Verfilmung durch Lionsgate (»Tribute von Panem«, »Divergent«)mit internationaler Starbesetzung: Daisy Ridley (»Star Wars«), Tom Holland (»Spiderman«), Nick Jonas (»Jumanji«), Mads Mikkelsen (»Hannibal«), David Oyelowo (»Selma«).
Todd Hewitt ist der letzte Junge seiner Heimatstadt. Und diese Stadt ist anders. In ihr gibt es keine Frauen. Nur Männer. Und jedermann hört die Gedanken aller anderen. Rund um die Uhr. Es gibt kein Privatleben. Es gibt keine Geheimnisse. Oder doch? Nur einen Monat vor dem Geburtstag, der auch ihn zum Mann machen wird, stolpert Todd unvermutet über einen Ort, an dem absolute Stille herrscht. Und dort trifft er ein Mädchen. - Das ist unmöglich. Oder haben ihn alle ein Leben lang belogen? Todd kommt einem ungeheuerlichen Geheimnis auf die Spur. Und nun bleibt ihm nur eines: um sein Leben zu rennen …
Um ehrlich zu sein, habe ich am Anfang des Buches sogar überlegt, es nicht fertigzulesen, da es mir dort überhaupt nicht gefallen hat. Aber ab der Mitte wurde es immer besser und spannender, weshalb ich ...
Um ehrlich zu sein, habe ich am Anfang des Buches sogar überlegt, es nicht fertigzulesen, da es mir dort überhaupt nicht gefallen hat. Aber ab der Mitte wurde es immer besser und spannender, weshalb ich es dann auch zu Ende gelesen habe und irgendwann regelrecht begeistert war. Die Charaktere wurden mir mit der Zeit immer sympathischer und die Handlung wurde immer besser, auch wenn sie an manchen Stellen dennoch ein wenig abstrus wirkte. Einige Dinge haben für mich schlichtweg keinen Sinn gemacht, aber nichtsdestotrotz hat das Buch irgendetwas, weswegen ich es einfach nicht als schlecht empfinden kann.
Der Fluch der Vielleser ist, dass man fast jede Idee, jede mögliche Welt, jede Wendung und jede Figur schon in ähnlicher Weise irgendwo gelesen hat. Einfallsreichtum und Originalität sind demnach zwei ...
Der Fluch der Vielleser ist, dass man fast jede Idee, jede mögliche Welt, jede Wendung und jede Figur schon in ähnlicher Weise irgendwo gelesen hat. Einfallsreichtum und Originalität sind demnach zwei sehr entscheidende Kriterien für meine Bewertungen - vor allem in den Genres Fantasy und Science-Fiction. Beurteilt man "Chaos Walking" nur nach diesen beiden Kriterien, sprengt diese verrückte Geschichte über den Gedankenlärm fanatischer Siedler in einer außerirdischen Welt wohl die Messlatte. Was uns Patrick Ness hier erzählt, ist wirklich GANZ etwas anderes, stellenweise für meinen Geschmack aber zu abgefahren, um mich gänzlich überzeugen zu können.
Erster Satz: "Das Erste, was du herausfindest, wenn dein Hund sprechen lernt, ist, dass Hunde nicht viel zu sagen haben."
Wem die Handlung, der Autor oder die Namen der Figuren jetzt bekannt vorkommt: Patrick Ness´ Trilogie ist schon 2009 unter den Namen "New World - Die Flucht" "New World - Das dunkle Paradies" und "New World - Das brennende Messer" im Ravensburger Buchverlag erschienen. Meine Ausgabe ist jedoch eine Neuauflage des cbt-Verlags anlässlich der Verfilmung von Lionsgate mit Tom Holland und Daisy Ridley, welche auch beide auf dem neuen Cover abgebildet sind. Trotz dass ich grundsätzlich kein Fan von Personenfotos auf Cover bin und die beiden Darsteller meiner Meinung nach viel zu alt aussehen, um die beiden jungen Protagonisten darstellen zu können, gefällt mir die neue Gestaltung wesentlich besser als die alte oder das englische Original. Das liegt vor allem an der düsteren Ausstrahlung des dunkelgrünen Hintergrunds, welcher neben zwei leicht versetzten Monden einen Sternenhimmel und Baumwipfel im Nebel zeigt. Die Umsetzung des "Lärms" als rote Feuerschwaden und visualisierte Audiowellen ergänzt die Gestaltung um ein wichtiges Grundmotiv. Auch was den Titel angeht, bin ich total bei der Neuauflage. "Chaos Walking" stammt aus einem direkten Zitat, in dem Hauptfigur Todd das Wesen des Lärms erklärt, der ihn jeden Tag umgibt und passt auch stimmungsmäßig außerordentlich gut zur Handlung, da diese chaotischer kaum sein könnte.
"Lärm ist das, was wahr ist, und das, was man glaubt und was man sich nur einbildet und was man nur vor sich hin fantasiert. Der Lärm sagt etwas, und im selben Moment sagt er das Gegenteil, und obwohl man sicher sein kann, dass die Wahrheit irgendwo darin verborgen ist, wie soll man wissen, was wahr ist und was nicht, wenn doch immer alles zur selben Zeit auf einen einstürzt. Lärm ist ein Mensch ohne Filter und ein solcher Mensch ist das Chaos auf zwei Beinen."
In Anbetracht dessen ist es wohl kaum verwunderlich, dass ich keinen besonders leichten Start in "Chaos Walking" hatte. Das lag vor allem daran, dass wir ohne große Umschweife in eine seltsame Stadt auf einem komplett fremdartigen Planeten geworfen werden und kaum Antworten oder unterstützende Erklärungen zu dem verwirrenden Setting erhalten. Der Autor hat für seine Geschichte ein außerirdisches, sehr ursprüngliches, naturbelassenes Setting gewählt, das an das unkolonialisierte Amerika erinnert, nur dass die Weiten der Landschaft nicht von grasenden Büffeln, sondern von seltsamen Geschöpfen wie die vogelstraußartigen "Cassors" oder laut die "HIER!"-denkenden "Viecher" bewohnt werden. Darüberhinaus können alle Lebewesen sprechen (die Komplexität und Aussagekraft deren Kommunikation schwankt aber beachtlich) und wir treffen auf eine einheimische intelligente Spezies, die wir in den Freund-Feind-Kontext einordnen müssen. Das bäuerliche Siedler-Leben wiederum wird gepaart mit allerlei technischen Errungenschaften, sodass Schaffarmen, abgestürzte Raumschiffe und Wunderheilverbände oft innerhalb einer einzigen Seite vorkommen. Als wäre das nicht schon genug der Verwirrung, streut der Autor einige Indianer-Anspielungen und Kirchenkritik mit ein, sodass man schon auf den ersten Seiten kaum weiß, wo einem der Kopf steht.
"Hier", sagt Viola irgendwo neben mir. "Sie singen hier."
Sie singen hier. Sie rufen es sich in ihrem Lärm gegenseitig zu.
Hier bin ich.
Hier sind wir.
Hier gehen wir.
Hier ist alles, was zählt.
Hier.
Es ist...
Wie soll ich sagen?
Es ist wie das Lied einer Familie voller Harmonie, es ist ein Lied der Zugehörigkeit, man gehört dazu, sobald man es nur hört, es ist ein Lied, das einen umhegt und umschmeichelt und einen nie verlässt. Wenn du ein Herz hast, wird es brechen, wenn dein Herz gebrochen ist, wird es wieder heil.
Es ist...
Wow!"
Neben dem verwirrenden Setting macht es einem auch unser Protagonisten Todd nicht gerade leicht, gut in die Geschichte zu finden. Denn mit ihm und der Flut an negativen, zusammenhangslosen Gedanken und Bilder, dem "Lärm", welcher als Gekritzel quer über die Seiten dargestellt ist, muss man erstmal warmwerden. Aufgewachsen als letzter Junge zwischen verbitterten Männern, die alle die Gedanken der jeweils anderen, der Tiere und aller Lebewesen ihres neuen Heimatplaneten "New World" hören, ist es kein Wunder, dass er selbst unzufrieden ist, seinen Hund schlecht behandelt und sich einfach nach einem Moment Ruhe und Frieden sehnt. Die Frauen der Siedler in Todds Heimatstadt sind alle am Lärmbazillus gestorben, den die einheimische außerirdische Spezies, die "Spackle" im Krieg gegen die Eindringlinge eingesetzt hat und "Prentisstown" ist nun die letzte verbliebene Siedlung der Menschen, die dem langsamen Niedergang geweiht ist. Zumindest sagen sie das. Und wie soll Todd auch etwas anderes glauben, wenn alle Bücher verbrannt, die Lehrer vertrieben und jeglicher Fortschritt aus "Prentisstown" verbannt wurde? Dass vielleicht nicht alles stimmt, was Todd im Laufe seines Lebens erzählt wurde, muss er auf die harte Tour lernen als er bei einer Streiftour durch den Sumpf auf ein Loch im Lärm trifft. Und mitten in diesem Loch sitzt ... ein Mädchen.
"Was glaubt ihr, hat euch immer weitergehen lassen? Was glaubt ihr, hat euch bis hierher gebracht?"
"Angst", antwortet Viola.
"Verzweiflung", antworte ich.
"Nein", sagt er. "Nein. Ihr seid viel weiter gekommen, als die meisten Leute auf diesem Planeten ihr ganzes Leben lang kommen werden. Ihr habt Hindernisse und tödliche Gefahren überwunden. Ihr habt eine Armee abgewehrt und einen Irren, du hast eine tödliche Krankheit überstanden und Dinge gesehen, die nur wenige sehen werden. Wie glaubst du, hättest du so weit kommen können ohne Hoffnung?"
Gegliedert in 6 Teile begleiten wir Todd, seinen Hund Manchee und das Mädchen, das sich als Viola vorstellt, daraufhin über 544 Seiten hinweg bei ihrer Suche nach Antworten. Weshalb gibt es keine Frauen in "Prentisstown"? Was ist nach der Besiedlung von "New World" wirklich passiert? Welche Rolle spielen die "Spackle"? Welchen Plan verfolgen der Priester Aaron und der Bürgermeister Prentiss? Und: gibt es weitere Menschen in den Weiten, die Todd und Viola helfen können? Diese Suche gestaltet sich jedoch weniger als strategische Entdeckungsreise, wie ich zu Beginn noch annahm. Vielmehr wird das Abenteuer der beiden bald zur strapaziösen Flucht vor dem wütenden Mob aus "Prentisstown" und zum ständigen Kampf ums Überleben. Gerade der Mittelteil ist ein einziges Martyrium: Die Figuren leiden und bluten und schwitzen und kämpfen und wenn man gerade gedacht hat, sie haben es endlich geschafft, sind entkommen, sind in Sicherheit, dann leiden, bluten, schwitzen und kämpfen sie noch ein kleines bisschen mehr. Diese Leidensintensität hat das Lesen zwar nicht gerade angenehm gestaltet, die Spannung aber immer hochgehalten und dafür gesorgt, dass trotz einiger Wiederholungen keine Leseflaute aufkommt.
"Vielleicht wird unser Schicksal eine andere Wendung nehmen, wenn wir nach links gehen, vielleicht wird sich das Unglück, das auf uns wartet, nicht ereignet, vielleicht wartet am Ende der linken Gabelung das Glück auf uns mit einer warmen Stube und Menschen, die uns lieben, ohne Lärm und ohne Stille, aber mit Essen in Hülle und Fülle, und niemand stirbt dort, niemand, niemals.
Vielleicht.
Aber ich glaube nicht daran.
Ich bin nicht gerade das, was man einen Glückspilz nennt."
Ebenfalls zur konstant hohen Spannung beigetragen hat, dass das Buch seine Geheimnisse bis fast ganz zum Schluss für sich behält und den Lesern kaum mehr als kümmerliche Andeutungen und Raum für Spekulationen überlässt. Das hat zur Folge, dass wir die größte Zeit über mit Todd und Viola planlos durch die Weiten der Landschaft stolpern, auf der Flucht vor einer Gefahr, die wir (noch) nicht verstehen. Zwar treiben die vielen offenen Fragen die Geschichte stark voran, ich hätte mir neben der vielen rohen Handlung aber doch ein paar mehr Informationen und ein besser ausgearbeitetes Worldbuilding gewünscht, um eine bessere Vorstellung von Patrick Ness´ Welt zu erhalten, die zwischen Überlebenskampf und verrückten Ideen alles in allem nur eines bleibt: ein grober Umriss. Dadurch, dass wir es hier mit dem ersten Teil einer Trilogie zu tun haben, will ich in diesem Punkt nicht kleinlich sein und hoffe, dass wir in den Folgebänden mit unseren beiden Figuren das Setting weiter erkunden können.
"Ich denke darüber nach, wie es wohl ist, in einem Raumschiff auf die Welt gekommen zu sein, einem echten Raumschiff. Wie es ist, zwischen den Sternen aufzuwachsen und zu fliegen, wohin man will, statt auf einem abscheulichen Planeten festzusitzen, auf dem man nicht willkommen ist. Wenn einem ein Ort nicht gefällt, sucht man sich einen anderen. Man ist frei, zu tun und zu lassen, was man will. Oh Mann, was könnte besser sein?"
Schade ist aber auch, dass für Gefühle lange Überlegungen oder richtige Gespräche zwischen dem hohen Erzähltempo und der Reduktion auf basale Maßnahmen zum Überleben kaum Platz ist. Die Figuren haben demnach auch nur insofern Zeit, sich zu entwickeln, dass sie sich besser kennenlernen und sich füreinander öffnen. Zu wirklich tiefgründigen Figuren mit Vorlieben, Fähigkeiten, Eigenschaften und Dispositionen werden Todd und Viola demnach während der 544 Seiten leider nicht. Auf der Plusseite sind die beiden sehr jungen Protagonisten (auf Erdjahre umgerechnet sind sie etwa 14 Jahre alt) als "Menschen wie du und ich" dargestellt und werden während ihrer Reise weder zu Helden noch zu Antihelden. Wir können die beiden als Figuren also nur recht schwer fassen, sie sind aber dennoch sehr realistische Durchschnittsmenschen, die langsam abstumpfen, sich oft verrennen und schlussendlich nur überleben wollen, sodass wir nachempfinden können, was sie denken, fühlen und hoffen.
"Siedler" und "undichtes Rohr" und "Hildy."
"Du denkst oft an deine Frau."
"Sie ist der hellste Stern an meinem Himmel, mein Junge. Ich wäre untergegangen in meinem eigenen Lärm, hätte sie nicht ihre Hand ausgestreckt und mich gerettet."
Patrick Ness erzählt seine komplette Geschichte aus Todds Ich-Perspektive und nutzt dabei sehr viele direkte Gedanken. die manchmal in langen Satzreihen mit vielen Absätzen oder fließenden Nebensätzen beinahe gedankenstromartig aus dem jungen Erzähler herausströmen. Wie beim "Lärm" - der innovativen, aber gruseligen Grundidee der Geschichte - scheint es hier keinen Filter zu geben, sodass sich die Erzählung sehr erlebnisnah liest, man mit einigen sehr dysfunktionalen, manchmal auch gewalttätigen Gedanken aber auch hadert. Gerade sein Umgang mit Manchee im ersten Drittel der Geschichte hat es mir schwer gemacht, ihn sympathisch zu finden. Diese Art der Erzählweise reißt zwar mit, man ist dem, was passiert aber auch ausgeliefert. Genauso ist es auch mit dem allgemeinen Sprachstil, der recht derb und direkt ist und sich kaum Zeit für Beschönigungen, Erklärungen oder Beschreibungen nimmt. So sagt Todds Hund gleich auf den ersten beiden Seiten gleich siebenmal "Kacken", worauf Todd ihn anbrüllt, er solle "die Schnauze halten". Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass Todd den Leser an einigen Stellen direkt anspricht, indem er Fragen stellt, sein Verhalten erklärt oder sich rechtfertigt. So ist man schon recht bald in einem Zwiespalt zwischen dem Drang, sich etwas von Handlung und Erzähler zu distanzieren und dem mitreißenden Sog durch die erlebnisnahe Erzählweise.
"Der Krieg ist ein Ungeheuer", spricht er weiter. "Krieg ist ein Teufel. Wenn er einmal sein Maul öffnet, dann frisst und frisst und frisst er immer weiter." Er blickt mich an. "Krieg macht aus ganz normalen Menschen Ungeheuer."
Einige fantastische Horrorelemente - Grusel-Sümpfe, Halluzinationstrips durch eine Infektion, ein immer wiederkommender Antagonist, der nach jeder Verletzung entstellter ist, aber zombiemäßig immer wieder aufsteht - tun ihr übriges und feuern die mulmige, düstere Atmosphäre weiter an. Manche Motive, wie zum Beispiel das des beinahe lebendigen Messers, erscheinen dabei in höchstem Maße surreal, andere wiederum, wie zum Beispiel ungezügelten Aggressionen, religiöser Wahn und männliches Dominanzverhalten, erkennen wir aus unserer Gesellschaft wieder. Angesichts der Fremdartigkeit und Eigenwilligkeit von Handlung, Grundidee und Atmosphäre kann ich mir gerade noch überhaupt nicht vorstellen, wie eine Verfilmung funktionieren soll. Ich bin aber sehr gespannt auf die Umsetzung - vor allem des Lärms und der außerirdischen Kreaturen. Da die Geschichte sehr offen und damit auch sehr frustrierend endet, werde ich bald zu den Nachfolgebänden greifen und bin schon sehr gespannt, was darin noch auf Todd, Viola und uns zukommt.
"Das Messer lebt. Solange ich es in der Hand halte, solange ich es benutze, lebt das Messer, lebt, um Leben zu nehmen, aber es muss gezähmt werden, es braucht mich, damit ich ihm sage, wen es töten soll, und es will töten, es will eintauschen und zustoßen und schneiden und stechen und durchbohren, aber ich muss es ebenso wollen, sein Wille muss auch mein Wille sein. (...) Wenn es so weit kommt, werde ich wieder versagen?
"Nein", flüstert mir das Messer zu.
"Ja", flüstert mir der Wind zu, der über den Fluss weht."
Fazit:
An Spannung, innovativen Ideen und einer originellen Welt mangelt es der Geschichte nicht, für meinen Geschmack waren jedoch die Figuren zu flach, die Atmosphäre zu eigenwillig und ich hätte mir anstatt der vielen rohen Handlung lieber noch ein paar mehr Hintergrundinformationen gewünscht. Da es sich hier jedoch um den Einstieg in eine Trilogie handelt, kann das ja noch in den Folgebänden nachgeholt werden...