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Veröffentlicht am 07.04.2025

Eine ruhige Geschichte mit starker Atmosphäre und sanftem Ton.

Halbinsel
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„Halbinsel“ ist ein stiller, eindringlicher Roman über eine Mutter-Tochter-Beziehung, über Erschöpfung, Zukunftsangst und das Ringen um Nähe – zwischen zwei Menschen und zwei Generationen.
Kristine Bilkau, ...

„Halbinsel“ ist ein stiller, eindringlicher Roman über eine Mutter-Tochter-Beziehung, über Erschöpfung, Zukunftsangst und das Ringen um Nähe – zwischen zwei Menschen und zwei Generationen.
Kristine Bilkau, geboren 1974 in Hamburg, wurde mit ihrem Debütroman „Die Glücklichen“ bekannt und vielfach ausgezeichnet. Ihre Romane zeichnen sich durch ein feines Gespür für gesellschaftliche und persönliche Umbrüche aus. Bilkau studierte Geschichte in Hamburg und New Orleans, arbeitet als Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Mit „Halbinsel“ wurde sie 2025 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Worum geht’s genau?

Annett lebt seit vielen Jahren allein auf einer Halbinsel an der Nordsee, wo sie nach dem frühen Tod ihres Mannes ihre Tochter Linn großgezogen hat. Diese ist inzwischen Mitte zwanzig und hat sich in internationalen Umweltprojekten engagiert – voller Tatendrang und Ideale. Doch nach einem Zusammenbruch bei einer Tagung kehrt sie erschöpft zurück in ihr Elternhaus. Was als kurze Erholung geplant war, wird zu einem längeren Aufenthalt – und zu einer schmerzhaften Auseinandersetzung mit sich selbst, mit alten und neuen Erwartungen, mit Schuld, Nähe und Distanz. Zwischen Wattenmeer, Möwengeschrei und aufkommenden Herbststürmen spitzen sich die Spannungen zwischen Mutter und Tochter zu – eine Generation muss lernen, die andere zu verstehen.

Meine Meinung

Ich habe „Halbinsel“ als Rezensionsexemplar angefordert und diese Entscheidung nicht bereut. Sowohl das stimmungsvolle Cover als auch der Klappentext haben mich sofort angesprochen. Es ist eine stille Geschichte, die von der intensiven Mutter-Tochter-Beziehung getragen wird, aber ebenso Themen wie Trauer, Klima- und Zukunftsangst und die Suche nach sich selbst verhandelt.

Mich hat vor allem beeindruckt, wie authentisch und feinfühlig die Charaktere gezeichnet sind. Ich konnte mich sehr gut in beide Hauptfiguren – Annett und Linn – hineinversetzen. Besonders berührt haben mich die inneren Dialoge Annetts mit ihrem verstorbenen Mann, die wie leise Gedanken wirken und ihre Einsamkeit sowie ihren Wunsch nach Verbindung greifbar machen.

Kristine Bilkau schreibt schnörkellos und dennoch poetisch. Ihr Stil ist ruhig, reflektiert und stets auf den Punkt. Der Roman ließ sich schnell und angenehm lesen – gerade weil er sprachlich so klar und gleichzeitig einfühlsam ist.

Trotzdem gibt es auch einen kleinen Kritikpunkt: Am Ende war ich mir nicht ganz sicher, was der Roman letztlich vermitteln will. Vieles bleibt offen, manches verschwimmt in der Stimmung, und inhaltlich fehlt es etwas an klarer Richtung.

Fazit

„Halbinsel“ ist ein sanfter, sprachlich sehr starker Roman über Nähe, Erschöpfung und das Verstehen zwischen den Generationen. Auch wenn er inhaltlich nicht lange nachhallt, habe ich ihn mit großem Interesse gelesen. Daher vergebe ich 4 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 07.04.2025

Vielschichtiger Fall zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Die Nacht (Art Mayer-Serie 3)
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„Die Nacht“ ist der dritte Band der Art-Mayer-Serie von Marc Raabe und konfrontiert den Ermittler mit seinem bisher persönlichsten Fall – düster, rätselhaft und voller Abgründe.
Marc Raabe, geboren 1968 ...

„Die Nacht“ ist der dritte Band der Art-Mayer-Serie von Marc Raabe und konfrontiert den Ermittler mit seinem bisher persönlichsten Fall – düster, rätselhaft und voller Abgründe.
Marc Raabe, geboren 1968 in Köln, zählt zu den erfolgreichsten deutschen Thrillerautor:innen. Bereits sein Debüt „Schnitt“ (2012) stand auf der Spiegel-Bestsellerliste. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist Raabe Mitinhaber einer Fernsehproduktionsfirma. Seine Werke erscheinen in zehn Sprachen und begeistern Thriller-Fans mit komplexen Handlungen und psychologischem Tiefgang.

Worum geht’s genau?

Art Mayer ist auf der Suche nach Dana Karasch, der verschwundenen Mutter der kleinen Milla – seiner Nachbarin. Ein anonymer Hinweis führt ihn und seine Kollegin Nele Tschaikowski zu einer abgelegenen Wohnwagensiedlung im Wald. Statt Dana entdecken sie dort die Leiche eines bekannten Richters – aufgehängt wie gekreuzigt, mit aufgeschlitztem Bauch. Der Wohnwagen gehörte einst Danas Eltern, und ein altes Foto zeigt den Toten als jungen Mann – zusammen mit Dana. Parallel wird Milla vor der Schule heimlich gefilmt. Was steckt hinter diesem Fall, der tief in die Vergangenheit zurückreicht? Und was hat Dana wirklich mit all dem zu tun?

Meine Meinung

Ich habe „Die Nacht“ als Hörbuch-Rezensionsexemplar gehört. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich schon Bücher von Raabe kannte, aber im Verlauf kamen mir die Charaktere vertraut vor. Der Einstieg fiel mir etwas schwer, doch vor allem in der zweiten Hälfte wurde es deutlich spannender. Besonders gelungen fand ich die Erzählstruktur mit verschiedenen Zeitebenen, die regelmäßig mit kleinen Cliffhangern enden. Dadurch entstehen ständig neue Fragen und Hypothesen, was das Hören sehr dynamisch macht.

Peter Lontzek als Sprecher passt hervorragend zur düsteren Atmosphäre – seine Stimme ist angenehm und trägt zur Spannung bei. Die Handlung selbst bietet zwar Raum für einen weiteren Teil, ist aber in sich abgeschlossen.

Das Ende hat mich überrascht – teilweise wirkte es etwas konstruiert oder diffus. Mein eigener Verdacht ging in eine andere Richtung, die ebenfalls schlüssig gewesen wäre. Trotzdem fand ich das gewählte Ende (für den Fall an sich) letztlich stimmig. Weniger überzeugend waren für mich manche Handlungen der Figuren, die ich nicht immer ganz nachvollziehen konnte.

Insgesamt hatte ich jedoch Spaß beim Zuhören. Ich würde definitiv einen weiteren Teil der Reihe lesen bzw. hören. Das Cover gefällt mir optisch sehr gut – die dunkle Atmosphäre mit den Wölfen passt zwar nicht perfekt zum Inhalt, schafft aber eine passende Grundstimmung (Wald, Isolation, Gefahr).

Fazit

„Die Nacht“ ist ein spannender Thriller mit Atmosphäre und psychologischer Tiefe. Kleinere Schwächen im Handlungsverlauf und bei den Figuren werden durch eine mitreißende Erzählweise und ein stimmiges Setting wettgemacht.
Bewertung: 4 von 5 Sternen

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Veröffentlicht am 07.04.2025

Starker Thriller mit spannender Handlung, der aber nicht ganz an Teil 1 heranreicht.

Narbensommer #Thriller
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In "Narbensommer" entführt uns Chris Dominik erneut in die düsteren Abgründe Frankfurts und konfrontiert uns mit einer Mordserie, die das Rotlichtmilieu erschüttert. Der Autor, selbst in Frankfurt am Main ...

In "Narbensommer" entführt uns Chris Dominik erneut in die düsteren Abgründe Frankfurts und konfrontiert uns mit einer Mordserie, die das Rotlichtmilieu erschüttert. Der Autor, selbst in Frankfurt am Main beheimatet, kennt die Schauplätze seiner Romane bestens. Mit seinem Ermittlerteam rund um Marc Davids und Zoé Martin hat er eine Reihe geschaffen, die durch psychologische Tiefe, reale Schauplätze und eine dichte Atmosphäre überzeugt. Dominik gelingt es, gesellschaftliche Realität und Fiktion so ineinanderfließen zu lassen, dass man als Leser:in das Gefühl hat, mitten im Geschehen zu stehen.

Worum geht's genau?

Der Thriller beginnt mit einem Rückblick: Eine Abiturfeier endet für einen Jugendlichen in einem traumatischen Verbrechen, das sein Leben für immer verändert. Jahre später erschüttern brutale Morde an Prostituierten die Stadt. Während rivalisierende Gruppen der albanischen Mafia und ein Rockerclub um Macht ringen, verdichten sich die Hinweise auf einen noch viel größeren Schrecken. In den Schatten der Stadt scheint eine Bestie zu lauern, die nach eigenen Regeln jagt. Das Team der Sondereinheit AS9 nimmt die Ermittlungen auf – und begibt sich dabei tief in die Abgründe des Frankfurter Rotlichtmilieus.

Meine Meinung

Nachdem ich "Narbenwald" regelrecht verschlungen habe und es zu meinen Highlights des letzten Jahres zählte, war meine Vorfreude auf "Narbensommer" entsprechend groß. Der Einstieg ist packend, der Plot erneut spannend konstruiert, und ich wurde mehrfach auf falsche Fährten geführt – was ich sehr schätze. Dennoch muss ich sagen, dass mich dieser zweite Band nicht ganz so mitgerissen hat wie der erste. Das liegt vor allem am Setting: Die Auseinandersetzungen zwischen albanischer Mafia und Rockergruppen im Rotlichtmilieu waren für mich persönlich weniger greifbar und emotional mitreißend.

Das Ermittler:innenteam um Zoé, Marc, Nicole und Ayman bleibt weiterhin interessant. Ich fand es erfrischend, dass auch in diesem Band verschiedene Perspektiven eingebaut wurden – besonders die Einblicke in die Gedankenwelt des Täters bzw. der Täterin waren sehr gelungen und erzeugten zusätzliche Spannung. Was mich jedoch überrascht hat: Ich wünschte mir ausnahmsweise mehr Privates. Gerade Ayman und Nicole bleiben eher blass, obwohl sie Potenzial für mehr Tiefe hätten. Auch über die anderen Figuren hätte ich gern noch etwas mehr erfahren. Das ist ungewöhnlich, da ich sonst eher genervt bin, wenn Thriller zu sehr in das Privatleben der Ermittler:innen abdriften – hier jedoch hätte es die Geschichte für mich bereichert.

Fazit

"Narbensommer" ist ein lohnenswerter Thriller, der durch dichte Atmosphäre, spannende Wendungen und starke Figuren punktet. Auch wenn er für mich nicht ganz an den ersten Band herankommt, würde ich es empfehlen. 4 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 04.04.2025

Ein Traum, der sich verliert

Dream Count
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In "Dream Count" erzählt Chimamanda Ngozi Adichie die Geschichten von vier sehr unterschiedlichen Frauen, deren Leben durch Sehnsucht, Verletzlichkeit und den Wunsch nach Selbstbestimmung verbunden sind. ...

In "Dream Count" erzählt Chimamanda Ngozi Adichie die Geschichten von vier sehr unterschiedlichen Frauen, deren Leben durch Sehnsucht, Verletzlichkeit und den Wunsch nach Selbstbestimmung verbunden sind. Die nigerianische Autorin wurde 1977 geboren, studierte in den USA unter anderem Afrikanistik an der Yale University und gilt heute als eine der bedeutendsten Stimmen der Gegenwartsliteratur. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Orange Prize for Fiction. International bekannt wurde sie durch Romane wie Americanah oder Die Hälfte der Sonne, aber auch durch ihre feministischen Essays, die u.a. mit Beyoncé-Samples weltweite Aufmerksamkeit erhielten. Dream Count ist ihr erster Roman seit zehn Jahren und wurde mit großer Spannung erwartet.

Worum geht’s genau?

Vier Frauen, vier Perspektiven, ein verbindendes Thema: die Frage nach den eigenen Träumen und den Wegen, auf denen sie verloren gingen. Chiamaka, eine Reiseschriftstellerin, blickt zurück auf ihr Leben und ihre verpassten Chancen – insbesondere auf eine Beziehung, die hätte bedeutsam werden können. Zikora, eine Anwältin in Washington, wird alleinerziehende Mutter und konfrontiert in ihrer neuen Rolle plötzlich die verdrängte Nähe zu ihrer eigenen Mutter. Omelogor, in Nigeria aufgewachsen, arbeitet in der Finanzwelt, bis sie genug hat von Korruption und nach Bildung in den USA strebt. Und Kadiatou, die als Haushälterin und Hotelangestellte in prekären Verhältnissen lebt, wird Opfer eines Übergriffs – ein Gerichtsprozess folgt, in dem ihre Stimme kaum Gehör findet. Der Roman spannt ein erzählerisches Netz zwischen Nigeria, den USA und Europa und beleuchtet die inneren wie äußeren Kämpfe seiner Protagonistinnen – zwischen Verlust, Hoffnung und dem Wunsch nach Sichtbarkeit.

Meine Meinung

"Dream Count" war mein erstes Buch von Chimamanda Ngozi Adichie, und ich hatte entsprechend hohe Erwartungen – nicht zuletzt durch die vielen begeisterten Stimmen in meiner Buchbubble. Das übergeordnete Konzept des „Dream Count“, also einer Bilanz verpasster Chancen, hat mich sofort angesprochen. Die Metapher, als Umkehrung des bekannten Begriffs „Body Count“, eröffnet eine interessante Reflexion über Lebensentscheidungen, vergangene Beziehungen und ungenutzte Potenziale. Besonders Chiamakas Rückblick auf eine verpasste Liebesbeziehung mit Chuka bringt das gut zur Geltung.

Der Einstieg in den Roman gelang mir gut, auch weil Adichies Schreibstil elegant und flüssig ist – voller kluger Sätze und poetischer Bilder. Einige Zitate habe ich mir besonders markiert:

„Ich trauerte um etwas, von dem ich nicht einmal wusste, ob es existierte...“ (S. 19),
„Wohin verschwindet die Liebe, wenn wir aufhören zu lieben?“ (S. 81),
„Der tatsächliche Vorteil des Reisens ist, dass man der tröstlichen Alltäglichkeit aller anderen begegnet.“ (S. 113),
„Im unvollendeten Sterben empfindet man ein Verlangen danach zu trauern...“ (S. 173),
oder „Wie seltsam, dass wir beim Waten durch die Sümpfe des Lebens davon ausgehen, dass nur wir selbst mit Unsicherheiten zu kämpfen haben.“ (S. 474).

Was mich allerdings zunehmend frustrierte, war die Themenfülle, die leider nicht in die Tiefe ging. Adichie behandelt eine schier überwältigende Bandbreite an Themen: Rollen der Frau, Mutterschaft, Queerness, MeToo und sexualisierte Gewalt, geschlechtsspezifische Gewalt (etwa female genital mutilation), Abtreibung, Kinderwunsch, toxische Beziehungen, Schönheitsideale, feministische Perspektiven auf Literatur, Freundinnenschaft, Sexismus, patriarchale Strukturen, Rassismus, Kolonialismus, Diaspora, Identitätspolitik, soziale Ungleichheit, Reichtum und Klassenunterschiede, Migration, Korruption, Religion, mentale Gesundheit, Einsamkeit, Trauer, Selbstwert, Liebe, Manipulation in Beziehungen, Pornografie, Corona, westliche Doppelmoral, Eurozentrismus, Adoption, der Einfluss von Tourismus, die Macht von Geschichten – und noch viele mehr.

Diese thematische Dichte führte dazu, dass viele Aspekte lediglich angerissen und nie wirklich auserzählt wurden. Gerade weil mich viele dieser Themen interessieren, war ich enttäuscht darüber, wie oberflächlich sie behandelt wurden trotz des Umfangs des Buches (528 Seiten). Die Struktur des Romans – in fünf große Abschnitte gegliedert, je einer pro Figur, wobei Chiamaka Anfang und Ende bildet – ist grundsätzlich gut gewählt. Doch im Verlauf verlor ich zunehmend den Zugang zur Erzählung. Die einzige Figur, deren Kapitel mich wirklich tief bewegt hat, war Kadiatou. Ihre Geschichte – der Übergriff, das ungerechte Verfahren und die daraus resultierende Lebensveränderung – (basierend auf dem realen Vergewaltigungsvorwurf von Nafissatou Diallo gegen den damaligen IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn) war erschütternd und eindringlich erzählt. An dieser Stelle hat mich Adichies erzählerische Kraft überzeugt und berührt. Leider blieb dieses Gefühl auf diesen Abschnitt begrenzt.

Stellenweise zog sich das Buch enorm. Trotz des schönen Schreibstils wollte bei mir kein richtiger Lesefluss aufkommen. Ich musste mich zum Weiterlesen regelrecht zwingen. Auch der Klappentext hatte mir ein anderes Leseerlebnis suggeriert – ich hatte auf etwas gehofft, das mich ähnlich wie "Blue Sisters" von Coco Mellors mitnimmt, bei dem die geschichte auch aus versch. Perspektiven erzählt wird. Stattdessen war es für mich eine Berg- und Talfahrt, bei der sich Begeisterung und Ermüdung die Waage hielten. Am Ende stand ich mit dem Gefühl da, dass sich dieser Roman trotz vieler wichtiger Themen in seiner Ambition verzettelt. Es blieb eine gewisse Leere zurück – und auch Enttäuschung über das verpasste Potenzial.

Fazit

So wie die Protagonistinnen in "Dream Count" mit verlorenen Träumen ringen, hat mich auch dieser Roman enttäuscht zurückgelassen. Trotz starker Passagen und eindrucksvoller Sprache wirkt das Gesamtwerk überladen und wenig tiefgründig. Ich vergebe 2,5 von 5 Sternen – für den Schreibstil, den Versuch thematischer Vielstimmigkeit und das bewegende Kapitel über Kadiatou, aber auch für ein Leseerlebnis, das mich leider nicht durchgehend überzeugt hat.

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Veröffentlicht am 01.04.2025

Ein Buch, das Mut macht, sich eigene Räume zu schaffen – egal ob physisch oder gedanklich

Ein Raum zum Schreiben
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Was bedeutet es, als Frau einen eigenen Raum zum Schreiben zu haben? Und was geschieht, wenn dieser Raum verloren geht? Diesen Fragen widmet sich Kristin Valla in ihrem Buch "Ein Raum zum Schreiben". Die ...

Was bedeutet es, als Frau einen eigenen Raum zum Schreiben zu haben? Und was geschieht, wenn dieser Raum verloren geht? Diesen Fragen widmet sich Kristin Valla in ihrem Buch "Ein Raum zum Schreiben". Die norwegische Autorin, Journalistin und Lektorin wurde 1975 geboren und veröffentlichte bereits mehrere international beachtete Romane, darunter "Muskat" und "Das Haus über dem Fjord". In ihrem neuesten Werk verbindet sie persönliche Reflexionen mit literaturhistorischen Betrachtungen über Schriftstellerinnen, die sich ihren eigenen Platz in einer oft männlich dominierten Welt erkämpfen mussten.

Worum geht’s genau?

Kristin Valla stellt mit Anfang vierzig fest, dass sie sich selbst nicht mehr als Schriftstellerin betrachtet. Muttersein, Partnerschaft und berufliche Verpflichtungen haben dazu geführt, dass ihr kreativer Raum geschrumpft ist – ihr ehemaliges Arbeitszimmer wurde zum Kinderzimmer, und sie schreibt kaum noch. Um das zu ändern, begibt sie sich auf zwei Reisen: Eine führt sie nach Südfrankreich, wo sie nach einem eigenen Rückzugsort sucht, die andere auf die Spuren berühmter Autorinnen wie Daphne du Maurier, Selma Lagerlöf oder Toni Morrison, die sich unter oft widrigen Umständen ihren Platz zum Schreiben erkämpften. In einem essayistischen Stil erzählt Valla von den Herausforderungen weiblicher Kreativität und der Bedeutung eines eigenen Ortes – sowohl im physischen als auch im übertragenen Sinn.

Meine Meinung

Das Buch hab ich als Rezensionsexemplar angefordert. Das Cover hat mich zunächst nicht besonders angesprochen, doch der Klappentext war überzeugend – er erinnerte mich an "Frauen Literatur" von Nicole Seifert. Beim Lesen stellte sich jedoch heraus, dass "Ein Raum zum Schreiben" ein ganz anderes Werk ist: persönlicher, intimer und weniger sachbuchhaft (was nicht negativ gemeint ist).

Von der ersten Seite an hat mich Vallas Schreibstil fasziniert. Ihre Sprache ist leise, aber eindringlich, und sie schildert mit großer Klarheit, wie sich die Rolle einer Frau – insbesondere einer Schriftstellerin – durch Heirat und Mutterschaft verändert. Besonders eindrücklich beschreibt sie, wie das Leben von Frauen oft in Bezug auf ihre Beziehungen erzählt wird: „Nullpunkte werden im Leben von Frauen oft unterschätzt. Unsere Geschichten werden in der Regel mit dem Ausgangspunkt in unseren Beziehungen zu anderen erzählt, mit Kindern und Ehe als großes Vorher und Nachher des Lebens; auch diejenigen, die dies nicht erleben oder sich dagegen entscheiden, müssen sich dazu verhalten.“ (S. 164)

Vallas Buch ist eine Mischung aus Selbstfindung und Rückbesinnung auf eigene Bedürfnisse. Das Haus, das sie in Südfrankreich sucht, wird zum Sinnbild für diesen Prozess – es ist ein Raum, der gestaltet, verändert und mit Bedeutung aufgeladen wird. Besonders beeindruckt hat mich die Art, wie Valla immer wieder andere Schriftstellerinnen in ihre Erzählung einbindet. Es entsteht eine literarische Ahnenreihe von Frauen, die alle eines gemeinsam haben: den Wunsch nach einem eigenen Ort, an dem sie schreiben können.

Ein besonders bewegendes Zitat stammt aus dem Buch: „Immer wenn ich in diese Räume zurückkehrte, war es, als ob sie mir etwas über mich erzählten, was ich selbst vergessen oder gar nicht gewusst hatte. Ein Gefühl, mir selbst zu begegnen und freudig davon überrascht zu sein, wer dieser Mensch in Wirklichkeit war.“ (S. 126, E-Book). Diese Reflexion über den eigenen Raum als Spiegel der Identität fand ich besonders treffend.

Auch die Bedeutung eines Arbeitsraums wird immer wieder thematisiert. Valla schreibt: „Das Haus war nicht nur ein Ort, wo ich schrieb, sondern ein Ort, wo ich mich in Gedanken vertiefen, mich in meinen eigenen Kopf einklinken, Klarheit darin erlangen konnte, was ich wollte und was in mir wohnte.“ (S. 169). Dieses Bedürfnis nach einem Rückzugsort kennen sicher viele kreative Menschen – besonders Frauen, die ihre eigenen Wünsche oft hinter anderen Verpflichtungen zurückstellen.

Besonders beeindruckt hat mich zudem eine Passage, die verdeutlicht, unter welchen Umständen Frauen immer wieder geschrieben haben: „Wenn mir die Geschichte etwas gezeigt hatte, dann, dass Frauen überall schreiben können, unter den unmöglichsten Bedingungen. Sie hatten am Herd geschrieben, während sie Brownies buken, und auf dem Treppenabsatz, während sie Kinder hüteten. Auf dem Wickeltisch beim Windelwechsel und im Bus auf dem Weg zur Arbeit, nachts in einer dunklen Wohnstube und tagsüber im Gefängnis. Frauen hatten in einer Höhle im Gebirge geschrieben, in einer psychiatrischen Klinik, in abgrundtiefer Armut und am Rande des Selbstmordes.“ (S. 146, E-Book). Dieser Abschnitt verdeutlicht eindringlich, mit welchen Herausforderungen Frauen in der Literaturgeschichte konfrontiert waren – und wie notwendig ein eigener Raum für kreatives Schaffen ist.

Fazit

"Ein Raum zum Schreiben" ist ein tiefgründiges, kluges und inspirierendes Buch, das sich mit der Frage beschäftigt, was es bedeutet, als Frau zu schreiben – und welchen Raum es dafür braucht. Kristin Vallas Essay verbindet persönliche Erlebnisse mit literaturhistorischen Betrachtungen und schafft so ein vielschichtiges Werk, das mich sowohl emotional als auch intellektuell berührt hat. Ein MUST READ. 5 von 5 Sternen.

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