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Veröffentlicht am 29.09.2021

Fesselnder Mix

Alles, was wir sind
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Inhalt

Der bekannte russische Dichter Boris Pasternak stellt seinen Roman „Dr. Schiwago“ fertig, doch in der Sowjetunion wird das Buch aufgrund der staatsfeindlichen Schilderungen nicht veröffentlicht. ...

Inhalt

Der bekannte russische Dichter Boris Pasternak stellt seinen Roman „Dr. Schiwago“ fertig, doch in der Sowjetunion wird das Buch aufgrund der staatsfeindlichen Schilderungen nicht veröffentlicht. Als ein italienischer Verleger sich um die Rechte des Romans bemüht, um diesen in Europa zu veröffentlichen, willigt Pasternak ein und tritt damit eine Lawine los, die ihn in seinem Land das Leben kosten könnte.

Der Roman erscheint und wird zum Bestseller. Mitten im Kalten Krieg wird der US-amerikanische Geheimdienst auf diesen Literaturerfolg aufmerksam. Die CIA lässt den Roman im Original drucken und schmuggelt das Buch in die Sowjetunion, um Widerstand in der Bevölkerung zu wecken. Als der KGB davon erfährt, versucht er mit allen Mitteln die Verbreitung des Romans zu verhindern. Als Pasternak dann auch noch der Nobelpreis verliehen wird, sieht die Sowjetunion sich gezwungen zu handeln. Es ist der Kampf der Systeme, die einen Roman kurzzeitig zum Spielball der Macht machen und dadurch das Leben einiger Menschen tiefgreifend verändern.


Meinung

„Alles, was wir sind“ erzählt die Geschichte eines berühmten Romans; Doktor Schiwago. Der sensible Schriftsteller und Arzt Schiwago, hin und her gerissen zwischen seiner Familie und seiner großen Liebe Lara und das alles vor dem historischen Umbruch der russischen Oktoberrevolution. „Dr. Schiwago“ wurde bei seinem erscheinen zu einem Politikum, zum Spielball im Kalten Krieg. Der Roman „Alles, was wir sind“ beruht auf wahren Tatsachen. Dafür hat die Autorin Lara Prescott aufwendig recherchiert.

Die Geschichte spielt über das gesamte Jahrzehnt der 1950er. Dabei wechseln sich Ost und West ab, sodass die Handlung aus völlig unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird. Den Anfang macht Olga, also der Osten. Sie ist Pasternaks Geliebte. Eine verhängnisvolle Liebe zu Zeiten Stalins und Chruschtschow. Noch bevor Schiwago überhaupt fertig gestellt ist, verbringt sie drei Jahre im Arbeitslager. An Pasternak selbst traut man sich nicht heran, zu groß ist seine Beliebtheit. Als der Roman beendet ist, findet sich in der Sowjetunion niemand, der es wagt,das Buch zu veröffentlichen. Am Beispiel von Pasternak wird deutlich, wie der Staat seine Macht ausspielt, wie sehr er über die Kultur bestimmt und wie er es versteht sein Volk zu manipulieren. Olgas Schilderungen vom Umerziehungslager sind erschreckend. Dort sind keine Straftäterinnen, sondern nur Frauen, die die rechtliche Willkür einer Diktatur zu spüren bekommen.

Auch in Pasternaks Gedanken tauchen wir ein und erfahren seine Sicht der Dinge. Ich kann verstehen, dass er seinen Roman veröffentlichen will, dass er den Nobelpreis annehmen will, doch er bringt damit nicht nur sich selbst, sondern vor allem Olga und ihre Kinder in Gefahr. Er nimmt meiner Ansicht nach wenig Rücksicht. Drei Jahre hat sie wegen ihm schon im Lager verbracht. Sie, nicht seine Frau! Und es werden nach seinem Tod weitere hinzukommen. Wohl wissend welche Konsequenzen sein Handeln haben könnte, lässt er zu, dass Schiwago in Europa veröffentlicht wird. Er unternimmt auch keinerlei Anstrengung Olga herauszuhalten. Jedenfalls wirkt es auf mich so.

Im Westen, in Washington D.C., sind die Frauen nach dem zweiten Weltkrieg wieder auf ihren Platz verwiesen worden. Die meisten fügen sich in die neue alte Welt, heiraten, werden Mutter. Nur wenige bleiben dem Geheimdienst treu. Die feine, aber auf den Punkt gebrachte Kritik der Autorin hat mir sehr gefallen. Sie sagt wie es ist. Die Männer, egal wie unfähig, machen Karriere, die Frauen, mit gleicher Qualifikation, bleiben Stenotypistinnen. Auch sonst finden sich in dem Roman einige deutliche Seitenhiebe auf das patriarchische System.

Die Grundzüge dessen, was den Westen bewegt, erzählen uns eben diese Stenotypistinnen. Es ist ähnlich wie der Klatsch auf dem Büroflur, den man im Vorübergehen aufschnappt. Informativ, kurzweilig und wahrhaftiger als so manches offizielle Statement. Jedenfalls erzählen sie uns von früher, von jetzt und erklären den Lesern die Zusammenhänge und versorgen uns mit allen Neuigkeiten. Tiefer in die Geschichte steigen wir mit Irinas und Sallys Erzählungen ein. Aus ihren Perspektiven erleben wir sowohl ihre Liebesaffäre als auch ihre geheimen Aktivitäten hautnah mit. In den konservativen 1950er Jahre war Homosexualität in den USA undenkbar und wurde verfolgt. Eine Haltung, die es den beiden Frauen unmöglich macht, ihre Liebe zu leben.

Die Autorin Lara Prescott hat aus einer wahren Geschichte rund um „Doktor Schiwago“, die mir bisher nicht in dem Umfang bekannt war, einen packenden und gesellschaftskritischen Roman verfasst. „Alles, was wir sind“ kritisiert dabei nicht einseitig nur die willkürliche und menschenverachtende Politik der ehemaligen Sowjetunion, sie schreibt auch über die Frauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf Ehefrau und Mutter reduziert wurden. Ihre Leistungen während des Krieges waren schnell vergessen und die Männer nahmen wieder ihre angestammten Positionen ein. Es war ein Zurück zu den konservativen Werten. Auch das Thema der Homosexualität oder die sexuelle Übergriffigkeit mancher Männer spart die Autorin nicht aus.

Aufgrund der klaren Unterteilung zwischen West und Ost, den verschiedenen Erzählperspektiven, die meinen Lesefluss nie gestört haben, ist der/die Leser:in immer mitten im Geschehen und lernt die Charaktere in allen Facetten kennen. Die Hauptakteurinnen des Romans sind die Frauen. Olga und im späteren Verlauf des Buches auch ihre Tochter Ira für den Osten und natürlich Irina und Sally ebenso wie der Pulk der Stenotypistinnen für den Westen. Dem Roman gelingt es großartig die Stimmung der Angst, die in der Sowjetunion umgeht, einzufangen ebenso wie die biedere, patriarchische Gesellschaft in den USA auf den Punkt zu beschreiben. Der Roman schlägt sich auf keine Seite. Kein schwarzweiß Denken, kein Gut und Böse, etwas, das mir sehr gut gefallen hat.


Fazit

Es ist ein lebendiger als auch bemerkenswerter Roman nach einer wahren Geschichte.

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Veröffentlicht am 19.09.2021

Soannend, unterhaltsam und aktuell

A. S. Tory und das Spiel mit der Zeit
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Meinung

Der letzte Teil der Reihe blendet die Pandemie nicht aus, gibt ihr jedoch auch nicht mehr Raum als nötig. Meiner Ansicht nach ist es der Autorin hervorragend gelungen die richtige Balance zu finden. ...

Meinung

Der letzte Teil der Reihe blendet die Pandemie nicht aus, gibt ihr jedoch auch nicht mehr Raum als nötig. Meiner Ansicht nach ist es der Autorin hervorragend gelungen die richtige Balance zu finden. Da jeder Roman in der Jetztzeit spielte, hätte ich es seltsam gefunden, die Pandemie nicht zu erwähnen und so zu tun, als ob alles wäre wie 2019.

Es wirkt sich diesmal auch auf den Auftrag aus, den Sid von Tory bekommt. Anstatt wie in den vorherigen Teilen verschiedene Länder zu bereisen, bleiben Chiara und Sid diesmal in Deutschland. Die sonstigen Reisen werde durch Reisen durch die Zeit ersetzt. So spielt der Roman über zwei Generationen hinweg. Zum einen handelt es sich um den Großvater, der ab den 1940er Jahren verschwindet, zum anderen geht es um Arne, der Mitte der 80er abhaut.

Das vorrangige Thema des Romans ist die sexuelle Orientierung und der Umgang mit ihr. Immer wieder gab es Vorstöße für Toleranz, dann ging es jedoch gesellschaftlich wieder rückwärts. Seit nicht einmal dreißig Jahren ist Homosexualität keine Straftat mehr. In vielen Familien wurde über solche Sachen nicht gesprochen, sowie in der Familie, deren Geheimnisse Chiara und Sid nun aufdecken. Der Roman ist ein Appell für Toleranz, aber auch dafür miteinander zu reden und Dinge nicht tot zu schweigen.

Frankfurt, Leipzig und das Elbsandsteingebirge sind diesmal die Orte, an denen die Geschichte spielt. Auch hier wird die jeweilige Atmosphäre wunderbar eingefangen. Gerade im Elbsandsteingebirge verbringen Chiara und Sid drei Tage in Abgeschiedenheit. Denn das, was sich im letzten Band offensichtlich anbahnte, kommt nun auf den Tisch. Die Frage, wie Chiara und Sid zueinander stehen, gehört zu den stetigen Entwicklungen der Reihe. Ebenso wie bei der Pandemie, findet die Autorin bei dieser zwischenmenschlichen Frage die passende Gewichtung zu der eigentlichen Handlung.

Vom ersten bis zu diesem Band haben sich die Charaktere merklich entwickelt. Sid ist nun volljährig, besitzt seinen Führerschein und wenn die Pandemie ausklingt, wird er sicher die Welt erkunden. Aus dem Teenager ist nun ein junger Mann geworden. Auch Chiara hat sich gemacht. Ihr Leben bekommt langsam Kontur und wer weiß, was sie studieren wird. Beide stehen nun an einem neuen Lebensabschnitt, dass wird in der Erzählung deutlich. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die Reihe hier endet. Tory spielt in diesem Teil nur noch eine sehr nebensächliche Rolle, da er durch sein Alter und die Pandemie in London bleibt. Schlussendlich ist es auch ein Abschied von dem alten Herren, der die Abenteuer erst ermöglicht hat.

Als Leserin verabschiede ich mich von dem letzten Teil der Reihe mit ein bisschen Wehmut. Mir haben Chiaras und Sids Abenteuer sehr gefallen. „A.S. Tory und das Spiel mit der Zeit“ ist ein unterhaltsamer Jugendroman, der Themen der Zeit mit einer Leichtigkeit aufgreift ohne belehren zu wollen. Besonders gefällt mir, dass er zum eigenständigen Denken anregt. Jeder Leser:in kann etwas für sich daraus mitnehmen.


Fazit

Ein gelungener Abschluss einer fantastischen Buchreihe. Unterhaltsam, spannend und ein Aufruf dazu neugierig und abenteuerlustig zu bleiben.

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Veröffentlicht am 16.09.2021

Auf den Punkt erzählt

Land in Sicht
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Inhalt

Jana ist Mitte Zwanzig und bei der Suche nach ihrem Vater, den sie bisher nicht kennt, fündig geworden. Er ist Kapitän auf einem Kreuzfahrtschiff auf der Donau. Auf diesem Schiff, dessen Gäste ...

Inhalt

Jana ist Mitte Zwanzig und bei der Suche nach ihrem Vater, den sie bisher nicht kennt, fündig geworden. Er ist Kapitän auf einem Kreuzfahrtschiff auf der Donau. Auf diesem Schiff, dessen Gäste sich im Alter sechzig plus befinden, bucht sie kurzerhand eine Reise. Sechs Tage hat sie Zeit ihren Vater Milan kennenzulernen und herauszufinden, was für ein Mensch er ist.

Doch als sie ihre Reise antritt, ist sie nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war.

Meinung

Jana ist eine unstete und unsichere Person, die aller Wahrscheinlichkeit nach Bindungsprobleme hat, was sich nicht nur auf Liebes-, sondern auf alle Beziehungen in ihrem Leben auswirkt. Ihren Vater kennt sie nicht, doch die Väter ihrer Freundinnen hat sie genau beobachtet. Sensibel schildert die Autorin Janas kindliche Sicht auf Väter und die Vorstellung, die sie sich von ihrem eigenen macht. Janas Beziehung zu ihrer Mutter könnte man als distanziert beschreiben. Ab und an klingt durch, Jana gibt ihrer Mutter die Schuld am den fehlenden Vater, allerdings ist es nur mein Gefühl, wirklich präzise gesagt wird es nicht.

Bisher hat Jana sich planlos durch ihr Leben treiben lassen. Nun da sie herausgefunden hat, wer ihr Vater ist, hat sie die Hoffnung etwas über sich zu erfahren. In dieser Hoffnung schwingt auch der Wunsch mit, dass, wenn sie ihre Wurzeln gefunden hat, auch selbst welche schlagen kann. Und das wünscht man ihr als Leser:in aus tiefsten Herzen.

Obwohl Jana im Vorfeld genau überlegte, wie sie als weitaus Jüngste auf dem Schiff weniger auffällt, geht dieser Plan nicht auf und beschert dem Roman manche Situationskomik. Die Szenen sind urkomisch und tragen dennoch eine gewisse Tragik in sich. Der präzise Erzählstil lässt Unnötiges aus, zeugt jedoch von einer wunderbaren Beobachtungsgabe. Das vorsichtige Herantasten an den Vater ist schnörkellos und voller nüchterner Emotion erzählt. Wir nehmen teil an Janas Zweifeln, ihrer Unsicherheit, die mit dem Wunsch endlich ihren Vater kennenzulernen kämpfen. Jedes Kapitel beschreibt einen Tag auf dem Fluss.

Mich hat der Debütroman von Ilona Hartmann hervorragend unterhalten. Ich habe gelacht, ich habe mitgefühlt.

Fazit

Ein gelungener Debütroman. Witzig, tiefgründig und ehrlich.

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Veröffentlicht am 31.08.2021

Es brennt an zu vielen Stellen

Der Brand
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Meinung

Auf nüchterne Weise beschreibt Daniela Krien aus Rahels Sicht den Verlauf dieser drei Sommerwochen. Wir tauchen ein in Rahels Gedankenwelt und erfahren einiges über ihre Ehe und Kindheit, aber ...

Meinung

Auf nüchterne Weise beschreibt Daniela Krien aus Rahels Sicht den Verlauf dieser drei Sommerwochen. Wir tauchen ein in Rahels Gedankenwelt und erfahren einiges über ihre Ehe und Kindheit, aber auch über das Verhältnis zu ihren eigenen Kindern. In kleinen Schritten nähern wir uns den tief sitzenden Problemen, die nie ausgesprochen werden.

Sehr gelungen sind die Ortsbeschreibungen der ruhigen Landschaft der Uckermark. Die Tiere, die sich schnell an die Urlauber gewöhnen und in erster Linie zu Peter eine innige Bindung aufbauen. Diese Idylle steht ganz im Gegensatz zu den emotionalen Stürmen, welche die Charaktere durchlaufen.

Die Ehekrise als Thema des Buches wird allzu schnell von schwierigen Eltern-Kind-Beziehungen überholt, die Rahel und Peter sowohl zu ihren eigenen Eltern hatten als auch jetzt mit ihren Kindern durchleben. Hinzu kommen weitere zahlreiche Themen, die angerissen und wieder verworfen werden. Die Krise zwischen Peter und Rahel, ihre Annäherung werden dadurch aus meiner Sicht unverhältnismäßig zurückgedrängt. Viele dieser Themen, die von außen kommen, beeinflussen Rahel und Peter, doch hätte ich mir gewünscht, dass die Erzählung näher an den Figuren bleibt.

Rahel, Ende 40, Peter, Mitte 50, kommen mir aufgrund ihrer Denkweise und der immer wiederkehrenden Auflistung ihres körperlichen Verfalls um mindestens zehn Jahre älter vor. Ich hatte große Schwierigkeiten mir die Zwei in ihrem angegeben Alter vorzustellen. Natürlich habe ich berücksichtigt, dass sie sehr früh Eltern geworden sind und somit in einer Lebensphase sind, in die andere erst später eintreten. Dennoch passte es für mich nicht.

Der Roman verstrickt sich in allerlei gesellschaftskritischen Themen und verliert dabei die wesentliche Handlung aus dem Blick. Anders als „Liebe im Ernstfall“ wird mir dieses Buch mit all den extrem anstrengenden Charakteren, zu denen ich keinen Bezug gefunden habe, nicht lange im Gedächtnis bleiben. Dabei ist der schnörkellose Schreibstil überzeugend und kurzweilig, nur der Inhalt konnte mich nicht überzeugen.


Fazit

Vom Thema abgekommen, will der Roman zu viele gesellschaftliche Punkte ansprechen, ohne diese überhaupt vertiefen zu können. Aus dem Grund bleibt vieles angerissen, unverfolgt und oberflächlich, dabei tritt die eigentliche Problematik der Ehekrise in den Hintergrund. Mich hat das Buch ratlos und ein wenig unzufrieden zurückgelassen.

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Veröffentlicht am 22.08.2021

Lebensnahe Erzählung

Wildtriebe
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Inhalt

Der Bethches Hof ist nach den Frauen benannt, die ihn prägten. Die bislang letzte in dieser Reihe ist Lisbeth, eine traditionsbewusste Großbäuerin. Doch die Zeiten in der Landwirtschaft ändern ...

Inhalt

Der Bethches Hof ist nach den Frauen benannt, die ihn prägten. Die bislang letzte in dieser Reihe ist Lisbeth, eine traditionsbewusste Großbäuerin. Doch die Zeiten in der Landwirtschaft ändern sich. Als ihr Sohn heiratet, zieht die Schwiegertochter auf dem Hof. Marlies ist eine moderne Frau, die nicht von einem Bauernhof stammt und sich an dessen Rhythmus erst gewöhnen muss. Bald entstehen die ersten Konflikte zwischen den zwei Frauen. Wortlos werden diese ausgetragen. Anfangs bemüht Marlies sich ein Teil der Familie zu werden, doch immer öfter sucht sie lieber das Weite, als ihren Platz auf dem Hof einzunehmen. Ihre Tochter Joanna soll später, wenn sie erwachsen ist, freier in ihren Entscheidungen sein. Joanna wächst zwar zu einer selbstbestimmten, jungen Frau heran, doch unterscheiden sich ihre Vorstellungen vom Leben sehr von den Plänen, die Marlies für ihre Tochter hat. Drei Frauen, drei Generationen, drei Lebenswege, geprägt von der Unfähigkeit miteinander zu reden.

Meinung

Unprätentiös beschreibt der Debütroman „Wildtriebe“ von Ute Mank das Leben auf einem traditionellen Bauernhof. Hierbei stehen drei Generationen Frauen im Fokus. Zwischen Tradition und Moderne müssen sie allerlei Erwartungen standhalten. Erwartungen der Familie, der Nachbarn und auch den eigenen.

Von Lisbeth wurde, nach dem beide Brüder im Krieg gefallen sind, erwartet, den Hof zu übernehmen. Ihre Eltern, besonders ihre Mutter, sind am Tod der Söhne zerbrochen und waren für die junge Lisbeth keine große Hilfe mehr. Zum Glück hatte sie Karl, der für sie auf seinen eigenen Hof verzichtete. Schnell wurden sie ein eingespielten Team. Jeder kannte seine Platz, seine Aufgaben und wichtige Dinge wurden abends im Bett besprochen. Doch die Ehe bleibt lange kinderlos und der Druck auf Lisbeth erhöht sich. Sie fühlt sich dem Gerede der anderen Dorfbewohner ausgesetzt. Bezeichnend für die Zeit ist es aus meiner Sicht, dass Lisbeth nie der Gedanke kommt, dass es an Karl liegen könnte. Sie sieht es zeitlebens als ihr persönliches Versagen an, obwohl Karl immer zu ihr steht. Die alte Generation hat sich nie gefragt, ob es ein Leben abseits des Hofs geben könnte. Einen großer Bauernhof zu bewirtschaften war mehr, als die meisten hatten. Lisbeth und Karl sind mit ihrem Schicksal zufrieden.

Marlies kommt aus bürgerlichen Verhältnissen. Als Mädchen wurde sie von Kindesbeinen dazu erzogen einmal zu heiraten und Mutter zu werden. Andere Möglichkeiten werden für sie ausgeschlossen. Zwei Jahre lang gehen sie und Konrad zusammen aus, dann ist es an der Zeit zu heiraten. Wie damals üblich zieht Marlies zu Konrad auf den Hof. Schon kurz nach der Hochzeit spürt Marlies, dass sie fehl am Platz ist. Es ist ein furchtbares Dilemma, in das Marlies hineinschlittert. Sie ist gefangen in den Konventionen und kann sich daraus nicht befreien.

Der Autorin gelingt es vortrefflich diesen Zwiespalt zu beschreiben. Marlies Auszeiten, in denen sie den Hof, Konrad und Lisbeth vergessen kann und doch immer wieder der aufkommende Druck, Erwartungen erfüllen zu müssen, die seit jeher an sie gerichtet wurden, und ihr innerer Kampf sich dagegen aufzulehnen. Oftmals steht sie sich selbst im Weg, gefangen in ihrer Wortlosigkeit. Die Freundin als Gegenpol, die anscheinend alles so mühelos bewältigt und in der Rolle der Hausfrau und Mutter aufgeht.

Durch ihre Unfähigkeit ihre Gefühle auszudrücken, entfernt Marlies sich auch von ihrer Tochter. Ab der Pubertät scheint Marlies kaum an Joanna heranzukommen, was auch nicht besser wird, als Joanna aus Afrika zurückkommt. Joanna wendet sich eher an ihre Oma Lisbeth, sie ist ihre Vertraute in der Familie. Ich hatte nie das Gefühl, dass Lisbeth ihrer Schwiegertochter absichtlich das Leben schwer macht, doch auch ihr fehlen die Worte, die eine Brücke hätten schlagen können. Zu verschieden sind die Frauen auf dem Bethches Hof.

Die Geschichte wird abwechselnd aus Lisbeths oder Marlies Sicht geschildert. Ihre Gedanken und Erinnerungen geben Aufschluss über das Innenleben der Zwei, die ansonsten nie über sich reden. Der unaufgeregte Schreibstil der Autorin passt zur Geschichte und den Figuren, die allesamt wahrhaftig erscheinen. Die Männer treten nur am Rande in Erscheinung, manches muss man sich eher denken, als das es geschrieben steht. So bleiben manche Sätze unvollständig. Auch hier, lieber weniger als zu viele Worte. Die Romanerzählung erstreckt sich über ungefähr 25 Jahren und endet mit einem Hoffnungsschimmer für alle Charaktere.

Als Leser:in erfährt man viel über den Wandel des Hoflebens. Zu Lisbeths Zeiten beschäftigte der Hof viele Knechte und Mägde, dann kamen die Maschinen und die politischen Reglementierungen und dann das aus. Lisbeth war mir von den drei Frauen am nächsten. Ich konnte sie gut verstehen, vielleicht auch, weil ich Ähnlichkeiten zu meiner Oma entdeckte. Marlies empfand ich als anstrengend. Ihr fehlt meiner Meinung nach nicht nur das Gespür für ihre eigenen Bedürfnisse, sondern auch Empathie für die Menschen, die ihr Nahe stehen sollten. Diese krankhafte Eifersucht auf Lisbeth, habe ich nur bedingt nachvollziehen können. Ich kann verstehen, dass sie das Beste für ihre Tochter will, allerdings ahmt sie das Verhalten ihrer Eltern nach und fragt nie danach, was Joanna will. Ebenso zeigt sie kaum Interesse an Konrad. Sie entscheidet allein. Was er möchte, übergeht sie einfach. Dabei versucht er sie in allem zu unterstützen. Er nimmt wesentlich mehr Rücksicht auf sie als sie auf ihn. Für mich ist Marlies die einsamste Person in dem Roman, weil sie nie gelernt hat, Dinge zu auszusprechen oder sich Konflikten zu stellen.

„Wildtriebe“ ist ein ruhiger Roman, der von drei Frauen erzählt, die versuchen den Erwartungen ihrer Zeit gerecht zu werden und darüber ihre eigenen Bedürfnisse aus den Blick verlieren. Ihre Generationenkonflikte entstehen vor allem durch ihre Unfähigkeit miteinander zu reden.



Fazit

Ein ganz wunderbarer, lebensechter Roman. Wem beispielsweise die Romane von Dörte Hansen gefallen haben, wird „Wildtriebe“ ebenso gerne lesen. Für mich ein vollkommenes Lesevergnügen und eines der besten Bücher.

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