigt. Wer sich darauf einlassen kann und keine leichte humorvolle Geshichte sucht, sondern etwas mehr Tiefgang, ist hier richtig.

Veröffentlicht am 07.12.2018

Überraschend gut!

Verborgen
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Neuer Wohnsitz, neuer Job. Die Berliner Ärztin Eva Korell möchte die Vergangenheit hinter sich lassen und kehrt Berlin den Rücken. In München wird sie als Gefängnisärztin in die Justizvollzugsanstalt Wiesheim ...

Neuer Wohnsitz, neuer Job. Die Berliner Ärztin Eva Korell möchte die Vergangenheit hinter sich lassen und kehrt Berlin den Rücken. In München wird sie als Gefängnisärztin in die Justizvollzugsanstalt Wiesheim arbeiten und ist endlich auch ihrer Freundin Ann-Kathrin näher, die mit ihrem Freund ganz in der Nähe wohnt. Noch vor ihrem ersten Arbeitstag leistet sie einer Passantin erste Hilfe, die am Gehweg umkippt. Dabei ahnt sie nicht, dass dieser Vorfall ihre Zukunft verändern wird. Am selben Abend steht dieselbe Frau verzweifelt vor ihrer Haustür und bittet sie erneut um Hilfe. Eva weist sie ab. Am nächsten Tag findet sie heraus, dass ihr Mann in der JVA einsitzt und ist froh über ihre Rückweisung. Doch bald darauf ist Nicole Arendt spurlos verschwunden. Eva macht sich Vorwürfe. Wovor hatte die Frau solche Angst?

Endlich wieder ein Thriller, der nicht mit dem altbekannten Schema "daherkommt". Eine Gefängnisärztin als Protagonistin hat schon im Klappentext meine Neugier geweckt. Aber auch der restliche Plot ist hervorragend aufgebaut und der Spannungsbogen gelungen. Die Autorin hat eine interessante Location gewählt und lässt dem Leser an Evas Alltag im Gefängnis teilhaben. Diese muss sich in der rauhen und agressiven Umgebung vom ersten Tag an behaupten.

Mit Eva Korell haben wir eine sympathische Frau vor uns, die in ihrem Beruf kompetent auftritt und sich ihrer neuen Herausforderung stellt. Hinter ihrer toughen Fassade steckt eine junge Frau, die früh ihre Eltern verloren hat. Ihre Familie besteht aus ihrem Bruder und ihre Freundin Ann-Kathrin, die als Journalistin arbeitet. Sie ist freundlich und hilfsbereit, öffnet sich aber kaum anderen Menschen. Ihr Gerechtigkeitssinn ist stark ausgeprägt. Als Nicole Arendt plötzlich verschwunden ist, macht sie sich Vorwürfe, weil sie der Frau nicht geholfen hat. Und im Gefängnis scheint ebenfalls jemand gegen sie zu arbeiten....

Die Geschichte wird in der dritten Person, jedoch aus zwei Sichtweisen erzählt. Wir begleiten als Leser nicht nur Eva, sondern auch Nicole, deren Mann Robert wegen Fahren ohne Führerschein und unter Alkoholeinfluss im Gefängnis sitzt. Nicole ist ein Opfer häuslicher Gewalt und voller Selbstzweifel. Ihr Leben besteht aus Demütigung und Gewalt. Trotzdem hält sie zu ihrem Mann, auch als sie belastende Beweise im Keller findet. Kommissar Lars Brüggemann gefiel mir ebenfalls sehr gut. Er hat eindeutig die Nebenrolle in diesem Thriller und ist die Nummer 3 hinter den beiden weiblichen Charakteren, trotzdem überzeugte auch er.
Die Charaktere sind vielschichtig und lebendig dargestellt. Dies beinhaltet auch einige Gefängnisinsassen, die alles andere als schwarz-weiß gemalt sind. Besonders interessant fand ich Georg Temme, dessen Mordmotiv ich richtig verstehen konnte...
Die verschiedenen Stränge laufen konsequent zusammen, doch zuvor gibt es noch einige interessante Wendungen und Überraschungen. Der stetig ansteigende Spannungslevel wird durch den Perspektivenwechsel noch erhöht. Ich war an die Seiten gefesselt und null-koma-nichts durch das Buch - weil ich es nicht aus den Händen legen konnte.
Das dynamische Ende war schlüssig und lässt mich bereits ungeduldig auf den nächsten Band warten.

Schreibstil:
Der einnehmende Schreibstil der Autorin hat mich gefesselt. Überraschende Wendungen haben die Spannung erhöht. Die vielschichtigen Charaktere sind interessant und lebendig gezeichnet.
Anna Simons schreibt hier unter Pseudonym. Ihre Krimis veröffentlicht sie als Anna Martens, ihre Jugendbücher als Anna Schneider. Für mich war es das erste Buch der Autorin, jedoch sicherlich nicht mein letztes.

Fazit:
Der erste Band um Gefängnisärztin Eva Korell hat mich überzeugt! Endlich wieder ein Thriller/Krimi mit neuen Ideen, keinen zu konstruierten oder überladenden Schluss, der eher an einen Actionfilm erinnert, sowie einen Täter, der lange unbekannt bleibt. Spannung pur und eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 05.12.2018

Beeindruckender biografischer Roman

Hanna
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"Hanna - Kriegsjahre einer Krankenschwester" ist keine Geschichte, die diese Zeit beschönigt. Sandra Jungen hat in ihrem biografischen Roman die Erinnerungen ihrer Großmutter festgehalten und dabei ein ...

"Hanna - Kriegsjahre einer Krankenschwester" ist keine Geschichte, die diese Zeit beschönigt. Sandra Jungen hat in ihrem biografischen Roman die Erinnerungen ihrer Großmutter festgehalten und dabei ein sehr bewegendes Bild dieser Zeit wiedergegeben.

Deutsches Reich 1942: Hanna hat eben erst ihre Krankenschwesterausbildung abgeschlossen, als sie ihren Einberufungsbefehl erhält. Das Ziel ist ihr nicht bekannt und so begleiten wir sie auf ihren Weg ins Ungewisse. Zu Beginn merkt man noch mit welcher Ahnungslosigkeit die jungen Krankenschwestern gegen Osten fahren. Wir begleiten die jungen Frauen auf ihrer tagelangen Zugreise, bis sie zuerst in Polen und später in der Ukraine ankommen...immer Richtung Front. Das Grauen des Krieges hat sie in den provisorischen Feldlazaretten bald eingeholt. Trotzdem bleibt Hanna in einigen Dingen unwissend. Die Viehwaggons, die bei ihrer Reise ganz hinten am Zug angehängt werden, erscheinen ihr zwar seltsam, aber Hanna hinterfragt dies nicht. Auch der grauenhafte Gestank in einer Station fällt ihr zwar auf, kann ihn aber nicht zuordenen. Hier ist der Leser allwissend und kann diese für uns augenscheinlichen Momente erfassen. Obwohl Hanna mitten im Krieg steht, gehört sie doch zur deutschen Wehrmacht und nur einige Bemerkungen ihrer deutschtreuen Kollegin Gerda, lassen sie öfters nachdenklich zurück. Doch Hanna wird schnell erwachsen und beginnt sich ihre eigene Meinung zu bilden. Ihr Leben besteht aus überfüllten Lazaretten, fünfzig Stunden Arbeitstagen und immer mehr Schwerverletzten. Oftmals können weder die Ärzte, noch die Sanitäter und Krankenschwestern ihre Augen offenhalten. Völlig übermüdet und am Ende ihrer Kräfte versuchen sie Leben zu retten. Ungeschönt beschreibt die Autorin das Leben im Lazarett, in dem Hanna - wegen Personalmangel - bald selbst Operationen durchführen muss, während sie von feindlichen Fliegern bombardiert werden. Erst als die junge Frau selbst erkrankt, kommt sie zur Genesung nach München und arbeitet dort im Hospital weiter. Doch die Bombardierungen durch die Allierten werden immer schlimmer und München gleicht immer mehr einer Häuserruine.

Sehr nahe ging mir die Bedrohung durch die großangelegten Bombardierungen Münchens. Der immer wiederkehrende Fliegeralarm und die Angst, die Hanna dabei ausstand, als sie verschüttet wird, sind so bewegend und lebendig erzählt, dass es einem dabei selbst die Luft abschnürt. Wie oft das Glück und das Schicksal willkürlich um sich greift, ist besonders aus diesen Abschnitten herauszulesen. Doch selbst in Nächten der Angst und inmitten von Leid und Hunger, wollen die Menschen leben, lieben und lachen und sich an kleinen Dingen erfreuen. Man braucht diese Hoffnungsträger, um zu überleben. So fand ich es berührend, wie Hanna ihre große Liebe findet, ins Theater geht oder sie sich den Traum von roten Stöckelschuhen erfüllt, die sie eigentlich zu dieser Zeit kaum tragen kann.

Charaktere:
Hanna hat Herz und Verstand. Sie ist selbstlos, setzt sich für andere Menschen ein und geht in ihrem Beruf auf. Sie bleibt immer menschlich. Ihr Gegenpart ist Gerda. Ein Nazi durch und durch, der vor keiner Denunzierung zurückschreckt. Immer wieder neidet sie Hanna ihre Stellung, einen Soldaten oder einfach ihre Beliebtheit im Lazarett. Sie ist die typische Antagonistin, der nicht über den Weg zu trauen ist.
Die anderen Krankenschwestern, die Hanna bereits auf der Reise an die Ostfront begleiten, sind liebenswerte junge Frauen, die bei der Rückkehr nach München befreundet bleiben und einige Schicksalschläge teilen. Clemens, Hannas Freund, ist mir ebenfalls sehr ans Herz gewachsen.
Auch die anderen Charaktere sind sehr lebensnah und authentisch gezeichnet. Ärzte und Krankenpfleger, Soldaten in allen Rangstufen geben einen Querschnitt durch die Bevölkerung. Dabei lernen wir auch historisch belegte Personen, wie Graf von Stauffenberg, der im Widerstand tätig war oder den Münchner Humoristen Ferdl Weiß kennen, der bei seinen Auftritten stets das Regime kritisierte und von Polizisten bei der Vorstellung auf der Theaterbühne überwacht wurde.

Schreibstil:
Der Schreibstil von Sandra Jungen hat mir sehr gefallen. Er ist gefühlvoll und gibt tiefe Einblicke in Hannas Leben. Ich bin in die Geschichte abgetaucht und obwohl es viele wirklich grausame und erschütternde Kapitel gab, verstand es die Autorin den Leser nicht hinabzuziehen, sondern mit ihrer Art zu schreiben zu fesseln. Mit liebenswerten Figuren und ebensolchen Episoden wird die Lebensgeschichte aufgelockert. Man begibt sich auf eine Zeitreise, die mit fundiertem Grundwissen und zusätzlichen Recherchen eine perfekt abgerundete Erzählung ergeben.

Im Anhang gibt es ein Nachwort, eine Geschichte hinter der Geschichte, sowie ein Verzeichnis von historischen Personen, die im Roman eine Rolle spielten.

Fazit:
Ungeschönt und trotzdem mit einer Spur Hoffnung, Lebenswillen und Lebenslust, erzählt Sandra Jungen aus dem Leben ihrer Großmutter bzw. aus dieser Zeit, die wir und unsere Kinder hoffentlich nie wieder erleben müssen. Eine Lebensgeschichte, die mit viel Einfühlungsvermögen erzählt wird. Von mir gibt es fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 03.12.2018

Kindeswohl

Kindeswohl
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Bei einer Seitenzahl von 224 denkt man sich, man wäre schnell durch die Geschichte, die uns Ian McEwan hier erzählt. Doch schon sein Roman "Abbitte" hat mich eines anderen belehrt und ist noch heute in ...

Bei einer Seitenzahl von 224 denkt man sich, man wäre schnell durch die Geschichte, die uns Ian McEwan hier erzählt. Doch schon sein Roman "Abbitte" hat mich eines anderen belehrt und ist noch heute in meinem Kopf allgegenwärtig.
Mit "Kindeswohl" hat mir der Autor wiederum ein sehr intensives Leseerlebnis hinterlassen.
Familienrecht ist das Spezialgebiet unserer Protagonistin Fiona Maye. Sie ist erfolgreich im Job und ist seit 30 Jahren glücklich verheiratet - denkt sie. Doch eines Tages erbittet ihr Mann Jack ihren Segen für eine außereheliche Affäre. Fiona fällt aus allen Wolken und denkt gar nicht daran den Wunsch ihres Mannes zu erfüllen. Kurz darauf bekommt sie es mit einem eher außergewöhnlichen Fall zu tun. Die Familie eines 17jährigen leukämiekranken Jungen verweigert aus religiösen Gründen die lebensrettende Bluttransfusion. Adam Henry, der Sterbenskranke selbst, lehnt diese, ebenso wie seine Eltern ab. Er kennt die Einstellung seiner Familie und Glaubensgemeinschaft seit seiner Kindheit und ist damit aufgewachsen. Fiona beschließt daraufhin den jungen Mann im Krankenhaus zu besuchen, um sich ein Bild von ihm zu machen. Sie weiß, dass sie im Sinne des Kindeswohl entscheiden muss, denn jeder Patient hat ein Selbstbestimmungsrecht. Adam ist jedoch noch minderjährig, steht aber kurz vor seinem 18. Geburtstag. Als sie ihn kennenlernt ist Fiona ist beeindruckt von diesem sensiblen Jungen, der berührende Gedichte schreibst, musiziert und doch so fest an seiner Meinung festhält. Sie findet eine besondere Verbindung zu Adam und er auch zu ihr. Und doch lädt Fiona eine schwere Schuld auf sich....

Ian McEwan zeigt in seinem Roman auf, wie schwer es für einen einzelnen Menschen ist, ein so weitreichendes Urteil zu fällen, welches über Leben und Tod entscheidet. Aber nicht nur darüber, sondern auch über Schuld, Moral oder Ethik. Fiona, die selbst in privaten Schwierigkeiten steckt, widmet sich diesen Fall sehr intensiv. Sie versucht ihre persönlichen Probleme damit zu kompensieren und handelt nicht mit der von ihr geforderten beruflichen Distanz, die sie sonst auszeichnet. McEwan stellt ihre Fähigkeiten in Form einiger Beispiele vor: Sei es die streng katholische Familie, deren Glaube es nicht zulässt Siamesische Zwillinge zu trennen oder der musllimische Vater, der sein Kind in sein Heimatland bringen möchte. Fiona entscheidet juristisch zu 99% richtig. Doch bei Adam steht die emotionale Betroffenheit im Vordergrund und die geforderte berufliche Distanz fällt.

Die justischen Feinheiten erklärt der Autor so, dass es auch ich verstanden habe ;) Er beleuchtet wirklich alle Seiten sachlich und begründet diese auch aus ethischer, religiöser und juristischer Sicht. Die inneren Kämpfe, die Fiona mit sich selbst ausmachen muss, werden sehr feinfühlig, realistisch und emotional dargestellt. Gleichzeitig regt der Roman zum Nachdenken an und wirft viele Fragen auf, die man sich beim lesen (und auch danach) selbst immer wieder stellt.

Die Problematik rund um die Ehe von Fiona und Jack war mir allerdings zu wenig tiefgehend und hätte auch weggelassen werden können.

Der Schreibstil ist eher anspruchsvoll, aber lässt sich flüssig lesen. Die Charaktere sind stimmig, wobei mir Jack etwas zu blass blieb.
Musik spielt ebenfalls eine große Rolle im Roman, genauso wie Schuld, Moral und Ethik


Fazit:
Ein Roman, der zum Nachdenken anregt und bei dem man sich selbst immer wieder fragt, wie man gehandelt hätte. Es geht um Schuld, Moral, Ethik, aber auch um Treue, Familie und die verlorene Liebe. Mein nächster Roman des Autors liegt schon bereit....