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Veröffentlicht am 25.03.2017

Das Trauma unserer Zeit

Die Zeit der Ruhelosen
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Nach seinem Afghanistan-Einsatz soll der Soldat Romain Roller ein paar Tage auf Zypern entspannen. Ein Debriefing sozusagen, eine Verarbeitung. Dies allerdings erweist sich als unmöglich, denn Roller hat ...

Nach seinem Afghanistan-Einsatz soll der Soldat Romain Roller ein paar Tage auf Zypern entspannen. Ein Debriefing sozusagen, eine Verarbeitung. Dies allerdings erweist sich als unmöglich, denn Roller hat nur knapp überlebt während seine Kameraden schwer verletzt wurden oder starben. Wenn man sich schuldig fühlt, kann das Überleben zur Qual werden. Einzig das Zusammentreffen mit einer Journalistin, die er gerade kennengelernt hat, scheint ihm etwas Frieden bringen zu können. Die junge Frau ist jedoch mit einem bekannten französischen Manager liiert. Als dieser durch eine grobe Unachtsamkeit in Schwierigkeiten gerät, erhält er unerwartet Hilfe durch einen politischen Aufsteiger, der seinerseits zumindest zeitweilig die Gunst verloren zu haben scheint.

Journalisten, Krieger, Manager, Politiker - aus diesen Fäden webt die Autorin Karine Tuil ein dichtes Netz. Jeder scheint seinen eigenen Krieg zu führen, der mit rohen und aufwühlenden Worten geschildert wird. Es zeichnet sich ein Bild unserer Zeit, von Haltlosigkeit, Unruhe, Leere gekennzeichnet. Aufstieg und Abstieg sind in Null Komma Nichts möglich. Man wähnt sich sicher, sollte glücklich sein und ist doch nicht zufrieden. Man glaubt, die Gesellschaft stoße einen fort, und muss doch erkennen, dass sich die Meinung eben der Gesellschaft mitunter schneller ändert als der Wind wechselt. Eine heutige Welt, in der man weder sich selbst noch das Gefüge verstehen kann. Machtspiele geben sich den Anschein wichtiger zu sein als alles andere. Die Hauptpersonen sind mit sich selbst nicht im Reinen und die Umgebung sei es persönlich oder beruflich verschlimmert die Lage eher. Echte Hilfe scheint es nicht zu geben, echte Verarbeitung oder Selbsterkenntnis ebenfalls nicht. Wie Blättchen im Wind verändern sich die Situationen, beeinflusst von außen, kaum durch innere Stärke gesteuert.

Dieser Roman zeichnet ein schwer verdauliches Bild unserer Zeit, traumatisierte Soldaten, selbstgefällige Unternehmer, wetterwendische Politiker, getriebene Journalisten. Starker Tobak, Rauch, an dem man sich wahrlich verschlucken kann. Ein Buch, das erschöpft und nachdenklich macht, das wenig Hoffnung lässt und den Leser mit ausgesprochen harten Szenen konfrontiert. Ein Buch, in dem ein Spiegel vorgehalten wird, dessen Bild sicher nicht jedem gefallen wird. Ein Bild, dessen Veränderung sicher in der Hand eines jeden selbst liegt.

Veröffentlicht am 19.03.2017

The Pain has Gone

Nach dem Schmerz
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Heute ist Hannah Gold eine bekannte Cellistin. Kurz vor dem Zusammenbruch der DDR war sie als Tochter eines hohen politischen Beamten in einer besonderen Situation. Im Jahr 1989 wurde ihre Kindheit jäh ...

Heute ist Hannah Gold eine bekannte Cellistin. Kurz vor dem Zusammenbruch der DDR war sie als Tochter eines hohen politischen Beamten in einer besonderen Situation. Im Jahr 1989 wurde ihre Kindheit jäh beendet. Ihr Vater geriet in die Fänge des Geheimdienstes und um ihm seine Geheimnisse zu entlocken, wurde die damals 7jährige Hannah vor seinen Augen gefoltert. Seit damals nimmt Hannahs Fähigkeit, körperliche Schmerzen zu empfinden, immer mehr ab. 27 Jahre nach dem schrecklichen Ereignis taucht der totgeglaubte Vater plötzlich wieder in Berlin auf. Der abgehalfterte Journalist David Berkoff ist seit Jahren hinter einer bestimmten Story her. Ist jetzt seine Chance gekommen?

Wenn man eigentlich glaubt, man habe mit der Vergangenheit abgeschlossen, rechnet man keinesfalls damit, dass sie eines Tages vor der Haustür steht bzw. ein Konzert aufsucht. Doch genau das geschieht in Hannahs Leben. Völlig unerwartet besucht ihr totgeglaubter Vater eine ihrer Aufführungen. Nur wiederwillig trifft sich Hannah mit ihrem Vater. Sie will wissen, was damals wirklich geschah. Offensichtlich will auch ihr Vater etwas von ihr wissen. Doch für Hannah fühlt es sich so an als stünde ein Fremder vor ihr. Sie kann sich nicht überwinden, mit ihrem Vater zu sprechen. Just als sie beginnt ihren Entschluss zu hinterfragen, wird ihr Vater bei einem Anschlag getötet.

Eine Tochter auf der Suche nach der Wahrheit, ein Journalist auf der Suche nach der Wahrheit. Doch haben die beiden das selbe Ziel? Zunächst scheinen sie sich ergänzen zu können, doch jeder scheint auch ein eigenes Spiel zu spielen. Und mehr als nur ein Geheimdienst macht sich auf die Spur der Wahrheit. Werden Berkoff und Hannah Gold von den verschiedenen Diensten ausgenutzt und gegeneinander ausgespielt? Und schließlich ist es mit der Wahrheit wie mit den Geistern, die man rief und die man dann nicht mehr los wird? Äußerst spannend entwickelt sich die Jagd nach der Wahrheit. Berkoff muss dabei einiges mit seinem Gewissen ausmachen, schließlich sollte für die Story vielleicht doch nicht absolut jedes Mittel recht sein. Was aber, wenn man sich mit allen überworfen hat, die einem Arbeit verschaffen könnten. Und Hannah hat nach ihren schweren Erlebnissen eine besondere Persönlichkeit entwickelt. Schwer vorstellbar, keinen Schmerz empfinden zu können. Was im ersten Moment eine Erleichterung sein könnte, wird bald zu einer Unfähigkeit und einer Belastung. Schließlich sorgt ein Schmerz ja auch dafür, innezuhalten und einer Gefahr auszuweichen. Mit seinem Debütroman hat der Autor zwei ungewöhnliche Personen zu einem unfreiwilligen Team zusammengefügt, bei dem man sich fragt, ob und wie lange es funktioniert. Gepackt geht man dieser Frage nach und auch der Frage nach der Wahrheit.

Ein fesselnder Thriller, der sehr deutlich macht, dass die Vergangenheit viel länger wirken kann als einem mitunter lieb ist.

Veröffentlicht am 18.03.2017

Schauspielerei

Der König der Komödianten
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Der junge Marco ist tief betrübt als sein Ziehvater stirbt. Auf dem Landgut hat er es gut gehabt und er hätte sich hier noch eine glückliche Jugend erträumt. Doch Marco ist noch nicht volljährig und für ...

Der junge Marco ist tief betrübt als sein Ziehvater stirbt. Auf dem Landgut hat er es gut gehabt und er hätte sich hier noch eine glückliche Jugend erträumt. Doch Marco ist noch nicht volljährig und für den Fall des Falles hat Vittore den Prior und einen Advokaten als gemeinsamen Vollmund bestimmt. Und nun wird Marco ins Kloster gebracht, dort gefällt es ihm nicht so gut. Zusammen mit dem alten Vittore wollte er immer in die Stadt, es ist jedoch nicht mehr so weit gekommen. Jetzt steht auch noch zu befürchten, dass sich jemand sein Erbe unter den Nagel reißen will. Marco flieht aus dem Kloster und gerät an eine fahrende Schauspielertruppe, mit der er nach Padua gelangt.

Welch eine neue Welt, vom Land in die Stadt, vom Kloster ins Theater. So viele Eindrücke stürzen auf Marco ein. Er kann sich garnicht sattsehen oder fühlen. Der alte Intendant ist manchmal nicht mehr ganz Herr seiner Gedanken, aber er reimt begnadet aus dem Stehgreif und seine gewitzte Bauernschläue lässt ihn auch aus unangenehmen Situationen herauskommen. Auch wenn es so scheint als müsse man auf den Alten aufpassen, wird er doch eine Art väterlicher Freund für Marco. Seine Enkelin Elena entgeht Marcos Blicken beinahe, sie wirkt noch sehr jung. Catrina dagegen, die rassige Schöne, hat es Marco angetan.

Ein wenig vermischt sich die Handlung des Romans mit dem Schauspiel auf der Bühne. Das Theaterleben um 1594, das Schicksal des jungen Marco, das manchmal einem Stück zu gleichen scheint. Heiter wirkt dieser Roman durch die wohlgewählten Worte, die ihm diese Stimmung verleihen. Zwar gibt es auch ernste Momente, doch eher wird eine Komödie gegeben denn eine Tragödie. Und das ist ausgesprochen erfreulich, denn möchte man dem Alltag entfliehen und für ein paar Lesestunden ins Padua und Venedig des 16, Jahrhunderts eintauchen und etwas über die Commedia dell` Arte lernen, ist dieser Roman gerade das Richtige. Mit schönen Anspielungen auf den anscheinend damals auch schon über die Grenzen seines Landes hinaus bekannten Shakespeare, so dass man bei vielen Sätzen rätseln kann, auf welches Stück Bezug genommen wird.

3,5 Sterne

Veröffentlicht am 11.03.2017

Outland

Never Say Anything
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Eine Reiseberichterstattung über Marokko sollte es werden. In einem abgelegenen Grenzort allerdings geraten die Journalistin Sophie Schelling und ihr Begleiter in einen Hinterhalt. Viele Menschen kommen ...

Eine Reiseberichterstattung über Marokko sollte es werden. In einem abgelegenen Grenzort allerdings geraten die Journalistin Sophie Schelling und ihr Begleiter in einen Hinterhalt. Viele Menschen kommen um und Sophie überlebt nur mit viel Glück und Hilfe von Unbekannten. Zurück in Berlin versucht sie die Erlebnisse zu verarbeiten, muss aber zu Ihrem Entsetzen feststellen, dass der Vorfall in der Presse völlig anders dargestellt wird als sie ihn erlebt hat. Sophie Schelling will nun die Wahrheit enthüllen. Konsterniert fühlt sie sich als ihr klar wird, dass nicht jeder an der Wahrheit interessiert ist. Nur nach und nach wird der Reporterin klar, dass sie sich durch ihre Nachforschungen in Gefahr begibt.

Nach den schrecklichen Ereignissen, mit denen dieser Roman beginnt, setzt sich die Handlung erstmal etwas gemütlich fort. Natürlich will Sophie Schelling berichten, dabei geht sie vorsichtig vor, um keine Angriffsfläche zu bieten. Wer legt sich schon gerne mit mächtigen Gegnern an. Doch nachdem sie mehr in Erfahrung gebracht hat und es Eingriffe in ihr eigenes Leben gab, spürt sie, dass sie eine Konfrontation nicht mehr vermeiden kann. Sophie überwirft sich dabei mit fast allen und kommt vielen anderen in die Quere. Sie versucht, sich selbst treu zu bleiben, ihr Durchhaltevermögen wird jedoch auf eine harte Probe gestellt. Ihre Gegner schrecken vor fast nichts zurück.

Immer steht während der Lektüre die Frage im Raum, wie nah an der Realität sich der Roman bewegt. Man befürchtet, es könne doch sehr nahe sein, obwohl man es lieber nicht glauben würde. So wie sich die Schlinge um Sophie Schellings Hals mehr und mehr zuzuziehen scheint, so bekommt man immer mehr ein Gefühl der Beklemmung. Gewisse Organisationen machen möglicherweise vor nichts halt, um ihre Ziele zu erreichen, und sei es nur das Ziel, gewisse Aktionen geheim zu halten. Je weiter man liest, desto mehr könnte man sich eine analoge Welt zurückwünschen, in der es doch etwas aufwendiger war, das Leben auch von unbescholtenen nur vielleicht unliebsamen Menschen negativ zu beeinflussen.

Ein Buch, dass nach und nach immer mehr fesselt und verstört. In so einer Welt möchte man nicht leben. Oder lebt man etwa schon in so einer Welt?

3,5 Sterne

Veröffentlicht am 04.03.2017

Lewisham Monster

Kein Sterbensort
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Lewisham ist ein Stadtteil von London und hier führen die Polizisten Jane Bennett und Mike Lockyer ihre Ermittlungen durch. Nach dem vorherigen Fall ist Lockyer irgendwie noch nicht wieder auf der Höhe ...

Lewisham ist ein Stadtteil von London und hier führen die Polizisten Jane Bennett und Mike Lockyer ihre Ermittlungen durch. Nach dem vorherigen Fall ist Lockyer irgendwie noch nicht wieder auf der Höhe und die Verantwortung fällt Jane Bennett zu. Gerade jetzt verschwindet ein Kollege, der seit ein paar Jahren in Pension ist. Ein Ereignis, das für die Familie sehr belastend ist, aber auch für die Polizisten, schließlich kennen sie den ehemaligen Kollegen. Auf der Suche stoßen sie per Zufall auf die Leiche einer jungen Frau. Zwei Fälle, die die Ermittler aufs Äußerste fordern.

Bei diesem Band handelt es sich um den zweiten Band der Reihe um Mike Lockyer und Jane Bennett. Zu Beginn wird einige Male Bezug auf den ersten Fall genommen, auf eine Art, die es sinnvoll erscheinen lässt, zunächst den ersten Band zu lesen. Zum Verständnis des laufenden Falles ist es allerdings zum Glück nicht zwingend erforderlich. Obwohl die Ermittler noch mit der Verarbeitung des vorherigen Geschehnisse beschäftigt und auch in ihrem Privatleben eingespannt sind, müssen sie sich mit hundertprozentigem Einsatz den neuen Untersuchungen widmen. Die Art wie die junge Frau gestorben ist, schließt die Vermutung nicht aus, dass Ähnliches wieder geschehen könnte. Und der verschwundene Ex-Kollege könnte verletzt sein. Es ist also Eile geboten. Doch zunächst geht es nicht so schnell voran wie die Ermittler es sich wünschen würden.

Die Leiden der Ermittler zu Beginn des Romans sind etwas schwierig nachzuvollziehen, wenn man den Vorgängerband nicht kennt. Dennoch sind die Vorgänge fesselnd beschrieben und vor allen Dingen Jane Bennett wirkt sehr lebendig und authentisch. Sie muss die Verantwortung übernehmen und stellt fest, dass es auch nicht so einfach ist, Leiterin der Ermittlungen zu sein und die Fäden in der Hand zu behalten. Bei der Koordination der Nachforschungen geht sie klug und besonnen vor, obwohl sie manchmal an die Belastungsgrenze gehen muss. Es geht ihr wie vielen Familienmenschen, das schlechte Gewissen wegen der Zeit, die sie nicht mit der Familie verbringt, nagt an ihr. Trotzdem kniet sie sich voll in die Ermittlungen. Zwei Fälle, die die Aufmerksamkeit fordern, akribische Untersuchungen, packend geschildert. Ein wenig auffällig könnte sein, dass Kapitel manchmal mit einem Cliffhanger enden und die folgenden Ereignisse aus der Rückschau geschildert werden. Hier muss man selbst entscheiden, ob das gefällt. Insgesamt bietet die Autorin mit Lockyer und Bennett ein Ermittler-Duo, von dem man gerne mehr lesen möchte und einen fesselnden Kriminalfall, der einige Überraschungen aufweist.