Wenn Rehe zu Mördern werden
Ein wenig Respekt hatte ich schon vor meinem ersten Buch der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk.
Wir treffen auf die bereits etwas ältere Janina Duszejko, die recht einsam in Polen ...
Ein wenig Respekt hatte ich schon vor meinem ersten Buch der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk.
Wir treffen auf die bereits etwas ältere Janina Duszejko, die recht einsam in Polen nahe der tschechischen Grenze wohnt. Die kleine Siedlung "Luftzug" ist im Winter verwaist und Janina hütet die Häuschen der Städter, unterrichtet Englisch an einer kleinen Schule und übersetzt mit ihrem ehemaligen Schüler Dyzio jeden Freitag Texte des englischen Mystikers William Blake. Ihr Steckenpferd ist jedoch die Astrologie und so ist es für sie keine Überraschung, dass ihr Nachbar Bigfoot an einem Rehknochen erstickt ist, denn der Saturn stand dafür günstig.
In einer augenscheinlich leichten, sehr gut lesbaren Sprache, läßt die Autorin ihre Heldin Janina aus der Ich-Perspektive erzählen. Die Protagonistin überzeugt durch eine humorvolle und direkte Art, präzise Beobachtungsgabe, wunderbare Vergleiche und einer beträchtlichen Entschlossenheit und Unerschrockenheit. So ist es ihr völlig gleichgültig für "verrückt" gehalten zu werden, als sie rächende Tiere für den Tod von Bigfoot verantwortlich macht. Dies teilt sie auch in wohlformulierten Briefen der Polizei mit.
Der Klappentext fokussiert sich sehr auf den Krimi-Aspekt des Romans, es steht aber so viel mehr darin. Es ist nicht bedeutungslos, dass gerade Blake so oft zitiert wird. Hier schafft Tokarczuk viele Verweise und Anspielungen, alles wird man wohl erst beim wiederholten Lesen und nach einer intensiveren Beschäftigung mit William Blake entdecken und verstehen. Die Bedeutung der Natur, der Tiere und die zerstörerische Macht des Menschen sind zentrale Themen. So leiden wir mit Janina, wenn sie vom Steinbruch berichtet, der vielleicht irgendwann das ganze Hochplateau verschlingen wird oder von gequälten Tieren. Aber es geht auch anders: Wie die vermeintlich Schwachen sich eines Gegners erwehren, erzählt Janina am Beispiel der Krammetsvögel (Wacholderdrossel), die sich wie ein einziger Organismus bewegen und so einen Falken besiegen - indem sie geschlossen Kot auf ihn fallen lassen, der seine Flügel verklebt und ihn zur Landung zwingt. - Offenbar stehen die Sterne günstig für die Tiere, denn es bleibt nicht bei einem toten Menschen.
Ich habe das Buch sehr gerne gelesen. Eine ansprechende bildliche und doch leichte Sprache, gelegentlich durch die Begriffe der Astrologie etwas bremsend, aber immer originell und wirklich witzig. Einen eigentümlichen und liebenswerten Kosmos hat die Autorin um ihre Heldin auf dem Hochplateau "Luftzug" gestrickt.