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Veröffentlicht am 17.12.2022

Der bisher beste Band der “Dark-Iceland-Serie”

Blindes Eis
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Die von btb neu aufgelegte Reihe um den isländischen Polizisten Ari Thór Arason geht nun in diesem Herbst/Winter weiter. Nach “Schneeblind” und “Todesnacht” ist “Blindes Eis” der dritte Teil.

Ari Thór ...

Die von btb neu aufgelegte Reihe um den isländischen Polizisten Ari Thór Arason geht nun in diesem Herbst/Winter weiter. Nach “Schneeblind” und “Todesnacht” ist “Blindes Eis” der dritte Teil.

Ari Thór ist zwar “nur” Polizist in Siglufjörður, einer Kleinstadt ganz im Norden des Landes, aber er hat eine Art sechsten Sinn,wenn es darum geht, bei komplizierten Verbrechen eine Lösung zu ermitteln. Auch mit länger zurückliegenden Geschehnissen beschäftigt er sich gerne und setzt alles, was er erfährt, zu einem schlüssigen Bild zusammen.

Seine Besonnenheit und Planungsstärke kommen ihm im Beruf aber auch im Privatleben zugute. Obwohl er zugezogen ist, kann er langsam aber sicher das Vertrauen der Bewohner gewinnen. Einer davon ist der 56-jährige Hédinn.

Er hofft, dass Ari Thór ihm dabei helfen kann, herauszufinden, was zum Tod seiner Tante geführt hat, die nicht lange nach seiner Geburt starb. Da es kein natürlicher Tod war, vermutet er, dass noch Polizeiakten existieren.

Da in der Stadt nicht viel passiert und Ari Thór somit Zeit hat, vertieft er sich in die Geschichte und kommt letztlich nicht mehr davon los. Als “Außenstehender” kann er sich einen Überblick über die damaligen Ereignisse verschaffen. Im Zuge dieser Recherchen helfen ihm unter anderem eine Frau aus Siglufjörður und eine Journalistin aus Reykjavík.

Ragnar Jónasson spielt auch in “Blindes Eis” seine Stärken aus - es braucht nicht viele parallele Handlungsstränge dafür. Mit einer grundsätzlich durchgehend erzählten Handlung kann er mit seiner Erzählkraft eine starke Spannung entwickeln. Der Thriller ist nicht blutig oder actiongeladen, vielmehr stehen die Charaktere und ihre individuellen Stärken und Schwächen im Mittelpunkt. Auch die Nebenfiguren bekommen teilweise noch eine Hintergrundgeschichte, die aber nicht ablenkt, sondern das Buch komplett macht.

Veröffentlicht am 16.12.2022

Weniger dystopisch als man vermuten würde

Tage voller Zorn
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Und hier ist wieder ein Skandinavien-Thriller, der nicht enttäuscht. Es muss auch nicht immer ein ganz großer Name sein. Finnland als Setting kenne ich zwar, aber das gibt es weniger häufig als andere ...

Und hier ist wieder ein Skandinavien-Thriller, der nicht enttäuscht. Es muss auch nicht immer ein ganz großer Name sein. Finnland als Setting kenne ich zwar, aber das gibt es weniger häufig als andere Länder, daher war ich hier besonders interessiert.

Mehr als 560 Seiten Spannung warten hier auf den Leser, dick verpackt in eine eisige und zugleich hitzige Atmosphäre. Tuomas Oskari lässt die Geschichte ein wenig in der Zukunft spielen und greift gesellschaftliche Probleme auf, die nicht erst seit der Pandemie existieren, aber durch all das verstärkt wurden (und gerade werden).

Der Thriller ist sehr politisch, da der Zorn des Volkes sich immer auch gegen die Politik richtet, die zum Teil zurecht für manche Zustände verantwortlich gemacht wird. Das Finnland in Oskaris Buch ist da keine Ausnahme.

Befeuert von der Unzufriedenheit einer großen, machtlosen Mehrheit und der wachsenden monetären Probleme vieler, rütteln und sägen so einige Mächte am Stuhl des Ministerpräsidenten Leo Koski.

Er steht einer konservativen Regierung vor, die von den gut Betuchten weiterhin gestützt, aber von vielen aus der Bevölkerung verachtet wird. Demonstrationen und Unruhen sind an der Tagesordnung und Koski muss sich zwischen seinen Werten und dem Druck von außen entscheiden.

Oskari analysiert die gesellschaftliche Lage eindringlich und zeigt auf, wohin viele Staaten tatsächlich steuern könnten, wenn nur so weiter gewirtschaftet wird wie bisher. Er lässt seine Charaktere auch Optionen entwerfen, was passieren könnte, welchen Ausweg es geben könnte.

Hat der Kapitalismus ein Ablaufdatum, müssen wir dieses System zu einem Ende bringen und etwas Gerechteres etablieren, um weiterhin friedliche Demokratien erhalten zu können? Dieser fesselnde Thriller bietet in dieser Hinsicht definitiv genug “food for thought”.

Veröffentlicht am 17.11.2022

Der Natur ausgeliefert

SCHNEE
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Von Yrsa Sigurðardóttir kannte ich bisher nur die Huldar/Freyja-Reihe, die mir gut gefällt, daher hat mich auch dieser singuläre Krimi angesprochen.

Die Autorin verlagert die Geschichte hier großteils ...

Von Yrsa Sigurðardóttir kannte ich bisher nur die Huldar/Freyja-Reihe, die mir gut gefällt, daher hat mich auch dieser singuläre Krimi angesprochen.

Die Autorin verlagert die Geschichte hier großteils in den Osten des Landes, weg von Reykjavik und anderen größeren Städten, in einen kleinen Ort und die weit gedehnte isländische Gletscherlandschaft im Winter.

Die Bergwacht rückt aus, um vermisste Personen zu suchen. Viel weiß man nicht über sie, aber wenn Städter eine “Wandertour” in das gefährliche Gelände machen, geht das selten gut aus. Parallel zur Suchaktion auf dem Hochland wird von der Polizei auch ermittelt, wie viele Leute vermisst sind, was sie vorher gemacht haben und wo sie gelandet sein könnten.

Der Leser hat den Vorteil, dass er zwischendurch immer wieder Abschnitte bekommt, die eine Woche zuvor spielen. Damit ist mal bei dieser gewagten Tour hautnah dabei. Man erfährt mehr über die Harmonie in der Gruppe und was sie antreibt, ihre Ängste und Pläne.

Doch das ist noch nicht alles. Im Hochland gibt es die Vermissten und nicht weit davon steht eine große, ehemals amerikanisch betriebene Radarstation. Die Ereignisse dort laufen zunächst parallel nebenher und werden nach und nach stärker in die Geschichte eingebunden und überraschende Zusammenhänge werden ersichtlich.

Und über allem schwebt noch eine Art mystische isländische Aura, die einige Beteiligten zusätzlich unter Stress setzt. Auch beim Leser kommt davon einiges an.

“Schnee” ist ein packender Thriller, der gerade gegen Ende noch einmal Gänsehautpotential hat. Die Abschnitte wechseln angenehm schnell zwischen den Schauplätzen womit man zwar gerne unterbrochen wird, wenn es spannend ist, aber bald ist ohnehin jeder Handlungsstrang so spannend, dass das wenig Unterschied macht.

Das Ende ist sicher nicht jedes Lesers Geschmack, aber auf jeden Fall stimmig und es weiß zu verblüffen.

Veröffentlicht am 23.09.2022

Glaubwürdig und auch modern

Ein Fremder hier zu Lande
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Dieser historische Krimi spielt in Berlin, zu einer Zeit als Strom in den Haushalten nur ganz vereinzelt möglich war. Man ging zu Fuß oder fuhr mit dem Pferdeomnibus oder einer Droschke.

Eine Spurensicherung ...

Dieser historische Krimi spielt in Berlin, zu einer Zeit als Strom in den Haushalten nur ganz vereinzelt möglich war. Man ging zu Fuß oder fuhr mit dem Pferdeomnibus oder einer Droschke.

Eine Spurensicherung gab es nicht, vieles, was heute selbstverständlich zur Verbrechensaufklärung zählt, war nicht bekannt oder gerade erst in den Kinderschuhen. Der Autor beschreibt diese Entwicklungen und Probleme sehr gut.

Diese Umstände machten es Verbrechern potentiell sogar einfacher, mit ihren Taten durchzukommen, doch unser Mörder hier hat nicht mit den beiden Kriminalkommissaren Ernst Vorweg und Wilhelm von der Heyden gerechnet.

Wobei unser Mörder zu kurz gefasst ist, denn die beiden findigen Akteure lösen gleich mehrere Fälle, die für den Rest der Polizei zu schwierig wären. Als kleine Sondereinheit verfügen sie über eine recht freie Zeiteinteilung und unterstehen nur und direkt dem Leiter der Kriminalpolizei.

In dieser Hinsicht liest sich das Buch sogar recht modern und auch wenn allerlei für uns heute seltsame “Regeln” gelten im Umgang zwischen den Personen und “Hofdame” noch ein Beruf ist, so wirken die Ermittlungen der beiden befreundeten Kollegen nicht altbacken.

Die mehr als 500 Seiten lange Geschichte unterhält gut, auch wenn sie ohne das eine oder andere Detail auskommen könnte. Aber wer weiß, vielleicht ist etwas davon für weitere Bände nötig. “Ein Fremder hier zu Lande” ist nämlich selbst Band 2, nach “Des Kummers Nacht”.

Veröffentlicht am 15.08.2022

Der Gute unter den Bösen

City on Fire
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Dank seines beruflichen Hintergrunds als Privatdetektiv und Anti-Terror-Ausbilder ist Don Winslow in der Lage, Thriller über Kriminelle sehr authentisch zu schreiben. Nicht nur das, eine der Stärken des ...

Dank seines beruflichen Hintergrunds als Privatdetektiv und Anti-Terror-Ausbilder ist Don Winslow in der Lage, Thriller über Kriminelle sehr authentisch zu schreiben. Nicht nur das, eine der Stärken des Autors ist es auch, beim Leser Sympathie für manche seiner fiktiven Charaktere zu erzeugen.

Wir fiebern mit Danny Ryan, einem jungen Iren, der in Providence an der US-Ostküste in den 1970ern erwachsen wird. Danny stammt aus schwierigen Verhältnissen. Sein Vater ist Oberhaupt der irischen Mafia, die sich freundschaftlich alles zwischen Boston und New York mit den Italienern teilt. Ein bisschen Schusswaffen hier, ein bisschen Schutzgeld da, aber niemals Drogengeschäfte.

Danny also findet seinen Platz in der “Organisation” und stellt sich bald als einer der Klügeren heraus. Zwar ist er in die kriminellen Geschäfte verstrickt, hat aber abseits dessen mit Alltagsproblemen wie du und ich zu kämpfen.

Und plötzlich gibt es Ärger im Paradies, also in Providence und der Frieden wackelt. Männer, die sich wie Männer benehmen und erst einmal handeln, statt miteinander zu reden, tun das Übrige.

Der Thriller ist derb und fordert beim Lesen heraus. Es gibt viele Charaktere, die kurze, wenig prägnante Namen haben oder mit Spitznamen bezeichnet werden. Aber sobald man damit zurechtkommt, ertappt man sich dabei, wie man über einen Kriminellen plötzlich anders denkt als über den anderen.

Gibt es hier ein “Gut” und “Böse”? Wie viel Grauzone erlaubt eine Geschichte über Mafiaclans? Ist der Mord mit Pistole “besser” als der, wo ein anderer überfahren wird?

Am Ende bleibt eine Erkenntnis: Für Danny Ryan gibt es - trotz allem - Grenzen und ebenso “gut” und “böse”. Oder zumindest “böse” und “böser”. Und was für Danny Ryan gilt, gilt!


“City on Fire” ist der erste Band einer geplanten Trilogie. Die (englischen) Titel der weiteren lauten aktuell City of Dreams (2023) und City of Ashes (2024).