Profilbild von virginiestorm_autorin

virginiestorm_autorin

Lesejury Star
offline

virginiestorm_autorin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit virginiestorm_autorin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.11.2019

Ein sehr aktueller, berührender Roman über die Suche nach Liebe

Das Girlfriend-Experiment
0

“Glaubst du, Liebe bemisst sich daran, wie traurig man wäre, wenn jemand sterben würde?”

Die Liebe ist schwer zu fassen.
Catherine Lacey beschreibt dieses einzigartige Gefühl, indem sie aufzeigt, was ...

“Glaubst du, Liebe bemisst sich daran, wie traurig man wäre, wenn jemand sterben würde?”

Die Liebe ist schwer zu fassen.
Catherine Lacey beschreibt dieses einzigartige Gefühl, indem sie aufzeigt, was die Liebe nicht ist. Mit feiner Ironie beschreibt sie den Schatten, um das Licht greifbarer zu machen.

“Das Girlfriend-Experiment” ist kein “schöner” Roman. Viele Passagen sind traurig oder schmerzhaft. Doch er hat mich auf eigenartige Weise sehr berührt. Er fasst das in Worte, was derzeit passiert - in welche Richtung sich Wissenschaft und Gesellschaft entwickeln; zeigt, was Frauen empfinden und was Männer wollen. Es ist beruhigend zu wissen, dass ich nicht allein so empfinde.
Der Roman erinnert mich auch daran, wie Eva Illouz in “Warum Liebe weh tut”, die Liebe in den Zeiten der Moderne beschreibt. Er weist auf Machtverhältnisse und Unvereinbarkeiten hin.

Der Roman wirft viele Fragen zur Liebe auf.
Lässt sie sich kaufen, schauspielern, artifiziell erzeugen?
Die Protagonisten schildern ihre Erwartungen, ihre Gedanken und Enttäuschungen.
Am Ende des Experiments kennen wir die Antworten.
Nachvollziehbar, dass der englische Titel des Romans “The Answers” lautet.

Der Einstieg ins Buch war sehr merkwürdig und ich war skeptisch, ob es mir gefallen würde. Mary, machte eine obskure Art der Körpertherapie, weil sie diverse Probleme hatte.
Schnell wurde die Handlung für mich jedoch interessant. Um sich das Geld für ihre Therapie zu verdienen, bewarb Mary sich für ein soziales Experiment. Wobei es sich weniger um einen “Job im eigentlichen Sinne handele, sondern eher um eine einkommensschaffende Erfahrung”, wie ihr erklärt wurde.

Ich möchte so wenig wie möglich über die Protagonisten erzählen, da es spannend war, die Vergangenheit und die Motive der Personen beim Lesen zu entdecken. Die Charaktere sind realistisch gezeichnet und ich konnte mich mit ihnen und ihren Erfahrungen und Wünschen sehr gut identifizieren. Die Autorin fasst in Worte, wie Frauen das moderne Beziehungsleben empfinden.

“Früher habe ich dich immer vermisst, wenn du verreist warst, aber jetzt vermisse ich dich, wenn ich dich anschaue, wenn du hier bei mir bist.”

Neben Mary, folgen wir weiteren Figuren.
Die toughe Ashley boxt, um sich stark fühlen zu können:
“Der einzige Rat ihres Vaters war zwei Jahre alt – Jungen wollen alle nur das eine, aber das wusste sie schon, und zwar besser als er.”
“Diese Männer (...) – wussten sie nicht, dass eine Frau sein so viel hieß wie im Krieg sein?”

Wer ist Kurt Sky, dieser prominente Mann, der mehrere Frauen für seine unterschiedlichen Bedürfnisse einstellt?
Er verkörpert einen typischen Vertreter des Zeitgeistes - das diametrale Gegenteil von Mary. Und seine Beweggründe für das Experiment sind sogar verständlich.

Hinweis: Die Schreibweise war etwas ungewohnt, da die wörtliche Rede nicht in Anführungszeichen gesetzt, sondern kursiv geschrieben ist.

Es gab so viele passende Sätze im Buch, die ich mir markiert habe.
Ich muss das Buch unbedingt nochmal lesen!

Ein moderner Roman, der die Liebe darstellt, indem er aufzeigt, was sie nicht ist.
Das Buch hat mich, auch lange nachdem ich es beendet hatte, weiter beschäftigt.
Leseempfehlung!!

“Werde ich irgendwann einmal nicht mehr erstaunt sein, was Menschen sich alles ausdenken, um das Leben zur Hölle zu machen?”

Veröffentlicht am 25.11.2019

Ich bin begeistert - entlarvend, unterhaltsam und grandios geschrieben

Außer Atem
0

"Sucht nicht nach mir."
Alma, gerade volljährig geworden, ist verschwunden.

"Sucht nicht nach mir." Wie ein Mantra wiederholt ihre Mutter Inga, eine Yogalehrerin, den Satz, den Alma per Mail geschickt ...

"Sucht nicht nach mir."
Alma, gerade volljährig geworden, ist verschwunden.

"Sucht nicht nach mir." Wie ein Mantra wiederholt ihre Mutter Inga, eine Yogalehrerin, den Satz, den Alma per Mail geschickt hat.
Anfänglich noch entspannt, beginnt Inga sich bald Sorgen zu machen. Sie informiert die Polizei und stellt eigene Nachforschungen an.

"Wie war es möglich, dass man als Eltern gar keine Rechte hatte? Nur weil das Kind volljährig war.”

Neben der Suche nach ihrer Tochter, begleiten wir Inga zu Einzelstunden bei Yogaschülern und lernen ihren Exmann kennen, der inzwischen mit einer neuen Partnerin zusammenlebt. Und dann ist da noch ein rätselhafter Todesfall.

“Ich bin Lehrerin, ich bin den ganzen Tag auf den Beinen, und abends, da bin ich zu müde. Woher soll ich da noch die Kraft nehmen, jemanden umzubringen?”

Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen. Mit Ironie und scharfem Blick führt uns Rübesamen hinter die leuchtende Fassade der Yogaszene. Sie beschreibt ihre Figuren mit großer Menschenkenntnis und Liebe.
Teilweise hatte ich das Lese-Feeling eines sehr intelligent geschriebenen Klatschblattes. Denn wir alles lieben es doch, zu entdecken, dass unsere strahlenden Vorbilder, nicht so perfekt sind, wie es immer scheint. Dann fühlen wir uns nicht ganz so schwach und undiszipliniert.
Außerdem gibt es noch eine kleine Besonderheit zu entdecken. Eine raffinierte Überraschung der Autorin, die sich erst beim Lesen entfaltet, die ich jetzt aber noch nicht verraten möchte.

Ein vielschichtiger Roman über die Yogaszene, menschliche Schwächen und das Loslassen.

Veröffentlicht am 22.11.2019

Ein zauberhafter, biografischer Roman über Michael Endes Leben

Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit
0

Bastian, Jim Knopf, Momo, die grauen Herren - Michael Ende hat so viele faszinierende Charaktere und fantastische Welten erdacht.

Fast alle kennen die Bücher, doch wenige kannte den Menschen Michael Ende.
Was ...

Bastian, Jim Knopf, Momo, die grauen Herren - Michael Ende hat so viele faszinierende Charaktere und fantastische Welten erdacht.

Fast alle kennen die Bücher, doch wenige kannte den Menschen Michael Ende.
Was hat ihn zu seinen Ideen inspiriert?
Mit wem teilte er sein Leben?
Ähnelte seine Kindheit der von Bastian Balthasar Bux aus “Die unendliche Geschichte”?

Die Autorin Charlotte Roth hat einen zauberhaften, biografischen Roman über den beliebten Geschichtenerzähler geschrieben. Ende hat unzählige Kinder und Erwachsene auf der ganzen Welt begeistert. Doch er selbst fühlte sich oft nicht verstanden, nicht erkannt, ausgeschlossen.

1929 geboren, wuchs Michael Ende kurz vor dem Krieg auf. Sein Vater war surrealistischer Maler und das Leben der Familie Ende war geprägt von Entbehrung. Was dagegen immer im Überfluss vorhanden war, war Fantasie und Freunde und die Liebe seiner Eltern.

Wir folgen Michael Ende zu den verschiedenen Stationen seines Lebens: das Theaterspielen als junger Mann; die Verzweiflung, als Autor keinen Anklang zu finden; dann der Durchbruch mit “Jim Knopf”; seine Ehe und das Leben in Italien.

Es geht um Beziehungen, sein Schreiben, Neuanfänge, Betrug und auch um Krankheit und den Tod.
Aber wie Michael Ende vielleicht gesagt hätte:
“Ich werde nicht mehr hier sein. Nur woanders.”

Charlotte Roths Erzählsprache hat mir sehr gut gefallen. In jedem ihrer Sätze spürt man die Liebe zu Endes Figuren. Viele Gedanken und Motive aus seinen Büchern sind in die Handlung eingewoben.

Man kann erahnen, was Ende zu dem Autor gemacht hat, der er war und welchen Einfluss seine Kindheit, seine Beziehungen und Freundschaften auf ihn und somit auch seine Bücher hatten.

Ein poetisches, zuweilen auch sehr melancholisches Buch über den großen Autor und fantasievollen Menschen Michael Ende, der am 12.11.2019 90 Jahre alt geworden wäre.

Veröffentlicht am 21.11.2019

Ein autobiografischer Roman über das Erwachsenwerden in den 50ern und die Kraft der Träume

Die Schneekönige von Coalwood
0

Der Autor Homer “Sonny” Hickam gründete als Jugendlicher mit seinen Freunden die “Big Creek Missile Agency” und tüftelte an kleinen Raketen. Sein großer Traum war es, später in Cape Canaveral zu arbeiten.
Zusammen ...

Der Autor Homer “Sonny” Hickam gründete als Jugendlicher mit seinen Freunden die “Big Creek Missile Agency” und tüftelte an kleinen Raketen. Sein großer Traum war es, später in Cape Canaveral zu arbeiten.
Zusammen mit seinem Vater (der der Leiter der örtlichen Zeche war), seiner Mutter Elsie und dem älteren Bruder Jim, lebte er in Coalwood in West Virginia.

In “Die Schneekönige von Coalwood” erzählt Hickam von seinem letzten Jahr an der High-School, dem letzten Jahr zusammen mit seinen Freunden und seiner Familie, dem letzten Weihnachtsfest als Kind.
Er berichtet von seinem schweigsamen, distanzierten Vater und seiner herzlichen doch resoluten Mutter. Er schreibt über die Rivalität mit seinem Bruder, den der Vater vorzuziehen scheint.

Sonny fühlt sich unglücklich, weiß aber nicht, was er dagegen tun soll. Sein Freund Quentin schlägt ihm vor, alles zu notieren, was ihn bedrückt:
»Auf diese Weise erhältst du eine nette kleine Liste. Nach einer Weile wirst du mit all deinen Beschwerden eine kritische Masse erreichen und in der Lage sein, sie intellektuell und logisch zu ergründen. (...)«

Beim Lesen, dachte ich noch, wie echt mir die Charaktere vorkamen, wie passend die Namen seiner Freunde klangen: Roy Lee, Quentin, Sherman, Jimmy. Eben habe ich bei wikipedia gelesen, dass diese Personen real sind und der Autor tatsächlich in Coalwood aufgewachsen ist und mit seinen Kumpels Raketen gezündet hat.

Die Erzählstimme ist schlicht, aber lebendig. Man schmeckt förmlich den Kohlestaub in der Luft, riecht die frischen Tannenzweige, die fürs Weihnachtsfest geschlagen werden, und hört dazu die Songs der damaligen Zeit (wie “All I have to do is dream” von den Everly Brothers).
Wir lesen von Raketenstarts; vom großen Umzug zum Veterans Day, bei dem Sonny als Trommler mitmarschiert; dem Abschlussball; vom Wandel im Kohleabbau und dem Kampf der Gewerkschaften. Vor allem lesen wir aber von seiner Familie, dem Leben in einer kleinen Bergarbeiterstadt und vom Kampf des Erwachsenwerdens.

Ich habe das Gefühl, dass das Feeling des Buches nicht so ganz im Cover und im Klappentext rüberkommt. Das Buch empfinde ich als humorvoll und unterhaltsam geschrieben, und ich glaube es wäre auch ein großartiges Geschenk für männliche Leser. Es erinnert mich an Stephen King, wie er in “Stand by me” und “Es” von einer Gruppe von Jungen in den 50/60ern erzählt, die zusammen Abenteuer erleben - nur ohne Grusel.

1981 erfüllte sich der Traum des Autors Homer Hickam. Er arbeitete als Ingenieur bei der NASA.
1998 wurde er hauptberuflicher Schriftsteller. Seitdem hat er eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Für seinen autobiografischen Roman “Rocket Boys” erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Das Buch wurde unter dem Titel “October Sky” mit Jake Gyllenhaal, Chris Cooper und Laura Dern verfilmt.

Ein großartiger, humorvoller Roman über das Erwachsenwerden, große Träume und eine lange vergangene Zeit.

Veröffentlicht am 19.11.2019

Unterhaltsamer Roman mit einer lebensfrohen Protagonistin

Die vollkommene Lady
0

»Er hatte sie von ihrer sonnigen Mauer der Selbstzufriedenheit heruntergescheucht, er hatte ihr gezeigt, dass ihre Darstellung einer Dame nicht so überzeugend war, wie sie geglaubt hatte.«

London in den ...

»Er hatte sie von ihrer sonnigen Mauer der Selbstzufriedenheit heruntergescheucht, er hatte ihr gezeigt, dass ihre Darstellung einer Dame nicht so überzeugend war, wie sie geglaubt hatte.«

London in den 30ern - Julia Packett lebt in den Tag hinein und genießt ihr Leben, soweit ihre Finanzen dies zulassen. Nach sechzehn Jahren hört sie das erste Mal wieder von ihrer Tochter Susan. Diese möchte unbedingt heiraten, benötigt dazu jedoch das Einverständnis ihrer Mutter.
Julia reist flugs nach Frankreich. Sie hat sich fest vorgenommen, als vollkommene Dame aufzutreten, um ihre Tochter zu beeindrucken. Während Julia gern äußerst kreative Geschichten erfindet, um ihre Ziele zu erreichen, ist Susan das komplette Gegenteil ihrer Mutter - verantwortungsbewusst und idealistisch.

Auf den ersten Blick erkennt Julia sich in dem Verlobten wieder. Bryan ist genauso abenteuerlustig wie sie und somit nicht für ein Eheleben geeignet. Als Mutter setzt sie sich in den Kopf, Susan vor einem falschen Schritt zu bewahren.
Unglücklicherweise hat Bryan Julias vornehme Fassade durchschaut und beginnt sie zu provozieren.
Wer wird wen als erstes enttarnen?
Als auch noch Susans Vormund anreist, ist das Chaos komplett. Julia fühlt sich von dem distinguierten Sir William Waring angezogen, und es fällt ihr immer schwerer, ihre Rolle überzeugend weiterzuspielen.

Die Autorin Margery Sharp hat den Roman 1937 geschrieben. Viele ihrer Romane wurden Bestseller und sogar verfilmt. Bekannt ist sie ebenfalls als Autorin der Kinderbücher der Reihe “Bernhard und Bianca”.

Sharp hat Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein könnten, in einer Luxusvilla in Frankreich platziert. Mit herrlich trockenem Tonfall beschreibt sie den Fortgang der Ereignisse.
Die unbeschwerte Julia sieht die Welt als ihren Spielplatz. Sie ist eine Schnorrerin und Geschichtenerzählerin (höflich ausgedrückt für eine Lügnerin) mit manchmal erstaunlichen Anwandlungen von Verantwortung und Liebenswürdigkeit. Über die Jahre hat sie einiges an Lebenserfahrung erworben und möchte diese an ihre Tochter weitergeben.

Meine Gefühle dem Roman und Julia gegenüber sind ambivalent. Einerseits sprechen einige Passagen von großer Menschenkenntnis und beschreiben die damalige Gesellschaft und ihre Vorurteile. Die Protagonisten sind zudem sehr geschickt konstruiert, denn sie spiegeln sich gegenseitig in ihren Fehlern und Tugenden.
Andererseits ist Julia, für eine fast vierzigjährige Frau, bisweilen unverfroren selbstzentriert und verantwortungslos. Hier wandelt die Autorin auf einer feinen Linie zwischen Humor und Ernst. Denn nicht immer kann ich Julia mit liebevollem Blick betrachten. Vielleicht ähnele ich darin Susan - ich bin zu kritisch. ;) Oder es liegt daran, dass ich nicht einschätzen kann, wie die Autorin etwas meinte, als sie den Roman vor über 80 Jahren geschrieben hat. Julia nennt Männer “privilegiertes Geschlecht” und macht sich Sorgen um ihre Figur - ist das Ironie? Der Schreibstil Margery Sharps hat mir jedoch so gut gefallen, dass ich gerne noch ein anderes ihrer Bücher lesen würde.

Ein humorvoller Roman, der nicht immer ganz ernst genommen werden sollte und trotzdem erstaunliche Wahrheiten enthält.