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Veröffentlicht am 30.12.2024

Die Unsichtbare

Lempi, das heißt Liebe
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Lempi, Kaufmannstochter aus der Stadt, heiratet kurzentschlossen den jungen Bauern Viljami und geht mit ihm auf seinen Hof in Lappland. Bald muss Viljami in den Krieg ziehen und seine Frau bleibt allein ...

Lempi, Kaufmannstochter aus der Stadt, heiratet kurzentschlossen den jungen Bauern Viljami und geht mit ihm auf seinen Hof in Lappland. Bald muss Viljami in den Krieg ziehen und seine Frau bleibt allein mit der Magd auf dem Hof zurück. Als er heimkehrt, ist seine große Liebe Lempi verschwunden.

Die Figur der Lempi bleibt undeutlich, wie auf dem Cover. Wir lernen sie nur durch die Augen anderer kennen. Im ersten Dritten verzehrt sich Viljami auf dem Weg nach Hause nach ihr und kann nicht fassen, dass sie ihn verlassen haben soll. Der zweite Abschnitt wird aus der Sicht der Magd Elli erzählt, die letzte Sicht auf Lempi gewährt uns ihre Zwillingsschwester Sisko.

Der Debütroman der ebenfalls aus dem nördlichsten Teil Finnlands stammenden Autorin Rytisalo besticht durch die drei unterschiedlichen Sprachstile, die sie ihren drei Erzählerinnen gibt. Ich muss gestehen, dass mich der erste Abschnitt ziemlich ermüdet hat. Erst mit der Erzählung der Magd nimmt der Roman Schwung auf und auch Spannung. Es lohnt sich also dranzubleiben.

Neben der Sprache und der ungewöhnlichen Erzählweise barg das Buch auch inhaltlich Neues für mich. Hintergrund der Handlung ist der zweite Weltkrieg, der Winterkrieg zwischen Russland und Finnland 1939/40 und die Waffenbruderschaft der Finnen und Deutschen gegen die Russen im Anschluss. Nach einem Waffenstillstandsvertrag mit Russland im September 1944, mussten alle deutsche Soldaten innerhalb von 14 Tagen Finnland verlassen. Plötzlich wurden aus Waffenbrüdern Feinde und viele finnische Frauen, die sich mit den Deutschen eingelassen hatten, wurden noch jahrzehntelang diskriminiert. Ebenso erging es ihren Kindern. Dieses dunkle Kapitel wird im Roman an verschiedenen Stellen thematisiert.

Der Roman läßt viel Spielraum für eigene Interpretationen was die Figuren und ihr Handeln anbelangt. Es wird nicht alles erklärt, vieles nur angedeutet. Letztlich muss sich jede
r selbst sein Bild von Lempi machen, den eigenen Blick scharf stellen, um in den Erzählungen der anderen Personen "seine" oder "ihre" Lempi zu entdecken.

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Veröffentlicht am 28.12.2024

Protokoll Nr. 42

Die Anomalie
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Man stelle sich vor: Gerade ist ein Flugzeug durch ein ziemlich raues Unwetter geflogen und will in New York landen, wird aber umgeleitet, weil exakt das gleiche Flugzeug, mit den gleichen Passagieren, ...

Man stelle sich vor: Gerade ist ein Flugzeug durch ein ziemlich raues Unwetter geflogen und will in New York landen, wird aber umgeleitet, weil exakt das gleiche Flugzeug, mit den gleichen Passagieren, bereits drei Monate zuvor gelandet ist.

Der Autor stellt uns zunächst einige der Passagiere und ihr Leben vor, mit all den kleinen und großen Problemen. Zwischendurch versucht die Boeing im Juni in New York zu landen, wird umgeleitet und das Protokoll Nr. 42 findet seine Anwendung. (Allein dieses Protokoll ist schon ein genialer Einfall.) Die Passagiere dürfen nicht nach Hause, denn sie sind ja schon seit drei Monaten dort und ihr Leben ist weitergegangen.

Was für ein Gedankenexperiment, mit dem uns Le Tellier hier konfrontiert. Es gab einige Stellen über Philosophie, Astrophysik und Religionslehre, die sich ein bisschen gezogen haben, aber ansonsten hat mir der Roman sehr gut gefallen. Er liest sich durch die schnörkellose Sprache sehr schnell, auch wenn mal wieder auf Anführungszeichen für die wörtliche Rede verzichtet wird. Ich habe noch ziemlich lange über diese ungewöhnliche und überraschende Geschichte und das, was dahintersteckt nachgedacht. Der Roman, der auch viele witzige Stellen hat, hat mich eine ganze Weile beschäftigt.

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Veröffentlicht am 28.12.2024

Fotojournalistin oder Reisefotografin?

Jenseits von New York
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Mit dieser Diskussion beginnt das interessante und informative Nachwort zu der Foto- und Reportagesammlung "Jenseits von New York" der Schweizerin Annemarie Schwarzenbach (1908-1942). Schwarzenbach stammte ...

Mit dieser Diskussion beginnt das interessante und informative Nachwort zu der Foto- und Reportagesammlung "Jenseits von New York" der Schweizerin Annemarie Schwarzenbach (1908-1942). Schwarzenbach stammte aus einer sehr wohlhabenden Industriellenfamilie, war mit Erika und Klaus Mann befreundet und bereiste unter anderem Spanien, Persien, Afghanistan und die USA.

In dieser Publikation sind drei Fotostrecken und neben Prolog und Epilog zwei Abschnitte mit Textbeiträgen enthalten. Mit New York im Rücken begibt sich Schwarzenbach 1936-1938 auf die Suche nach dem armen Amerika im Griff der großen Depression. Mit der Kamera fängt sie die einfachen Leute auf der Straße ein und dokumentiert so das Leben jenseits des amerikanischen Traums. Unbarmherzige Arbeitsbedingungen einerseits, Arbeitslosigkeit andererseits, Ohnmacht und Macht der Gewerkschaften sind ihre vorherrschenden Themen, die sich auch in den Texten widerspiegeln. Die Kombination ist gelungen, unterhält, informiert und ist gleichzeitig ein kritisches Zeitdokument. Ihre Fotografien erinnern an die bekannten Arbeiten von Dorothea Lange, eine der wichtigsten Vertreterinnen der sozialkritischen Dokumentarfotografie, die für die Informationsabteilung der Farm Security Administration (FSA) durch die USA reiste. Während dieser Dokumentation der ländlichen Lebensverhältnisse 1936 entstand das bekannte Foto „Migrant Mother“.

Im Nachwort bedauert der Herausgeber Roger Perret, dass es keine Selbstzeugnisse über die Art und Form von Schwarzenbachs fotografischer Arbeit in Amerika gäbe. (S. 172) Interessant wäre es allemal gewesen zu erfahren, wie sie vorgegangen ist, um Motive zu finden und ob sie diese ggf. verändert hat etc. Möglicherweise gab es Aufzeichnungen, aber ihr Nachlass wurde durch ihre Mutter in großen Teilen vernichtet, so z.B. nahezu alle Briefe und Tagebücher. Was für ein Verlust!

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Veröffentlicht am 28.12.2024

Damals

Der große Sommer
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Frieder, eigentlich Friedrich, hat in Mathe und Latein das Klassenziel nicht erreicht. Am Ende der Sommerferien steht eine Nachprüfung an. Schafft er diese nicht, muss er die Schule verlassen und damit ...

Frieder, eigentlich Friedrich, hat in Mathe und Latein das Klassenziel nicht erreicht. Am Ende der Sommerferien steht eine Nachprüfung an. Schafft er diese nicht, muss er die Schule verlassen und damit auch seinen besten Freund Johann und alle anderen. Der Sommerurlaub ist daher gestrichen und Frieder muss zu seinem Stiefgroßvater, der ihm eher Angst macht und der ziemlich unnahbar ist. Aber dank seiner liebevollen Großmutter und einer neuen Bekanntschaft namens Beate, ist dieser Sommer alles andere als fad. Der Sprung vom Siebeneinhalber ist da nur der Anfang.

Das Buch hat mir großen Spaß gemacht. Wie Johann, Frieder und dessen Schwester Alma miteinander umgehen, wie sie über die Schule und das Leben sprechen, da steckt noch so viel Lebensfreude und auch Unsicherheit drin. Ich wollte einfach nur ein Teil davon sein. Die quirlige Familie von Frieder, die Situation bei den Großeltern und alles was sich in diesem Sommer noch ereignet, hat der Autor absolut glaubwürdig geschildert. Das Thema Liebe wird auf verschiedenen Ebenen verarbeitet und auch das ist sehr gelungen. Wie immer in Coming-of-Age-Romanen geht es auch um das Thema Verlust und wie die Figuren daran wachsen, auch Arenz' Buch hat so einen Kipppunkt.

Über allem liegt ein wehmütigen Touch, weil durch Zwischenbemerkungen klar wird, dass der erwachsene Frieder auf diesen Sommer zurückschaut. Das erinnert leicht an eine Stormsche Rahmenhandlung.

Absolut verdient war das Buch 2021 der "Liebling der Unabhängigen" und man kann den Roman auch wunderbar im Winter lesen.

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Veröffentlicht am 28.12.2024

Von Berlin nach Stettin

Kommissar Gennat und die Tote im Reisekorb
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Max Kaminski ist Reporter beim Berliner Abendblatt. Um die Leserinnen und Leser von den Auswirkungen des Krieges, wir schreiben das Jahr 1916, abzulenken, schlägt er eine mehrteilige Reportage über die ...

Max Kaminski ist Reporter beim Berliner Abendblatt. Um die Leserinnen und Leser von den Auswirkungen des Krieges, wir schreiben das Jahr 1916, abzulenken, schlägt er eine mehrteilige Reportage über die Arbeit der Kriminalpolizei vor. Kaminski wird dem bekannten Kriminalkommissar Ernst Gennat zugewiesen. Und noch bevor er Gennats Büro betritt, stolpert der Reporter über den Fall der vermissten Martha Franzke.


Die Handlung beruht auf einem tatsächlichen Berliner Kriminalfall und die Autorin hat alle verfügbaren Unterlagen eingesehen und sich für ihren Roman daran orientiert. Kommissar Gennat hat es tatsächlich gegeben, seine Mordinspektion war ebenso berühmt wie er selbst. Er spielt auch in den Gereon Rath-Romanen von Volker Kutscher eine wichtige Rolle.


Der Fall Martha Franzke ist jetzt nicht so spannend, er zieht sich eher, aber man erfährt sehr viel über die damalige Arbeit der Polizei. Die Schilderung des Umfeldes haben mir sehr gefallen. Die Welt der kleinen Leute, die im zweiten, dritten Hinterhof wohnen und kaum über die Runden kommen. Das Lokalkolorit macht das Besondere des Romans aus. Der Schreibstil läßt sich gut lesen. Wer sich für Berliner Kriminalfälle aus dieser Zeit interessiert, für den gibt es in der Reihe noch mehr Gennat-Bücher zu entdecken.

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