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Veröffentlicht am 23.02.2023

Gelungener Heimatroman

Dschomba
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Die Autorin, aufgewachsen in dem oberösterreichischen Dorf Eferding, erzählt in diesem Roman die besondere Geschichte, die mit ihrer Heimatregion verbunden ist. Denn dort befand sich seit 1915 ein riesiges ...

Die Autorin, aufgewachsen in dem oberösterreichischen Dorf Eferding, erzählt in diesem Roman die besondere Geschichte, die mit ihrer Heimatregion verbunden ist. Denn dort befand sich seit 1915 ein riesiges Kriegsgefangenenlager für mehrere zehntausend Gefangene. Die an Krankheit elend Gestorbenen wurden auf einem nahen Lagerfriedhof begraben. Dort vermutet der Serbe Dragan Džomba die Überreste seines einst in den Krieg gezogenen Bruders, mit dem er sich kurz zuvor nach einem Streit nicht mehr hat versöhnen können. Džomba begibt sich 1954 nach Eferding und bleibt dort hängen, in einer Hütte auf dem ehemaligen Lagerfriedhof. Von vielen Einheimischen wird er misstrauisch beäugt und angefeindet, andere dagegen sind ihm freundlich zugetan. An seinem Trauma leidet er psychisch. Andere seiner neuen Bekannten haben andere schlimme Belastungen aus der Vergangenheit zu verarbeiten. In den 1970er Jahren trifft die kleine Gastwirtstochter (wohl die Autorin persönlich) auf einige der Personen, die 20 Jahre vorher auf Džomba trafen und kann nicht genug von den alten Geschichten hören, denen sie während ihrer Mithilfe im Gastraum bei Stammtisch, Leichenschmaus und Frühschoppen inbrünstig lauscht.
Die Geschichte ist sehr melancholisch und nachdenklich verfasst, dem ernsten Thema angemessen. Der besondere Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig (abgehackte Sätze, mit Verben beginnende Sätze) ebenso wie der eingestreute authentische oberösterreichische Dialekt und die besonderen österreichischen Vokabeln. Das und die liebevoll gezeichneten Portraits von den verschiedenen Dorfbewohnern sowie der interessante historische Hintergrund machen den Roman zu etwas wirklich Besonderem. Der jeweilige persönliche Hintergrund der Romanfiguren wird erst nach und nach aufgedeckt, so dass genug Raum bleibt, selbst Spekulationen hierzu anzustellen. Von der ländlichen Gegend vor 50 bis 70 Jahren wird ein so deutliches Bild gezeichnet, dass man sich quasi in das Geschehen hineinversetzt fühlt.
Das Buch erhält von mir eine volle Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 21.02.2023

Familienalltag realistisch dargestellt

Jahreszeit der Steine
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Scharfsinnig und detailgetreu erzählt der Autor – vermutlich autobiografisch – den Alltag seiner fünfköpfigen Familie in einem norddeutschen Dorf an nur einem einzigen Novembertag in der Zeit zwischen ...

Scharfsinnig und detailgetreu erzählt der Autor – vermutlich autobiografisch – den Alltag seiner fünfköpfigen Familie in einem norddeutschen Dorf an nur einem einzigen Novembertag in der Zeit zwischen einem Wachwerden am Morgen bis zum Schlafengehen. Er ist ein sehr moderner Vater, der seine Vaterrolle gleichberechtigt neben seiner Frau ausüben will, dabei aber meint, dass diese ihn darin hemmt, so dass an besagtem Tage viele Kränkungen in ihm hervorkochen, die er ohne Aussprache in sich hineinfrisst und erst am Abend kurz zur Sprache bringt. Bei sämtlichen seiner Aktivitäten an diesem Tage schweifen seine Gedankengänge immer ausführlich zurück auf seine eigene Kindheit in der DDR mit einem eigenen Vater, zu dem er ein problematisches Verhältnis gehabt hatte und dem er nie ähneln wollte. Weitere Überlegungen betreffen seinen beruflichen Werdegang. Der Alltag mit Kindern wird so realitätsgetreu dargestellt, dass sich jeder selbst erziehende Leser sicherlich darin wiederfinden wird. Faszinierend sind auch Hilles akribische Beobachtungen zu Vorkommnissen in der Natur oder zu Personen aus seinem persönlichen Umfeld. Damit erscheint dann allerdings der Ablauf eines einzelnen Tages als zu überfrachtet.
Sehr zu empfehlen für Leser von Beziehungsromanen.

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Veröffentlicht am 06.02.2023

Leichter Unterhaltungsroman

Was wir Glück nennen
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Diese Familiengeschichte bietet leichte Unterhaltung. Für jemanden wie mich, die eher anspruchsvollere Literatur mag, bietet sie allerdings doch manchen Kritikpunkt. Zu oft wird die patriarchalische Einstellung ...

Diese Familiengeschichte bietet leichte Unterhaltung. Für jemanden wie mich, die eher anspruchsvollere Literatur mag, bietet sie allerdings doch manchen Kritikpunkt. Zu oft wird die patriarchalische Einstellung des Familienvaters Hansen betont, wonach Frauen und damit auch seine begabte Tochter im Handwerksberuf des Restaurators nichts zu suchen haben. Mindestens ebenso viel, und damit für mich auch zu oft, dreht sich um den Lebenstraum der Tochter, als Restauratorin zu arbeiten. Was den Sohn angeht, erscheint mir sein rascher Karrieresprung zum erfolgreichen Musikproduzenten von Schlagern zu unrealistisch (bleibt übrigens die für mich unbeantwortet gebliebene Frage, wie er – völlig mittellos – seine vom Vater zertrümmerte Gitarre hat ersetzen können). Dem Liebesgeschichtenstrang haftet etwas leicht Kitschiges an – die Tochter wird so rasch glücklich mit dem Stadthistoriker, der für sie alles aufgibt, zwischen ihrem Bruder und Tochter aus reichem Hause entfacht sich eine kurze, folgenreiche Liebesbeziehung.
Das einzig Interessante für mich waren die Erklärungen zu den restaurierten Werken.

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Veröffentlicht am 01.02.2023

Politischer Roman

Zwischen Welten
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Wie schon in ihren früheren Romanen „Unter Leuten“ und „Über Menschen“ widmet sich Juli Zeh auch in ihrem neuesten Roman politischen Themen. Dieses Mal hat sie als Co-Autor Simon Urban mit ins Boot geholt ...

Wie schon in ihren früheren Romanen „Unter Leuten“ und „Über Menschen“ widmet sich Juli Zeh auch in ihrem neuesten Roman politischen Themen. Dieses Mal hat sie als Co-Autor Simon Urban mit ins Boot geholt und mit ihm zusammen einen modernen Briefroman verfasst, bestehend ausschließlich aus Messenger-Nachrichten und E-Mails, die äußerst rege und ausführlich zwischen den beiden Protagonisten ausgetauscht werden. Diese sind die an der Grenze ihrer Existenz lebende Brandenburger Landwirtin Theresa und der bei einer großen Hamburger Wochenzeitung als stellvertretende Chefredakteur tätige Journalist Stefan, die vor zwanzig Jahren in einer Studenten-WG lebten und sich dann aus den Augen verloren. Sie leben in völlig verschiedenen Welten. Wen wundert es da, dass sie in heftige schriftliche Schlagabtäusche geraten, die sehr aktuelle Themen betreffen – Klimapolitik, Gendersprache, Rassismus, Öko-Landwirtschaft, Schweinepest, Ukraine-Krieg und viele weitere polarisierende Fragen. Beider Standpunkte haben es wirklich in sich und beim Lesen kann ich eigentlich nur beiden zustimmen. Allerdings habe ich es als sehr anstrengend empfunden, ihren Disputen auf immerhin 450 Seiten folgen zu müssen, zumal sie wenig aufeinander eingehen, eher jeder die ihm eigenen Probleme in den Vordergrund rückt. Das Lesen erschwerend kommt hinzu, dass Stefan das Gendern konsequent durchzieht.
Für mich schon fast ein zu politisches Buch, das aber für entsprechend interessierte Leser interessant ist.

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Veröffentlicht am 27.01.2023

Familiengeschichte kunstvoll aufbereitet

Gleißendes Licht
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Der Roman trägt autobiografische Bezüge des Autors. Er selbst wie auch der Protagonist ist der in Deutschland aufgewachsene Sohn eines Deutschen und einer Türkin, die wiederum einen türkischen Vater und ...

Der Roman trägt autobiografische Bezüge des Autors. Er selbst wie auch der Protagonist ist der in Deutschland aufgewachsene Sohn eines Deutschen und einer Türkin, die wiederum einen türkischen Vater und eine armenische Mutter hat. Diese Großmutter verlor durch den Völkermord an den Armeniern 1915 ihre Familie, durch den der eigene Ehemann zu Reichtum kam. Diese kurze Wiedergabe des Inhalts zeigt schon, dass der Roman einen interessanten geschichtlichen und politischen Hintergrund hat. Er ist sehr kreativ gestaltet. Auf verschiedenen, nicht chronologischen Zeitebenen wird von wichtigen Episoden aus dem Leben der Familie erzählt. Das geschieht in recht gefühlsbetonter Weise. Nicht immer ist es allerdings leicht, den Text zu verstehen, insbesondere wenn es um Mythen geht, türkische Vokabeln oder die wirren Rachegedanken des Protagonisten am türkischen Präsidenten, der den Völkermord leugnet.
Zu empfehlen für Leser mit Interesse an der Türkei und den Armeniern.

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