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Veröffentlicht am 15.10.2019

Welcher Charakter wärst du gewesen?

Metropol
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“Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer etwas glauben will, findet einen Weg! Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt.”

Der ...

“Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer etwas glauben will, findet einen Weg! Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt.”

Der Autor Eugen Ruge erzählt die Geschichte seiner Großmutter Charlotte.
Was harmlos klingt, wird beklemmend, wenn man die historischen Hintergrund erfährt.

Die deutsche Kommunistin Lotte Germaine ist vor den Nationalsozialisten in die Sowjetunion geflohen. Zunächst arbeitet sie für den Nachrichtendienst Kommintern, gerät jedoch plötzlich selbst ins Visier der Fahnder. Während der Überprüfung werden sie und ihr Mann Wilhelm im berühmten Hotel “Metropol” untergebracht. Erst nach und nach erfährt sie, was ihr zur Last gelegt wird.

Das Hotel Metropol wurde um die Jahrhundertwende im Jugendstil erbaut. Wie andere große Bürgerhäuser wurde es 1918 beschlagnahmt und in ein Haus der Sowjets umfunktioniert.
Gespenstisch, die kargen Mahlzeiten im luxuriösen Saal des Hotels, bei dem die Anwesenden jeden Tag unauffällig nachzählen, ob wieder einer von ihnen verschwunden ist.

Neben Charlotte erzählt der Roman von zwei weiteren Hauptpersonen.

Wassili Wassiljewitsch Ulrich, war der vorsitzender Richter des Schauprozesses im Jahr 1937. In den Moskauer Prozessen von 1936 bis 1938, entledigte sich Stalin seiner vormals engsten Parteifreunde, um seine Alleinherrschaft zu sichern. Tausende von Volksfeinden wurden über die Jahre zum Tode verurteilt oder in Umerziehungslager gesteckt.

“Wenn man einmal drin ist in der Mühle, dann ist es aus. Sagt nicht Puschkin so was Ähnliches? Oder war das Goethe? Es gibt einen Punkt, wo man einfach nicht mehr zurückkann, so ungefähr, nur, dass es sich reimt. Und auch er, Wassili Wassiljewitsch, kann nicht mehr zurück. Er muss weitermachen, weitermachen …”

“Vierhundert Urteile am Tag. Wassili Wassiljewitsch versucht, vierhundert Urteile durch zwölf Arbeitsstunden zu teilen. Sagen wir siebenunddreißig in der Stunde, das heißt weniger als zwei Minuten pro Urteil. Nein, das ist irgendwie nicht seriös.”

Der dritte Handlungsstrang erzählt von Hilde, ihrem Mann Julius und der kleinen Tochter Sina. Sina ist bereits indoktriniert, und die Eltern haben Angst, dass das Kind unbedarft etwas ausplaudert.


Die Erzählstimme des Autors hat mir sehr gut gefallen, ebenso wie seine lakonischen Witze, die den verborgenen Stachel der Ideologie mit einem Lächeln präsentieren.

“Immer mehr Moskauerinnen schminken sich oder färben sich die Haare, und irgendwann begann auch Charlotte, sich zu fragen, ob ihre Abneigung gegen Kosmetik vielleicht ihrer preußisch-protestantischen Erziehung entstamme und also zu überwinden sei.”

Der Terror drang bis ins Privatleben vor.
Make-up und Kleidung. Sex und Seitensprünge (Ist Eifersucht mit dem kommunistischen Ideal vereinbar?).
Man hatte Angst vor jedem falschen Wort. Auch damals schon die Verwirrung, ob bestimmte Begriffe politisch korrekt sind und der herrschenden Ideologie entsprechen. “Menschenmaterial” darf man das sagen? “Das Menschenmaterial aus dem der Sozialismus erbaut werden sollte.”

Erschreckend, wie leicht gesagt wurde “Wir säubern die Partei.” und damit der Tod von Menschen gemeint war.

Das tägliche Leben bestand aus Schlange stehen für Grundnahrungsmittel und warme Stiefel.
“Von hier aus könnte sie mit der Straßenbahn bis Ochotny rjad fahren, aber sie geht lieber zu Fuß, auch wenn Straßenbahnfahren in Russland auf Dauer glatt billiger ist als Schuhe besohlen.”

Dazwischen immer neue Rekordmeldungen in der Prawda: Produktion um 20% gesteigert, Tausende neuer Häuser gebaut… neue Stadien, Schwimmbäder, Metrostationen. Alles was nicht gut lief, wurde auf die Sabotageakte der Trotzkisten geschoben. Selbst die schlechte Übertragungsqualität einer Radiosendung.

Ruge schafft mit wenigen Andeutungen eine bedrückende Atmosphäre. Die ständig verstopften Toiletten deuten daraufhin, dass man versuchte belastendes Material loszuwerden.
Und die fehlenden Hunde auf Moskaus Straßen… Was bedeuten sie?

Dazu die ständigen Selbstüberprüfungen: Habe ich etwas falsch gemacht? Verkehre ich mit den falschen Personen?
Denn der Ideologie nicht zu folgen, bedeutete sich in endlosen Briefen an die Partei rechtfertigen zu müssen, Besserung zu geloben und zu hoffen, nicht irgendwann von den Männern in Lederjacken abgeholt zu werden.

Nach den Zweifeln folgen die Rechtfertigungen vor sich selbst:
Dass die Todesstrafe ab dem zwölften Lebensjahr eingeführt wurde, musste ja seinen Grund haben, fand Charlotte.
Und wenn selbst Lion Feuchtwanger Stalin und die Schauprozesse verteidigte, dann hatte doch alles, seine Ordnung, oder? (Feuchtwanger war Autor des regimekritischen Romans (nicht des Films!) “Jud Süß”.)

Es gab die, die profitierten, die die mitschwammen und den Kopf einzogen, die, die glaubten und die, die starben.

Die anderen “machten weiter” nach dem Schrecken. Spielten Normalität, obwohl sie innerlich vor Angst zitterten.

Der Autor Eugen Ruge schreibt im Nachwort: “Ich weiß nicht, was meine Großmutter wirklich gedacht hat. Ich erfinde, ich unterstelle, ich probiere aus, denn nichts anderes heißt Erzählen: ausprobieren, ob es tatsächlich so gewesen sein könnte.”

Ruges Roman ermöglicht es uns, uns in verschiedene Charaktere hineinzuversetzen, um nachvollziehen zu können, wie schnell man selbst Opfer oder Unterstützer eines Systems aus Terror werden kann.

Veröffentlicht am 15.10.2019

Welcher Charakter wärst du gewesen?

Metropol
0

“Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer etwas glauben will, findet einen Weg! Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt.”

Der ...

“Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer etwas glauben will, findet einen Weg! Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt.”

Der Autor Eugen Ruge erzählt die Geschichte seiner Großmutter Charlotte.
Was harmlos klingt, wird beklemmend, wenn man die historischen Hintergrund erfährt.

Die deutsche Kommunistin Lotte Germaine ist vor den Nationalsozialisten in die Sowjetunion geflohen. Zunächst arbeitet sie für den Nachrichtendienst Kommintern, gerät jedoch plötzlich selbst ins Visier der Fahnder. Während der Überprüfung werden sie und ihr Mann Wilhelm im berühmten Hotel “Metropol” untergebracht. Erst nach und nach erfährt sie, was ihr zur Last gelegt wird.

Das Hotel Metropol wurde um die Jahrhundertwende im Jugendstil erbaut. Wie andere große Bürgerhäuser wurde es 1918 beschlagnahmt und in ein Haus der Sowjets umfunktioniert.
Gespenstisch, die kargen Mahlzeiten im luxuriösen Saal des Hotels, bei dem die Anwesenden jeden Tag unauffällig nachzählen, ob wieder einer von ihnen verschwunden ist.

Neben Charlotte erzählt der Roman von zwei weiteren Hauptpersonen.

Wassili Wassiljewitsch Ulrich, war der vorsitzender Richter des Schauprozesses im Jahr 1937. In den Moskauer Prozessen von 1936 bis 1938, entledigte sich Stalin seiner vormals engsten Parteifreunde, um seine Alleinherrschaft zu sichern. Tausende von Volksfeinden wurden über die Jahre zum Tode verurteilt oder in Umerziehungslager gesteckt.

“Wenn man einmal drin ist in der Mühle, dann ist es aus. Sagt nicht Puschkin so was Ähnliches? Oder war das Goethe? Es gibt einen Punkt, wo man einfach nicht mehr zurückkann, so ungefähr, nur, dass es sich reimt. Und auch er, Wassili Wassiljewitsch, kann nicht mehr zurück. Er muss weitermachen, weitermachen …”

“Vierhundert Urteile am Tag. Wassili Wassiljewitsch versucht, vierhundert Urteile durch zwölf Arbeitsstunden zu teilen. Sagen wir siebenunddreißig in der Stunde, das heißt weniger als zwei Minuten pro Urteil. Nein, das ist irgendwie nicht seriös.”

Der dritte Handlungsstrang erzählt von Hilde, ihrem Mann Julius und der kleinen Tochter Sina. Sina ist bereits indoktriniert, und die Eltern haben Angst, dass das Kind unbedarft etwas ausplaudert.


Die Erzählstimme des Autors hat mir sehr gut gefallen, ebenso wie seine lakonischen Witze, die den verborgenen Stachel der Ideologie mit einem Lächeln präsentieren.

“Immer mehr Moskauerinnen schminken sich oder färben sich die Haare, und irgendwann begann auch Charlotte, sich zu fragen, ob ihre Abneigung gegen Kosmetik vielleicht ihrer preußisch-protestantischen Erziehung entstamme und also zu überwinden sei.”

Der Terror drang bis ins Privatleben vor.
Make-up und Kleidung. Sex und Seitensprünge (Ist Eifersucht mit dem kommunistischen Ideal vereinbar?).
Man hatte Angst vor jedem falschen Wort. Auch damals schon die Verwirrung, ob bestimmte Begriffe politisch korrekt sind und der herrschenden Ideologie entsprechen. “Menschenmaterial” darf man das sagen? “Das Menschenmaterial aus dem der Sozialismus erbaut werden sollte.”

Erschreckend, wie leicht gesagt wurde “Wir säubern die Partei.” und damit der Tod von Menschen gemeint war.

Das tägliche Leben bestand aus Schlange stehen für Grundnahrungsmittel und warme Stiefel.
“Von hier aus könnte sie mit der Straßenbahn bis Ochotny rjad fahren, aber sie geht lieber zu Fuß, auch wenn Straßenbahnfahren in Russland auf Dauer glatt billiger ist als Schuhe besohlen.”

Dazwischen immer neue Rekordmeldungen in der Prawda: Produktion um 20% gesteigert, Tausende neuer Häuser gebaut… neue Stadien, Schwimmbäder, Metrostationen. Alles was nicht gut lief, wurde auf die Sabotageakte der Trotzkisten geschoben. Selbst die schlechte Übertragungsqualität einer Radiosendung.

Ruge schafft mit wenigen Andeutungen eine bedrückende Atmosphäre. Die ständig verstopften Toiletten deuten daraufhin, dass man versuchte belastendes Material loszuwerden.
Und die fehlenden Hunde auf Moskaus Straßen… Was bedeuten sie?

Dazu die ständigen Selbstüberprüfungen: Habe ich etwas falsch gemacht? Verkehre ich mit den falschen Personen?
Denn der Ideologie nicht zu folgen, bedeutete sich in endlosen Briefen an die Partei rechtfertigen zu müssen, Besserung zu geloben und zu hoffen, nicht irgendwann von den Männern in Lederjacken abgeholt zu werden.

Nach den Zweifeln folgen die Rechtfertigungen vor sich selbst:
Dass die Todesstrafe ab dem zwölften Lebensjahr eingeführt wurde, musste ja seinen Grund haben, fand Charlotte.
Und wenn selbst Lion Feuchtwanger Stalin und die Schauprozesse verteidigte, dann hatte doch alles, seine Ordnung, oder? (Feuchtwanger war Autor des regimekritischen Romans (nicht des Films!) “Jud Süß”.)

Es gab die, die profitierten, die die mitschwammen und den Kopf einzogen, die, die glaubten und die, die starben.

Die anderen “machten weiter” nach dem Schrecken. Spielten Normalität, obwohl sie innerlich vor Angst zitterten.

Der Autor Eugen Ruge schreibt im Nachwort: “Ich weiß nicht, was meine Großmutter wirklich gedacht hat. Ich erfinde, ich unterstelle, ich probiere aus, denn nichts anderes heißt Erzählen: ausprobieren, ob es tatsächlich so gewesen sein könnte.”

Ruges Roman ermöglicht es uns, uns in verschiedene Charaktere hineinzuversetzen, um nachvollziehen zu können, wie schnell man selbst Opfer oder Unterstützer eines Systems aus Terror werden kann.

Veröffentlicht am 15.10.2019

Die Begegnung zweier unterschiedlicher Frauen in einer Umbruchphase ihres Lebens

Ein dänischer Winter
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Wer kennt sie nicht, die Szene in der Robert Redford Meryl Streep in “Jenseits von Afrika” die Haare wäscht? Oder wenn beide im Propellerflugzeug über die grünen Ebenen fliegen?
Der Film beruht auf dem ...

Wer kennt sie nicht, die Szene in der Robert Redford Meryl Streep in “Jenseits von Afrika” die Haare wäscht? Oder wenn beide im Propellerflugzeug über die grünen Ebenen fliegen?
Der Film beruht auf dem Roman von Karen Blixen. Die Dänin war 1913 mit ihrem Mann nach Afrika ausgewandert. Trotzdem besuchte sie regelmäßig ihre Mutter zu Hause in Kopenhagen.

Die Novelle "Ein dänischer Winter” von Sanne Jellings erstreckt sich über sechs Tage im Dezember des Jahres 1929. Die Charaktere, Konflikte und Handlungen beruhen auf den Briefen und dem Werk Blixens sowie ihrer Biografie, wie Jellings im Nachwort erklärt.

Zum Inhalt:
Karen Blixen verbringt die Weihnachtsfeiertage auf dem Hof ihrer Familie. Sie leidet unter den Nachwirkungen der Syphilis und macht sich zudem Sorgen um das Fortbestehen ihrer Farm in Afrika.

Minna Kasparsson ist eine achtzehnjährige Frau, die gerade ihre Stellung verloren hat. Um ihre Mutter und ihre Schwester versorgen zu können, wird sie Hausmädchen auf dem Hof der Blixens.

Obwohl beide Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stammen, finden sie Gemeinsamkeiten, die sie verbinden.

Laut Wikipedia ist Karen Blixens Werk von der Sehnsucht nach einer aristokratischen Weltordnung geprägt. Dies tritt auch in einigen Szenen der Novelle klar hervor. Obwohl von Sanne Jellings realistisch beschrieben, macht es Karen Blixen für mich unsympathisch.
Zum Beispiel beklagt sich Blixen bei Minna, dass sich die Wäscheberge türmen, weil sie zu wenig Angestellte haben. Blixen zieht offensichtlich eine klare Trennlinie zwischen Herrschaft und Dienerschaft:
“Sie dachte an Farah, den stattlichen Somali, der mit seiner Rolle so untrennbar verwachsen war und damit auch mit ihr selbst, denn ein Diener war nichts ohne seinen Herrn. Farah gelang es, diesen Umstand als Selbstverständlichkeit zu betrachten und Stolz daraus zu beziehen.”

Andererseits biedert sich Blixen bei Minna an: «Sie sind arm, du lieber Himmel! Ich bin auch arm.» Auf den ungläubigen Blick des Mädchens hin fügte sie hinzu: «Die Armut ist die größte Freiheit. Auch wenn das auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussieht. Ich sage Ihnen, wirklich schlimm ist es, ein moderates Auskommen zu haben, ein Bürger zu sein. So ein Leben nimmt einem die Luft zum Atmen. Das Proletariat atmet freier, ihm gehört die Zukunft. Man muss entweder märchenhaft reich sein oder arm wie ein Bettler. Sie und ich, wir haben nichts zu verlieren. Und so sollten wir auch leben, Minna, als hätten wir nichts zu verlieren.»
Minna hatte es die Sprache verschlagen.
«Ich gebe zu, natürlich ist die Armut auch ein gewisses Hindernis, man selbst zu sein. Trotzdem ist das Einzige, was wir brauchen, Phantasie», sagte sie bedächtig. «Wer Phantasie hat, kann alles werden. (...)»

Bei den Worten hat es mir ebenfalls die Sprache verschlagen. Fast hätte ich das Buch abgebrochen. Ich fand die Äußerung Blixens vermessen, und sie klang zu sehr nach dem heutigen, zu eindimensionalen, neoliberalen Weltbild (Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst und dich anstrengst.).

Danach folgten jedoch noch einige kluge Gedanken zu Liebe und Unabhängigkeit. Blixen gibt an die junge Frau weiter, was das Leben sie bisher gelehrt hat und ermutigt Minna, ihren eigenen Weg zu gehen.

Jellings wirft zusätzlich aus der Perspektive des Personals einen Blick auf die Familie Blixen und die damalige Gesellschaftsstruktur.

Der Prolog und der Epilog spielen in Kenia. Der Kontrast des winterlichen Kopenhagens mit der Weite und Hitze Afrikas bilden einen klaren Rahmen und integrieren die Geschichte in den bekanntesten Teil von Blixens Leben.

Es fällt mir schwer, ein klares Resümee aus dem Gelesenen zu ziehen.
Blixen, die selbst unabhängig sein wollte, hatte kein Problem mit der Kolonialisierung. Ihre eigene höhere gesellschaftliche Position stellte sie nie in Frage, kritisierte aber gleichzeitig die noch bessere Stellung der Männer. Diesen Widerspruch scheint sie nicht erkannt zu haben.

Vergleicht man die damalige Gesellschaft mit der heutigen, fällt auf, dass es inzwischen große Veränderungen gegeben hat, einige Weltanschauungen im Kern jedoch gleich geblieben sind.

Die Gespräche mit Blixen eröffnen Minna eine neue Perspektive, und sie entwickelt den Wunsch dem Leben ihren eigenen Stempel aufzudrücken, statt dem Weg des Vaters oder des Ehemannes zu folgen.

«Meinen Sie», fragte sie, «man kann heiraten und sich trotzdem treu bleiben?»

Eine gut erzählte Geschichte, die uns die weltberühmte Autorin Karen Blixen und ihre Lebenseinstellung näherbringt und uns ermutigt, jeden Tag als neues Abenteuer zu sehen.

Veröffentlicht am 15.10.2019

Die Begegnung zweier unterschiedlicher Frauen in einer Umbruchphase ihres Lebens

Ein dänischer Winter
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Wer kennt sie nicht, die Szene in der Robert Redford Meryl Streep in “Jenseits von Afrika” die Haare wäscht? Oder wenn beide im Propellerflugzeug über die grünen Ebenen fliegen?
Der Film beruht auf dem ...

Wer kennt sie nicht, die Szene in der Robert Redford Meryl Streep in “Jenseits von Afrika” die Haare wäscht? Oder wenn beide im Propellerflugzeug über die grünen Ebenen fliegen?
Der Film beruht auf dem Roman von Karen Blixen. Die Dänin war 1913 mit ihrem Mann nach Afrika ausgewandert. Trotzdem besuchte sie regelmäßig ihre Mutter zu Hause in Kopenhagen.

Die Novelle "Ein dänischer Winter” von Sanne Jellings erstreckt sich über sechs Tage im Dezember des Jahres 1929. Die Charaktere, Konflikte und Handlungen beruhen auf den Briefen und dem Werk Blixens sowie ihrer Biografie, wie Jellings im Nachwort erklärt.

Zum Inhalt:
Karen Blixen verbringt die Weihnachtsfeiertage auf dem Hof ihrer Familie. Sie leidet unter den Nachwirkungen der Syphilis und macht sich zudem Sorgen um das Fortbestehen ihrer Farm in Afrika.

Minna Kasparsson ist eine achtzehnjährige Frau, die gerade ihre Stellung verloren hat. Um ihre Mutter und ihre Schwester versorgen zu können, wird sie Hausmädchen auf dem Hof der Blixens.

Obwohl beide Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stammen, finden sie Gemeinsamkeiten, die sie verbinden.

Laut Wikipedia ist Karen Blixens Werk von der Sehnsucht nach einer aristokratischen Weltordnung geprägt. Dies tritt auch in einigen Szenen der Novelle klar hervor. Obwohl von Sanne Jellings realistisch beschrieben, macht es Karen Blixen für mich unsympathisch.
Zum Beispiel beklagt sich Blixen bei Minna, dass sich die Wäscheberge türmen, weil sie zu wenig Angestellte haben. Blixen zieht offensichtlich eine klare Trennlinie zwischen Herrschaft und Dienerschaft:
“Sie dachte an Farah, den stattlichen Somali, der mit seiner Rolle so untrennbar verwachsen war und damit auch mit ihr selbst, denn ein Diener war nichts ohne seinen Herrn. Farah gelang es, diesen Umstand als Selbstverständlichkeit zu betrachten und Stolz daraus zu beziehen.”

Andererseits biedert sich Blixen bei Minna an: «Sie sind arm, du lieber Himmel! Ich bin auch arm.» Auf den ungläubigen Blick des Mädchens hin fügte sie hinzu: «Die Armut ist die größte Freiheit. Auch wenn das auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussieht. Ich sage Ihnen, wirklich schlimm ist es, ein moderates Auskommen zu haben, ein Bürger zu sein. So ein Leben nimmt einem die Luft zum Atmen. Das Proletariat atmet freier, ihm gehört die Zukunft. Man muss entweder märchenhaft reich sein oder arm wie ein Bettler. Sie und ich, wir haben nichts zu verlieren. Und so sollten wir auch leben, Minna, als hätten wir nichts zu verlieren.»
Minna hatte es die Sprache verschlagen.
«Ich gebe zu, natürlich ist die Armut auch ein gewisses Hindernis, man selbst zu sein. Trotzdem ist das Einzige, was wir brauchen, Phantasie», sagte sie bedächtig. «Wer Phantasie hat, kann alles werden. (...)»

Bei den Worten hat es mir ebenfalls die Sprache verschlagen. Fast hätte ich das Buch abgebrochen. Ich fand die Äußerung Blixens vermessen, und sie klang zu sehr nach dem heutigen, zu eindimensionalen, neoliberalen Weltbild (Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst und dich anstrengst.).

Danach folgten jedoch noch einige kluge Gedanken zu Liebe und Unabhängigkeit. Blixen gibt an die junge Frau weiter, was das Leben sie bisher gelehrt hat und ermutigt Minna, ihren eigenen Weg zu gehen.

Jellings wirft zusätzlich aus der Perspektive des Personals einen Blick auf die Familie Blixen und die damalige Gesellschaftsstruktur.

Der Prolog und der Epilog spielen in Kenia. Der Kontrast des winterlichen Kopenhagens mit der Weite und Hitze Afrikas bilden einen klaren Rahmen und integrieren die Geschichte in den bekanntesten Teil von Blixens Leben.

Es fällt mir schwer, ein klares Resümee aus dem Gelesenen zu ziehen.
Blixen, die selbst unabhängig sein wollte, hatte kein Problem mit der Kolonialisierung. Ihre eigene höhere gesellschaftliche Position stellte sie nie in Frage, kritisierte aber gleichzeitig die noch bessere Stellung der Männer. Diesen Widerspruch scheint sie nicht erkannt zu haben.

Vergleicht man die damalige Gesellschaft mit der heutigen, fällt auf, dass es inzwischen große Veränderungen gegeben hat, einige Weltanschauungen im Kern jedoch gleich geblieben sind.

Die Gespräche mit Blixen eröffnen Minna eine neue Perspektive, und sie entwickelt den Wunsch dem Leben ihren eigenen Stempel aufzudrücken, statt dem Weg des Vaters oder des Ehemannes zu folgen.

«Meinen Sie», fragte sie, «man kann heiraten und sich trotzdem treu bleiben?»

Eine gut erzählte Geschichte, die uns die weltberühmte Autorin Karen Blixen und ihre Lebenseinstellung näherbringt und uns ermutigt, jeden Tag als neues Abenteuer zu sehen.

Veröffentlicht am 14.10.2019

Russische Mythologie im Konflikt mit der orthodoxen Kirche

Der Bär und die Nachtigall
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Russland im 13. oder 14. Jahrhundert - irgendwo weit im Norden, lebt das Mädchen Wasja in einem Dorf am Rand des wilden Waldes. Die alte Dunja erzählt abends am Ofen Geschichten vom Feuervogel und Väterchen ...

Russland im 13. oder 14. Jahrhundert - irgendwo weit im Norden, lebt das Mädchen Wasja in einem Dorf am Rand des wilden Waldes. Die alte Dunja erzählt abends am Ofen Geschichten vom Feuervogel und Väterchen Frost.
Die Angestellten legen dem Domowoi, dem guten Hausgeist, regelmäßig einen Kanten Brot oder einen Apfel hin, dafür flickt er nachts die Hemden und beschützt das Haus:

»Ich bin hier, weil das Haus hier ist. Ohne das Haus wäre auch ich nicht da.«

Wasjas Vater Pjotr nimmt sich eine neue Frau und bringt Pater Konstantin mit ins Dorf. Der Pater predigt gegen die alten Mythen und Götter und verängstigt die Menschen.

»Woher wollt Ihr wissen, was Gott will? Die Menschen verehren Euch nur, weil Ihr ihnen solche Angst macht.«, sagt Wasja zu ihm.

Anna, die neue Frau, und der Priester versuchen der widerspenstigen Wasja den Glauben an die alten Geschichten auszutreiben. Wildheit ist Sünde!

Weil die Geister nicht mehr gefüttert werden, werden sie immer schwächer. Bald sind sie nicht mehr in der Lage, die Menschen, die Tiere und Häuser vor dem Bösen zu beschützen. Der Winter beginnt, das Dorf in seine eisige Faust einzuschließen.

Die Dorfbewohner halten Wasja für eine Hexe und wollen sie fortjagen. Wasja dagegen möchte die Menschen vor dem erwachenden Bösen retten und ist dabei fast auf sich allein gestellt.


Ich fand es interessant, von den russischen Geistern zu lesen - dem Bannik, der Rusalka. Auch Wasja mochte ich gern sowie ihre Gespräche mit den Tieren, die Ausritte mit den Pferden.
Wasjas Welt ist klar strukturiert. Sie lebt in einer stark patriarchalen Gesellschaft, die Kirche hat viel Einfluss. Große Teile der Erzählung beschäftigten sich mit Hierarchien und Machtverhältnissen am Moskauer Hof, der Position der Kirche und traditionellen Rollenbildern von Männern und Frauen. Stattdessen hätte ich gern mehr über die russischen Mythen gelesen.

Katherine Arden erzählt eine Geschichte von diamantglitzernden, verschneiten Wäldern, grausamen und guten Geistern und blutigen Kämpfen.
Ein Märchen über das Erwachsenwerden eines Mädchens, das mit der Natur sprechen kann und sich nicht in ihre traditionelle Rolle fügen mag.

“Der Bär und die Nachtigall” ist der erste Teil der Winternacht-Trilogie.
Fortgesetzt wird die Reihe mit “The Girl in the Tower” und “The Winter of the Witch” (beide Bände sind noch nicht ins Deutsche übersetzt).