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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.09.2021

Düstere Handlung, unsympathische Romanfiguren

Daheim
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Es ist das erste Buch der preisgekrönten zeitgenössischen Autorin, das ich gelesen habe. Und wurde wieder einmal von hoch gelobten Büchern namhafter Autoren enttäuscht. Dabei hat mich der Roman thematisch ...

Es ist das erste Buch der preisgekrönten zeitgenössischen Autorin, das ich gelesen habe. Und wurde wieder einmal von hoch gelobten Büchern namhafter Autoren enttäuscht. Dabei hat mich der Roman thematisch gereizt. Eine Frau Ende 40, also unwesentlich jünger als ich selbst, macht nach Trennung von ihrem Ehemann und Fortzug der erwachsenen Tochter einen Neuanfang an der Nordseeküste, wo sie in der Kneipe ihres Bruders zu arbeiten beginnt. Leider fand ich dann schon das Lesen als solches sehr beschwerlich, weil wörtliche Reden nicht kenntlich gemacht sind. Mit den Romanfiguren konnte ich nicht warm werden. Jede von ihnen hat spezielle Macken, z.B. rückt die Erzählerin immer wieder eine Begebenheit von vor dreißig Jahren in den Fokus ihres Denkens, ist ihr Ex-Mann ein Messie und ihr Bruder ein Nichtsnutz, der mit 60 Jahren einer mehrere Jahrzehnte jüngeren Frau verfällt, die nicht preisgegebene Geheimnisse birgt und am Ende einem Gewaltverbrechen zum Opfer fällt. An Handlung fehlt es. Da die Geschichte an der See angesiedelt ist, wird eine düstere Stimmung verbreitet. Es fehlt an Spannung und an der Beantwortung einiger offener Fragen.

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Veröffentlicht am 30.08.2021

Roman über eine lange Ehe mit vielen Fehlern und später Wiedergutmachung des Ehemannes

Barbara stirbt nicht
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Wie schon in ihren früheren ebenso wunderbaren Büchern „Der Zopf meiner Großmutter“ und „Baba Dunjas letzte Liebe“ verarbeitet die Autorin, die in den 1990er Jahren aus Russland nach Deutschland gekommen ...

Wie schon in ihren früheren ebenso wunderbaren Büchern „Der Zopf meiner Großmutter“ und „Baba Dunjas letzte Liebe“ verarbeitet die Autorin, die in den 1990er Jahren aus Russland nach Deutschland gekommen ist, ein wenig auch hier ihren eigenen Migrationshintergrund. Sie erzählt über die schon mehr als 50 Jahre währende Ehe von Walter und Barbara Schmidt, die einst keinen glücklichen Start hatte, weil es eine „Muss-Ehe“ war und Barbara russischer Herkunft ist, was für den kleinen Rassisten Walter lange ein Makel war. Er hat in seiner Ehe und seinen Kindern gegenüber so manchen Fehler gemacht. Im Alter dann macht er unbewusst vieles davon wieder gut und zeigt seinem Umfeld bislang verborgene positive Seiten. Barbara wird nämlich aufgrund von Krankheit zum Pflegefall und der bislang in Haushaltsdingen völlig unbedarfte Walter widmet sich mit zunehmender Perfektion vor allem dem Kochen. Zugleich sinniert er viel über die Vergangenheit.
Der Schreibstil ist sehr gelungen mit Ansätzen von schwarzem Humor und Wortwitz, ohne dass dies übertrieben eingesetzt wird. Das Buchcover passt wie die Faust aufs Auge, denn mit dem erstmaligen Kaffeekochen hat Walter den ersten Schritt in seine Selbständigkeit getan. Die Geschichte als solche überzeugt thematisch und in der Ausführung und veranlasst vielleicht den einen oder anderen, einmal über die Arbeitsteilung in der eigenen Ehe und Respektbekundungen gegenüber dem Ehepartner nachzudenken. Obwohl Walter mit seinen Ansichten nicht gerade ein Sympathieträger ist, hat man es mit ihm als Romanfigur gerne zu tun. Er ist ein typischer Mann seiner Generation. Lobenswert ist, welche schöne Entwicklung er schließlich durchmacht und erkennt, dass er Barbara immer unterschätzt hat.
Sehr empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 28.08.2021

Geschichte einer verzweigten jüdischen Familie

Wellenflug
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Wer Familiengeschichten und historische Romane mag, wird mit diesem Buch zufrieden sein.
Es teilt sich in zwei Hälften und schildert in der einen das Leben von Schwiegermutter Anna und in der anderen das ...

Wer Familiengeschichten und historische Romane mag, wird mit diesem Buch zufrieden sein.
Es teilt sich in zwei Hälften und schildert in der einen das Leben von Schwiegermutter Anna und in der anderen das von Schwiegertochter Marie. Anna entstammt einer jüdischen Familie. Ihr Vater ist nach der Reichsgründung aus einfachen Verhältnissen von Schlesien nach Leipzig und Berlin gekommen, wo er es als Stoffhändler zu beträchtlichem Reichtum gebracht hat. Anna bekommt sechs Kinder und legt größten Wert darauf, dass sie standesgemäße Ehen eingehen und Berufe ergreifen. Nur ihr Sohn Heinrich fällt aus der Reihe und ist ein Taugenichts, der deshalb von der Familie verstoßen wird, erst recht als er die aus der Unterschicht stammende Marie heiratet, die nie von Anna anerkannt wird. Marie aber steht zu ihrem Mann trotz aller seiner Eskapaden.
Für mich war vor allem das historische Zeitfenster von Interesse, in dem die Geschichte angesiedelt ist. Sie beginnt nämlich schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erstreckt sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf diese Weise erhält der Leser bereits einen Eindruck von den Anfängen des Antisemitismus in Deutschland und steht nicht die Zeit des Nationalsozialismus mit ihren Gräueltaten zu Lasten der Juden im Vordergrund, wenngleich auch diese eine wichtige Rolle in der Geschichte spielt. Was die beiden Protagonistinnen anbelangt, so sind beide auf ihre Weise starke, beeindruckende Frauen.

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Veröffentlicht am 25.08.2021

Tragische Familiengeschichte zur Zeit des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkriegs

Fanzi
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Der zunächst merkwürdig klingende Buchtitel ist die Verballhornung des Vornamens Franz. Dieser ist einer der Protagonisten, der einst so von seiner geliebten kleinen Schwester genannt wurde. Aus der Perspektive ...

Der zunächst merkwürdig klingende Buchtitel ist die Verballhornung des Vornamens Franz. Dieser ist einer der Protagonisten, der einst so von seiner geliebten kleinen Schwester genannt wurde. Aus der Perspektive von Franz und seiner Enkelin Astrid erfahren wir abwechselnd nach und nach die Familiengeschichte, beginnend einige Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bis in die Gegenwart hinein. Die Familie wohnt in einem Dorf in Österreich und betreibt Landwirtschaft. Der Vater regiert mit eiserner Hand über seine drei Jungen und die nachgeborene Schwester. Das Hoferbe ist für ihn geregelt. Die politischen Entwicklungen machen aber einen Strich durch die Rechnung. Die Familie treffen schwere Schicksalsschläge. Sie und das gesamte Dorf werden durch den Nationalsozialismus geprägt. Bis ins Alter schweigt Franz über seine (vermeintliche?) Schuld und Verantwortung, was sein Verhältnis zu seinen eigenen Kindern ebenso trübt wie ein erneutes Unglück.
Wer an der deutschen Geschichte rund um Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg ebenso wie an Familiengeschichten interessiert ist, sollte unbedingt dieses Buch lesen. Im Vordergrund steht thematisch die Verantwortung der damaligen Generation für die deutschen Gräueltaten. Im Fall von Franz treten noch Schuldgefühle an einem Geschehnis innerhalb der Familie hinzu. Das kleine Dorf und seine Bewohner sind ein getreues Abbild des Weltgeschehens und es finden sich dort so ziemlich alle Facetten, die typisch für Krieg und Nationalsozialismus waren. Während die Passagen betreffend Franz angenehm zu lesen waren, hatte ich mit denen von Astrid etwas Mühe. Sie – eine Biologin – ist sehr menschenscheu und nachdenklich. Ihr Denken dreht sich oft um Sein und Werden, um ursprüngliche Lebensformen in der Tierwelt. Der Bezug zur übrigen Geschichte erschloss sich mir nicht. Sehr schön fand ich, dass wörtliche Reden oft mundartlich wiedergegeben wurden, was authentisch wirkt.
Insgesamt vier Sterne.

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Veröffentlicht am 22.08.2021

Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte gegen Ende der DDR

Kairos
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Buchtitel und Cover passen haargenau auf den neuesten Roman von Jenny Erpenbeck. Kairos ist der griechische Gott des richtigen Augenblicks. Als genau solch einen Augenblick empfinden die 19jährige Katharina ...

Buchtitel und Cover passen haargenau auf den neuesten Roman von Jenny Erpenbeck. Kairos ist der griechische Gott des richtigen Augenblicks. Als genau solch einen Augenblick empfinden die 19jährige Katharina und der 34 Jahre ältere, verheiratete Schriftsteller Hans den Moment, in dem sie sich im Jahr 1986 zufällig auf einer Straße Ostberlins kennenlernen. Sie werden zum Liebespaar und können nicht ohne den anderen sein. Hans mag an Katharina deren kindliche Unschuld und gibt sich mit ihr masochistischen Sexpraktiken hin, Katharina fasziniert das Wissen des ihr an so viel Lebenserfahrung reicheren Hans und ist diesem fast hörig. Doch kann eine solche Beziehung gut gehen angesichts Hans Eifersucht auf jüngere Männer und seinem Hang, die Geliebte dafür zu bestrafen sowie Katharinas Kinderwunsch und ihrer zunehmenden Ungeduld, dass Hans seine Ehefrau verlassen möge? Jedenfalls fängt das anfängliche Glück an zu bröckeln und Hans zeigt seine wahre Fratze. Der Pappkarton vom Cover ist einer von zwei Kartons mit gesammelten Erinnerungsstücken aus der Beziehung, die Katharina später zugespielt werden und die für sie Anlass zur Rückschau sind.
Doch nicht nur die ungewöhnliche Liebesgeschichte hat mich in ihren Bann gezogen, sondern auch das geschichtliche Umfeld, in dem sie angesiedelt ist. Es sind wenige Jahre rund um die Wendezeit in der DDR. Im persönlichen Umfeld von Hans und Katharina gehören die meisten Personen zur seinerzeitigen geistigen Elite, so dass Vieles zur Wende aus deren Perspektive zu lesen ist.
Das Buch setzt hohe Ansprüche beim Lesen. In formeller Hinsicht fällt auf, dass wörtliche Reden nicht als solche kenntlich gemacht sind und Schachtelsätze nicht ungewöhnlich sind. Inhaltlich kommen viele Passagen hinzu, die die griechische Mythologie, literarische Werke bedeutender deutscher Dramatiker oder wichtige Musikstücke betreffen. Aber es lohnt sich wirklich, dieses Buch zu lesen.

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