Erschreckend und unfassbar traurig: Garrard Conley berichtet von der Konversionstherapie in den Südstaaten.
Boy ErasedUm Garrard Conleys autobiographische Erzählung „Boy Erased“ bin ich länger herumgeschlichen und war mir nicht ganz sicher, ob ich mir die Thematik zutraue. Vor einer Weile habe ich mich dann getraut und ...
Um Garrard Conleys autobiographische Erzählung „Boy Erased“ bin ich länger herumgeschlichen und war mir nicht ganz sicher, ob ich mir die Thematik zutraue. Vor einer Weile habe ich mich dann getraut und jetzt, einige Zeit nach der Lektüre, habe ich endlich Worte für diese unfassbaren Dinge, die Garrard Conley durchmachen musste. Als Sohn eines Predigers, der streng gläubig erzogen wurde, fällt es Garrard zunehmend schwer, seine homosexuellen Neigungen zu verstecken und sich vor seiner Familie (und vor Gott) zu verstellen. Tag für Tag durchlebt er Angst und Schuldgefühle, denn Gott war ihm bisher doch immer gnädig, wieso lässt er jetzt zu, dass Garrard »unrein« ist, dass seine Gedanken sich mehr und mehr auf Männer anstatt auf Frauen konzentrieren? Während er zu Schulzeiten im behüteten Elternhaus gewissen Situationen ausweichen kann, geht er bald aufs College und lernt dort natürlich einige Männer kennen. Nachdem Garrard Opfer einer Vergewaltigung wird, outet ihn sein Peiniger per Telefon bei seinen Eltern; Garrard wird sofort abgeholt, traut sich nicht, von dem Verbrechen zu sprechen, sieht nur die Schande, die er seiner Familie bringt. Er fühlt sich unrein und ist im Glauben, seine Eltern würden denken, er hätte seinen Vergewaltiger zur Tat angestiftet oder ihn sogar verführt. Doch das alleinige Wissen über seine Homosexualität bricht die Familie fast auseinander, bis der Vater Theapiesitzungen (um Garrards Testosteronwert zu überprüfen) und die Teilnahme bei Love in Action (LIA), einer Konversionstherapie für Homosexuelle, fordert. In „Boy Erased“ schreibt sich der Autor seine Erlebnisse während dieser Therapie von der Seele und arbeitet seine Vergangenheit auf.
"Es war unsere Angst vor der Scham, gefolgt von unserer Angst vor der Hölle, die uns wirklich vom Selbstmord abhielt."
Während der Lektüre konnte ich es beinahe nicht fassen, dass derartige Praktiken zur „Umkehrung“ der „falschen“ Sexualität heutzutage noch existieren. Aber Garrard lebte damals im Bible Belt Amerikas, da kann einen nichts mehr überraschen. In einem relativ nüchternen Ton beschreibt er, wie er mit der Religion an seiner Seite aufgezogen wurde, wie Gott ihn stets begleitete – bis er ihn scheinbar verließ. Garrards Leben nimmt nach der Vergewaltigung eine 180°-Wendung und durch die Teilnahme am LIA-Programm ist nichts mehr wie vorher. Zu Beginn der Therapie muss er beispielsweise ein Genogramm seiner Familie erstellen, in dem er „sündiges Verhalten“, Süchte und Abweichungen von der Norm festhält. Anhand diesem Stammbaum soll dann abgelesen werden können, woher seine Neigung stammt. Jeden Tag wird die absurde Therapie fortgesetzt, Homosexualität als „Sucht“ identifiziert, und Garrard ist damals wirklich noch der Überzeugung, dass das, was er fühlt, vielleicht falsch sein kann, dass seine Homosexualität um der Familie willen aus ihm herausgeschnitten werden muss. Doch nach und nach merkt er, dass er sich selbst, seine Persönlichkeit, mehr und mehr zu verlieren scheint, dass er sich auflöst, wenn er bleibt. Ist es das wert, sein Innerstes auszulöschen, damit sein Äußeres zu seinem Glauben, zu seiner Familie passt?
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